Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio
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Schwerpunkt<br />
sche Belastung. 110 Der Praxis ist mit der Absprache ein Mittel an die<br />
Hand gegeben worden, um überlange Verfahren möglichst zu verhindern.<br />
Gerade in Großverfahren, insbesondere im Bereich der<br />
Wirtschaftkriminalität, müssen komplexe Sachverhalte aufgeklärt<br />
werden. 111 In derartigen Verfahren dient die Absprache der Verhinderung<br />
einer drohenden langwierigen, aufwendigen <strong>und</strong> vor allem<br />
kostspieligen Ermittlung <strong>und</strong> Beweisaufnahme. 112 Teilweise wird daher<br />
in der Absprachepraxis eine „idealtypische“ Unterstützung des<br />
Beschleunigungsgebotes gesehen. 113 Der Beschleunigungsgr<strong>und</strong>satz<br />
dient aber vor allem auch den Interessen des Angeklagten, der nicht<br />
länger als erforderlich dem Strafverfahren ausgesetzt sein soll. Der<br />
DAV bemängelt, dass es widersinnig sei, aus diesem Recht des Angeklagten<br />
die Rechtfertigung für die Einschränkung anderer Gewährleistungen<br />
zu ziehen. 114 Auch Rönnau sieht in dem Beschleunigungsgebot<br />
keine hinreichende Rechtfertigung der Eingriffe in Beschuldigtenrechte,<br />
die im Hinblick auf die Prozessbeschleunigung nicht zur<br />
Disposition stünden. 115 Damit vermag auch das Beschleunigungsgebot<br />
die Gr<strong>und</strong>rechtseingriffe im Rahmen der Verständigung nicht zu<br />
rechtfertigen.<br />
III. Konsensuale Elemente in der StPO 116<br />
Eine Rechtfertigung der Eingriffe könnte jedoch möglicherweise<br />
mit der festzustellenden Tendenz zu konsensualen Elementen in der<br />
StPO gelingen. Zu denken ist in diesem Zusammenhang an die Einstellung<br />
gem. §§ 153 ff. StPO, das Strafbefehlsverfahren, den Täter-<br />
Opfer-Ausgleich <strong>und</strong> die Kronzeugenregelung.<br />
Zunächst ist festzuhalten, dass „das deutsche Strafverfahrensrecht<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich vergleichsfeindlich ausgestaltet“ ist. Allerdings sei angesichts<br />
des § 153a StPO „eine Verständigung (…) über das Ergebnis<br />
<strong>und</strong> die Erledigung eines Strafverfahrens dem deutschen Strafprozeß<br />
nicht völlig fremd“. 117 Zwar enthält § 153a StPO ein konsensuales Element,<br />
da die Zustimmung des Beschuldigten Voraussetzung für die<br />
Einstellung ist, doch ist der Vorschrift nicht zu entnehmen, dass die<br />
Art oder Höhe der Auflage/Weisung zwischen den Beteiligten ausgehandelt<br />
wird, vielmehr wird diese von der Staatsanwaltschaft schlicht<br />
erteilt. Beachtung verdient darüber hinaus die Tatsache, dass bei der<br />
Absprachepraxis entscheidende Gr<strong>und</strong>sätze des Strafverfahrensrechts<br />
zumindest berührt werden, sodass zur Legitimation mehr als<br />
die Vergleichbarkeit mit § 153a StPO notwendig sei. 118 Der Vergleich<br />
mit §§ 153 ff. StPO kann daher nicht überzeugen.<br />
Auch der Vergleich mit dem Strafbefehlsverfahren, dem Täter-Opfer-Ausgleich<br />
<strong>und</strong> der Kronzeugenregelung des § 46b StGB kann<br />
nicht als Rechtfertigung der Eingriffe herangezogen werden. Zwar<br />
kann der Verteidiger die Staatsanwaltschaft kontaktieren um die<br />
Möglichkeit der Verfahrensbeendigung mittels Strafbefehl zu klären<br />
(vereinbarter Strafbefehl), 119 die Entscheidung über die entsprechende<br />
Antragstellung obliegt aber allein der Staatsanwaltschaft. Im<br />
Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs, §§ 155a f. StPO, § 46a StGB,<br />
hat der Angeklagte die Möglichkeit, die zu erwartende Strafe zu mildern.<br />
Dabei hat er aber keinerlei Einfluss auf die tatsächliche Höhe<br />
der Strafmilderung. <strong>Die</strong> Kronzeugenregelung gewährt dem Täter die<br />
Möglichkeit, eine Strafmilderung für die Offenbarung seines Wissens<br />
zu erhalten, § 46b Abs. 1 StGB.<br />
Auch in der Gesamtheit der konsensualen Elemente in der StPO oder<br />
in einer entsprechenden Entwicklung in den letzten Jahren kann kein<br />
Argument für die Zulässigkeit der Verständigung gesehen werden.<br />
Hierin kommt lediglich eine Gesetzgebungstendenz zum Ausdruck,<br />
die die Bedenken gegen die Absprachepraxis nicht beseitigen kann.<br />
Zu berücksichtigen ist aber vor allem, dass es sich bei den angesprochenen<br />
Normen lediglich um einfachgesetzliche Regelungen handelt,<br />
die gr<strong>und</strong>sätzlich nicht dazu geeignet sind, Eingriffe in vorbehaltlos<br />
gewährleistete Gr<strong>und</strong>rechte zu rechtfertigen.<br />
IV. Ergebnis<br />
<strong>Die</strong> Absprachepraxis bzw. die Regelung des § 257c StPO in seiner<br />
jetzigen Fassung greifen an verschiedenen Stellen in verfassungsrechtlich<br />
gewährleistete Rechte des Angeklagten im Strafprozess ein,<br />
ohne dass eine Rechtfertigung durch gleich- oder höherwertige Verfassungsgüter<br />
ersichtlich ist. 120 <strong>Die</strong> Regelung der Verständigung im<br />
Strafverfahren verstößt daher gegen die Verfassung. 121<br />
E. Ausblick<br />
Sollte das BVerfG ebenfalls zu der Verfassungswidrigkeit gelangen,<br />
wird es die Norm gem. § 95 Abs. 3 BVerfGG für nichtig erklären. Der<br />
Gesetzgeber wäre dann angehalten unter Berücksichtigung der Vorgaben<br />
des Urteils eine Neuregelung zu treffen. <strong>Die</strong>s hätte, sofern das<br />
BVerfG keine konkrete Frist formuliert, unverzüglich zu erfolgen. 122<br />
Das Gesetz würde nur insoweit für nichtig erklärt werden, als es die<br />
Gr<strong>und</strong>rechte der Beschwerdeführer verletzt <strong>und</strong> die Maßnahme auf<br />
der Verfassungsverletzung beruht oder beruhen kann. 123<br />
Einige Stimmen in der Literatur sprechen sich für eine „Rückkehr zu<br />
dem im Gesetz nicht einmal aufgegebenen <strong>und</strong> in einer Parallelprozessordnung<br />
fortbestehenden bisherigen System“ aus. 124 Murmann<br />
findet darauf jedoch ein ernüchterndes Resümee: „Der Gesetzgeber<br />
hat den Instanzgerichten des Angebot zur Aushöhlung der Prozessmaximen<br />
bei deren gleichzeitiger verbaler Aufrechterhaltung gemacht.<br />
… Mit dem Verlassen des eingeschlagenen Holzwegs ist wohl<br />
allenfalls dann zu rechnen, wenn der politische Preis für die Prinzipienlosigkeit<br />
zu hoch wird, weil das Vertrauen der Bevölkerung in die<br />
Strafrechtspflege schwindet.“ 125<br />
Es bleibt abzuwarten, wie das BVerfG entscheiden wird. Mit einem<br />
Urteil ist Anfang 2013 zu rechnen.<br />
110 Schroth, NJW 1990, 29, 30.<br />
111 Landau/Eschelbach, NJW 1999, 321.<br />
112 Schmidt-Hieber, NJW 1990, 1884, 1885.<br />
113 Braun, <strong>Die</strong> Absprache im deutschen Strafverfahren, 1998, S. 55.<br />
114 DAV, Stellungnahme Nr. 58/2012, S. 34.<br />
115 Rönnau, <strong>Die</strong> Absprache im Strafprozeß, 1990, S. 179; Heller, Das Gesetz zur Regelung der<br />
Verständigung im Strafverfahren – No big deal?, 2012, S. 74 f.<br />
116 In der Verhandlungsgliederung des BVerfG explizit als Aspekt der Rechtfertigung erwähnt:<br />
„Tendenz zur Statuierung „konsensualer“ Elemente in einem vom Offizialprinzip beherrschten<br />
Strafverfahren (§§ 153 ff. StPO, Strafbefehlsverfahren, Täter-Opfer-Ausgleich, Kronzeugenregelung)<br />
<strong>und</strong> Ausstrahlung auf die verfassungsrechtliche Bewertung der Verfahrensabsprache?“.<br />
117 BGHSt 43, 195, 203.<br />
118 Weigend, NStZ 1999, 57, 58.<br />
119 Nobis, in: Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, 2006, § 10 Rn. 133.<br />
120 DAV, Stellungnahme Nr. 58/2012, S. 33.<br />
121 Vgl. bspw. nur: Eschelbach, in: BeckOK StPO, Edition 15, Stand: 1.10.2012, § 257c Rn. 57; DAV,<br />
Stellungnahme Nr. 58/2012, S. 33 f. sieht keine Rechtfertigung der Eingriffe.<br />
122 Hömig, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 38. Ergänzungslieferung 2012, § 95<br />
Rn. 49; gem. § 35 BVerfGG kann das BVerfG ausnahmsweise selbst bestimmen, was übergangsweise<br />
bis zur Neuregelung gelten soll.<br />
123 Schlaich/Korioth, Das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht, 9. Aufl. 2012, Rn. 225.<br />
124 Eschelbach, in: BeckOK StPO, Edition 15, Stand: 1.10.2012, § 257c Rn. 57; vgl. auch Murmann,<br />
ZIS 2009, 526, 538; a.A.: Fischer, ZRP 2010, 249, wonach der 68. DJT eine Rückkehr zum alten<br />
Rechtszustand im Ergebnis ablehnt; vgl. auch Schmitt, StraFo 2012, 386, 394 f., der hinsichtlich der<br />
Abspracheregelung insgesamt ein positives Fazit zieht.<br />
125 Murmann, ZIS 2009, 526, 538.<br />
<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 1 / 2013<br />
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