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The Red Bulletin Dezember 2014 - DE

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TONI PALZER<br />

„Jo mei, dann tut’s<br />

eben weh“<br />

Der vierfache Junioren-Weltmeister im Ski-Bergsteigen über positive Schmerzen,<br />

Abfahrten auf Zahnstochern und sein Relax-Programm um vier Uhr früh.<br />

Interview: Andreas Rottenschlager, Bild: Oliver Jiszda<br />

the red bulletin: Herr Palzer, lieben<br />

Sie Ihren Sport?<br />

toni palzer: Klar. Warum fragen Sie?<br />

Ski-Bergsteigen wurde in den 1920ern<br />

als Ausdauer-Härtetraining für Soldaten<br />

entwickelt. Irgendwie erkennt man das<br />

bis heute. Was reizt Sie daran?<br />

Dass du an deine Leistungsgrenzen gehen<br />

musst, während du durch wundervolles<br />

Panorama läufst. Du musst wie ein Bergsteiger<br />

denken, um das toll zu finden: Der<br />

Bergsteiger will auf den Berg – erst dann<br />

ist er glücklich.<br />

Andere könnten dabei eher an Luftknappheit<br />

denken. Der höchste Punkt,<br />

den Sie im Weltcup erreichen, liegt auf<br />

über 4000 Metern.<br />

Klar gibt es Rennen, wo du dir denkst:<br />

„Was mache ich hier?“ Du hast einen Pulsschlag<br />

von 200, und deine Oberschenkel<br />

brennen. Jo mei, dann tut’s eben weh.<br />

Aber je größer der Schmerz, desto größer<br />

ist die Freude im Ziel.<br />

Sie gelten als Spezialist für die Disziplinen<br />

„Vertical Race“ (1000 Höhenmeter<br />

in einem Anstieg; Anm.) und „Individual<br />

Race“ (Einzelrennen mit Abfahrt;<br />

Anm.). In welcher Disziplin bereiten<br />

die Schmerzen die größte Freude?<br />

Eindeutig beim Individual Race. Das sind<br />

bis zu 2500 Höhenmeter pro Rennen –<br />

unterteilt in Anstiege, Abfahrten und<br />

Tragepassagen. Bei Letztgenannten musst<br />

du dir die Ski auf den Rucksack schnallen,<br />

um weiterzuklettern.<br />

In Skischuhen?<br />

Natürlich.<br />

Klingt gefährlich.<br />

Kommt ganz drauf an. Manchmal stapfst<br />

du nur ein paar hundert Meter durch den<br />

Schnee. Manchmal führt die Route über<br />

einen Felsgrat. Dann wird von der Renn-<br />

leitung vorher ein Fixseil gespannt, und<br />

du hängst dich mit dem Klettergurt ein.<br />

Wie gewinnt man so ein Rennen?<br />

Bewerbe im Ski-Bergsteigen starten meist<br />

auf einer Skipiste. Schön breit, alle haben<br />

Platz. Nach 200 bis 300 Höhenmetern<br />

zieht sich das Feld auseinander. Für den<br />

steilen Teil der Strecke werden zwei<br />

Spuren angelegt, die parallel zueinander<br />

in Spitzkehren den Berg hinaufführen. Du<br />

läufst auf einer Zickzacklinie bergauf. In<br />

den Kehren kannst du überholen. Ziel ist,<br />

als Erster zur Abfahrt zu kommen. Das ist<br />

das Wichtigste.<br />

„Ich war bei der<br />

Abfahrt zu schnell.<br />

Laut GPS 100 km/h.<br />

Dann ist mein<br />

Schuh zerbrochen.“<br />

Warum?<br />

Weil dich dann niemand schneiden kann.<br />

Die Abfahrten sind Nervenkriege. Sie führen<br />

mitten durchs Gelände. Mal hast du<br />

Tiefschnee, mal fährst du über gefrorene<br />

Schneedecken …<br />

… wofür Tourenski ja nicht unbedingt<br />

ideal geeignet sind …<br />

Das Problem ist: Diese Skier wurden nicht<br />

für Abfahrten gebaut. Sie sind viel zu<br />

leicht. Ein Weltcup-Tourenski wiegt inklusive<br />

Bindung nur 750 Gramm. An seiner<br />

schmalsten Stelle misst er sechs Zentimeter.<br />

Du saust den Berg auf zwei Zahnstochern<br />

hinunter.<br />

Können Sie sich an Ihren schlimmsten<br />

Sturz erinnern?<br />

Das war vor zwei Jahren, bei der Tour du<br />

Rutor in Italien (im Aostatal; Anm.).<br />

Was ist passiert?<br />

Ich war bei der Abfahrt zu schnell unterwegs.<br />

Laut GPS rund 100 km/h. Ich habe<br />

einen Schlag bekommen, der meinen<br />

Schuh zerbrochen hat …<br />

Ihr Schuh ist während der Abfahrt<br />

auseinandergebrochen?<br />

Ja, das Material war wohl zu starr. Mittlerweile<br />

trage ich Schuhe aus Carbon-Kevlar-<br />

Gemisch. Die haben den richtigen Mix<br />

aus Steifigkeit und Flex.<br />

Wie schützen Sie sich eigentlich vor<br />

Lawinen?<br />

Der Weltverband der Ski-Bergsteiger<br />

ISMF schreibt eine Basisausrüstung vor:<br />

Lawinenschaufel, Lawinensonde, Lawinenverschütteten-Suchgerät,<br />

Rettungsdecke,<br />

Pfeife, dazu Überhose und Überjacke,<br />

falls das Wetter mitten im Bewerb umschlägt.<br />

Natürlich muss die Ausrüstung<br />

superleicht sein – der ganze Rucksack<br />

wiegt nur 500 Gramm.<br />

Apropos Gewicht. Wie viel wiegen Sie?<br />

60 Kilo bei einer Größe von 1,78 Metern.<br />

In der Trainingspause nach Saisonende<br />

werden es dann sechs Kilo mehr (lacht).<br />

Wie viele Höhenmeter hat Ihre Saison?<br />

300.000, wenn man Wettkampf und Training<br />

zusammenzählt.<br />

Können Sie danach noch Berge besteigen,<br />

ohne an Wettkämpfe zu denken?<br />

Ja, Berge sind meine Kraftquelle. Mein<br />

Elternhaus liegt in Berchtesgaden auf<br />

1100 Metern. Ich stehe oft um vier Uhr<br />

auf und laufe auf den Watzmann, unseren<br />

Hausberg. Wenn ich auf dem Gipfel bin,<br />

setz ich mich auf einen Felsen. Dort oben<br />

ist totale Stille. Solche Momente sind<br />

ideal, um den Alltag abzustreifen.<br />

www.antonpalzer.de<br />

46 THE RED BULLETIN

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