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Distanz

Querspur: Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC Ausgabe 01/2012

Querspur: Das Zukunftsmagazin des ÖAMTC
Ausgabe 01/2012

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Auf Achse in der Berliner Großstadt<br />

Der Berliner Atlas paradoxaler Mobilität von Friedrich von Borries zeigt eine ungewöhnliche<br />

Sicht auf Berlin und die Phänomene moderner Mobilität. Es ist eine Sammlung unorthodoxer<br />

Kartografien – etwa zu überfahrenen Füchsen, Wagensiedlungen, unvollendeten Autobahnbrücken<br />

sowie Grätzel mit hoher Porsche-Dichte –, mit Fotos, Essays und Interviews.<br />

Dabei werden die Bewegungsmuster von Fahrradkurieren genauso beschrieben wie jene<br />

von Drogendealern oder Touristen. Interviews mit Straßenmusikanten, Trampern, Obdachlosen,<br />

Lastwagenfahrern und mobilen Würstchenbratern liefern Einblicke<br />

in Mobilitätskulturen direkt von der Straße.<br />

Friedrich von Borries (Hg.)<br />

Berliner Atlas paradoxaler Mobilität<br />

ISBN: 978-3-88396-304-4<br />

Merve Verlag Berlin 2011<br />

Ist Ihnen ein Unterschied zwischen<br />

Männern und Frauen in der Nutzung<br />

der Art der Verkehrsmittel aufgefallen?<br />

Das haben wir hier nicht erhoben. Es<br />

gibt allerdings Studien, die belegen,<br />

dass gerade Frauen Verkehrsmittel<br />

häufiger wechseln und stärker multimodal<br />

unterwegs sind als Männer.<br />

Legen Frauen mit Kindern insgesamt<br />

kürzere Strecken zurück?<br />

Die Weglängen zeigten keine auffälligen<br />

Unterschiede, zumal Frauen mit<br />

ihren Kindern oft mehrere Stadtteile<br />

durchqueren, um an spezielle Orte<br />

wie etwa zum Montessori-Kindergarten<br />

zu gelangen. Die Unterschiede bei<br />

den <strong>Distanz</strong>en waren zwischen Inländern<br />

und Menschen mit Migrations-Hintergrund<br />

am auffälligsten.<br />

Womit wir beim zweiten wichtige Ergebnis<br />

der Studie wären: Zuwanderer<br />

legen deutlich kürzere Strecken zurück<br />

als Einheimische. Die Messung<br />

ergab 8000 Meter pro Tag zu 12.000.<br />

Genau. Das war, wenn man so will,<br />

die zweite Überraschung. Diese Zuwanderer-Communities<br />

haben starke<br />

lokale Netzwerke und bleiben unter<br />

sich. Also über die Mur, auf die traditionell<br />

bürgerliche Seite, gibt es nur<br />

wenige Querungen aus diesen Vierteln.<br />

Ein paar Einrichtungen haben<br />

diese Teilung ein wenig aufgebrochen.<br />

Wie etwa das Kunsthaus Graz oder<br />

die Fachhochschule. Stadtteile mit<br />

einem hohen Anteil an Zuwanderern<br />

werden durch solche Ansiedelungen<br />

heterogener, in die andere Richtung<br />

passiert das aber kaum. Soziale<br />

Homogenität betrifft ja nicht nur die<br />

Zuwanderer-, sondern auch die bürgerlichen<br />

Viertel.<br />

Die Studie zeigt auch, dass die Stadtnutzung<br />

sehr unterschiedlich ist. Was<br />

lässt sich aus den Ergebnissen für die<br />

Stadtentwicklung ableiten?<br />

Die wichtigste Aufgabe dieser Studie<br />

ist ja zunächst das Aufzeigen einer<br />

Fragmentierung. Im nächsten Schritt<br />

könnten sich die Stadtpolitikerinnen<br />

und -politiker fragen: Was ist das für<br />

eine Stadt, in der sich alle Menschen<br />

wohl fühlen? Also das ist für mich<br />

eine zentrale Fragestellung. Denn ich<br />

betrachte die Stadt als etwas Gesellschaftliches.<br />

Sie ist nicht etwas, das<br />

außerhalb von uns existiert, sondern<br />

sie ist das, zu dem wir sie machen.<br />

Indem ich die Stadt nutze, wird sie<br />

zu meiner Stadt.<br />

Wir wissen also jetzt, wer sich wo<br />

in der Stadt bewegt. Was wäre der<br />

nächste Schritt?<br />

Der nächste Schritt wäre, zu schauen,<br />

wie zufrieden die Menschen damit<br />

sind. Diese qualitative Dimension<br />

zu erheben, wäre wichtig, denn damit<br />

wird vielleicht der Auftrag an<br />

die Stadtpolitik noch deutlicher, sich<br />

Konzepte zu überlegen, die eine stärkere<br />

soziale Durchmischung zum<br />

Ziel haben.<br />

Denken Sie, dass technische Innovationen<br />

die Mobilitätsmuster verändern<br />

werden?<br />

Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass<br />

sich hier durch neue Technologien<br />

großartig etwas ändern würde, – also<br />

nicht für diese Fragestellung. Wir haben<br />

uns ja primär angeschaut, welche<br />

Orte besucht werden, nicht das Wie.<br />

Die Veränderung liegt also in der<br />

sozia len Innovation. Würden Sie die<br />

Studie in zehn Jahren wiederholen,<br />

denken Sie, dass die Mobilitäten von<br />

Eltern sich angeglichen haben werden?<br />

Was diese Studie abbildet, sind gesamtgesellschaftliche<br />

Verhältnisse,<br />

und das betrifft Veränderungen, die<br />

lange Zeit brauchen. Also dass die<br />

Mobilitäten von Männern mit Kindern<br />

ähnlich komplex werden wie<br />

jene der Frauen, das ist etwas, das<br />

werde ich vermutlich nicht erleben.<br />

Wie sehen Sie die Zukunft der Alltagsmobilität?<br />

Wenn ich mir Mobilität ganz allgemein<br />

ansehe, über diese Studie hinausblickend,<br />

habe ich den Eindruck,<br />

dass zu Fuß gehen wieder wichtiger<br />

wird und sich das Verhalten insgesamt<br />

verändert. Also der Trend geht<br />

in Richtung multimodale Mobilität.<br />

Haben Sie sich Ihre eigene Mobilität<br />

angesehen?<br />

Ja.<br />

Überrascht?<br />

Ja, doch. Denn es ist mir aufgefallen,<br />

dass es ein langer Weg ist, und einer,<br />

wo ich unterwegs viele Dinge mitnehme.<br />

<br />

<strong>Distanz</strong><br />

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