Stiftung Lesen: Vorlesen im Kinderalltag 58diesen Prozess und behindern den Zugang von Jungen zum Lesen durch ihre Inaktivität, auchwenn die Mütter den Söhnen vorlesen.Mütter und Väter unterscheiden sich nicht nur darin, ob sie ihren Kindern vorlesen odernicht, sondern auch hinsichtlich der Häufigkeit, mit der sie es tun: Zwei von 3 Müttern (65 %)lesen mehrmals in der Woche oder täglich vor, aber nicht einmal die Hälfte der Väter (47%).Wenn Väter vorlesen, dann häufig höchstens ein- bis zweimal in der Woche oder seltener.Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass Kinder als erstes die Mutter als diePerson, die ihnen meistens vorliest, nennen. Väter lesen deutlich häufiger als Mütter überhauptnicht vor und wenn sie vorlesen, dann weniger intensiv als Mütter.Abbildung 24: Vorlesehäufigkeit von Müttern und Vätern im Vergleichin Prozent225täglich42mehrmals inder Woche431921428224ein- biszweimal inder WocheseltenernieMütter (n=250)Väter (n=250)Frage: „Wie oft lesen Sie dem Kind im Allgemeinen vor, schauen ein Bilderbuch an oder erzählen eine Geschichte?“ Basis: 500 Eltern.Quelle: Vorlesestudie 2012: Repräsentative telefonische Befragung von Eltern, die mindestens ein Kind im Alter von 2 bis 8 Jahren haben; Juni/Juli 2012..12.08.2013 Stiftung Lesen 41In Familien mit Migrationshintergrund findet sich die gleiche Asymmetrie im Vorleseverhaltenvon Müttern und Vätern wie im Bevölkerungsdurchschnitt: Jede dritte Mutter (36 %) auseiner Familie mit Migrationshintergrund liest täglich vor, aber nur jeder zehnte Vater (12 %).Umgekehrt lesen mehr als die Hälfte der Väter (58 %) in Familien mit Migrationshintergrundnie vor, unter den Müttern ist es nur jede vierte (25 %).Wie häufig Väter vorlesen, hängt von ihrem Bildungshintergrund ab. Allerdings ist der Zusammenhangzwischen formaler Bildung und Vorleseaktivität nicht so eindeutig, wie sich die
Stiftung Lesen: Vorlesen im Kinderalltag 59Bildungseffekte bisher insgesamt gezeigt haben. Etwa ein Drittel der Väter mit formal niedrigerBildung liest mehrmals in der Woche vor, dagegen die Hälfte der Väter mit mittlerer oderhöherer Bildung (52 % bzw. 50 %). Zugleich findet sich unter hoch gebildeten Vätern aberauch der höchste Anteil derjenigen, die nie vorlesen (30 % vs. 19 % bzw. 20 % in den beidenunteren Bildungsgruppen). Mit anderen Worten: Unter Hochgebildeten gibt es eine überdurchschnittlichgroße Gruppe von Vätern, für die das Vorlesen zum Alltag gehört, aber aucheine ähnlich hohe Zahl von Vätern, die gar nicht vorlesen. Dies mag u. a. an hoher beruflicherAuslastung von Hochgebildeten mit entsprechenden Positionen liegen.Gründe von Vätern, nicht oder nur selten vorzulesenDie Vermutung, dass berufliche Auslastung hoch gebildeter Väter sie häufig am Vorlesen hindert,nimmt nur einen möglichen Grund dafür in den Blick, dass weniger Väter als Müttervorlesen und dass die Väter es weniger intensiv als Mütter tun. Die Vorlesestudie 2009 stelltediese Frage in den Mittelpunkt der Untersuchung. Dazu wurden telefonisch 500 Väter mitKindern im Alter von 2 bis 8 Jahren befragt, die selten oder nie vorlesen. 99 Die Stichprobewurde aus einem bevölkerungsrepräsentativen Access-Panel gezogen. 100 Im Vorfeld derquantitativen Erhebung wurden 16 qualitative Leitfaden-Interviews mit selten oder nie vorlesendenVätern geführt, um eine möglichst große Bandbreite an Gründen zu explorieren,die in der Telefonbefragung quantitativ erfasst wurden.Ein Grund, der dem geringen Vorleseengagement der Väter vorgelagert sein kann, liegt darin,dass Väter Vorlesen möglicherweise für unwichtig halten. Die Untersuchung zeigt, dassdiese Vermutung falsch ist: Mit 92 Prozent sind nahezu alle Väter, die selten oder nie vorlesen,der Überzeugung, dass Vorlesen wichtig für die Entwicklung eines Kindes ist. Auch äußernimmerhin zwei von drei (63 %) die Meinung, dass Väter genauso oft vorlesen solltenwie Mütter. Sie sehen beide Elternteile in der Verantwortung für das Vorlesen und die Leseerziehungihrer Kinder, die sie mehrheitlich (87 %) auch nicht an Kindertageseinrichtungenund Schulen delegieren wollen. Dementsprechend sind nur wenige der Meinung, dass berufstätigeVäter mit wenig Zeit für ihre Kinder diese sinnvoller nutzen sollten als mit Vorlesen(20 %). Die Antworten zeigen insgesamt eine sehr hohe Wertschätzung des Vorlesens, diemit einer klaren Einsicht in die Eigenverantwortung bei der Erziehung der Kinder und ihrerHeranführung an das Lesen einhergeht. Vor diesem Hintergrund verwundert die Diskrepanzzum eigenen Handeln.99 Das durchführende Feldinstitut war LINK Institut für Markt- und Sozialforschung, Frankfurt. Die Feldzeitwar im August und September 2009.100 Beim Access-Panel handelt es sich um einen Pool von mehr als 250.000 Personen im Alter ab 14 Jahren,die grundsätzlich befragungsbereit sind und für die eine Vielzahl soziodemografischer Merkmale (z. B.Alter, Geschlecht, Kinder im Haushalt) vorliegen. Die Rekrutierung erfolgt im Rahmenbevölkerungsrepräsentativer CATI-Studien (Teilnahmebereitschaft zu weiteren Interviews: ca. 80 %) undweist damit die Vorteile einer Telefonstichprobe auf. Bei einer Befragung mit dem Access-Panel kann diegesuchte Zielgruppe demnach bereits im Vorfeld eingegrenzt und gezielt angesprochen werden. Sokonnten in diesem Fall direkt Männer kontaktiert werden, die in Haushalten mit Kindern unter 14 Jahrenleben. Die kostenintensiven Screening-Kontakte, die bei einer repräsentativen Erstbefragung durch dieSuche nach den entsprechenden Merkmalen entstehen, wurden dadurch minimiert und dasForschungsvorhaben im Rahmen der zur Verfügung stehenden Mittel möglich.