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Katers Welt MARKTWERT<br />
WIRTSCHAFTSPOLITIK<br />
DER DORNRÖSCHEN-FAKTOR<br />
Wenn die politische Vernunft siegt, bieten sich an Europas Aktienmärkten auch Chancen. Das Wachküssen verlangt<br />
von Anlegern aber Geduld und Aufmerksamkeit – mit jeder neuen politischen Wahl können böse Feen auftauchen.<br />
Illustration: Timo Becker<br />
Fast mit dem ersten Arbeitstag im Januar hatte das Finanzjahr<br />
2015 auch schon sein erstes großes Thema: Der vehemente<br />
Ruf nach Schuldenerleichterungen der einst kleinen<br />
linken Oppositionspartei, die nun die Regierung in Griechenland<br />
stellt. Der Ruf erinnerte alle europäischen Finanzmarktteilnehmer<br />
daran, dass die Finanzprobleme in Europa mitnichten gelöst<br />
sind. Fast sechs Jahre nach Ausbruch der Schuldenkrise fällt die<br />
Bilanz gemischt aus. Festzustellen ist: In allen Krisenstaaten sind<br />
Fortschritte zu verzeichnen, das Wachstum ist zurück, die Leistungs<br />
bilan zen sind mehrheitlich im Überschuss statt im Minus<br />
und die Staatsdefizite sinken. Aber wirklich durchschlagend sind<br />
die Erfolge noch nicht. Sie sind zudem vielfach auf Kosten hoher<br />
Arbeitslosigkeit erreicht worden. Das wäre ungefähr so, wie wenn<br />
sich jemand auf eine niedrigere Kleidergröße herunterhungert,<br />
weil er sich eine Nummer größer nicht leisten kann.<br />
Da ist Ärger vorprogrammiert. Die einen möchten einen<br />
Schuldenschnitt, am besten ohne wirtschaftspolitische Reformauflagen.<br />
Die anderen möchten wirtschaftspolitische Reformauflagen,<br />
am besten ohne einen Schuldenschnitt.<br />
Nicht nur in dieser Frage<br />
sind die Positionen so weit auseinander,<br />
wie die europäischen Hauptstädte<br />
voneinander entfernt liegen. Einen politischen<br />
Verbund wie eine Währungsunion<br />
zeichnet allerdings aus, dass<br />
alle Beteiligten kompromissfähig sind.<br />
„In allen Krisenstaaten sind<br />
Fortschritte zu verzeichnen,<br />
aber durchschlagend sind die<br />
Erfolge noch nicht“<br />
Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank<br />
Niemand, egal wie reich und mächtig er ist, wird 100 Prozent<br />
seiner Vorstellungen durchsetzen können. Zugleich ist eine Drohung,<br />
den politischen Klub zu verlassen, wenn nicht alle eigenen<br />
Forderungen erfüllt werden, unrealistisch. Zwischen diesen Extremen<br />
wird die Gemeinschaft der Euro-Mitgliedsländer künftig<br />
häufig hin- und hergeworfen werden. Entscheidend ist hier aber<br />
nicht nur die Kompromissfähigkeit des politischen Personals.<br />
Immer wichtiger ist, ob die Mechanismen einer Währungsunion<br />
von den Wählern akzeptiert werden. Daher ist eine Diskussion<br />
über die politische Zukunft Europas fast noch wichtiger als die<br />
Erörterung der momentanen Finanzlage einzelner Staaten.<br />
Solange die politische Vernunft siegt – hier sollte man weniger<br />
von ökonomischer Vernunft sprechen, denn diese würde die Einführung<br />
neuer Währungen rund um die Welt verlangen –, bieten<br />
sich an den europäischen Kapitalmärkten auch Chancen. Denn<br />
die Querelen und Probleme im Euroraum haben in den letzten<br />
Jahren an den Börsen zu einem Preisabschlag für viele europäische<br />
Unternehmen geführt. Während die US-Märkte auf dem Rücken<br />
ihrer kräftigen wirtschaftlichen Erholung<br />
schon wieder recht teuer geworden sind,<br />
enthalten Europas Aktienmärkte noch einen<br />
Dornröschen-Faktor: Das Wachküssen<br />
verlangt bislang einige Geduld, und<br />
böse Feen können mit jeder neuen Wahl<br />
auftauchen. Europa bleibt also schwierig,<br />
aber auch voller Möglichkeiten.<br />
fondsmagazin 1.2015