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Festspielzeit Frühling 2015

Das Magazin der Bregenzer Festspiele

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Puccinis Tenor-Helden entbehren<br />

nicht einer gewissen Eindimensiona<br />

lität, auch Calaf nicht. Dieser<br />

kämpft hart, um die Prinzessin<br />

Turandot zu erringen, und Puccini<br />

ringt verzweifelt, um das Rätsel<br />

dieser Frau zu lösen und diese Oper<br />

zu vollenden. Diese Parallelität<br />

gibt der Figur von Calaf eine poetisch-biographische<br />

Ergänzung, die<br />

mich sehr interessiert.<br />

Puccinis Biographie hat noch weitere<br />

Spuren in Turandot hinterlassen …<br />

Ich denke, dass wie in keiner<br />

anderen Puccini-Oper Leben und<br />

Werk so stark verbunden sind wie<br />

in Turandot. In Gozzis Vorlage ist<br />

Liù eine eher negative Figur: die<br />

Intrigantin Adelma. Auf Puccinis<br />

Wunsch wurde diese Gestalt völlig<br />

neu konzipiert. Von ihm stammt<br />

auch die Idee ihres Selbstmords,<br />

der hier wie ein Liebestod wirkt.<br />

Nach Puccinis schwerem Autounfall<br />

wurde die sechzehnjährige Doria<br />

Manfredi als Krankenpflegerin und<br />

Haushaltshilfe in Puccinis Haus aufgenommen.<br />

Puccini empfand eine<br />

gewisse Sympathie für das einfache<br />

Mädchen. Seine Frau Elvira wurde<br />

argwöhnisch und begann Doria<br />

zu beschimpfen und öffentlich als<br />

Hure zu verleumden. Die ganze<br />

Nachbarschaft wurde in diesen Konflikt<br />

mit einbezogen und das arme<br />

Mädchen wusste keinen anderen<br />

Ausweg, als sich auf eine äußerst<br />

quälende Art selbst umzubringen.<br />

Puccini konnte das Werk nicht<br />

vollenden. Liegen die Gründe<br />

dafür auch in der Oper selbst?<br />

die das ganze Finale, das Zueinanderfinden<br />

von Turandot und Calaf,<br />

unter einen unheimlichen Schatten<br />

zu stellen drohte. Sicher war er<br />

sich der Ge fahr bewusst, dass sich<br />

alles Folgende zu einer riskanten<br />

Antiklimax entwickeln könnte. Eine<br />

weitere emotionale Steigerung über<br />

die hier erreichte Ergriffenheit hinaus<br />

war nicht möglich.<br />

Dabei hatte er seine Vorstellungen<br />

für diese Szene den Librettisten klar<br />

vorgegeben: Die kleine Sklavin Liù<br />

soll eine seelenstarke Liebeswärme<br />

ausstrahlen, die so gewaltig ist,<br />

dass sie in der anderen, kalten Frau,<br />

die das Gefühl der Liebe gar nicht<br />

kennt, eine mächtige Umkehrung<br />

auslöst. Ihr Tod soll die eisumgürtete<br />

Turandot in Flammen der Liebe<br />

setzen. Doch wie sollte sich dies im<br />

szenischen Ablauf entwickeln? Liù<br />

hat sich soeben auf offener Bühne<br />

umgebracht und Calaf, der prinzliche<br />

Held, hat dabei gestanden und<br />

erlebt, wie sich dieses Mädchen,<br />

Sympathieträgerin des Publikums,<br />

seinetwegen umgebracht hat. Er hat<br />

diese Selbst tötung nicht ver hindert,<br />

ist somit auf eine Art schuldig geworden,<br />

und nun soll er Turandot<br />

die Liebe »beibringen« oder offenbaren.<br />

Auch Turandot, die ja den Befehl<br />

zur Folter gegeben und so Liùs Tod<br />

evoziert hat, hat dies alles miterlebt.<br />

Kann, nach Timurs Fluch, das Glück<br />

der beiden und das finale Happy<br />

End auf dem mitleiderregenden<br />

Opfer der kleinen, aber menschlich<br />

ungemein anrührenden Sklavin<br />

aufgebaut werden? Dass dies ein<br />

sehr schwierig zu realisierender<br />

Vorgang ist, wurde dem Komponisten<br />

bewusst, und so verlangte er immer<br />

wieder nach neuen Textversionen<br />

und dachte sogar daran, die Verwandlung<br />

der Titelfigur einzig durch<br />

ein sinfonisches Zwischenspiel und<br />

ohne Worte zu schildern.<br />

In Ihrem Bühnenbild für die<br />

Bregenzer Seebühne werden eine<br />

mächtige Mauer und Terrakotta-<br />

Krieger auf den ersten Blick wahrnehmbar<br />

sein. Was verbindet<br />

diese monumentalen chinesischen<br />

Elemente mit Puccinis Turandot?<br />

Mehr als in meinen anderen Ins zenierungen<br />

dieses Werkes habe ich<br />

für Bregenz das chinesische Kolorit<br />

berücksichtigt. Die Dimensionen<br />

des Ortes verlangen ja nicht nach<br />

einer feinen Psycho logie, sondern<br />

nach großen Bildern. Das glühende<br />

Magma dieser Partitur hat sicher<br />

die Farbge bung beeinflusst und<br />

diese monumentalen Szenen suchten<br />

nach einer Ent sprechung. So<br />

ist die Idee der Mauer entstanden<br />

und wenn ich weiter an China denke,<br />

dämmern in mir Bilder von unendlichen<br />

Reihen von Menschenmassen<br />

auf. Die Handlung soll laut Textbuch<br />

in einer märchenhaften Vorzeit<br />

spielen, dann schildert die Protagonistin<br />

im zweiten Akt, dass sich das<br />

Drama um Lou-Ling wiederum vor<br />

Tausenden von Jahren abgespielt<br />

hat. Bedeutet die Verschiebung in<br />

die Zeitlosigkeit nicht, dass es sich<br />

um ein Gegenwartsstück handelt?<br />

TURANDOT<br />

1923, ein Jahr vor seinem Tod, war<br />

die Oper bis zu Liùs Tod gediehen,<br />

dann kam die Arbeit ins Stocken<br />

und Puccini hat das Werk unvollendet<br />

hinterlassen. Die Weiterführung<br />

der Oper bot ein nahezu unlösbares<br />

Problem. Mit der Sterbeszene der<br />

Liù hatte er eine seiner berührendsten<br />

Szenen überhaupt geschaffen,<br />

»Schon als kleiner Junge<br />

habe ich mich nach<br />

fremden Welten gesehnt. «<br />

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