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TONI PALZER<br />
„Jo mei, dann tut’s<br />
eben weh“<br />
Der vierfache Junioren-Weltmeister im Ski-Bergsteigen über positive Schmerzen,<br />
Abfahrten auf Zahnstochern und sein Relax-Programm um vier Uhr früh.<br />
Interview: Andreas Rottenschlager, Bild: Oliver Jiszda<br />
the red bulletin: Herr Palzer, lieben<br />
Sie Ihren Sport?<br />
toni palzer: Klar. Warum fragen Sie?<br />
Ski-Bergsteigen wurde in den 1920ern<br />
als Ausdauer-Härtetraining für Soldaten<br />
entwickelt. Irgendwie erkennt man das<br />
bis heute. Was reizt Sie daran?<br />
Dass du an deine Leistungsgrenzen gehen<br />
musst, während du durch wundervolles<br />
Panorama läufst. Du musst wie ein Bergsteiger<br />
denken, um das toll zu finden: Der<br />
Bergsteiger will auf den Berg – erst dann<br />
ist er glücklich.<br />
Andere könnten dabei eher an Luftknappheit<br />
denken. Der höchste Punkt,<br />
den Sie im Weltcup erreichen, liegt auf<br />
über 4000 Metern.<br />
Klar gibt es Rennen, wo du dir denkst:<br />
„Was mache ich hier?“ Du hast einen Pulsschlag<br />
von 200, und deine Oberschenkel<br />
brennen. Jo mei, dann tut’s eben weh.<br />
Aber je größer der Schmerz, desto größer<br />
ist die Freude im Ziel.<br />
Sie gelten als Spezialist für die Disziplinen<br />
„Vertical Race“ (1000 Höhenmeter<br />
in einem Anstieg; Anm.) und „Individual<br />
Race“ (Einzelrennen mit Abfahrt;<br />
Anm.). In welcher Disziplin bereiten<br />
die Schmerzen die größte Freude?<br />
Eindeutig beim Individual Race. Das sind<br />
bis zu 2500 Höhenmeter pro Rennen –<br />
unterteilt in Anstiege, Abfahrten und<br />
Tragepassagen. Bei Letztgenannten musst<br />
du dir die Ski auf den Rucksack schnallen,<br />
um weiterzuklettern.<br />
In Skischuhen?<br />
Natürlich.<br />
Klingt gefährlich.<br />
Kommt ganz drauf an. Manchmal stapfst<br />
du nur ein paar hundert Meter durch den<br />
Schnee. Manchmal führt die Route über<br />
einen Felsgrat. Dann wird von der Renn-<br />
leitung vorher ein Fixseil gespannt, und<br />
du hängst dich mit dem Klettergurt ein.<br />
Wie gewinnt man so ein Rennen?<br />
Bewerbe im Ski-Bergsteigen starten meist<br />
auf einer Skipiste. Schön breit, alle haben<br />
Platz. Nach 200 bis 300 Höhenmetern<br />
zieht sich das Feld auseinander. Für den<br />
steilen Teil der Strecke werden zwei<br />
Spuren angelegt, die parallel zueinander<br />
in Spitzkehren den Berg hinaufführen. Du<br />
läufst auf einer Zickzacklinie bergauf. In<br />
den Kehren kannst du überholen. Ziel ist,<br />
als Erster zur Abfahrt zu kommen. Das ist<br />
das Wichtigste.<br />
„Ich war bei der<br />
Abfahrt zu schnell.<br />
Laut GPS 100 km/h.<br />
Dann ist mein<br />
Schuh zerbrochen.“<br />
Warum?<br />
Weil dich dann niemand schneiden kann.<br />
Die Abfahrten sind Nervenkriege. Sie führen<br />
mitten durchs Gelände. Mal hast du<br />
Tiefschnee, mal fährst du über gefrorene<br />
Schneedecken …<br />
… wofür Tourenski ja nicht unbedingt<br />
ideal geeignet sind …<br />
Das Problem ist: Diese Skier wurden nicht<br />
für Abfahrten gebaut. Sie sind viel zu<br />
leicht. Ein Weltcup-Tourenski wiegt inklusive<br />
Bindung nur 750 Gramm. An seiner<br />
schmalsten Stelle misst er sechs Zentimeter.<br />
Du saust den Berg auf zwei Zahnstochern<br />
hinunter.<br />
Können Sie sich an Ihren schlimmsten<br />
Sturz erinnern?<br />
Das war vor zwei Jahren, bei der Tour du<br />
Rutor in Italien (im Aostatal; Anm.).<br />
Was ist passiert?<br />
Ich war bei der Abfahrt zu schnell unterwegs.<br />
Laut GPS rund 100 km/h. Ich habe<br />
einen Schlag bekommen, der meinen<br />
Schuh zerbrochen hat …<br />
Ihr Schuh ist während der Abfahrt<br />
auseinandergebrochen?<br />
Ja, das Material war wohl zu starr. Mittlerweile<br />
trage ich Schuhe aus Carbon-Kevlar-<br />
Gemisch. Die haben den richtigen Mix<br />
aus Steifigkeit und Flex.<br />
Wie schützen Sie sich eigentlich vor<br />
Lawinen?<br />
Der Weltverband der Ski-Bergsteiger<br />
ISMF schreibt eine Basisausrüstung vor:<br />
Lawinenschaufel, Lawinensonde, Lawinenverschütteten-Suchgerät,<br />
Rettungsdecke,<br />
Pfeife, dazu Überhose und Überjacke,<br />
falls das Wetter mitten im Bewerb umschlägt.<br />
Natürlich muss die Ausrüstung<br />
superleicht sein – der ganze Rucksack<br />
wiegt nur 500 Gramm.<br />
Apropos Gewicht. Wie viel wiegen Sie?<br />
60 Kilo bei einer Größe von 1,78 Metern.<br />
In der Trainingspause nach Saisonende<br />
werden es dann sechs Kilo mehr (lacht).<br />
Wie viele Höhenmeter hat Ihre Saison?<br />
300.000, wenn man Wettkampf und Training<br />
zusammenzählt.<br />
Können Sie danach noch Berge besteigen,<br />
ohne an Wettkämpfe zu denken?<br />
Ja, Berge sind meine Kraftquelle. Mein<br />
Elternhaus liegt in Berchtesgaden auf<br />
1100 Metern. Ich stehe oft um vier Uhr<br />
auf und laufe auf den Watzmann, unseren<br />
Hausberg. Wenn ich auf dem Gipfel bin,<br />
setz ich mich auf einen Felsen. Dort oben<br />
ist totale Stille. Solche Momente sind<br />
ideal, um den Alltag abzustreifen.<br />
www.antonpalzer.de<br />
46 THE RED BULLETIN