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Bericht zur 13. Jahrestagungdes Arbeitskreises Unterwasserarchäologievom 6.10.–8.10.2005 in AnnecyDie 13. Jahrestagung des Arbeitskreises Unterwasserarchäologiefand auf Einladung vonAndré Marguet, Département des RecherchesArchéologiques Subaquatiques et Sous-Marines(DRASSM) in Annecy (Ostfrankreich) statt.Ab 15.00 h wurden am Freitag die Kongressteilnehmerin den Räumlichkeiten der DRASSM inEmpfang genommen und mit reichlich Literaturzur Unterwasserarchäologie Ostfrankreichsversehen. Am späten Nachmittag begaben sichdie bereits angereisten Tagungsteilnehmer zurSonderausstellung „Secrets de lacs – 150 ansd‘archéologie dans les lacs alpins“ im Musée-Château von Annecy. Durch die Ausstellungführte André Marguet, Leiter der Aussenstelleder DRASSM in Annecy.Am frühen Abend begaben wir uns dann zumRestaurant ’Rive du lac‘, wo uns eine reich gedeckteTafel mit Köstlichkeiten aus der CuisineSavoyarde erwartete.Am Samstag wurde die Tagung mit der 13.Sitzung des Arbeitskreises im ’Salle municipaleYvette Martinet‘ fortgesetzt. Nach der Eröffnungder Sitzung durch den Sprecher der Kommission,Dr. Helmut Schlichtherle, Hemmenhofen,sprach André Marguet die Begrüßungsworte.Es folgten die Übergabe des IKUWA 2-Kongressbandesdurch Urs Niffeler, SchweizerischeGesellschaft für Ur- und Frühgeschichte undNAU 13 durch J. Köninger, <strong>Janus</strong>-<strong>Verlag</strong>.Folgende Vorträge wurden gehalten:André Marguet, Le cadre climatique et la chronologiedes habitats lacustres préhistoriques deslacs Savoyards.Yves Billaud, Les stations Bronze final du lac duBourget, récentes données de terrain.Annie Dumont, Recherches récentes en milieuxfluviaux, études de cas (habitat et dépot protohistoriquedans l‘Hérault; sites portuaires médiévauxdans la Charente; ponts antiques dansla Loire).Martin Mainberger, Tauchsondagen im Degersee,Bodenseekreis.Joachim Köninger, Unterwasserarchäologie amÜberlingersee – Extrem niedrige Wasserstände desBodensees im Winter 2005/06 und die Folgen.Helmut Schlichtherle u. Wolfgang Hohl, Alleshausen-Floßwiesen– eine neue archäologischeFundstelle am Federsee.Ursula Maier u. Richard Vogt, Die endneolithischeSiedlung Torwiesen II am Federsee.Phosphatanalytische und archäobotanische Flächenuntersuchungenvor dem Hintergrund derSiedlungsbefunde.Viktoria Fischer, La station de Grandson-Corcelettes(Vaud, Suisse) et les accumulations debronzes palafittiques de Suisse occidentale.Thomas Reitmaier, Taucher, Jäger, Prospektoren– Archäologie im Hochgebirge am Alkuser See/Osttirol 2006.Sunhild Kleingärtner, Zum Stand der unterwasserarchäologischenAusbildung an der UniversitätKiel.Lydia Blau, Martin Mörtl, Frank Lappe, GerdKnepel, Katrin Wolters, Bernd Fischer u.Matthias Billig, Kurzberichte über die jeweiligeFacharbeit zum Archäologischen Forschungstaucher.Ruth Blankenfeldt u. Martin Mainberger, ArchäologischeGutachten im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfungenfür die geplantenFahrrinnenanpassungen von Elbe und Weser– Fragestellungen und Methode.Dietlind Paddenberg, Wracks, „Seabed Prehistory“und ein neues archäologisches Protokollfür die britische Offshore-Industrie: JüngsteEntwicklungen im Rahmen der durch den „AggregateLevy Sustainability Fund“ gefördertenProjekte.7


NAU 14 2008Harald Lübke, Neues aus dem SINCOS-Forschungsbericht.Aikaterina Glykou, Zur Auswertung des endmesolithisch-frühneolithischenKüstenfundplatzesNeustadt LA 156: Ökologisch-ÖkonomischeErkenntnisse zur Fauna sowie Untersuchungenzur Keramik.Rosemarie Leineweber u. Harald Lübke, Einneolithischer Fischzaun im Arendsee, Sachsen-Anhalt.Renata Huber u. Kristin Ismail-Meyer, Taucharchäologieund Mikromorphologie: Neue Möglichkeitenfür die Grabungstechnik an der FundstelleCham ZG, Eslen (Kanton Zug, Schweiz).Am frühen Abend folgte traditionellerweise dieAussprache des Arbeitskreises. In erster Liniebefasste man sich mit Problemen, die sich ausder Durchführung der Spezialkurse DenkmalgerechtesTauchen ergaben. Die kleine Quellenkundescheint überdies für Tauchlehrer eineHerausforderung zu sein, da bei Tauchlehrernmeist kaum Kenntnisse im Fach Archäologievorhanden sind. Multiplikatorenkurse werdenderzeit nur von zwei Personen abgehalten, dieBenennung weiterer Multiplikatoren ist dahergeboten.Im Rahmen der Paddy Brevets können bislangkeine Kurse angeboten werden, da mit Paddykein entsprechendes Abkommen vorliegt.Abschließend wurden die Tagungsorte fürdie kommenden Sitzungen des Arbeitskreisesfestgelegt. Der Arbeitskreis entschied mit großerMehrheit die Tagung 2007 in Arendseeabzuhalten. Hierzu hatten Dr. Harald Mellerund Dr. Rosemarie Leineweber (Landsamt fürDenkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt)eingeladen. Für die Jahre 2008 wurde dieTagung des Arbeitskreises mit dem in Londonstattfindenden Internationalen Kongress fürUnterwasserarchäologie, IKUWA 3, zusammengelegt.Für 2009 wurde beschlossen, die Tagungin Regensburg im Rahmen des Jubiläums zum25-jährigen Bestehen der Bayerischen Gesellschaftfür Unterwaserarchäologie e. V. abzuhalten.Anlässlich dieses Jubiläums wird dort derInternationale Kongress „Archäologie der Brücken“stattfinden. Die Arbeitskreissitzung wirdin den Brückenkongress integriert.Am Sonntag begab sich schließlich der Arbeitskreisnach Aix-les-Bains zur Exkursion auf demLac de Bourget. Mit einem eigens angemietetenAusflugsschiff ging es auf große Fahrt. Die Routeführte zunächst von Aix-les-Bains ans Westuferdes Sees und von da nach Norden und immerdem Ufer entlang, zurück nach Aix-les-Bains.Bereits auf dem Schiff, noch vor dem Ablegen,führte Emmanuel Chapron, in seinem Vortrag‚Présentation sur le remplissage et la sédimentationdu lac du Bourget‘ in die Sedimentationsverhältnisseund Geografie des Lac de Bourgetein.Während an Bord Köstlichkeiten serviert wurden,stellte André Marguet die einzelnen Pfahlbaustationenvor, die wir passierten. Durch dieseeseitige Perspektive erschloss sich dabei eindrücklichdie Siedlungstopographie der einzelnenStationen.Nach reichhaltigem Mahl und voll der Impressionenbegaben wir uns nach mehrstündigerSeefahrt wieder an Land.Im Namen der Kommission für Unterwasserarchäologieund des Arbeitskreises bedanktesich Dr. Helmut Schlichtherle bei allen Beteiligten,vor allem aber bei den Veranstaltern fürdie großartig organisierte Tagung, insbesondereauch für die großzügige und kulinarisch feineBewirtung des Arbeitskreises und die wohl jedemin bester Erinnerung bleibende Exkursionauf dem Lac de Bourget. Besonderer Dank galtunseren Gastgebern André Marguet, Yves Billaudund Annie Dumont.Joachim Köninger8


Skin versus Wood? Probably both!Norwegian Early Mesolithic Boat TechnologyJames McCleanAbstractThis paper proposes a multi-faceted answer to the Skin versus Wood debate that has been the subject of much inkthroughout the mid and late 20 th century among archaeologists concerning the types of watercraft in use throughoutearly post glacial colonisation of Scandinavian. Rather than endorse a polarised view in which only a single vessel typeis recognised as in use throughout prehistoric Scandinavia, this paper proposes that skin boats likely predominated inthe far north without leaving a continuing legacy, while wooden dugouts evolved raised strake boards towards the endof the Mesolithic in the southern Baltic region as better wood working tools were developed culminating in vessels likethe Hjortspring boat find of the early Iron Age. These conclusions are based upon a synthesis of research concerningrock carvings with marine motifs, palynalogical studies for early post glacial Scandinavia and ethnographic andarchaeological records of boat types in use throughout north west Europe. This paper is a very brief summary of aMasters Thesis completed in 2002 at Florida State University entitled “An Investigation of Northwest EuropeanMesolithic Boat Technology”.IntroductionWhile dugout canoes are the most widely representedboat types for the later Mesolithic inSouthern Scandinavia, very little is known ofboat technology used by the early Mesolithicpostglacial colonists to Norway. The earliestunequivocal boat remains from northern Europeare those of later Mesolithic dugout canoes,the oldest being a dugout canoe from Pesse inthe Netherlands, dated to 6300 BC (McGrail1998; Smith 1992). In addition, a number ofother late Mesolithic dugout canoes are knownfrom Danish, Northern Irish, Dutch and Germansites (Andersen 1985; id. 1987; 1994;Christensen 1990; Fry 2000; Lübke 2000).However, indirect evidence for boat use at Norwegianisland sites indicates that boat technologyextends back to early Mesolithic cultures.Several theories concerning early Mesolithicboat technology have been proposed, manybased upon considerations of rock art imageryfrom Scandinavia containing boat motifs. The“Skin versus Wood” debate has been an attemptto classify early Mesolithic boat technology aseither a skin or wooden boat building tradition.Skin boat proponents advocate a boat technologysimilar to Inuit umiaks and kayaks (Brøgger/Shetelig1951; Crumlin-Pedersen 1970;Gjessing 1936; Ellmers 1980; id. 1984; 1986;Stölting 1997). Other scholars have proposedthat dugout canoe technology has always beenthe predominant boat tradition throughout theMesolithic (Greenhill 1976; R ausing 1984).This paper proposes that the answer is not to befound in the highly developed skin boats of theEskimo and other polar tribes, but rather in theBritish Isles. It is here proposed that a skin boattechnology similar to Irish curraghs was in usealong the coastal settlements of northern Norwayduring the early Mesolithic.Boat Imagery as an Indicator ofMaritime TechnologyGutorm Gjessing was the first to cite rock artimagery as evidence for skin boat technologyduring the Mesolithic along Norway’s coast.The ideas developed in Gjessing’s essay were advancedfor the early 1930’s when they were written.Unfortunately at that time chronology andaccurate dating of these images was based onlyupon stylistic analysis of the imagery. Since theappearance of Gjessing’s and Hallström’s respectivecatalogues of Norwegian and Swedish rockart (Gjessing 1936; id. 1958; Hallström 1960),there has been a tremendous amount of researchon this topic. The 1970’s and 1980’s witnessednew interpretations of these images in terms ofsemiotic and contextual theory (Kuhn 1967;Malmer 1981; Tilley 1991). Refinements were9


NAU 14 2008Figure 1: Example of amodern coracle from Wales.(Greenhill 1976).10made concerning the question of chronologyand attempts were made to arrive at meaning forthe images. However these studies still analysedthe imagery itself in isolation from its environmentalcontext. Since then a wider array of evidenceconcerning the Mesolithic has emerged asa result of developments in environmental andunderwater archaeology.Fosna Colonisation MovementAlthough there was an ice free zone datingback to 15,000 bp along Norway’s west coast,no sites are known in this region until the Preboreal.Present theory accepts a time frame ofinitial colonisation as early as 10,000 years ago(Anundsen 1996; Bjerck 1994; id. 1995; Pettersen1999; Thommessen 1996). The earliest colonistsin central Norway are known as the Fosnaculture. This culture is identified as “marinehunters with equipment that is similar to thelate-glacial reindeer hunters on the NorthernEuropean grasslands. They are marine huntersand fishers with a strong tradition of reindeerhunting in the interior” (Bjerck 1995). They aretheorised to have entered Norway from the west,over the Norwegian Trench and Kattegat fromthe now submerged North Sea Plain (Anundsen1996; Bjerck 1994; id. 1995; Coles 1988; Nummedal1923; Odner 1966). The primary evidenceindicating utilisation of boat technologyis the rapid expansion of sites that cluster alongthe coast between 12,000 and 9,000 years ago.Nine Pre Boreal radiocarbon dates exist fromFosna sites in Norway. The range of these datesis a very narrow distribution from 9610–9200BP. The northern coast of Norway was amongthe earliest to become deglaciated and ice freeduring the Pre Boreal. The oldest sites appear inthe north and the chronology of known sites indicatesa movement to the south over a relativelyshort period of time (Bjerck 1995).Pollen studies for the Trondelag area indicate alack of suitable timber for dugout manufactureduring the time of earliest Fosna colonisation(Hafsten 1987; Kjemperud 1981; Rochon et al1998). Driftwood, if available, is generally morebrittle than freshly felled green wood, and thereforeconsidered undesirable for the manufactureof dugout canoes (Andersen 1987). However,ethnographic studies indicate that driftwoodpieces scarf joined together were the preferredmaterial among arctic hunter gatherer groupsfor manufacturing skin boats frameworks (Petersen1986). This wood was especially availableat river mouths where logs that have fallenin upstream emerge at the coast (Braund 1988;Arima 1987). In any case, in Norway during thePre Boreal there was not much suitable timberlikely to have been available, neither upstream inthe interior nor along the coast (Hafsten 1987).This is especially the case for the northernmostNorwegian sites, which nonetheless seem to havebeen among the earliest settlements in Norway.Because of these environmental considerations,dugout vessels are considered unlikely watercrafttechnologies available to Fosna colonists.But what type of boats were in use? A brief descriptionof the European skin boat traditions isin order to better understand the answer.CoraclesThe Celtic skin boat known as coracle is a wickeror light wooden frame made water tight by theapplication of tarred or painted cloth. The use ofcloth is a modern variation, horse and oxen hidesbeing traditionally used. Coracles are generallysmall in size and are designed to transportone occupant. Coracles are easily carried by theoccupant when being portaged over land. Thegeneral form of coracles is round or oval. Thereis no keel and the coracle is used only on rivers.The primary use of the coracle in modern timeshas been salmon fishing. Welsh coracle fishermenwork in pairs, stretching a net between thetwo boats and moving along downstream until afish is captured, whereupon it is recovered fromthe net and dispatched with a blow from a sturdyclub (Hornell 1938).Coracles are traditionally built up from a frameworkof split branches of ash or willow or plaited


Skin versus Wood? Probably both!hazel or willow withies. The framework itself isheld together by the tension created as the lathscriss-cross each other, woven as they are like abasket. Over this framework the makeshift gunwalesare formed by plaited hazel withies. Theyare woven around the exposed upright ends ofthe framework. At this point a plank is workedinto the arrangement amidships to serve as aseat. Once complete the framework is coveredoverall with the hide of an ox or horse, the hidebeing held in place by twine. This was then fittedwith a carrying rope made of twisted hazelboughs or a leather carrying strap, that was fittedto the seat. Waterproofing of the hull is accomplishedby the application of animal fats inthe case of hides, and pitch mixed with linseedoil for cloth covers (Greenhill 1976; McGrail1998). The only tools required for the manufactureof coracles is a sharp knife or axe blade tocut and shape the framework elements. The hidecovering can also be processed by use of a sharpknife. The plank used for the seat is the largestand most substantial component of the moderncoracle. This plank can be worked to shape withan axe. In at least one, possibly all three BronzeAge graves from a cemetery at Barns Farm, Dalgety,Fife, a coracle was identified that had beenused as a coffin (Watkins 1980), indicating theirlong history of use in the British Isles.CurraghsCurraghs are skin boats which have an advancedframework structure and can be considered amore developed form of coracle. Curraghs, likecoracles, are built up from a wooden frameworkcovered over with a hide or cloth waterproofinglayer that forms the hull. Longer and narrowerthan coracles, the curragh is designed for use asa coastal fishing vessel. More structurally soundthan the coracle, the curragh is regularly used asa working fishing vessel and persists in its presentuse among the fishing villages of westernIreland where it is regularly used in coastal conditions(Hornell 1938).The material considerations for curraghs aresimilar to those as outlined above for coracles.Some one hundred and fifty years ago curraghsof Donegal were known to be made in rudeform with a frame of withy ribs and stringers,all covered with untanned hide. More recentlycurragh frames are fashioned with single or evendouble gunwales made from split and shapedtimbers and tarred cloth has replaced hide coverings.Like birchbark canoes, curraghs in generalobtain their longitudinal strength from thegunwale frame, without any keel. They also utiliselongitudinal battens to provide support forthe skin cover and continuous transverse framemembers. These features are in contrast to Eskimoumiaks, which have three frame sectionslashed together to form the shell.Another variation of curragh, the Boyne curragh,has a lightweight frame constructed of doubledhazel withies. In general form and constructionthis vessel is more like a coracle, with the exceptionthat the frame is constructed “mouthdown” from hazel branches set into the groundand bent over to form an inverted bowl. This isin contrast to coracles which are built “mouthup” as stones are used to hold the withies to theground and their ends are bent upward and securedby a heavy band of interwoven withies.For this reason the Boyne curragh can be seenas a transitional form between coracle and theother curraghs whose construction commenceswith the building of the gunwale frame and thenproceeds with the attachment of the cross beamribs and longitudinal stringers (Hornell 1938).One would expect that during the Mesolithic itwas also possible to fashion curraghs of saplingsand withies as they were made in Ireland untilrecently. Hazel and birch would have beenaptly suited materials for frame construction duringthe early Mesolithic. Elk or reindeer hideswould have been readily available for the outercovering. The tools necessary to manufacturecurraghs little from those described for thecoracle, a knife and/or axe. Curraghs are knowntoday only from western Ireland. However thenumerous historic accounts of curraghs indicatethat they were widely utilised throughoutthe Celtic regions long before the time of Romanexpansion into western Europe (Marsden1974). Unlike the exotic skin boats of the Eskimo,these vessels were common throughout theFigure 2: Exampleof a modern curragh(Greenhill 1976). Noticethe ribs of slenderbranches and the projectionof the stringersat the bow.11


NAU 14 2008North Sea region and were recorded by literatetravellers to this region since Roman times. Thekayak and umiak, are known only throughoutthe circum polar region. Traditionally made ofterrestrial animal hides and hazel withies, thecoracle/ curragh best fits the characteristic environmentsand material available during the earlyMesolithic of Northwest Europe and is thereforethe most likely skin boat type to have seen useamong the circum North Sea postglacial colonists.The rock carvings from Evenhus and Rødøyshow vessels with upturned projections primarilyat the bow as an upsweeping extension ofthe line forming the gunwale. This constructionfeature is frequently encountered in the rock artimagery of Scandinavia and probably indicatesthe significance of the gunwale frame as thestrengthening element in the vessels depicted.The next phase of development would involvethe development of reinforcements to allow foruse further out to sea. These reinforcementslikely took the form of a rigid gunwale frameand a rudimentary keel with stem and sternposts. The European skin boat tradition at thisstage of development was rather more similar tothe modern day curraghs of Ireland in that theframe was first constructed based upon a systemof single or double shaped wooden gunwales towhich the ribs were attached either by lashingor use of mortise and tenon joints. These vesselswould have been seaworthy for use along theopen coast of Norway as are the fishing curraghsof Ireland today as used for fishing and transportationin the waters of the Atlantic ocean.Descriptions from classical writers such as Plinyrefer to vessels in the British Ocean made of wickerworkcovered with hides. Solinus writes thatthe sea separating Ireland from Britain is traversedin small boats made of pliant twigs that arecovered with ox hides (Marsden 1974).ConclusionThis paper maintains that there existed two separateand distinct watercraft traditions throughoutthe Mesolithic of north west Europe. Adugout tradition that develops into the sewnplank vessels of the Bronze Age is theorised forSouthern Scandinavia. A European skin boattradition is theorised for northern Scandinaviathat is distinguished as unique and separatelyevolved from either a Siberian (Eskimo) or NorthAmerican skin boat tradition. This Europeanskin boat tradition is considered to have itsorigins in the Pre Boreal lake side settlementsthat are typified by Star Carr, Friesack and Duvensee.A bark canoe tradition is discounted atthese sites as being a complex vessel form withno evidence of use throughout European prehi-Figure 3: Slate Quartzhorizon Stone Age marinemotifs from Evenhus,Trondelag region, centralNorway (Gjessing 1936).12


Skin versus Wood? Probably both!story. It is far more parsimonious to consider thecoracle as known from rural Wales as the type ofvessel to have been in use possibly as early as theLate Upper Palaeolithic and at least by the EarlyMesolithic. The Boyne curragh is theorised tobe a likely vessel form in use by Fosna colonistswho came to Norway during the Early Postglacialperiod from the now submerged North SeaPlain. This type of curragh is without formalgunwale construction and is viewed as a logicaldevelopmental step beyond coracles toward amore seaworthy vessel.During the Bronze Age sewn plank vessels dominatedthe whole of Scandinavia, however skinboat traditions were maintained on the oppositeshores of the North Sea until present times.Celtic oral history indicates a long tradition ofskin boat use throughout the British Isles. Thiswas also noted by Julius Caesar when he came toconquer the Britons and was impressed by theirskin boats. Medieval chronicles indicate thatskin boats were capable of making long rangeocean crossings (Hornell 1938; Severin 1976).This paper concludes that curraghs were themost likely vessel form in use throughout northernScandinavia during the entirety of the Mesolithic,independent of any contemporaneousdugout technological traditions in the southernBaltic region. These curraghs most likely developedfrom a more primitive coracle type duringthe Late Upper Palaeolithic.Anschrift des VerfassersJames McClean800 Ocala Road, Suite 300–143Tallahassee, FL 32304 USAJames@McCleanImageStudio.comBibliographyAndersen 1985: S. H. Andersen Tybrind Vig, APreliminary Report on a Submerged Ertebølle Settlementon the West Coast of Fyn. Journal of DanishArchaeology 4, pp. 52–69.Andersen 1987: S. H. Andersen, Mesolithic Dug-Outs and Paddles from Tybrind Vig, Denmark. ActaArchaeologica 57, pp. 87–106.Andersen 1994: Andersen, New finds of Mesolithiclogboats in Denmark. In: Proceedings of the 6 th InternationalSymposium on Boat and Ship Archaeology,Roskilde, 1991, edited by O. Books, pp. 1–10. OxbowMonograph 40. vol. Monograph 40. OxbowBooks, Oxford.Anundsen 1996: K. Anundsen, The Physical Conditionsfor Earliest Settlement during the Last Deglaciationin Norway. In The Earliest Settlement of Scandinaviaand its relationship with neighbouring areas.,edited by L. Larsson, pp. 208–217. Series in 8°, No.24 ed. Acta Archaeologica Lundensia. Almquist &Wiksell International, Stockholm.Arima 1987: E. Y. Arima, Inuit Kayaks in Canada:A Review of Historical Records and Construction.Mercury Series Canadian Ethnology Service PaperNo. 110. Canadian Museum of Civilization, Ottawa.Bjerck 1994: H. B. Bjerck, Nordsjøfastlandet og pionerbosetningeni Norge. Viking, Tidsskrift for nørronarkeologi Bind LVII (57), pp. 25–58.Bjerck 1996: H. B. Bjerck: The North Sea Continentand the Pioneer settlement of Norway. In Manand Sea in the Mesolithic, edited by A. Fischer, OxbowMonograph 53, pp. 131–144. Oxbow Books,Oxford.Braund 1988: S. R. Braund ,The Skin Boats of StLawrence Island, Alaska. University of WashingtonPress, Seattle.Brøgger/Shetelig 1951: A. W. Brøgger/H. Shetelig,The Viking Ships: Their Ancestry and Evolution.Twayne Publishers, Inc., New York.Christensen 1990: C. Christensen Stone age DugoutBoats in Denmark: Occurrence, Age Formand Reconstruction. In: Experimetnation and Reconstructionin Environmental Archaeology, editedby D. E. Robinsen. vol. Symposia of the Associationfor Environmental Archaeology No. 9. OxbowBooks, Oxford.Coles 1998: B. J. Coles, Doggerland: a SpeculativeSurvey. Proceedings of the Prehistoric Society 64, pp.45–81.Crumlin-Pedersen 1970: O. Crumlin-Pedersen,Skind eller Træ? En studie i den nordiske plankebådskonstruktive oprindelse. Vikingeskibshallen, Roskilde.Ellmers 1980: D. Ellmers, Ein Fellboot-Fragmentder Ahrensburger Kultur aus Husum, Schleswig-Holstein?, Offa 37, pp. 19–24.Ellmers 1984: D. Ellmers, The earliest evidence forskin boats in late-Palaeolithic Europe. In Aspects ofMaritime Archaeology and Ethnography, edited by S.McGrail. National Maritime Museum, London.Ellmers 1986: D. Ellmers, The Beginnings of Boatbuildingin Central Europe. In: The Earliest Ships,edited by R. Gardiner, pp. 11–23. Conway MaritimePress, London.Fry 2000: M. F. Fry Coiti, Logboats from NorthernIreland, Northern Ireland Archaeological Monographs:No 4. Environment and Heritage ServiceDepartment of the Environment, Belfast.Gjessing 1936: G. Gjessing, Nordenfjelske Ristningerog Malinger av den Artiske Gruppe, H. Aschenhoug& Company, Oslo.Gjessing 1958: G. Gjessing, Arktiske helleristningeri Nord-Norge. 2 vols. Aschenhoug, Oslo.Greenhill 1976: B. Greenhill, Archaeology of theBoat: a New Introductory Study. Wesleyan UniversityPress, Middletown.Hafsten 1987: U. Hafsten, Vegetasjon, klima oglandskaps-utvikling i Trøndelag etter siste istid.Norsk Geografisk Tidsskrifter 41, pp. 101–120.13


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Submarine Hölzer – Schlüsselfunde für die Jahresringchronologieoder – Waldarbeiten unter WasserHans DalResumé”Den mest nøjagtige arkæologiske dateringsmetode er dendrokronologi, også kaldet årringsdatering, der bygger opmålinger af årringe i træ. De sidste 40 –50 års omfattende og intensive dræning af landjordens vådområder har medført,at det i dag er vanskeligt at finde velbevarede egestammer fra fortiden på land. Derimod har marinarkæologiskeudgravninger af undersøiske stenalderbopladser vist, at der kan ligge velbevarede egestammer på havbunden.De sidste tre år har Marine – Arkæologisk – Gruppe indsamlet træprøver til WM- Trædateringslaboratoriet i Århus,hvis endemål er at få lavet en grundkurve, fra den ældste optræden af eg i Maglemosetiden og frem til i dag – et8 – 9000 år langt tidsrum”Oversættelse Anton EnglertZusammenfassungDie genaueste archäologische Datierungsmethode ist die Dendrochronologie, die auf dem Messen der Jahrringe imHolz beruht. Die intensive Trockenlegung von Feuchtgebieten hat dazu geführt, dass es heute schwer ist, wohlerhaltendeprähistorische Eichenstämme an Land zu finden. Dagegen haben marinarchäologische Ausgrabungen steinzeitlicherSiedlungsplätze guterhaltene Eichenstämme auf dem Meeresboden erbracht.Die letzten drei Jahre hat die Marine-Arkæologisk-Gruppe (MAG) Holzproben für das WM-Holzdatierungslaborin Århus eingesammelt. Diese Arbeit hat zum Ziel, eine Grundkurve vom ältesten Auftreten der Eiche in der Maglemosekulturbis heute zu erstellen, die einen 8–9000 Jahre langen Zeitraum umfassen dürfte.Bereits im dritten Jahr nacheinander hat dieMarine-Arkaeologisk-Gruppe (MAG) auch2007 zahlreiche Holzproben für das WM-Dendrolaborin Aarhus geborgen. Dabei geht esdarum, eine geschlossene Eichenjahrringkurvevon 7000 v. Chr. – als diese Bäume erstmals insheutige Dänemark einwanderten – bis in dieGegenwart zu erstellen.„Lücken“Bislang ist noch unklar, ob sich aus dem vorhandenenMaterial eine geschlossene Grundkurveerstellen lässt. Das liegt vor allem an den fehlendenAbschnitten im Kurvenverlauf, die auchin anderen Regionen Europas Probleme beimAufbau der Grundkurve bereiten, und die sichebenso im dänischen Material bemerkbar machen.Insbesondere aus zwei Bereichen, nämlichca. 4000–3600 v. Chr. und 400–100 v. Chr.fehlen entsprechende Holzproben. Deshalb istdie Hoffnung groß, diese Lücken mit den vor-Abb. 1: Eichenprobe (oben)und geborgener Baumstammeiner Eiche.15


NAU 14 2008Abb. 2: Schiffsbohrwurm(teredo navalis) in einemgeborgenen Eichenholzstück.Abb. 3: Mit dem Scooterauf Sondagefahrt.16handenen Neuproben, die auch die MAG eingesammelthat, schließen zu können.Status der GrundkurveDer Aufbau einer Eichenstandardchronologiegestaltet sich schwierig und zeitintensiv, daEichen in der Regel nur 200 bis 300 Jahre altwerden. Die Grundkurve beginnt mit Hölzernvon rezenten, lebenden Bäumen, von denen dasAlter der jüngsten Jahresringe bekannt ist. Vonhier aus werden die Jahresringe in ältere Zeitenmit Hilfe von Proben aus Bauhölzern, archäologischenAusgrabungen usw. verfolgt, derenJahrringverlauf mit denjenigen aus früherenAbschnitten der Grundkurve übereinstimmt.Derzeit gibt es eine geschlossene Jahrringkurvefür die Eiche, die von heute bis ca. 100 v. Chr.reicht.In den älteren Abschnitten gibt es – neben einergrößeren Anzahl von Einzelkurven – eineReihe schwimmender Mittelkurven, die aufzahlreichen Einzelkurven beruhen. Einige dieserKurven konnten mit Hilfe der deutschenStandardchronologien absolut datiert werden.Andere wiederum ließen sich durch 14 C-Datenalterbestimmen.Bedeutung der GrundkurveDie bisherigen Teilkurven für die Zeit v. Chr.haben gute Resultate geliefert und zudem gezeigt,welche Bedeutung eine geschlossene Dendrokurvezukünftig für die Datierung archäologischerHolzfunde aus der Stein-, Bronze- undEisenzeit haben wird. Außerdem hat eine solcheKurve großen Nutzen bei der Analyse der vorundfrühgeschichtlichen Klimaverhältnisse.Die bisherigen Ergebnisse der Jahringuntersuchungenvon Eichenhölzern aus der submarinenSiedlung von Tybrind Vig konnten die Entstehungs-und Sterbejahre der Hölzer mit den Sedimentationsverhältnissenam Meeresboden inVerbindung bringen und damit auch Informationenzu den Lebensbedingungen der steinzeitlichenBewohner liefern. Darüber hinaus konntebeim Bau der Storebælt-Verbindung eine Anzahlvon Eichenstämme geborgen werden, die präziseAussagen zur Chronologie der Meeresspiegelschwankungenermöglichen.Eine regionale dänische Grundkurve kannschließlich auch in das Netzwerk der europäischenGrundkurven eingebunden werden, diesich derzeit im Aufbau befinden, und aus denensich wichtige Informationen zu den vor- undfrühgeschichtlichen Klimaverhältnissen gewinnenlassen. Bereits die Variationsbreite dereinzelnen Jahrringbreiten wird unter Zuhilfenahmestatistischer Methoden neue Erkenntnissezu Klimaschwankungen geben und nachder Fertigstellung der Grundkurve dürfte esmöglich sein – ähnlich wie bei der Analyse derGrönland- Eiskerne – Einzelproben von Jahrringenfür Isotopen- und Spurenelementuntersuchungenzu extrahieren, die detaillierte Aufschlüsseüber Klima- und Umweltverhältnisseliefern werden.ProbengewinnungEine Voraussetzung dafür, das vorgeschichtlicheHölzer bis heute erhalten geblieben sind,stellt ihre Einbettung im Feuchtmilieu unterSauerstoffabschluss dar. Dadurch wird der Verrottungsprozessverhindert bzw. stark verlangsamt.Die meisten Hölzer stammen aus Mooren,Wasserlöchern oder vom Meeresgrund, undselbst wenn Bäume mehrere Tausend Jahre altsind können sie ausgezeichnet erhalten gebliebensein. Sie werden meist als Mooreichen bezeichnetund erscheinen in unterschiedlichenFarben von schwarz über grau bis gelblich, wasallerdings nichts mit dem Alter an sich zu tun


Submarine Hölzer – Schlüsselfunde für die Jahresringchronologie5617 829Abb. 4: Beim Bergen vonEichenproben gemachteFunde.34hat, sondern allein von ihrer Einlagerung in Sedimentenunterschiedlicher chemischer Zusammensetzungabhängt.In vorgeschichtlichen Zeiten wuchsen die Bäumehäufig nahe damaliger See- oder Meeresufer.Sie starben während des Wasserspiegelanstiegsab und kippten anschließend ins Gewässer, wosie heute am See- oder Meeresgrund, im Sandoder in Gyttjen eingelagert, angetroffen werden;teilweise sind sie inzwischen wieder durch Wellen-oder Strömungserosion freigespült worden.Eine intensive Drainage ehemaliger Moor- undFeuchtgebiete in Dänemark hat dazu geführt,dass Mooreichen kaum noch in den trockengefallenenund mineralisierten Böden anzutreffensind. Zum Aufbau der Eichenstandardchro-17


NAU 14 2008nologie ist man deshalb primär auf submarineHölzer angewiesen. Nach den Baumstämmenversunkener Eichen wird, je nach Alter, gezieltin verschiedenen Wassertiefen gesucht.Abb. 5: Bergung eines Eichenstammsegmentes durch Absprengen. 1 Anlegender Sprengschnur, 2 Vorbereitung der Sprengung am Ufer, 3 durch die Detonationder Sprengschnur verursachte Wasserfontaine.1Bedrohung von submarinen HölzernAuch bei der Suche nach submarinen Hölzernist es bereits kurz vor Zwölf. Die steigendeWassertemperatur hat zu einer starken Ausbreitungdes Schiffsbohrwurms in den dänischenFahrwässern geführt. Bei diesem Tier handeltes sich um eine wurmartige Bohrmuschel von20–30 cm Länge und 0,9–1,0 cm Dicke. Ihremikroskopisch kleinen Larven setzen sich an derHolzoberfläche fest, von wo aus sie 0,5–1,0 cmbriete Gänge in die Holzsubstanz fressen (Abb.2). Am Kopfende befinden sich zwei Muschelschalen,die als Bohrkopf dienen. Die Muschelscheidet ein Sekret aus, welches das Holz auflöst,so dass es anschließend dem Verdauungstraktzugeführt werden kann. Die Bohrmuschelist grundsätzlich jedoch unabhängig von Holznahrung,benutzt es aber als Substart und filtertebenso Nahrung aus dem umgebenden Wasser.Die Bedrohung durch die Bohrmuschel ist sogewaltig, dass alle submarinen Hölzer im Laufevon wenigen Jahren verschwunden oder zumindestso stark in Mitleidenschaft gezogen seinwerden, dass sie für Jahrringanalysen unbrauchbargeworden sind. Zusätzlich sind die Hölzerweiterer Zerstörung durch Bodentiere, Krebseund andere Muschelarten ausgesetzt, die Gängein die Stämme graben und damit den Sauerstoffeintrittbis in den Kernholzbereich ermöglichen.Zahlreiche der im Jahre 2007 geborgenenEichenstämme weisen solche Tiergänge auf undsind für weiterführende dendrochronologischeUntersuchungen nicht mehr zu gebrauchen.Arbeitsmethoden23Auf der Suche nach submarinen Eichenstämmenwird entweder ein Schiff eingesetzt oderes wird von Land aus schwimmend oder mitHilfe eines Unterwasserscooters sondiert (Abb.3). Zunächst werden Position und Wassertiefemittels GPS und Echolot ermittelt. An derStelle wo die Baumscheibe gesägt werden soll,wird der Stamm von beiden Seiten unterhöhlt,so dass der Taucher mit der Baumsäge freienZugang hat – ein anstrengendes Unterfangen,das viel Luft und vor allem viel Bleigewicht erfordert,um den Taucher beim Sägen fest amMeeresgrund zu fixieren.Während des vergangenen Sommers wurdenbei dieser Arbeit auch zahlreiche steinzeitlicheEinzelfunde entdeckt (Abb. 4), die an S. H.Andersen vom Museum Moesgaard übergebenund dort registriert wurden. U. a. wurden sechs18


Submarine Hölzer – Schlüsselfunde für die JahresringchronologieGeweihäxte vom alten Typ mit Durchlochungam Rosenende gefunden, davon ein ornamentiertesExemplar (Abb. 4,9) und mehrere Stückemit Resten des hölzernen Schaftes (Abb. 4,1).Dazu kommen eine Anzahl von Flintgeräten(Abb. 4,5) sowie Keramik und Tierknochen(Abb. 4,2–4).Neue MethodenIm Jahre 2007 wurde erstmals eine neue Methodezur Probengewinnung von Dendro- hölzernangewendet. Das Sägen unter Wasser wurdeeingestellt und die Probe mit Hilfe von Sprengleinen(Abb. 5) unter Wasser abgesprengt, wasdie Arbeit wesentlich erleichterte. Das aufwendigeSägen und Freispülen der Stämme entfälltzugunsten einer kleinen Rille, die Platz für dieSprengschnur bietet. Dabei kommt das NonelUnidet Zündsystem zum Einsatz, das keinelektrisches System ist. Die Sprengschnur wirdpyramidenförmig um den Stamm gewickelt,gespannt und mit Plastikbändern fixiert (Abb.5,1). Die Lage der Sprengschnur (Riocord 80gr/m) und die Ladung ist abhängig vom Stammdurchmesserund dem Härtegrad des Holzes.Wasser hat eine dämpfende Wirkung, deshalbist der Sprengeffekt unter Wasser besser als überWasser, wo man mit der gleichen Ladung fürEichenstämme nur ein Weichholz (Nadelholz)durchtrennen könnte.Ein Detonator (U500) wird mit der Sprengschnurverbunden und ans Land geführt, wo ermit einer Zündschnur (Dynoline) zusammengeführtund an einer Boje oder an einem Pfahlbefestigt wird. Es ist wichtig, dass die Anordnungtrocken bleibt und gegen Zugwirkung gesichertist. In einem entsprechen Sicherheitsabstandwird die Zündschnur mit einer Zündeinrichtung(Dynistart2) verbunden (Abb. 5,2)und dann die Sprengung gezündet (Abb. 5,3).Sie breitet sich mit 2100 m/s aus und zündetden Detonator und die Hauptladung. Infolgeder Brenngeschwindigkeit in der Zündschnurkommt es zu einer Zeitverschiebung von 0,1–0,5s in Abhängigkeit vom Sicherheitsabstand. ZurAbb. 6: Abgesprengtes Eichenstammsegment bei der Beprobung am Ufer mit einerWaldsäge.Sprengung gehören auch die Signaltöne (Horn)oder die Rufe „Achtung Sprengung“ unmittelbarvor der Detonation.Das abgesprengte Stammsegment kann nun mitdem Boot oder anderen Hilfsmitteln an Landgezogen und dort die Baumscheiben abgesägtwerden. Bereits im dritten Jahr hat die MAGsechs Eichenstämme im Lillebelt untersucht undbeprobt, eine Feldarbeit, die weitaus schwierigerwar als zunächst vermutet. Die Probengewinnunggestaltet sich weitaus arbeitsintensiver alsdie Ausgrabung von Steinzeitplätzen unter Wasser.Viel Zeit muss aufgewendet werden, um dieHölzer überhaupt zu finden – vielfach waren dieTauchgänge ohne Erfolg.Für weiter Informationen zur MAG siehe auchim Internet unter www.marinearkgruppe.dk.Hier sind Neuigkeiten, Berichte und Fotos derAktionen zusammengestellt.Anschrift des VerfassersMarine-Arkæologisk-GruppeHans DalBørup Sandevej 58DK-7000 Fredericiawww.marinearkgruppe.dk19


NAU 14 2008Wracks, “Seabed Prehistory” und ein neues archäologischesProtokoll für die britische Offshore-IndustrieJüngste Entwicklungen im Rahmen der durch den „Aggregate LevySustainability Fund“ geförderten ProjekteDietlind PadenbergZusammenfassungUm die nachhaltige Umweltverträglichkeit der zunehmenden Förderung mariner Aggregate sicherzustellen, wurde im Jahr2002 der ‚Aggregat Levy Sustainability Fund (ALSF)’ ins Leben gerufen. Im Auftrag von English Heritage und der MarineIndustry Research Organisation (MIRO) ist Wessex Archaeology derzeit mit der Umsetzung von drei ALSF Projekten betraut.In ‚Seabed Prehistory’ geht es darum, prähistorische Schichten im Meeresboden zu charakterisieren, und die hierbei anzuwendendenMethoden zu testen und zu bewerten. Aus Effektivitätsgründen wurde angestrebt, auf Methoden zurückzugreifen, diein der Industrie für Survey-Zwecke ohnehin zum Einsatz kommen, und diese auf archäologische Fragestellungen anzuwenden.Erste Erfolge zeigten sich insbesondere beim Einsatz von Sedimentsonaren und der archäologischen Auswertung von Vibrationsbohrkernensowie, in begrenztem Maße, auch von Greifbaggerproben. Im ersten Teil des Projektes gelang es, eine mesolithischeLandschaft mit einer ästuarinen Uferlandschaft in 35 m Wassertiefe im östlichen Ärmelkanal (‚Palaeo-Arun’) zu rekonstruieren.Das Projekt wird seit 2005 auf weitere Offshore-Bereiche ausgedehnt.Das Projekt ‚Wrecks on the Seabed’ wurde bereits 2005 durch J. Auer vorgestellt. Im Sommer 2006 erfolgte die Sondierung vonWracks aus den Weltkriegen in der Themse mittels eines Tauchroboters.Das neue ‚BMAPA-Protocol’ zur Meldung archäologischer Funde ist für den Einsatz auf Baggerschiffen und den zugehörigenWerften bestimmt. Hier soll durch das Personal vor Ort eine Informationskette in Gang gesetzt werden, bei der bevollmächtigtePersonen aus der Industrie Berichte an Wessex Archaeology liefern, wo eine Beratung und die gefilterte Weiterleitung derInformationen an English Heritage erfolgen. In Kombination mit einem umfassenden Sensibilisierungsprogramm zeigt das seitOktober 2005 laufende Projekt erste Erfolge.SummaryIn order to assure the long-term sustainability of marine aggregate dredging the ‚Aggregate Levy Sustainability Fund (ALSF)’ wasintroduced in 2002. At present, Wessex Archaeology is conducting three ALSF-projects commissioned by English Heritage and theMarine Industry Research Organisation (MIRO).The ‘Seabed Prehistory’ project seeks to improve the application of geophysical and geotechnical survey methods commonly usedby the aggregate industry, so that better archaeological results can be obtained. The analysis of sub-bottom-profiler data and thearchaeological assessment of vibrocores yielded first results, as did, to a certain degree, systematic grab sampling. In Round I ofthe project it was possible to prove the existence of an estuarine Mesolithic landscape 35m below present sea level in the area ofthe palaeo-Arun in the eastern English Channel. The project has since been extended to further regions offshore Humber, GreatYarmouth and the eastern English Channel.The ‘Wrecks on the Seabed’ project was presented by J. Auer in 2004. In 2005, further surveys took place on two World Warwrecks in the Thames deploying a remotely operated vehicle.The new ‘BMAPA protocol for Reporting Finds of Archaeological Interest’ is to be applied on dredging vessels and their wharfs.The dredging industry staff is supposed to start a chain of information by informing nominated persons on site and within thecompany, who are supposed to submit a report to Wessex Archaeology. Wessex Archaeology will then advise with regard to furtherhandling and will filter relevant reports in order to forward them to English Heritage. The protocol and a comprehensive protocolawareness programme have been implemented in October 2005 and are starting to yield first results.20HintergrundEin beträchtlicher Teil des Bedarfs an Sand undKies für industrielle Zwecke in Großbritannienwird heute aus dem Meer gewonnen. MarineAggregate stellen mittlerweile etwa 21% der inEngland und Wales geförderten Menge. Sie findenhauptsächlich Verwendung als Baustoffe,dienen aber auch für Strandaufschüttungen undwerden auf den europäischen Kontinent exportiert(http://www.bmapa.org/key.htm).Die Mineralrechte in der See um Großbritanniengehören der Britischen Krone, und Förderlizenzenwerden von der Krone vergeben. EineLizenz wird nur dann erteilt, wenn im Vorfeld


Wracks, “Seabed Prehistory” und ein neues archäologisches Protokoll …eine Genehmigung der entsprechenden Umweltschutzbehördeeingeholt wurde. Aus diesemGrund muss jeder Förderantrag eine Vielzahl anUmweltverträglichkeitsstudien zum Beispiel inHinblick auf Küstenbildungsprozesse, Fischerei,Biologie und marine Archäologie beinhalten(http://www.bmapa.org/what_licence01.php).Für jede gebaggerte Tonne wird eine Abgabe andie Krone fällig. Der Großteil dieser Einkünftewird an die Staatskasse weitergeleitet. Im Jahr2002 wurde mit diesen Geldern der sogenannte‚Aggregate Levy Sustainability Fund’ (ALSF)eingerichtet, wörtlich zu übersetzen mit ‚Aggregat-SteuerNachhaltigkeits-Fond’. Er wird dazueingesetzt, die nachhaltige Umweltverträglichkeitder Aggregatgewinnung sicherzustellen(http://alsf.defra.gov.uk/). Im Auftrag des Umweltministeriumsobliegen ‚English Heritage‘und der ‚Mineral Industry Research Organisation’(MIRO) die Verteilung der Mittel für dashistorische Umfeld (http://www.english-heritage.org.uk/server/show/nav.1315;http://www.dclgaggregatefund.co.uk/). Wessex Archaeologyist derzeit mit der Umsetzung von drei marinenALSF-Projekten betraut (Firth 2006). Es handeltsich um1. ‚Seabed Prehistory’2. das ‚BMAPA Protocol’ und3. ‚Wrecks on the Seabed’.Abb. 1: Lage derUntersuchungsgebiete2003–2004 (1) und2005–2007 (2–4).‚Seabed Prehistory’EinführungIm Rahmen der Erstellung der Umweltverträglichkeitsgutachtenwurde schnell klar, wiebegrenzt die Aussagemöglichkeiten speziell imHinblick auf marine Archäologie sind. MarineArchäologie umfasst im Wesentlichen Schiffswracksund ehemals terrestrische Siedlungsreste.Die Erfassung der Schiffswracks in einem Baggergebietkann aufgrund der durch das UKHO(United Kingdom Hydrographic Office, entsprichtdem Bundesamts für Seeschifffahrt undHydrographie [BSH]) zur Verfügung gestelltenDaten, durch die Auswertung weiterer Sekundärquellenund durch die Anwendung geophysikalischerMethoden auf eine mehr oder wenigerverlässliche Basis gestellt werden. Die Folge istin der Regel die Einrichtung von Bagger-Sperrzonen.Weitaus schwieriger gestaltet sich die Beurteilungdes prähistorischen Potentials eines Baggergebiets.Bislang versuchte man sich demProblem durch eine Kombination verschiedenerMethoden anzunähern, darunter zum BeispielRekonstruktionen der Paläolandschaft, Analysender prähistorischen Siedlungsaktivitätim zugehörigen heutigen Küstenstreifen undAuswertungen genereller nordwesteuropäischerUrgeschichts-Bevölkerungsmodelle. NaturgemäßAbb. 2: Sedimentsonar-Analyse:‚Palaeo-Channel’.21


NAU 14 200822Abb. 3: Bathymetrische Analyse: Lediglich das Paläo-Arun Tal südlich der Geländekanteist erkennbar, nicht aber der ‚Palaeo-Channel’ im Norden.Abb. 4a–b: 3D-Modell des ‚Palaeo-Channels’ nach Sedimentsonardaten, Raster50 x 50 m. Die von Süden in den ‚Palaeo-Channel’ vorkragende Landzunge(weißer Pfeil) ist gut erkennbar.ließen diese Quellen nur sehr allgemeine Aussagenzu, die im wesentlichen durch Interpolationeiner begrenzten Menge archäologischer Datenüber große Gebiete erzielt wurden. Diese Ergebnissewaren nicht sonderlich hilfreich bei der gezieltenBewertung der verhältnismäßig kleinen,in der Regel wenige Quadratkilometer großenBaggerlizenzgebiete.Insbesondere die Rekonstruktion der Paläo-landschaft stützt sich hierbei auf die von derAggregatindustrie zur Verfügung gestelltengeophysikalischen und geotechnischen Daten.Die inhärente Problematik besteht darin, dassdiese Daten für industrielle und nicht für archäologischeZwecke erfasst wurden und somit füreine archäologische Auswertung nur teilweisegeeignet sind.Das Projekt ‚Seabed Prehistory’ verfolgt dahereine zweiteilige Strategie (Baggaley et al. 2004;http://www.wessexarch.co.uk/projects/marine/alsf/seabed_prehistory/methodology.html):Zum einen geht es darum, Umfang und Artprähistorischer Schichten im Meeresboden zucharakterisieren, und zum anderen sollen die zurCharakterisierung anzuwendenden Methodengetestet und bewertet werden. Ein wichtiges Zielist die Entwicklung einer effektiven Vorgehensweise,die sowohl die Belange der Archäologieals auch die Belange der Industrie berücksichtigt.Aus diesem Grund wurde angestrebt, Standard-Verfahren,die in der Aggregatindustrie fürgeologische und biologische Analysen ohnehinzum Einsatz kommen, für archäologische Fragestellungennutzbar zu machen. Es handelt sichhierbei um:1. Sidescan-Sonar Analysen,2. Sedimentsonar-Analysen (‚sub-bottom surveys’),3. Vibrationsbohrkernentnahmen,4. Greifbagger-Probenentnahmen.Während die Sidescan-Sonar-Aufnahmen dieInterpretation des Meeresbodens erlauben, dienendie Sedimentsonar-Daten zur Analyse geologischerSchichten unter dem Meeresboden.Außerdem ermöglichen sie die digitale Modellierungeinzelner Horizonte. Basierend auf denErgebnissen dieser geophysikalischen Analysensoll sodann die gezielte Entnahme von Vibrationsbohrkernendie Kalibration der geophysikalischidentifizierten Sedimentstratigraphie unddie Entnahme von Proben für archäobotanischeUntersuchungen und Datierungen ermöglichen.Die systematische Greifbagger-Probenentnahmein Teilen des Arbeitsgebietes dient schließlich zurLokalisierung von Artefakten und erodierendenarchäologischen Schichten auf dem Meeresboden.Das Ziel ist die Entwicklung von Paläo-Landschaftsmodellensowie der zugehörigen Chronologien,und daraus resultierend eine fundierteBeurteilung des Potentials für menschliche Aktivitätund die Charakterisierung potentieller archäologischerRessourcen innerhalb der lizensiertenGebiete.


Wracks, “Seabed Prehistory” und ein neues archäologisches Protokoll …In den Jahren 2003 bis 2004 konzentrierten sichdie Untersuchungen auf das Baggerlizenzgebiet„Owers Bank“ im Ärmelkanal 12 km vor Littlehamptonin Sussex (Abb. 1). Es handelt sichhierbei um die Region des versunkenen Paläo-Tals des Flusses Arun, der heute bei Littlehamptonin den Kanal mündet. Die Wassertiefe indieser Gegend beträgt 25–35 m. Durch die Prospektionmit einem Sedimentsonar gelang es,eine heute verfüllte ehemalige Furche, einen sogenannten‚Palaeo-Channel’, samt einer in dieseFurche von Süden vorkragenden, siedlungsgünstigenLandzunge zu erfassen. Der ‚Palaeo-Channel’ ist etwa 200–300 m breit, 14–18 m tiefund in Ost-West-Richtung orientiert (Abb. 2).100 m erwies sich als zweckmäßig. Diese Dichtestellt – in Abhängigkeit von ihrer Orientierung– die Erfassung von Strukturen sicher, die größerals 100 m sind. Als optimal in Hinblick aufdie geoarchäologische Auswertung, allerdingsweniger kosteneffektiv für die Industrie, wurdeein Raster von 50 x 50 m bewertet.– Da für industrielle Zwecke oftmals keineRasteranalysen, sondern lediglich lineare Messungendurchgeführt werden, wurde auch die-seVariante getestet. Das Resultat zeigte, dass auchhier bei einer maximalen Dichte von 100 m hinreichendeAuswertungen möglich sind, obwohlein Gitternetz detailliertere Aussagen erlaubt.Die lineare Variante wurde als akzeptablerKompromiss bewertet.Methodische ErgebnisseGeophysik– Rein bathymetrische Analysen sind nicht geeignet,um versunkene Paläo-Landschaften undihre archäologischen Schichten zu untersuchen.Bathymetrie spiegelt die moderne Meeresboden-Topographie wider, nicht aber die darunter liegendeStratigraphie. Paläo-geographische Merkmalewie zum Beispiel ‚Palaeo-Channels’ sindin der heutigen Topographie des Meeresbodensoftmals nicht mehr erkennbar (Abb. 3).– Sedimentsonar-Analysen hingegen könnenhinreichende Anhaltspunkte für die Rekonstruktiongeologischer Strukturen unter demMeeresboden liefern. Sie ermöglichen die Interpretationvon ‚Palaeo-Channels’ und ihreRekonstruktion als 3D-Modell (Abb. 4). DerErfolg dieser Analysen ist in starkem Maße vonder Datendichte abhängig.– Eine Gitternetzdichte von maximal 100 xAbb. 5: 3D-Modell desPalaeo-Channels nachSedimentsonardaten,Raster 200 x 200 m. Dievon Süden in den ‚Palaeo-Channel’vorkragendeLandzunge ist nicht erkennbar.Abb. 6: Vibrationsbohrkernmit Torf- und feinkörnigenSedimentschichten.23


NAU 14 2008Abb. 7: Greifbaggerprobenentnahmepunkte im 1 km² grossen Untersuchungsgebiet,Raster 100 x 100 m.Abb. 8: Rekonstruktioneiner mesolithischen Landschaftim Ärmelkanal in 35m Wassertiefe. Alle landschaftlichenDetails sinddurch geophysikalische undbotanische Analysen belegt;menschliche Aktivität wurdedurch Holzkohle- undmögliche Flintartefaktfundeerschlossen.24– Eine Liniendichte von nur 200 m als Gitteroder in linearer Form erwies sich hingegen alsunzulänglich, da beispielsweise die in die Furcheragende Landzunge hiermit nicht mehr erfasstwurde (Abb. 5).Es wurden ‚boomer, ‚pinger’ und ‚chirp’ Sedimentsonareeingesetzt. In diesem Fall erwiesensich die Niederfrequenz-‚boomer’-Daten (tiefeEindringung bei niedriger Auflösung) als amaussagekräftigsten. Im weiteren wurde die digitaleAuswertung der Sedimentsonardaten mitverschiedenen Softwareprogrammen getestetund verglichen. Es zeigte sich, dass die teurerenProgramme zwar detailliertere Bilder lieferten,die relevanten Strukturen mit der kostengünstigerenVariante jedoch ebenfalls identifizierbarwaren (Baggaley et al. 2004, 24 f.).VibrationsbohrkerneDie Entnahme von Vibrationsbohrkernen erfolgtin der Regel für geologische Analysen deraggregathaltigen Schichten. Um die Methodefür archäologische Analysen zu adaptieren, wurdengezielt Bohrkerne in ‚verdächtigen’ Arealenwie zum Beispiel der Landzunge entnommenund zur zentimetergenauen Auswertung anWessex Archaeology geliefert. Außerdem wurdeeine doppelte Bohrstrategie verfolgt. Währendder erste, reguläre Kern geöffnet, dokumentiertund beprobt wurde, lieferte der zweite Kern, inlichtundurchlässigen Plastikrohren entnommen,Material für optische Datierungen.Die zentimetergenaue Auswertung erwies sichals unerlässlich für die paläogeographische Rekonstruktionder Landschaft. Hierdurch gelanges, Torfschichten ebenso wie feinkörnige Sedimentezu erfassen, die aller Wahrscheinlichkeitnach in einer undynamischen Umgebung abgelagertwurden und je nach Zusammenhangals fluviale, limnische oder – wie in diesem Fall– ästuarine bzw. Salzmarschablagerungen interpretiertwerden können (Abb. 6). Dies geschiehtin Kooperation mit pollenanalytischen und makrobotanischenUntersuchungen sowie Auswertungender in den Schichten eingeschlossenenForaminiferen (Amöben), Diatomeen (Kieselalgen)und Ostrakoden (Muschelkrebse), dieunter anderem Aussagen zu Salinität und Klimaänderungenerlauben. Insbesondere die Torfundfeinkörnigen Schlickschichten sind vonInteresse für die Bewertung des archäologischenPotentials einer Gegend, da ästuarine Landschaftenwohl aufgrund ihrer hervorragendenSubsistenzbedingungen bevorzugte Siedlungsarealeprähistorischer Menschen waren (Simmons1996, 25–27; Fischer 2004, 27). Darüber hinauserlauben die Bohrkerne durch die Kombinationvon AMS- und optischen Datierungen mit denin den Kernen dokumentierten Überschwemmungshorizontenoftmals konkrete Aussagenzum Zeitpunkt der marinen Transgression einesGebietes (Paddenberg 2006a; dies. 2006 b).Greifbagger-ProbenGreifbagger-Probenentnahmen erfolgen in derRegel für benthische Analysen als Teil eines biologischenGutachtens. Durch eine systematischeGreifbagger-Probenentnahme in ‚verdächtigen’archäologischen Arealen wurde versucht, dieseMethode für archäologische Zwecke nutzbarzu machen und diese Flächen auf erodierendearchäologische Schichten und Oberflächenfundehin zu testen (Abb. 7). Da die zu untersuchendenFlächen oftmals einen oder mehrereQuadratkilometer groß sind, wurde ein Rastervon 100 x 100 m für jede Probe zugrunde gelegt.Obwohl es gelang, auf diese Weise einige


Wracks, “Seabed Prehistory” und ein neues archäologisches Protokoll …wenige, mögliche Flintartefakte zu lokalisieren,ist die Methode in dieser Form nur bedingt fürarchäologische Auswertungen geeignet. Zum einenist das Raster zu grob, als dass ein aussagekräftigesNegativresultat erzielt werden könnte,zum anderen kann der Fund vereinzelter abgerolltermöglicher Flintartefakte auch keinKriterium für definitive Positivaussagen sein(Paddenberg 2006c). Es gelang allerdings, mitdem Greifbagger erodierende Torfschichten aufdem Meeresboden zu erfassen, die weder durchGeophysik noch durch Bohrkernentnahmedokumentierbar waren. Dies liegt daran, dassSedimentsonare die oberen Dezimeter des Meeresbodensnicht abbilden und Sidescan-Sonarenur einen groben Eindruck der obersten Schichtvermitteln. Bohrkerne wären zwar theoretischin der Lage, am Meeresboden freiliegende Torfschichtenmiteinzubeziehen, haben jedoch aufgrundihres geringen Durchmessers eine sehrbegrenzte horizontale Abdeckung. Darüber hinauswerden sie aufgrund der geophysikalischenErgebnisse positioniert und zielen somit auftiefer liegende Torfschichten. Dass die mit demGreifbagger erfassten Torfschichten sich tatsächlichstratigraphisch von den tiefer liegendenTorfen im Arbeitsgebiet unterscheiden, konntedurch 14 C-Datierungen nachgewiesen werden,die eine klare Abfolge aufzeigten. Ein Greifbagger-Torfbrockenenthielt darüber hinaus einStück Eichenholzkohle, welches in der feuchtenUmgebung der Arun-Talaue aller Wahrscheinlichkeitnach als anthropogenes Artefakt zu wertenist. Gegen einen Transport aus der weiterenUmgebung spricht, dass die Kanten des Holzkohlestückskeinerlei Verrundung aufweisen.ergab das Bild eines tiefliegenden Areals, das sichhauptsächlich aus Flussauen zusammensetzte(Abb. 8). Diese Interpretation impliziert, dasses sich bei den heute bekannten terrestrischen,prähistorischen Siedlungen um Hochlandplätzehandelte, die möglicherweise nur das Hinterlandzu einem heute weitgehend unbekannten,tiefliegenden Kernland darstellten. Mit anderenWorten sollte man vielleicht nicht mehr von derhäufig zitierten Landbrücke zwischen Großbritannienund dem Kontinent sprechen, sonderneher vom damaligen Hauptbesiedlungsareal(vgl. entsprechende Theorien für Kontinentaleuropa:Fischer 2004, 34 f.).Generell zeigten die Untersuchungen, dass feinkörnigeSedimentschichten die marinen Transgressionenauch im Offshore-Bereich überlebthaben, und dass in diesem speziellen Fall einemesolithische Landschaft in 35 m Wassertiefenachweisbar war (9629±50 –9131±45 BP).Zugleich beleuchten die Untersuchungen dieKomplexität geomorphologischer Prozesse undzeigen, dass die Formationsprozesse terrestrischerStratigraphien nicht ohne weiteres aufOffshore-Stratigraphien übertragbar sind. Diesemüssen stattdessen weiter analysiert, und neuegeomorphologische Modelle entwickelt werden.Die Entwicklung und Anwendung weiterer Methodenist insbesondere für die Bohrkernentnahmeerforderlich. Die Auswertung der Vibrationsbohrkerneerwies sich als äußerst informativ,unter 5 m Tiefe liegende Schichten, wiezum Beispiel ein der oben beschriebenen Furchevorangehender, geophysikalisch identifizierter,Archäologische ErgebnisseInsgesamt veränderte sich der Meeresspiegel imspäten Paläolithikum und im Mesolithikumschnell. In der weiten Paläo-Arun-Ebene mitihren flachen Gradienten wurden Flächen überschwemmt,die groß genug waren, um menschlicheAktivität zu beeinflussen. Marine Transgressionenfanden innerhalb von Zeiträumenstatt, die zwar nicht ein einzelnes Individuum,wohl aber eine soziale Gruppe betroffen habenkönnten. Die botanischen Analysen zeigen, dasssich nicht nur der Meeresspiegel, sondern auchdie frühholozäne Vegetation änderten. Die anfänglicheBesiedlung durch Birke und Kieferwurde durch Hasel, Eiche und Ulme ersetzt(Scaife 2004).Die Rekonstruktion des UntersuchungsgebietsAbb. 9: Geophysikalischnachweisbarerälterer Palaeo-Channel unter demhier untersuchtenPalaeo-Channel.25


NAU 14 200826Abb. 10: Poster zurBekanntmachung desBMAPA-Protokolls.älterer ‚Palaeo-Channel’ (Abb. 9), befinden sichjedoch außerhalb der Reichweite der Bohrkerne.Seit 2005 wurde die Seabed-Prehistory-Forschungauf weitere Baggerlizenzareale im östlichenÄrmelkanal und in der südlichen Nordseeausgeweitet, darunter die Gegend offshore vonPakefield und Happisburgh in Norfolk (Abb. 1),wo im selben Jahr die bislang ältesten FlintartefakteGroßbritanniens geborgen wurden (Parfittet al. 2005). Sie sind ca. 700000 Jahre altund somit etwa 200000 Jahre älter als die bis dahinbekannten ältesten Anzeichen menschlicherAktivität auf den Britischen Inseln (Boxgrove:Barton 2005, 40). Weitere Informationenhierzu sind auf der Projekt-Website einzusehen(http://www.wessexarch.co.uk/projects/marine/alsf/seabed_prehistory/round2.html).‚BMAPA-Protocol’Im Jahr 2003 wurde durch Wessex Archaeologyim Auftrag von English Heritage und der ‚BritishMarine Aggregate Producers Association’(BMAPA) eine erste archäologische Leitliniefür die Offshore Aggregatindustrie erarbeitet,die sogenannte ‚Marine Aggregate Dredgingand the Historic Environment: Guidance Note’(http://www.bmapa.org/pdf/arch_guidance.pdf). Auf Grundlage dieser Leitlinie erfolgte imJahr 2005 die Entwicklung eines sogenannten‚Protokolls zur Meldung von archäologischenFunden’. Dieses Protokoll ist bestimmt für Offshore-Baggerfirmen,insbesondere zum Einsatzauf den Baggerschiffen und den zugehörigenWerften (http://www.wessexarch.co.uk/projects/marine/bmapa/index.html).Das Protokoll sieht vor, auf jedem Schiff und injeder Werft einen lokalen Verantwortlichen, densogenannten ‚Site Champion’ zu ernennen, demdas Schiffs- und Werftpersonal archäologischeFunde meldet. Der Site Champion erstellt sodanneinen vorläufigen Bericht und leitet diesenan einen ‚Nominated Contact’ weiter, einebevollmächtigte Person innerhalb der Firma.Die ‚nominierte Kontaktperson’ kontaktiertsodann Wessex Archaeology, wo eine Kolleginhinsichtlich der weiteren Vorgehensweise berätund Hinweise zur Stabilisierung, Konservierungund Erfassung von Objekten sowie gegebenenfallszu rechtlichen Fragen gibt. Der nominierteKontakt soll außerdem andere in der nahenUmgebung arbeitende Bagger darauf hinweisen,besonders aufmerksam vorzugehen, und gegebenenfallseine vorübergehende Bagger-Sperrzoneeinrichten.Bei Wessex Archaeology erfolgt sodann nebender Beratung auch die Filterung der Berichte.Nur Meldungen über Funde und Befunde tatsächlicherarchäologischer Relevanz werdenschließlich an English Heritage weitergeleitet.Dies schließt zum Beispiel Berichte über Schiffswracks,sonstige Strukturen und Torfkantenein, aber auch wiederholte Fundmeldungen auseinem bestimmten Gebiet. Die Errichtung vorübergehenderSperrzonen zieht gegebenenfallsweitere Untersuchungen nach sich und kannzur Errichtung einer ständigen archäologischenSperrzone führen. In der Folge erstreckt sich dieInformationskette auch auf die entsprechendenörtlichen archäologischen Einrichtungen (‚NationalMonuments Record’, ‚Historic EnvironmentRecords’ und ‚County Councils’) sowieauf die für Wrackfunde generell zuständige Behörde(‚Receiver of Wreck’).Ein web-basiertes Berichtsystem bildet dasKernstück dieser Informationskette.Um einen reibungslosen Ablauf dieser Kette zugewährleisten, wurden durch Wessex Archaeologydas eigentliche Protokoll sowie Richtlinienfür die Site Champions und ein Poster erstellt,das Schiffs- und Werftpersonal für potentiellearchäologische Funde sensibilisieren soll (Abb.10). Dieser Sensibilisierungs- und Informationsprozesswird darüber hinaus durch gezielteWerftbesuche befördert. Außerdem werden archäologischeWorkshops für die nominierten


Wracks, “Seabed Prehistory” und ein neues archäologisches Protokoll …Kontaktpersonen und weitere Firmenangehörigeangeboten. Neben einer Website, auf der Fundegezeigt werden, die aufgrund des Protokolls gemachtwurden (http://www.wessexarch.co.uk/projects/marine/bmapa/discoveries.php), ist diePublikation eines jährlichen Berichts geplant.Mit diesem sogenannten ‚Protocol AwarenessProgramme’ werden folgende Ziele verfolgt:1. Information des betroffenen Personals überdie Existenz des neuen Protokolls und seineUmsetzung;2. Verbesserung der Kenntnisse dieses Personalshinsichtlich der Identifizierung potentieller archäologischerObjekte und ihrer Behandlung;3. Verbesserung des Verständnisses für technischeBelange der Aggregatindustrie auf Seitender Archäologen, insbesondere in Hinblick aufeine laufende Optimierung des Protokolls;4. Öffentliche Anerkennung des Bemühens derIndustrie, in dieser Sache zu kooperieren;5. Förderung des Dialogs mit Interessenvertreternder Industrie, der Behörden, mit Kuratoren,Beratern und Subunternehmern;6. Sensibilisierung des öffentlichen Bewusstseinsfür Belange des marinen archäologischenErbes.Es wurden drei Protokollvarianten erstellt, diebei Funden auf dem Meeresboden (Abb. 11),auf dem Schiff oder in der Werft zum Einsatzkommen. Im Wesentlichen geht es darum, Herkunft,Position und Fundumstände so genauwie möglich zu erfassen, Photos der Objekte zuerstellen und diese angemessen zu behandeln.Flowcharts informieren über den gewünschtenAblauf dieser Erfassung (Abb. 12), und kurzebegleitende Texte skizzieren die von den beteiligtenPersonen vor Ort einzuleitenden Maßnahmensowie Zweck und Ziel der Aktion.Verantwortliche Beteiligte, einschließlich derarchäologischen Behörden werden vorgestellt,rechtliche Hintergründe, wie Eigentumsfragenund generelle archäologische Fundtypen, werdenbeleuchtet und erklärt.Das Programm wurde im Oktober 2005 implementiert.Die hierfür zuständige Kollegin hatbereits über 30 Werften sowie zwei Schiffe besucht,um das Personal vor Ort mit dem Protokollund seiner Umsetzung vertraut zu machen.Seither wurden 19 Berichte erstellt und über 50Funde gemeldet. Darunter befanden sich Mammutknochenund -zähne, Wal- und Rothirschknochen,eine Ruderdolle, Bleigewichte für Fischernetze,ein unbekanntes verziertes Metallobjektund eine Kanonenkugel.Kurz vor der Implementierung des Protokollswaren bereits diverse Funde aus der Nordseebekannt geworden, darunter ein Mammutstoßzahnund weitere Knochen von Mammut, Rothirschund Wal. Größenvergleiche sowie ein14C Datum datieren die Mammut- und Rothirschrestein die Mitte der letzten Eiszeit (ca.35000–40000 BP), was mit dem Alter der aus-Abb. 11: Protokoll für Funde auf dem Meeresboden.Abb. 12: Flowchart zur Verdeutlichungv der Vorgehensweisebei Funden auf dem Meeresboden.27


NAU 14 2008gebaggerten Schichten übereinstimmt. Überraschendwar in diesem Zusammenhang derWalknochenfund, da die Gegend zu dieser Zeittrockenes Land war. Ebenfalls aus der Nordseestammt das Kieferfragment eines pleistozänenRiesenhirsches (wahrscheinlich Megaloceros giganteus).Ein Beispiel für die Implementierung der Reaktionskettewar der Fund von vier früh-neuzeitlichenKanonenkugeln im Ärmelkanal. Die zwei involviertenBaggerfirmen errichteten umgehend eine 1km x 250 m große Sperrzone und gaben hochauflösendegeophysikalische Messungen in Auftrag.Diese Aufnahmen wurden sodann an WessexArchaeology weitergeleitet. Die Auswertungbestätigte jedoch die Analysen der ursprünglicherhältlichen gröberen Sidescan-Daten, wonachkeinerlei Hinweise auf ein Wrack erkennbarwaren. Einige Felsbrocken auf dem Meeresbodenwaren vermutlich die Ursache für eine Ansammlungder Kugeln, die anderenfalls verstreutworden wären. Die große Sperrzone wurde inder Folge wieder aufgehoben, allerdings trat anihrer Stelle als Vorsichtsmaßnahme eine kleinereim Bereich der Felsbrocken in Kraft.‚Wrecks on the Seabed’Das ALSF-Projekt „Wrecks on the Seabed“wurde bereits 2005 durch meinen Kollegen JensAuer vorgestellt. Das Projekt wurde im Sommer2006 in einer zweiwöchigen Feldkampagnefortgeführt, in der ein Tauchroboter (ROV) angeophysikalisch festgestellten Anomalien imÄrmelkanal zum Einsatz kam. Wie sich herausstellte,handelte es sich bei den Anomalienunter anderem um ein deutsches U-Boot ausdem Ersten Weltkrieg, identifiziert als U-86,das zu trauriger Berühmtheit gelangte, nachdemes ein britisches Hospitalschiff versenktund fast alle Überlebenden ermordet hatte. Eineweitere Anomalie entpuppte sich als das Wrackeines amerikanischen Bombers (B 24) aus demZweiten Weltkrieg. Die Besatzung kam bei demUnglück ums Leben; ihre sterblichen Reste warenim Wrack eingeschlossen. Die Auswertungenhierzu sind derzeit im Gange. Die methodologischeFragestellung betraf den effektivenEinsatz von Tauchrobotern in Wassertiefen, diefür Taucher schwierig erreichbar sind, in diesemFall ca. 60 m. Die Untersuchungen zeigten,dass zufriedenstellende Ergebnisse erzielbarwaren, taucherische Untersuchungen aber einedetailliertere Dokumentation erlauben (J. Auer,mündl. Mitt.).Anschrift der VerfasserinDr. Dietlind Paddenbergfrüher: Wessex Archaeologyjetzt: ArcTron Ausgrabungen undComputerdokumentationen GmbHRingstraße 893177 Altenthannd.paddenberg@arctron.deLiteraturBaggaley et al. 2004: P. Baggaley/J. Ransley/S. Legg, Seabed Prehistory: Gauging the Effects of MarineAggregate Dredging. Unveröffentlichter BerichtWessex Archaeology ref. 53146 (Salisbury 2004).Barton 2005: N. Barton, Ice Age Britain (London2005).Firth 2006: A. Firth, Marine Aggregates and Prehistory.In: R. Grenier/D. Nutley/I. Cochran (Hrsg.),Underwater Cultural Heritage at Risk: Managing Naturaland Human Impacts (Paris 2006) 8–10.Fischer 2004: A. Fischer, Submerged Stone Age– Danish Examples and North Sea Potential. In: N.C. Flemming (Hrsg.), Submarine Prehistoric Archaeologyof the North Sea: Research Priorities and Collaborationwith Industry. CBA Research Report 141(York 2004) 23–36.Paddenberg 2006a: D. Paddenberg, Port of Belfast:Proposed New Ferry Terminal VT4 – ArchaeologicalAssessment. Unveröffentlichter Bericht Wessex Archaeologyref. 61720 (Salisbury 2006).Paddenberg 2006b: D. Paddenberg, East CowesProject, Isle of Wight: Archaeological Recording ofGeotechnical Samples. Unveröffentlichter BerichtWessex Archaeology ref. 60221 (Salisbury 2006).Paddenberg 2006c: D. Paddenberg, St Catherine’s,Isle of Wight: Marine Aggregate Extraction Area451 – Archaeological Assessment of Grab Samples.Unveröffentlichter Bericht Wessex Archaeology ref.63650 (Salisbury 2006).Parfitt et al. 2005: S. A. Parfitt/R. W. Barendregt/M. Breda/I. Candy/M. J. Collins/G. R.Coope/P. Durbidge/M. H. Field, J. R. Lee/A. M.Lister/R. Mutch/K. E. H. Penkman/R. C. Parfitt/J. Rose, C. B. Stringer/R. Symmons/J. E. Whittaker/J.J. Wymer/ A. J. Stuart, The earliest Recordof human Activity in Northern Europe. Nature 438,2005, 1008–1012.Scaife 2004: R. Scaife, Seabed in Prehistory (ArunOffshore): Pollen Analysis. The early Holocene Vegetationand Changing Habitats of the English ChannelSea-floor. Unveröffentlichter Bericht Wessex Archaeologyref. 53146 Appendices (Salisbury 2004).Simmons 1996: I. Simmons, The Environmental Impactof Later Mesolithic Cultures (Edinburgh 1996).Wessex Archaeology Website:• ‘Seabed Prehistory’: http://www.wessexarch.co.uk/projects/marine/alsf/seabed_prehistory/index.html• ‘BMAPA-Protocol’: http://www.wessexarch.co.uk/projects/marine/bmapa/index.html• ‘Wrecks on the Seabed’: http://www.wessexarch.co.uk/projects/marine/alsf/wrecks_seabed/index.html28


Les stations Bronze final du lac du Bourget (Savoie, France)Les stations Bronze final du lac du Bourget (Savoie, France) :récentes données de terrainYves BillaudRésuméLa renommée archéologique du lac du Bourget repose essentiellement sur l’abondant matériel dragué sur les stationslittorales durant la deuxième moitié du 19e siècle. Surtout que durant cette période, à la différence de la Suisse, lessites, toujours immergés sous 2 à 4 m d’eau, n’ont pas fait l’objet de fouilles et sont restés à l’écart du grand débat sur lanature des habitats littoraux. Si les observations de terrain débutent en 1950 grâce au développement de la plongée, ilsne deviennent systématiques qu’à partir de 1980. Depuis 1996, des campagnes concernent spécifiquement les stationsdu Bronze final. Elles montrent que, contrairement à ce qui était admis, l’état de conservation est dans plusieurs cas,particulièrement remarquable. Carottages de sédiments, sondages stratigraphiques, dendrochronologie et analysesenvironnementales mettent en évidence les potentialités de ces sites pour l’étude des formes de l’habitat et des relationshomme-milieu. Mais, comme dans les autres lacs alpins, ce patrimoine subaquatique apparaît extrêmement fragile.AbstractThe archaeological fame of lake Le Bourget is especially due to the large amount of material dredged on the lakeshoresettlements during the second half of the 19th century. But, during that period, unlike Switzerland, the sites, alwayslying 2 to 4 meters deep, were not subject to excavations. Consequently, Le Bourget has remained out of the greatdebate on the nature of the lakeshore settlements. Field observations began only in 1950 thanks to the developmentof diving. Works became systematic from 1980 onwards. Surveys carried out since 1996 on the sites of late BronzeAge, show that, contrary to what was admitted, the state of conservation is in several cases, particularly remarkable.Corings of sediments, stratigraphic excavations, dendrochronology, and environmental analyses highlight the potentialitiesof these sites for the study of the settlement forms and the relationship between man and his environment.But, as in the other alpine lakes, this underwater heritage appears extremely fragile.1. Cadre généralSitué à 80 km à l’est de Lyon, le lac du Bourgetest le plus grand lac français, avec une longueurde 18 km pour une largeur maximale de plusde 3 km. Son altitude est de 232 m et sa profondeurmaximale de 145 m. Développé dans lazone de contact entre les chaînons subalpins etla terminaison sud du Jura, il est encadré par desreliefs essentiellement calcaires qui culminentau dessus de 1000 m (Mont du Chat à l’ouest,Chambotte et Revard à l’est). Son alimentationse fait principalement au sud, par la Leysse, etdans la partie médiane sur la rive orientale, parle Sierroz (fig. 1). L’exutoire est au nord, où parle canal de Savière, le lac est en communicationavec le Rhône.la Savière451 2 36Mont du ChatChindrieux7Lac du Bourgetla LeysseLa Chambotte9 8Brison10le Sierroz1112Lac duBourgetAix-les-BainsNLe Revard123456789101112Conjux 2Le Port 1-2Le Port 3Les CûtesPré NuazChâtillon PortChâtillonGrésine EstGrésine OuestMeimart 2Le SautLes FiolletsAménagementStation érodéeStation avec couchesconservées5 kmfig. 1 : situation des stationsBronze final du lac duBourget (Savoie, France).Parmi les nombreux sites archéologiques répertoriésà ce jour dans le lac du Bourget et se répartissantde 3800 avant notre ère jusqu’à l’époquede temps après les premières découvertes dansla baie de Grésine en 1856. Pendant plusieursdécennies, elles font l’objet de «pêches aux antiquitésdes stations lacustres» Bronze tout aussi final fructueuses du lac du que Bourget dé-(Savoie, France).actuelle, une douzaine se rapporte fig. au «bel 1 : situation âge duBronze» au sens des chercheurs du XIX e siècle, nuées de tout contexte stratigraphique (Billaudc’est à dire la période entre -1100 et -800. Les stationsles plus vastes ont été repérées très tôt, peu tés à l’aide de pinces et de dragues/ Marguet 2007). Les quantités d’objets récol-alimentent29


NAU 14 2008500 m50NGrésine Ouest50S50W0W50E75ETombantGrÈsine Grésine EstNord50Nfig. 2 : stations de la baie deGrésine ; position des axesimplantés de 1995 à 2001,extension des niveaux organiques(synthèse Y. Billaud).Voie ferréeSous le Four(Néolithique)0W 50E100E"délaissée"30de nombreuses fig. 2 : stations collections de la baie privées de et Grésine publiques ; position bouleversées» des axes ou, implantés au mieux dans de 1995 un état à moyenet sont à la base d’une abondante bibliographie, (Bocquet / Laurent 1976). Suit une nouvelle2001, extension des niveaux organiques (synthèse Y. Billaud sur fond cadastral).plusieurs fois compilée (Bocquet / Laurent période d’oubli relatif d’autant qu’en France se1976 ; Billaud / Marguet 1997 ; Kerouanton mettent en place les chantiers de Charavines et2002). Elles assurent la renommée archéologiquedu lac du Bourget. Un véritable commerce butent de très grosses opérations de sauvetage.de Chalain et qu’en bordure des lacs suisses dé-va même jusqu’à se mettre en place. Mais seules Sources d’une énorme masse de données, cesces énormes collections firent référence. En effet,la présence constante d’une tranche d’eau mique de la recherche lacustre mais dans laquel-opérations majeures créent une nouvelle dyna-au dessus des sites, a interdit toute observation le le Bourget est encore une fois absent.directe des gisements. Ceci à la différence de la Après l’arrêt des travaux Laurent, le lac duSuisse, où suite à la correction des eaux du Jura Bourget fait l’objet d’interventions ponctuellesayant abaissé le niveau de plusieurs lacs, de nombreusesstations font l’objet de fouilles. La masse CALAS, Centre d’Archéologie Lacustre d’Aixmenées soit dans un cadre associatif comme ledocumentaire recueillie va permettre d’élever les en Savoie (Castel 2004) ou, pour notre part,réflexions au delà des aspects purement matériels.S’engage alors le grand débat sur la nature l’Etude des Occupations Littorales Lacustres,l’AREOLL, Association pour la Recherche etet l’organisation des habitats palafittiques, débat soit, à partir de 1980, sous l’égide du CNRAS,auquel les stations du lac du Bourget ne peuvent Centre National des Recherches ArchéologiquesSubaquatiques, service du Ministère departiciper, faute de données de terrain.Dans les lacs alpins français, ce n’est qu’à partir la Culture, actuellement intégré au DRASSM,de 1950 que les premières observations directes Département des Recherches Archéologiquessont faites grâce au développement de la plongéeautonome. Elles sont l’œuvre de précurseurs d’échantillons sont réalisées sur plusieurs sta-Subaquatiques et Sous-Marines. Des prisesde l’archéologie subaquatique comme le lyonnaisRaymond Laurent qui, au Bourget, met au rences dendrochronologiques (Bocquet et al.tions pour la constitution des premières réfé-point, des techniques spécifiques dont certaines, 1988) et de nouvelles investigations sont menéescomme la triangulation, sont d’usage courant sur celle de Chindrieux / Châtillon (Billaud etactuellement. Mais en l’absence de cadre de al. 1993). Déjà un décalage entre les données derecherche, le stade d’une première révision des la bibliographie et l’état réel des sites est constaté.Plus récemment, en 1999 et 2000, l’ensembleinventaires du XIX e siècle n’est pas dépassé. Lestravaux s’arrêtent en 1972 sans que soient assuréela conservation du matériel et des données de l’établissement de la carte archéologique (Mar-des rives a été systématiquement prospectée pourfouille. Parmi les rares publications, il faut citer guet 2004). D’autre part, depuis 1997, je mèneun bilan des stations littorales dans lequel celles un travail d’évaluation détaillée des stations dudu Bourget sont considérées comme «totalement Bronze final.


+ fragments de sole+ fragments de sole+ argile+ argile+ nodules argile+ argile+ argile+ argilenodules+ argile+ argilenodulesLes stations Bronze final du lac du Bourget (Savoie, France)2. Démarche en coursLa démarche en cours sur les stations du Bronzefinal a été initiée par le constat d’un décalageentre les données de la bibliographie et l’état réeldes sites. Elle vise à approfondir et à homogénéiserla documentation afin de pouvoir, d’unepart, envisager les possibilités d’une fouille planimétrique,projet récurrent dans la programmationarchéologique nationale, et, d’autre part,de pouvoir répondre à des interrogations poséespar des dossiers d’aménagements.La méthode employée est issue de l’expérienceacquise dans les grands lacs alpins (Billaud /Marguet 1997). Elle s’appuie sur l’implantationd’un carroyage à large maille, de 50 ou de 25 mdont les axes servent de référence pour le relevéde la bathymétrie, de la nature des fonds, de laprésence de pieux et des vestiges visibles. Les sédimentsfont l’objet de carottages au tube PVC.Facile à mettre en œuvre, cette technique permetde récupérer des carottes de 1 à 2 m de longueurqui s’avèrent suffisantes pour la caractérisationdes séquences sédimentaires et pour la détectionde niveaux anthropiques.Le report planimétrique des observations permetde délimiter les emprises archéologiques, pieuxvisibles et niveaux organiques (fig. 2). Sur cettebase des triangles de cinq mètres sont implantésdans plusieurs secteurs pour la topographie despieux visibles et le positionnement des prélèvementspour la datation dendrochronologique.Les densités de pieux visibles varient de 0,5 à2 au m 2 . Pour les grandes stations, le nombretotal de pieux peut être estimé entre 10000 et15000.La dernière phase est la réalisation de sondageslinéaires. Ceux-ci sont à but stratigraphique et visentà obtenir une vision de la variabilité latéraledes couches à l’échelle métrique. Ils sont égalementdestinés à recueillir du matériel en place(et non plus déconnecté du contexte comme auXIXe siècle) et, si possible, en association avecdes éléments datables en absolu. Différentestechniques sont mises en œuvre pour réaliser untravail comparable aux opérations terrestres. Lafouille est manuelle avec l’aide d’un aspirateurà sédiments pour enlever les déblais et dégagerl’eau turbide. Des gabarits en aluminium mis deniveau et un fil à plomb permettent tout relevéplanimétrique et stratigraphique.A ce jour, nous avons mené ce travail d’estimationdes emprises et de sondages sur les deuxstations de la baie de Grésine et sur celle duSaut à Tresserve. Il est en cours sur la stationde Châtillon. D’autre part, des travaux ont étéréalisés sur les stations de Conjux I et de Brison-Saint-Innocent / Meimart 2, connues depuis leXIXe siècle, pour tester la présence de couchesconservées et sur celle, de petite dimension, deConjux / Le Port 3, pour en dresser le plan complet(cf. infra).3. Etat de conservationLes stations de Le Port 3, Conjux I et de Meimart2 s’avèrent très érodées. Pour les deux dernièressubsistent des lambeaux de couches, enparticulier du côté du lac. Mais ces niveaux, peuépais et déposés en conditions infra-littorales nenous ont pas paru, à ce stade des investigations,justifier des sondages.Par contre, pour les quatre grandes stations deGrésine Est, Grésine Ouest, Le Saut et Châtillon,les carottages puis les sondages ont montréLimite nord de la station (en bordure du tombant)lentilles d'argileniveau de condensationsablecraie246aS134b4c56b78# 9#1010 inf11"fumiers"limoneuxsubstratde craieCentre de la station0 50 100 cmniveau de condensation"fumier lacustre"(niveaux organiques)substrat de craiefig. 3 : exemple de séquences stratigraphiques, station de Grésine Ouest (levés et report Y. Billaud).fig. 3 : exemple de séquences stratigraphiques, station de Grésine Ouest (levés et report Y. Billaud). 31


NAU 14 2008-1150 -1100-1050-1000-950 -900-850 -800Brison-Saint-Innocent / Grésine Ouest (1)-1051-1060-831-843-869-893-904-993Brison-Saint-Innocent / Grésine Est (1)-1047-869-880-889-900-905-919Brison-Saint-Innocent / Meimart (2)-1065-1028-954-960-947Chindrieux / Châtillon (1, 2)Chindrieux / Châtillon Port (3)Conjux / Conjux 2 (2)Conjux / Les Cûtes (2)(2)Conjux / Le Port 1 & 2(1, 2)Conjux / Le Port 3-1162-1190-1070-1057BF2b BF3a BF3b-1054-1026-998-959-950-935-906-897-885-875-865-844-850-856-834-832-838-814perdurationdes occupationslittorales-832-825-813Conjux / Pré Nuaz (3)-1184-1191-1031-1084Tresserve / Le Saut de la Pucelle (1)-1260-1068-1045-986-990-931-903-887-875-861-840-825-816-805Tresserve / Les Fiollets (2)-1029-875-897-90532Nature de la date :Dernier cerne de croissance mesuré (ou décompté)fig. 4 : diagramme récapitulatif des datations dendrochronologiques sur les stations Bronze final du lac du Bourget ; analyses LaboratoireRomand de Dendrochronologie et Archéolabs, opérations de terrain (1) Y. Billaud, (2) A. Marguet, (3) CALAS ; en grisé, périodes supposéesde haut niveau lacustre (synthèse Y. Billaud, janvier 2007).fig. 4 : diagramme récapitulatif des datations dendrochronologiques sur les stations Bronze finaldu lac du Bourget ; analyses Laboratoire Romand de Dendrochronologie et Archéolabs, opérationsde terrain (1) Y. Billaud, des séquences (2) A. Marguet, de niveaux (3) anthropiques CALAS ; en épaisses grisé, périodes rissables ne supposées sont pas rares de : haut fragments niveau de cordages, lacustre(synthèse Y. Billaud,(jusqu’àjanvier70 cm).2007).Ces dépôts sont très bien rythmées,essentiellement organiques, riches en récipients en bois, éléments d’un brancard en boisde vannerie et de sparterie, manches d’outils etvestiges, avec des lentilles argileuses interstratifiéeset dans certains cas, des passées à nette tion des séquences et fréquences des artefacts péris-long de 2,8 m (Billaud / Treffort 2004). Dilata-influence lacustre (fig. 3). Les seules perturbationsobservées sont anciennes et en liaison avec aux stations du Bronze final de Suisse.sables sont d’importantes différences par rapportl’implantation des pieux. Il n’a pas été vu deremaniements imputables aux récoltes du XIXesiècle. Il est très probable que celles ci n’ont affectéque le niveau de condensation présent en nement4. Cadre chronologique et paléoenviron-surface ; niveau représentant ce qui reste de lapartie supérieure de la séquence organique après L’excellente conservation des matériaux organiquespermet à certaines disciplines de disposerle lessivage des particules fines.Les niveaux organiques sont conservés sur des d’un matériel abondant et de qualité. C’est toutsurfaces importantes, de 8000 m² à Chin-drieux particulièrement le cas pour la carpologie pourjusqu’à 16000 m² au Saut. Le matériel archéologiqueest abondant, en particulier la céramique si sur les stations de Grésine, ont été identifiélaquelle les graines se comptent en milliers. Ain-dont la densité peut atteindre, tous niveaux confondus,30 kg au m², nécessitant une organisation sauvages, permettant d’avancer des hypothèses14 taxons de plantes cultivées et 153 de plantesparticulière pour le lavage, le tri, le comptage et le sur les pratiques culturales et sur la cueillette deconditionnement. La conservation des matières fruits et de graines sauvages (Bouby / Billaudvégétales est très bonne. Les sédiments livrent coquillesde noisettes, brindilles, copeaux de bois, Par ailleurs, avec la collaboration de plusieurs2001).feuilles de fougère, etc. Les objets en matières pé-institutions et laboratoires, des études prélimi-AubierBois de coeur


Les stations Bronze final du lac du Bourget (Savoie, France)naires ont été réalisées ou sont en cours pourd’autres disciplines comme l’archéozoologie(J.-D. Vigne, Muséum national d’histoire naturelle),la paléoparasitologie (M. Le Bailly, universitéde Reims), l’entomologie (D. Pecreaux,Muséum Paris) et même la mycologie.Dans les sondages, le matériel archéologique estrecueilli en stratigraphie avec des possibilités decalage absolu par des bois couchés ou en examinantles relations avec les pièces transversalesplacées sur les pieux. L’approche n’est donc plustypochronologique mais chronotypologique. Ilne s’agit plus d’établir un classement relatif dansle temps de lots de matériel mais de caractériserdes ensembles clos bien calés. Ceux ci deviennentalors des points d’ancrage pour les étudesde sites régionaux.Le cadre chronologique est enrichi à l’issue dechaque campagne. A ce jour, plusieurs centainesde pieux ont été analysés. Malgré sa taille, ce corpuspose un problème de représentation comptetenu du nombre très élevé de pieux par station.Malgré tout, des tendances se dessinent et permettentd’ébaucher un schéma d’occupation desrives. Les occupations couvrent la fin du Bronzefinal, du BF2b au BF3b. Les dates les plus anciennes,de -1084 à ‐1054, ont été obtenues surdes sites totalement érodés. Ainsi, une remontéelacustre est assurée à la fin du Bronze final 2b.Une, voire deux petites pulsations transgressivessont tout à fait envisageables dans le Bronze final3a qui ne marquerait que sur certaines stationspar des pieux datés autour de -990. Maislà aussi le matériel fait défaut en raison d’unenouvelle érosion précédant la phase principaled’occupation. Celle ci débute vers -920 et lesépaisses couches d’occupation conservées s’y rapportent.Il est à noter que si en Suisse les derniersdatations dendrochronologiques sont en -850 oujuste après, les occupations du Bourget perdurentjusqu’en -805 au moins. Cette particularitépose la question des modalités d’abandon deshabitats littoraux. Si l’hypothèse d’une péjorationclimatique conjuguée à une surexploitationagricole est souvent évoquée, elle ne résoutpas totalement le problème. D’autre part, cesdates récentes s’inscrivent dans la transition avecl’âge du Fer, ce qui pose d’autres interrogations,d’ordre culturel, mais qui peuvent être liées auxprécédentes.Les travaux en cours viennent documenter laproblématique de la variation des niveaux lacustresen donnant des calages chronologiquesabsolus et en identifiant les secteurs les plusaptes à fournir des éléments de compréhensionaux sédimentologues et aux palynologues. Enrelation avec ces spécialistes, des carottes de sédimentssont prélevés. Leur étude amène à préciserl’évolution du paléoenvironnement du lacdu Bourget (Chapron et al. 2007, Magny et al.2007).5. Organisation architecturaleEn ce qui concerne l’organisation architecturalede l’habitat, les données sont encore peunombreuses. En effet, pour chaque station étudiée,les surfaces fouillées (quelques dizaines demètres carrés) sont très faibles par rapport auxsites (un à deux hectares) et, ouverts en plusieurssecteurs, les sondages ne couvrent jamais uneunité d’habitation. D’autre part, même si dessurfaces importantes ont été couvertes pour latopographie des pieux visibles, les plans obtenusne sont jamais directement interprétables étantun palimpseste des constructions qui se sont succédéessur des durées relativement importantes.Tout au plus sont parfois mis en évidence les orientationspréférentielles des bâtiments (Châtillon),des espaces de circulation et des palissades(Grésine Est, Le Saut).Des indications sont données par des bâtimentsisolés, sur les marges des grandes stations. ÀGrésine Est, dix-huit pieux provenant d’arbresabattus en -878 et -875, sont disposés en troisalignements sinueux d’orientation méridienne.Ils dessinent un bâtiment à deux nefs de 8,5 m delong pour 4,5 m de large. A Châtillon, les «maisonsisolées» repérées par R. Laurent dans les années1960, sont deux bâtiments trapus de 5 m delong pour 4,5 m de large. A deux nefs et quatrerangs de poteaux, ils ont pour particularité uneterminaison en patte d’oie. Des doublements depoteaux et des dates dendrochronologiques de-844 à -814 indiquent une utilisation longue.D’autres données sont apportées par un petitsite, Conjux / Le Port 3, situé à moins de 100 mde la grande station de Conjux. Sur une surfacede 55 m par 25 m, 222 pieux ont été récemmenttopographiés (fig. 5). Une première interprétationest proposée avec huit bâtiments à terminaisonen patte d’oie (comme à Châtillon), opposéspar deux et accompagnés de structures annexes,greniers à quatre six, neuf ou douze poteaux(Billaud 2006).A ce jour, l’analyse dendrochronologique n’aconcerné que 39 pieux. Elle indique que les deuxbâtiments les plus au nord, ceux à l’architecturela plus complexe, sont bâtis avec des bois abattusde -832 à -818. Sur trois autres bâtiments analysés,les dates sont toutes de -813. Avec les ré-33


NAU 14 2008fig. 5 : station de Conjux-Le Port 3 ; topographie despieux visibles et propositiond’interprétation (synthèseY. Billaud).N0 5 10 15 20 25 mberge large34serves liées au faible nombre de bois analysés,l’hypothèse d’un déplacement de l’habitat estavancée en relation probable avec la remontéedu niveau du lac au début du Subatlantique. Lesdeux bâtiments du nord représenteraient une in-sibilités d’une fouille extensive. Si une interventionPort sur 3 ; topographie la totalité d’une des pieux station visibles n’est et guère proposition en-d'interpfig. 5 : station de Conjux-Lestallation pionnière avec des (synthèse matériaux Y. Billaud). récupéréssur le site de Conjux I en cours d’abandon (etsur lequel la dernière date est de -832). Le restedu village, installé en une seule fois, n’auraitensuite été occupé que peu de temps et définitivementabandonné devant la transgressionlacustre. L’analyse en cours d’une nouvelle séried’échantillons devrait permettre de tester cettehypothèse.6. Bilan et perspectivesPour le lac du Bourget, la vision des habitats littorauxdu Bronze final a été longtemps cantonnéeaux grandes quantités de matériel draguéesau XIXe siècle. Ceci au point qu’il était admisque la plupart des sites étaient détruits par ces ramassages.Mais les travaux récents d’évaluationet de sondage montrent qu’il n’en est rien et queplusieurs stations sont exceptionnellement bienconservées. Le matériel archéologique est abondantet en association avec des éléments datants.La fréquence des objets en matière périssable està souligner. Déjà des données nouvelles ont étéobtenues pour les disciplines auxiliaires et en cequi concerne l’organisation architecturale. A cejour, il est démontré que les stations Bronze finaldu Bourget présentent de fortes potentialitéspour contribuer aux thématiques actuelles concernantl’organisation de l’habitat et les relationshomme-milieu.Quelques campagnes de terrain sont encore prévuespour terminer l’évaluation du site de Châtillonet rechercher des éléments de compréhensionsur des sites érodés. Ensuite sera envisagéel’exploitation de la documentation recueillie.Déjà des pistes se dessinent pour répondre àl’interrogation de départ qui était celle des pos-visageable, ne serait ce qu’en raison des surfacesconcernées, il parait par contre tout à fait possiblede fouiller un bâtiment et ses abords immédiats.Mais, si les aspects techniques ne posentpas de problèmes, il en est tout autrement desaspects pratiques qui vont nécessiter la recherchede moyens et de partenaires.Si les travaux récents sur les stations Bronze finaldu lac du Bourget ont démontré qu’elles constituentdes archives exceptionnelles des activitéshumaines, ils ont aussi révélé leur fragilité. Lesagressions sont multiples et peuvent se combiner: pillage, véritable pilonnage par les ancres debateaux, érosion par les effets de houle, risquesliés à des aménagements, etc. Face à ces dangers,des mesures conservatoires sont à envisager(classement, interdiction de plongée, voired’ancrage,…)tout en sachant qu’elles seront difficilesà faire admettre aux autres usagers du lacpour lesquels ce patrimoine est invisible.Adresse de l’auteurYves BillaudDépartement des Recherches Archéologiques Subaquatiqueset Sous-Marines58bis rue des MarquisatsF-74000 Annecyyves.billaud@culture.gouv.frBibliographieBillaud 2006 : Y. Billaud, L’organisationarchitecturale des stations Bronze final du lac duBourget (Savoie) : résultats récents à Conjux / Le Port3. Bulletin de la Société Préhistorique Française 1,2006, 167–171.Billaud / Marguet 1997 : Y. Billaud / A. Marguet,


Les stations Bronze final du lac du Bourget (Savoie, France)L’archéologie subaquatique dans les lacs alpinsfrançais. In : Dynamique du paysage. Entretiensde géoarchéologie (Lyon 1995), <strong>Documents</strong>d’Archéologie en Rhône-Alpes 15, 1997, 219–264.Billaud / Marguet 2007 : Y. Billaud / A. Marguet,Préhistoire récente et Protohistoire des grands lacsalpins français : 150 ans de recherche, de la pêcheaux antiquités à l‘étude des vestiges littoraux. In :Un siècle de construction du discours scientifiqueen Préhistoire. Volume 2 : „Des idées d‘hier...“.Actes 26 e Congrès préhistorique de France, Congrèsdu centenaire de la Société préhistorique française(Avignon 2004) 2007, 265–277.Billaud et al. 1993 : Y. Billaud / A. Marguet / O.Simonin, Chindrieux-Châtillon (Lac du Bourget,Savoie). Ultime occupation des lacs alpins français àl’Age du Bronze. In : Archéologie et environnement desmilieux aquatiques. Actes 116 e Congrés national desSociétés savantes (Chambéry 1991) 1993, 277–310.Billaud / Treffort 2004 : Y. Billaud / J.-M.Treffort, Tresserve / Le Saut (Savoie), station Bronzefinal du lac du Bourget : récentes données de terrain.In : Actes 5 e Rencontres Méridionales de PréhistoireRécente ; Auvergne et Midi (Clermont-Ferrand 2002)Préhistoire du sud-ouest suppl. 9, 541–553.Bocquet / Laurent 1976 : A. Bocquet / R. Laurent,Les stations des lacs alpins. In : Néolithique et Agesdes métaux dans les Alpes francaises. IX e CongrésUISPP, livret guide excursion A9, 1976, 139–145.Bocquet et al. 1988 : A. Bocquet / A. Marguet / A.Orcel / C. Orcel, Datations absolues sur les stationslittorales et l’âge du Bronze final dans les Alpes duNord. In : Le groupe Rhin-Suisse-France Orientale etla notion de civilisation des Champs d’Urnes. Actescolloque (Nemours 1986). Mémoires du Musée dePréhistoire d’Ile-de-France 1, 435–444.Bouby / Billaud 2001 : L. Bouby / Y. Billaud,Economie agraire à la fin de l’âge du Bronze sur lesbords du lac du Bourget (Savoie, France). Comptes-Rendus de l’Académie des Sciences, série IIa : Sciencesde la Terre et des planètes 333 /11, 749–756.Castel 2004 : R. Castel (dir.), Le lac du Bourget :50 ans de recherches, 5000 ans d’histoire. 256 p.Chapron et al. 2007 : E. Chapron / F. Arnaud / A.Marguet / Y. Billaud / L. Pedreaux / M. Magny,Evolution des paléoenvironnements alpins durantl’âge du Bronze : apports des archives sédimentaireslittorales et profondes du Lac du Bourget (Savoie).In : Environnements et cultures à l’âge du Bronze enEurope occidentale. Actes 129 e congrès national dessociétés historiques et scientifiques (Besançon 2004)2007, 45–55.Kerouanton 2002 : I. Kerouanton, Le lac duBourget (Savoie) à l’Âge du Bronze final : les groupesculturels et la question du groupe du Bourget. Bulletinde la Société Préhistorique Française 99/3, 521–561.Magny et al. 2007 : M. Magny / Y. Billaud / G.Bossuet / E. Gauthier / A. Marguet / J. Mouthon/ H. Richard/ B. Vannieres, Variations du climatpendant l’âge du Bronze au centre ouest de l’Europe: vers l’établissement d’une chronologie à hauterésolution. In : Environnements et cultures à l’âgeArchäo ist eine Bürogemeinschaft von vier Archäologen/Kulturwissenschaftlern.Seit 1995 planen, gestalten und realisieren wir unterschiedlicheProjekte in den Bereichen Archäologie, Kultur und Tourismus.Ob Ausstellungen, Museen, Outdoor Präsentationen, Fachpublikationenoder Fachberatung – unsere umfangreichen Kontakte imfachlichen und praktischen Bereich stehen Ihnen zur Verfügung!IKUDr. Dorothee Ade M. A.Telefon 07472/28 32 54Mobil 0173 65 46 192Fax 07472/28 36 94Mail dorade@archaeo.deArchäo-ServiceMatthias Seitz M. A.Telefon 07472/28 10 46Mobil 0173 34 36 257Fax 07472/28 36 94Mail info@archaeo.deausstellungen+projekteKarin Sieber-SeitzTelefon 07472/28 11 26Mobil 0172 70 15 311Fax 07472/28 36 94Mail KaSiSe@archaeo.deFabricaAndreas Willmy M. A.Telefon 07472/28 32 54Mobil 0173 65 46 192Fax 07472/28 36 94Mail awillmy@archaeo.dedu Bronze en Europe occidentale. Actes 129 e congrèsnational des sociétés historiques et scientifiques(Besançon 2004) 2007, 13–28.Marguet 2004 : A. Marguet, Savoie, lac du Bourget.Elaboration de la carte archéologique des gisementsdu lac du Bourget. In : Département des RecherchesArchéologiques Subaquatiques et Sous-Marines.Bilan scientifique 1999 (2004) 113–125.Anzeige35


NAU 14 2008Anzeige... das wohl ungewöhnlichstearchäologische FreilichtmuseumDeutschlands.PFAHLBAUMUSEUMUNTERUHLDINGEN• Museum, Ausgrabungen und Forschung seit 1922• 23 rekonstruierte Pfahlbauten• Neueste Ergebnisse archäologischer Untersuchungen (Stein- und Bronzezeit)• Originalfunde, Sonderausstellungen• Qualifizierte Besucherführungen• Schülerprojekte, Haus der Fragen, Familienprogrammeund andere AktivitätenStrandpromenade 6 · D-88690 Uhldingen-MühlhofenPhone (+49) 75 56 · 85 43 · mail@pfahlbauten.de36


La station de Grandson-Corcelettes (canton de Vaud, Suisse)et les accumulations de bronzes palafittiques de Suisse occidentaleViktoria FischerZusammenfassungDie Ufersiedlung von Corcelettes-Les Violes (Grandson, Waadt), am Nordufer des Neuenburgersees, hat in derzweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts Tausende Pfahlbaubronzen geliefert. Eine Diplomarbeit über die Sammlungendes Musée cantonal d’archéologie et d’histoire Lausanne gab Hinweise dazu, daß diese Objekte absichtlich im Wasserdeponiert und nicht einfach verloren oder weggeworfen wurden. Wir schlagen in einer Doktorarbeit vor unserenKorpus zu verbreiten und ihn, in diesem Zusammenhang, zu analysieren.AbstractThe shore settlement of Corcelettes-Les Violes (Grandson, Vaud), on the northern bank of lake Neuchâtel, hassupplied thousands of bronze objects in the second half of the XIX th century. A dissertation about the collections of theMusée cantonal d‘archéologie et d‘histoire Lausanne indicates that these objects were deliberately put in the water:they were not simply lost or thrown away. We propose, in a doctoral thesis, to build up a significant archaeologicalsample and to analyse the intentionality of those deposits.La station palafittique de Corcelettes-Les Violes(Grandson, Vaud) a livré, aux côtés degrandes quantités de céramiques, des milliersd’objets en bronze datant de la fin du Bronzefinal (1060/1050–800 av. J.-C.), dès la baisseartificielle du niveau du lac de Neuchâtel dans laseconde moitié du XIXe siècle (figure 1). Nousavons étudié, dans le cadre d’un travail de diplômeà l’Université de Genève, les collectionsdu Musée cantonal d’archéologie et d’histoire deLausanne dans le but d’interpréter l’abondancedes bronzes sur le site. Celle-ci a en effetlongtemps été expliquée comme l’accumulationd’objets abandonnés (déchets) ou perdus accidentellement.Notre étude a révélé des tauxélevés de pièces en bon état et de parures, ainsique l’existence d’une sélection des types volontairementmanipulés (déformés et/ou brûlés),témoignant ainsi, pour l’essentiel des bronzes, dedépôts intentionnels, liés très vraisemblablementà des activités rituelles.Ces résultats nous ont poussées à étendre nosinvestigations dans le cadre d’un travail dethèse en cotutelle aux Universités de Genève etde Bourgogne, intitulé « Les dépôts de bronzesen contexte palafittique sur les rives du Lémanet des Trois-Lacs (Suisse occidentale) ». Notrecorpus d’étude est constitué des collections deGenève GE/Eaux-Vives, Morges VD/Grande-Cité, Chens-sur-Léman Haute-Savoie/Tougues,Mörigen BE/Bronzestation, Muntelier FR/Steinberg, Grandson VD/Corcelettes-Les Violes,Cortaillod NE/Est, Auvernier NE/Nord,Hauterive NE/Champréveyres et des anciennescollections d’Auvernier NE (figure 2). Ce corpusest très hétérogène : il comprend en effet desensembles issus de fouilles récentes ou de ramas-Figure 1 : Dépôt groupé deGrandson VD/Cocelettes-Les Violes. Le diamètre dubassin de forme nordiqueest de 16,5 cm (Muséecantonal d’archéologieet d’histoire, Lausanne.Photo : Fibbi-Aeppli).37


NAU 14 2008d’Europe centre orientale et d’Europe du Nord,pourront compléter notre compréhension globaledu phénomène des bronzes palafittiques.Adresse de l’auteurViktoria FischerUniversité de GenèveDépartement d’anthropologie et d’écologieLaboratoire d’archéologie préhistorique et d’histoiredes peuplementsViktoria.Fischer@anthro.unige.chFigure 2 : Le corpus d’étuderetenu (d’après Arnold1990 et Corboud 1993).© 2005 Swisstopo.sages anciens, publiés ou non, datés par la dendrochronologieou uniquement par la typologie.L’analyse des résultats devra être effectuée à desniveaux différents en fonction de la qualité del’information à disposition.Concrètement, ce travail aborde l’interprétationdes collections de bronzes palafittiques : s’agit-ild’objets déposés sur les rives des lacs dans le cadrede rituels et, dans ce cas, que pouvons-nous direde ces pratiques ? Pour ce faire, nous tenteronstout d’abord d’identifier des régularités régionaleset/ou chronologiques dans la compositionde ces collections, notamment par l’observationdes fréquences des familles d’objets et des catégoriesfonctionnelles. Les traces de feu et les tauxde fragmentation des pièces seront également relevéset observés du point de vue des régularités.La prise en compte des masses métalliquesrécoltées sur les sites permettra, d’une part, depondérer l’importance des collections en quantitésd’objets ainsi que d’évaluer la valeur économiquepotentielle des vestiges et, d’autre part,de relativiser l’importance des sites en termesde surfaces occupées et de durées d’occupation.Nous nous attacherons également à définir lesspécificités du Bronze final palafittique par rapportaux phases antérieures de l’âge du Bronzeau bord des lacs. Nous comparerons ensuitenotre corpus à une sélection de palafittes horsde la zone d’étude et à celle de sites d’un autretype, comme les dépôts terrestres ou fluviaux,les habitats et les sépultures. Enfin, la mise enévidence d’éventuels dépôts groupés originauxau sein du corpus d’étude, ainsi que la comparaisonde ceux-ci avec des dépôts terrestres oude milieu humide, comme ceux bien connusBibliographieArnold (B.) 1990: Structure de l’habitat et proto-urbanisme.Saint-Blaise : Eds du Ruau. (Archéol. neuchâteloise; 6, Cortaillod-Est : un village du Bronzefinal).Corboud (P.) 1993: Inventaire et étude archéologiquedes sites préhistoriques immergés du Léman : rapportsur les recherches réalisées en 1991 : communes deVeytaux, Corseaux, Cully, Lausanne, Saint-Sulpice,Préverenges, Tolochenaz et Saint-Prex (VD). Genève: Dép. d’anthrop. et d’écologie de l’Univ., Groupede rech. archéol. lémaniques. (Rapp. de fouille nonpubl.).Fischer (V.) 2005: La station de Grandson-Corcelettesà l’âge du Bronze final : accumulations rituellesde métal. In : Ecriture de soi et biographie. Rev. hist.vaudoise, 113, 153–167.Fischer (V.) 2003: La station Bronze final de Corcelettes(Grandson, Vaud) : accumulations rituellesde bronzes : étude des collections du Musée cantonald’archéologie et d’histoire de Lausanne. Volume1 (127 p.) : texte et illustrations, annexe 1 : donnéesstatistiques; volume 2 (244 p.) : annexe 2 : base dedonnées : échantillon de bronzes de Corcelettes duMusée cantonal d’archéologie et d’histoire de Lausanne.Genève : Dép. d’anthrop. et d’écologie del’Univ. (Trav. de diplôme, non publié).Gauthier (E.) 2003: Etude de la variabilité de la compositiondes dépôts de bronzes en France orientale,aux X e et IX e siècles avant notre ère. Rev. archéol. del’Est, 52, p. 21.Hochuli (S.), Niffeler (U.), Rychner (V.), ed. 1998:Age du Bronze. Bâle : Soc. suisse de préhist. et d’archéol.(SPM 3 : La Suisse du Paléolithique à l’aube duMoyen-Age), p. 335.Kaeser (M.-A.) 2004: L’univers du préhistorien : science,foi et politique dans l’oeuvre et la vie d’EdouardDesor (1811–1882). Paris : L’Harmattan. (Hist. dessci. humaines)Müller (F.) 1993: Argumente zu einer Deutung von «Pfahlbaubronzen ». Annu. de la Soc. suisse de préhist.et d’archéol., 76, 71–92.Rychner (V.) 2001: Objets «manipulés» des palafittesde Suisse occidentale au Bronze final : une premièreapproche. Rev. archéol. de l’Ouest, suppl. 9, 217–224.38


Taucharchäologie und Mikromorphologie:Neue Möglichkeiten für die Grabungstechnik an der FundstelleCham ZG, Eslen (Schweiz) – eine Zusammenfassung*Renata Huber und Kristin Ismail-MeyerÜber die Fundstelle Cham ZG, Eslen und diedort durchgeführten Tauchgrabungskampagnenwurde in dieser Zeitschrift schon mehrfachberichtet (NAU 4, 1998, 22; NAU 5, 1999,52–53; NAU 6, 1999, 33–34; NAU 11/12,2005, 21–24). Während der Kampagne imWinter 2004/2005 wurde auf Grund zeitlicherund finanzieller Engpässe beschlossen, von derbisherigen taucherischen Feingrabung zu einerGrobgrabung mit Abstechen und Abpacken desSchichtmaterials, das später geschlämmt wurde,überzugehen. Dieses Vorgehen schien aus wissenschaftlicherSicht gerechtfertigt, da einerseitsdie Funde bisher keinen Hinweis auf eine Mehrphasigkeitdes Siedlungsplatzes erbracht hattenund andererseits das Verstehen des Schichtpaketsdurch eine dichte mikromorphologischeBeprobung gewährleistet war.Für eine mikromorphologische Auswertungwerden orientierte Bodenproben aus den Profilenpräpariert, die das Kulturschichtpaketund die unten und oben anschliessenden Sedimenteenthalten. Nach Eingiessen der Probenin Kunstharz im Labor (Abb. 1) lassen sich sogenannte Dünnschliffe herstellen (quadratischeGesteinsschnitte von 4,7 mm Kantenlänge), dieunter dem Mikroskop untersucht werden. Diefeinstratigraphische Abfolge kann dadurch inhoher Auflösung ermittelt werden, wie eine Gegenüberstellungeiner Feldbeschreibung mit denmikromorphologischen Resultaten von Cham-Eslen aufzeigt (Tab. 1). Analysen der Sedimenttypen,Schichtzusammensetzungen und Mikrostrukturenermöglichen ausserdem eine Rekonstruktiondes Ablagerungsmilieus. Im Fallvon Cham-Eslen war die Abklärung des Seeeinflussesauf die archäologischen Schichten vongrosser Wichtigkeit. Es hat sich gezeigt, dass einTeil der Schichten infolge Überschwemmungenleicht aufgearbeitet wurde, es liessen sich aberauch Befunde in situ feststellen, wie Spuren vonTrampling und Bodenkonstruktionen mit anthropogenenNutzungsschichten anzeigen.Im Rückblick hatte sich die Methode der taucherischenGrobgrabung für die Kampagne2004/2005 gelohnt und wurde auch für dieabschliessende Kurzuntersuchung im Winter2007 angewendet. In der Tabelle 2 sind die Abwägungenzusammengefasst, die wir zusammenmit der Tauchequipe Zürich vorgenommen haben.Demnach war zunächst eine Feingrabungnotwendig, um den Fundplatz richtig einschätzenzu können, es hätte jedoch auch schon früherzur Grobgrabung übergegangen werdenkönnen.Bei Fundstellen mit komplexeren Schichtabfolgenist eine vergleichbare Grabungsmethodeebenfalls denkbar. Sofern die Phasen trennbarsind, kann z.B. mit Abstichen gearbeitet werden.321Abb. 1: Eingiessen derBodenproben.1 zwei frisch eingegosseneProben,2 zwei Tranchen (Anschliffe)einer aufgesagtenProbe,3 vier ausgesägte Blöckchen,bereit zur Dünnschliffherstellung(Foto:IPNA/Kristin Ismail-Meyer).* Der ausführliche Artikel,der auf einem Vortrag derbeiden Autorinnen an derAKUWA-Tagung in Annecyim Oktober 2006 basiert,erschien im Jb. Arch.Schweiz 2007, 127–134.)39


NAU 14 2008Pos. FeldbeschreibungMikromorphologische Fazien/Interpretationen36 Seekreide 1 Seekreide17 Reduktionshorizont2 Heterogener Baulehm oderErosionsablagerung (je nach Schnittlage)85Heterogene archäologischeSchicht3 Aufgearbeitete archäologische Schicht57 Lehm4 Heterogener Baulehm5 Erosionsablagerung6 Archäologische Schicht in situTabelle 1: Gegenüberstellungeiner Feldbeschreibung mitden mikromorphologischenResultaten (Profilplan 89und Beschreibungen derPositionsnummern, TauchequipeZürich im Auftragder Kantonsarchäologie Zug,Ereignisnr. 842. und Mikromorphologieprobe644).102 Dunkler Lehm57.1 Ausgewaschener Lehm7 Heterogener Baulehm8 Aufgearbeitete archäologische Schicht9 Archäologische Schicht in situ10 Lehmboden11 Heterogener Baulehm48 Seekreide mit org. Material12 Archäologische Schicht in situ13 Installationshorizont14 Feinkörnige Seekreide58 Seekreide 15 Seekreidetaucherische Feingrabungtaucherische GrobgrabungZeitmanagementzeitintensiv (alles unterTermindruck)relativ schnell (Laborarbeitenzu beliebigem - aber ebenfallseingeplantem - Zeitpunkt)StratigraphieSchichtverhältnissevergleichsweise unklar; einzelneBefunde schwierig zu verfolgen,FlächendokumentationlückenhaftSchichtverhältnissedank Kombination vonProfilzeichnungen undMikromorphologie sehrgenau nachvollziehbar;Flächendokumentation fälltweitgehend ausTabelle 2: Abwägung vonVor- und Nachteilen derverschiedenen Grabungstechnikenan der FundstelleCham-Eslen.Fundediv.Funde sorgfältig bergen, z.T.genaue Kartierungliegende Hölzer gutdokumentierbarFunde schonend freischlämmen;Keramik sofort zusammensetzenliegende Hölzer verursachenProblemeWenn aber viele liegende Hölzer vorkommen,müsste man sich ein anderes Vorgehen überlegen.Grobgrabungsmethoden sind in einer Zeitder terminlichen und finanziellen Einschränkungenzweifellos ein Thema (NAU 11/12,2005, 55 f.; NAU 13, 2006, 54). Trotzdemsollte darauf geachtet werden, dass möglichstwenig Information verloren geht, und eben hierscheint uns der Vorteil in der Kombination mitder Mikromorphologie zu liegen.Anschriften der VerfasserinnenRenata HuberKantonsarchäologie ZugHofstr. 15CH-6300 ZugKristin Ismail-MeyerIPNA, Institut für prähistorische und naturwissenschaftlicheArchäologie, GeoarchäologieSpalenring 145CH-4055 Basel40


Schiffsarchäologische PionierarbeitZur Vermessung und Rekonstruktion eines vorindustriellen Lastsegelschiffsam Vierwaldstätter SeeGregor Egloff und Thomas ReitmaierZusammenfassungFür Jahrhunderte war der Innerschweizer Vierwaldstätter See elementare Verkehrsfläche für den lokalenWarentransport, aber auch für den transalpinen Handel von Nord nach Süd über den Gotthardpass. Als Fahrzeugekamen wuchtige, hölzerne Lastsegelschiffe zum Einsatz, die seit dem Spätmittelalter bis ins 19. Jahrhundertweitgehend unverändert in der obrigkeitlichen Werft in Luzern gebaut wurden. Zwei ausserordentlich gut erhaltene,beinahe zeitgleiche Wrackfunde unterhalb des Bürgenstocks ermöglichten in den vergangenen beiden Jahren inenger Kooperation mit Sporttauchern eine umfassende Studie und Dokumentation derartiger Transportschiffe. InZusammenschau mit historischen Quellen aus dem Staatsarchiv Luzern sowie zeitgenössischen Abbildungen ist soerstmals ein halbes Jahrtausend Schifffahrtsgeschichte für diese Gewässerregion nachvollziehbar.AbstractFor hundreds of years Lake Lucerne has been a fundamental for local water transport and also for transalpine tradefrom the north to the south via the St. Gotthard Pass. Bulky, working sailing ships were employed which were builtfrom the late middle ages until well into the 19 th century in shipyards run by the local gentry in Lucerne and remainedlargely unaltered. Over the last two years much assistance from amateur divers has enabled a comprehensive study anddocumentation of two exceptionally well-preserved, almost contemporary wrecks near Bürgenstock. In conjunctionwith historical sources from the public records office in Lucerne and contemporary illustrations, half a millennium ofshipping history of this stretch of water has for the first time been retraced.Translation Jamie McIntoshAlte und neue Entdeckungen in derZentralschweizAm Samstag, 7. Februar 1987 vermeldete dasLuzerner Tagblatt den sensationellen Fund einesgesunkenen Lastsegelschiffs im VierwaldstätterSee. 1 Schnell war klar, dass es sich bei demWrack um einen Schiffstypus handelte, der seitJahrhunderten auf dem See verkehrt und entsprechendgut identifizierbar auf vielerlei Bildquellender Nachwelt erhalten geblieben war.Nur die exakte Datierung war – aufgrund ebendieser langen „Laufzeit“ – schwierig, eine (damalsfehlerhafte) Analyse bestimmte sein Altermittels Radiokarbondatierung vorerst ungefährins 15. bis 17. Jahrhundert. 2 Eine neue (Dendro-)Datierungergab dann im Sommer 2006,knapp 20 Jahre nach der Endeckung des Fahrzeugs,für das verwendete Schiffbauholz (Fichte)eine Schlagzeit im zweiten Viertel des 19.Jahrhunderts. 3Grosse, hölzerne Transportschiffe dieser Bauartsind seit Beginn des 16. Jahrhunderts in Bildundschon zur Mitte des 15. Jahrhunderts inAbb. 1: Traditionelle Lastschiffeals Truppen-transportermit Jochbalken, seitlichenFahr-/Ziehrudern und mittigemStreichruder am Heck.Miniatur aus der LuzernerChronik des Diebold Schilling,um 1513.1Viviane Laissue, „Schatzsuche“im Vierwaldstättersee,in: Luzerner Tagblatt, 7.Februar 1987.2Béat Arnold et al., RadiocarbonDating of Six SwissWatercrafts. In: The InternationalJournal of NauticalArchaeology and UnderwaterExploration 17/2, 1988,183–186.3Die dendrochronologischenund holzanatomischen Untersuchungenwurden von derKantonsarchäologie Luzernfinanziert. Die Analysenwurden im Labor für Dendrochronologieder Stadt Zürichdurch Felix Walder durchgeführt.41


NAU 14 2008Abb. 2: Lage desUntermatt-Wracks(Vorlage: BeatEggimann).in frühen Aufnahmen fotografisch gut dokumentiertist und bis ins 20. Jahrhundert gebautwurde. Er erlaubt den zeitnahen Vergleichzweier formal und bautechnisch weitgehendunterschiedlicher Fahrzeuge. Im Rahmen einesDissertationsprojekts 4 wurden beide Wracks2005/06 in vielen Tauchgängen genauer untersucht.Im Vordergrund der Arbeiten standendabei vor allem die interdisziplinäre Zusammenarbeitvon Archäologie und Geschichte, die Kooperationmit Sporttauchern 5 sowie die Rekonstruktiondes älteren Wracks in Plan und Modellzum besseren Verständnis des Bauablaufs.Schriftquellen belegt, jedoch existieren keinefotografischen Aufnahmen dieses Schiffstypus.Er verschwindet um 1836 mit der Aufhebungder Luzerner Schiffhütte, deren obrigkeitlichesBaumonopol nach beinahe einem halben Jahrtausenddurch den politischen und technologischenWandel obsolet geworden war. Es dürftesich bei diesem Wrack somit um einen derallerletzten materiellen Zeugen vorindustriellerSchiffbautradition am Vierwaldstätter See handeln.Obertägig hat sich, wie an den meistenanderen Gewässern Europas, kein größeres vorindustriellesWasserfahrzeug erhalten. Damitmüssen für ein direktes, detailliertes Studiumder Bauweise und Entwicklung solcher Lastsegelschiffeunter Wasser liegende archäologischeFunde herangezogen werden.In unmittelbarer Nachbarschaft zum erwähntenWrack liegt ein weiterer, fast gleichaltrigerLastensegler eines jüngeren Bautypus, der schon4Thomas Reitmaier, Vorindustrielle Lastsegelschiffe in der Schweiz. Schweizer Beiträgezur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters 35 (Olten 2008).5Vermessung vom Winter 2005 bis Januar 2007 durch Thomas Reitmaier und GregorEgloff, unter Mithilfe von Dani Bernhard sowie Beat Eggimann, Heidi Hostettler(Fotografie) und Hanny Odermatt, die Taucher Christopher Latkoczy, Daniele Fabro,Timo Kessler, Jean-Claude Bloch, Claudio Morello, Sandro Schüpfer, Beat Schumacher,Walter Ciscato, Martin Wright, Maria Glaser, Georg Hoch, Yvonne Isler, Remo deCarli, Monika Weder, Marcel Jost, Bootsbau-Meister Thomas Hasler/Stansstad und dieTauchsportgruppe Poseidon, Luzern. Ihnen allen sei an dieser Stelle aufrichtig gedankt!6Mit Verbindung über die Reuss zum Rhein nach Basel und weiter nach Norden bis zurOstsee.7Unter Lastschiffen verstehen wir Schiffe (i. e. S. „Boote“), die ausschliesslich zum Transportschwerer Lasten, Güter und Personen gebraucht und daher in der Regel von einemSchiffer und einigen Gesellen hauptberuflich gefahren wurden. Vgl. zum Luzerner Handel:Hans Wicki, Bevölkerung und Wirtschaft des Kantons Luzern im 18. Jahrhundert.Luzerner Historische Veröffentlichungen Band 9 (Luzern/München 1979); sowie FritzGlauser, Stadt und Fluß zwischen Rhein und Alpen. In: Erich Maschke/Jürgen Sydow(Hrsg.), Die Stadt am Fluss. Stadt in der Geschichte. Veröffentlichungen des SüdwestdeutschenArbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung, Band 4 (Sigmaringen 1978)62−99.8Hans Bickel, Traditionelle Schifffahrt auf den Gewässern der deutschen Schweiz. Wortund Sache nach den Materialien des Sprachatlasses der deutschen Schweiz. SprachlandschaftenBand 17 (Aarau/Frankfurt a. M./Salzburg 1995) 325–328.42Lastensegler auf dem Vierwaldstätter SeeDer mehrarmige Vierwaldstätter See verbindetLandschaften und Täler der Zentralschweiz, dieauf dem Landweg erst im 19. und 20. Jahrhunderteffizient erschlossen wurden. Der Schiffsverkehrerlebte seit der offiziellen Öffnung desGotthardpasses im 13. Jahrhundert und derEtablierung der Stadt Luzern als Warenumschlagplatz6 einen massiven Aufschwung, unddementsprechend waren Wasserfahrzeuge fürJahrhunderte das elementare Transportmittel.Lokale und alpenquerende Personen- undWarenfracht wurde mit ungedeckten Lastsegelschiffendurchgeführt, deren heute noch gebräuchlicheBezeichnung Nauen auf eine deutlichältere Tradition verweist. 7 Mit dem im 14.Jahrhundert auftauchenden, aus der römischenAntike übernommenen Lehnwort Naue oderNawe, von lat. navis, mhd. nawe, naewe, belegtneben der schiffsarchäologischen Forschungauch die Sprachwissenschaft, dass mit dem Wortauch die Sache von den Römern übernommenwurde. 8 Ein anderes Motiv für die Entlehnungscheint unwahrscheinlich, sodass die einheimischeBevölkerung den allgemeinen Begriff navesoder Nauen automatisch mit dem Sachtypus desLastsegelschiffes verband. In Wort und Sachenachgewiesen ist diese Bezeichnung heute nochfür die vier um den Vierwaldstätter See gelegenenKantone Uri, Schwyz, Unterwalden undLuzern sowie das benachbarte Zug. Sie bezeichnetdort nicht nur das traditionelle, mittlerweileja verschwundene Lastsegelschiff, sondern auchden motorisierten, modernen Typ aus Metallzum Transport von Kies und anderem Baumaterial.Die beiden einzigen bis heute bekannt gewordenen,hier vorgestellten Überreste vorindustriellerLastensegler 9 liegen in der Gegend der „obernund untern Nase“, welche in frühen Reisebe-


Schiffsarchäologische Pionierarbeit …Abb. 3: Rekonstruktion Untermatt-Wrack2007, Draufsicht(Zeichnung: Autoren).Abb. 4: Rekonstruktion Untermatt-Wrack2007, Backbord-Innenseite(Zeichnung:Autoren).schreibungen als der Schifffahrt besonders gefährlichbeschrieben wird. Der vorderste Teildes beinahe senkrecht in den See stürzendenBürgenbergs 10 verursacht hier eine See-Enge.Um die Nas herum befinden sich noch heuteviele Orientierungspunkte, Lande- und Arbeitsstellender Berufsfischer und Schiffer, was sichin zahlreichen, seit dem ausgehenden Mittelalternachweisbaren Flurnamen niedergeschlagen hat:so etwa die „Bruder-“ oder „Ruederschbalm“,ein überhängend in den See fallender Fels, einealtbekannte Schutzstelle der Schiffleute beiSturm.Der Untermatt-NauenDas nach der anliegenden Flur „Untermatt“ amFuß des Bürgenstocks benannte Wrack wirdseit seiner Entdeckung 1986 mehr oder wenigerregelmäßig betaucht. 11 Allerdings ist es nur mitdem Boot erreichbar und liegt auf einer Tiefezwischen 28 m (Bug) und 38 m (Heck), was zuanspruchsvollen Tauchgängen und – mit Pressluft– zu relativ kurzen archäologischen Arbeitszeitenam Objekt selbst führt. Selbstredendstanden somit bei allen Einsätzen die peinlichgenaue Planung der Tauchgänge und die Sicherheitder Taucher an oberster Stelle.Das Fahrzeug selbst zeigt sich unter Wasser alsbeinahe vollkommen intakter Schiffskörper,von dem lediglich die Antriebs- und Steuermittelverloren gegangen sind. Bei kiesartigen Ablagerungenim Mittschiffsbereich handelt es sichum Reste der ehemaligen Ladung, die – ohneein Absaugen mittels Airlift o. ä. – eine genauereBeobachtung der Schiffskonstruktion erschweren.Deutlich erkennbar ist jedoch ein auf dieSpanten und Bodenhölzer ausgelegter Bretterboden(Wegerung oder Blindboden 12 ), auf demdas Schüttgut transportiert wurde.Die Gesamtlänge des Lastsegelschiffs beträgt ca.17,15 m, der flache Schiffsboden ohne Kaffen istca. 10,5 m lang, die noch messbare Wandhöhebeträgt ca. 0,8 m und die Breite schwankt zwischen1,8 und max. 3,8 m.Mit diesen Proportionen entspricht das Schifffast genau dem Typ eines sogenannten Steinnauens,dessen Masse seit dem 16. Jahrhundert9Soweit bekannt, sind bisher im Vierwaldstätter See keine anderen Wasserfahrzeugegefunden worden. Ebenso fehlt der archäologische Nachweis von Einbäumen, dessenGebrauch als Fischerei- und Transportgerät in der Neuzeit aber von Schrift- und Bildquellengut bekannt und letztlich auch für prähistorische Zeit etwa aufgrund der Lagebekannter Seeufersiedlungen (NW Stansstad-Kehrsiten) vorauszusetzen ist.10Albert Hug/Victor Weibel, Nidwaldner Orts- und Flurnamen. Lexikon, Register,Kommentar in 5 Bänden. Herausgegeben vom Historischen Verein Nidwalden (Stans2003) Band 1, 536−538.11Bekannt und benutzt wird dabei auch die Bezeichnung „Korporationsnauen“, da unmittelbaram Ufer die so genannte Korporationshütte liegt. Für Hinweise dazu danken wirDani Bernhard, Luzern und der Tauchsportgruppe Poseidon, Luzern, vor allem BeatEggimann.12Bickel 1995, 139 f. am Beispiel des benachbarten Zuger Sees.43


NAU 14 200844Abb. 5: RekonstruktionUntermatt-Wrack 2007,Schnitt bei Gürbe 12(Zeichnung: Autoren).Abb. 6: Großer Lastensegler, so genannter „Urnernauen“, frühes 19. Jahrhundert(Ausschnitt, Original im Historischen Museum Uri).obrigkeitlich festgelegt wurden. 13 Die entsprechendenSchriftquellen konnten im Befundunter Wasser gut bestätigt werden. So ist dieflache, trapezförmige Grundplatte aus fünf bissechs breiten Bodenplanken aus Nadelholz und14 einfachen Bodenhölzern („Nadeln“) zusammengesetzt,die durch wuchtige, mittels Holznägelnbefestigte Wrangen (15 Spantenpaare,„Gürben“ genannt) zusammengehalten werden.An die beiden äußeren Bodenplanken schließtseitlich 14 nach außen gelehnt eine schmale, sichnach vorne und achtern rasch verjüngende,starke Planke an, die ebenfalls mit von außendurchgeschlagenen Holznägeln die kompositeKimm formt. Diese Planke endet jeweils wenigvor dem Jochbalken, welcher, mittels Holznägelnan den gleichförmig hochgewundenen(nicht angesetzten) Kaffen verbunden, sowohlBug und Heck schließt, indem er hakenförmigüber den obersten seitlichen, hier kunstvoll geschnittenenPlankengang greift. An die untersteSeitenplanke ist klinker ein zweiter Plankengangangesetzt, sodass in die Kaffen vorne undachtern entsprechende Sponungen eingearbeitetwerden mussten, damit an der Außenhaut desSchiffes keine Kanten überstanden.Gleichzeitig nahm an diesen Stellen die Seitenbeplankungdie Spannung der Kaffen auf. Diedas Schiff aussteifenden und wiederum mittelsHolznägel angesteckten Spanten aus Eichenholz15 weisen seitlich an der Außenfläche zudemeine treppenförmige Ausnehmung auf, um dieÜberlappung der beiden unteren Seitenplankenauszugleichen. Binnenbords ist jeweils alternierendund in gleichmäßigen Abständen von mehrerenDezimetern ein Spant backbord und steuerbordbis zur gegenüberliegenden Seite reichendeingebaut, dann folgt ein einfaches Bodenholz.Ein dritter und nach oben abschließender Plankengangist offenbar stumpf mithilfe kleiner,binnenbords über die Plankennähte eingeschlagenerEisenklammern aufgesetzt. Diese einzigenam Schiff von Untermatt verwendeten eisernenVerbindungsteile erfüllen hier wohl nicht dieFunktion von Kalfatklammern, da keinerleiHinweise auf ein Abdichtungsmaterial oder eineschützende Abdeckleiste (Sintelholz) entdecktwurden. Ob beim Wrack von Untermatt verborgeneDübel zusätzlich die seitlichen Plankenzusammenhalten, konnte bei den Tauchgängenbislang nicht festgestellt werden.Für die Verwendung derartiger eiserner Klammernstehen nicht nur archäologische Vergleicheaus anderen Gewässerregionen, sondern auchschriftliche und bildliche Belege vom VierwaldstätterSee selbst zur Verfügung. In der „Urkundund Ordnung um die Niederwässer Schiffahrtanno 1739 6. Februar“ wurde zur Hebung derSchifffahrt auf der Reuss eine neue Verordnungerlassen, welche eine vollständige Reorganisationderselben in rechtlicher und faktischer Hinsichtbedeutete. Neben allen von Alters her gebräuchlichenRechten wird dabei auch die prüfende Besichtigungder Schiffe durch den Schiffmeisteraufgeführt: „… ob eß (das Schiff) zu diser Fahrtannoch sicher und gut sein oder nit, worbei wir dieSchiffleut zu mehrerer Sicherheit der Persohnenund der Wahren, und auf daß die Schiffahrt widerumbzu guotem Ruof gelange ernstlichen dahinvermanet haben wollen, daß sie von denen Schiffennicht alle Fysten-Nägel undt Klammeren ausheben.“16 Gemäß der Luzerner Schiffmacher-Ordnungvon 1590 fielen alle ausrangierten Schiffedem Schiffmeister zur Belohnung zu, mit Ausnahmeder „Kettenen, Jochbänder und alles ysenso geschmid so guott zuo einem anderen Schiff sinmöchte.“ 17 Man darf unter dem geschmiedetenEisen, das hier beim Bau neuer, vermutlich rechtkurzlebiger Schiffe im 16. Jahrhundert wiederverwendet wurde, wohl durchaus die bekanntenmetallenen Verbindungsstücke suchen. DieseAnnahme wird durch Darstellungen in derChronik des Diebold Schilling aus dem Jahr1513 ebenso bestärkt wie drei Jahrhundertespäter – ungefähr in der Bauzeit des Untermatt-Nauens – auf einer Abbildung des mächtigenUrner Lastsegelschiffs.


Schiffsarchäologische Pionierarbeit …Damit darf als gesichert gelten, dass die Klammernnicht mit dem Abdichtungsverfahren desFahrzeugs (Festhalten einer nahtabdeckendenHolzlatte mittels Sintels), sondern mit der direktenPlankenverbindung selbst in Beziehungzu bringen sind. Auf welche Art die hölzerneSchiffschale am Vierwaldstätter See wasserdichtgehalten wurde, konnte in den bisherigenTauchgängen am Wrack nicht festgestellt werden.In einer unsicheren Quelle erscheint fürdie Lastschiffe auf dem Vierwaldstätter See einegestemmte Lindenbastschnur als organischerDichtstoff. 18 In den Schiffmacher-Ordnungenund weiteren schriftlichen Zeugnissen derLuzerner Werft erscheinen diese Begriffe resp.die davon abgeleitete Tätigkeit des Abdichtens(„Schäubmen“) vom 16. bis zum 19. Jahrhundertregelmäßig, sodass man davon ausgehendarf, das die Schiffe zumindest in diesem Zeitraumtatsächlich mit Lindenbast abgedichtetworden sind.Ökonomische Prämissen diktieren die Bautechnikneuzeitlicher Lastensegler in vielen GewässerlandschaftenMitteleuropas. Eine Plankeklinker an einer zweiten zu befestigen, ist technischweniger aufwändig und in kürzerer Zeitzu bewältigen als eine kraweele Plankenverbindungherzustellen, die den Handwerkern hoheGenauigkeit bei ihrer Arbeit abverlangt. Überder Schwimmwasserlinie der Fahrzeuge wurdenam Vierwaldstätter See die weiteren Plankengängedann zwar stumpf, aber wohl nur mehrmit eisernen Klammern zur fertigen Rumpfschalezusammengefügt und durch Holznägelmit den Gürben verbunden – eine im Vergleichzu anderen relativ anspruchslose und rasche, jabeinahe provisorisch anmutende Baumethode,die gleichzeitig auch ein schnelles und Substanzschonendes Abbrechen ausgedienter Schiffe gestattet.Damit ist die Frage nach der Betriebszeit derSchiffe auf dem Vierwaldstätter See gestellt.Schon die Regelung, nach der im späten 16.Jahrhundert alle ausgedienten Schiffe demSchiffmeister zur Belohnung zufielen, lässt aufeine eher geringe Lebensdauer der Frachtkähneschließen. Dass in jener Zeit die im Vergleichzum Schiffbauholz gewiss weniger abgenutztenund wertvolleren Metallteile beim Bau neuerSchiffe wieder verwendet wurden, bekräftigt dieVermutung von in vergleichsweise kurzen Abständenerneuerten Fahrzeugen. Konkretere Informationenzur Nutzungsdauer der hölzernenLastsegelschiffe liegen dann aus der Bauzeit desUntermatt-Nauens selbst vor. Aus zahlreichenSchriftquellen des 19. Jahrhunderts wird ersichtlich,dass die Schiffe in der Regel nicht längerals 3 Jahre in Gebrauch waren.Neben diesen Aussagen zur Bautechnik erlaubtdas Wrack von Untermatt auch Angaben zumAntrieb des Schiffes. Entsprechend den überliefertenBaumassen wurde an der vierten, massivenBodenwrange, d. h. ungefähr im vorderenDrittel des Rumpfes, der Segelmast (Baum) ineine rechteckige Ausnehmung eingesetzt – inderselben Art, wie dies auch bei den provinzialrömischenPlattbodenschiffen bewerkstelligtwurde.Wenn ein Schiffswrack einen Mastspant aufweist,muss auch eine Mastducht vorhandensein, die den Mast über der Mastspur abstützteund sicherte. Zwar ist beim Untermatt-Wrackdiese „Segelbanck“ genannte Ducht – wohl einAbb. 7: Bootsbauer in der Luzerner Werft. Ausschnitt aus demLuzerner Stadtprospekt von Martinus Martini, um 1580 (StA-LU PLA 5255).13Staatsarchiv Luzern (StALU) AKT A1 F7 Sch. 902A und 903, gilt für sämtlicheArchivnachweise.14Ob die unterste Seitenplanke tatsächlich über ihre gesamte Länge seitlich an – undnicht auf – der äußersten Bodenplanke „sitzt“, konnte nicht abschließend geklärtwerden. Der perfekte Erhaltungszustand des Schiffes ist in dieser Hinsicht manchmaletwas hinderlich, da kein Einblick in „versteckte“ Details gewonnen werden kann.15Den schriftlichen Überlieferungen zufolge sollten es 26 oder 28 Gürben, d.h. 13 oder14 Spantenpaare sein.16Zitiert nach A. Härry, Die historische Entwicklung der schweizerischen Verkehrswege.Zweiter Teil: Die Entwicklung der Binnenschifffahrt in der Schweiz. II. Diehistorische Entwicklung der Schiffahrt auf den anderen schweizerischen Flüssen. In:Jahrbuch des Nordostschweizerischen Verbandes für Schiffahrt Rhein−Bodensee St.Gallen für das Jahr 1917 (Frauenfeld 1918) 267−269.17Franz Haas-Zumbühl, Die Geschichte der Sankt-Niklausen-Schiffs-Gesellschaft derStadt Luzern (Luzern 1910) 115.18Bickel 1995, 266.45


NAU 14 2008Abb. 8: Untermatt-Wrack, Oberster Plankengang,binnenbords,mit kleinen eisernenKlammern (Foto:© Heidi Hostettler).Abb. 9: Untermatt-Wrack, Knagge steuerbordseitig(Foto:© Heidi Hostettler).Abb. 10: Rekonstruktion Untermatt-Wrack 2007, Detail mit Mastfuß und Knaggen(Zeichnung: Autoren).Abb. 11: Beispiel einesrechteckigen Mastfußesam Wrack „Sundlauen“aus dem 19. Jh. im ThunerSee, im Unter- matt-Wrack durch Ladungsresteverdeckt (Foto:Thomas Reitmaier).Abb. 12: Untermatt-Wrack, Heck steuerbordseitig(Foto: © HeidiHostettler).einfaches, quer zur Schiffsachse verlaufendesHolz mit einer halbkreisförmigen Ausnehmungzur Aufnahme des Masts – verloren gegangen,doch sind in die Oberkanten der Seitenbeplankungin diesem Bereich binnenbords zwei rechteckigeHölzer (Knaggen) eingelassen, in derenAusnehmung diese Mastducht fixiert war. Wiedas sicher aus mehreren Bahnen genähte Rechtecksegel– wahrscheinlich mittels Stoffschlaufen– an der Rah angeschlagen, über ein Rollenseil(Fall) aufgezogen und während der Fahrt bedientwerden konnte, zeigt am besten die schonbekannte Bruderschaftstafel von Uri aus demfrühen 19. Jahrhundert. Als zusätzlicher oder alternativerAntrieb dienten dem Schiff insgesamtdrei Ziehruder auf jeder Seite des Fahrzeugs,was die noch vorhandenen Löcher an der Oberkanteder abschließenden Seitenbeplankung beweisen.Ein bisher singulärer Befund konnte im Heckdes Lastschiffes dokumentiert werden. DasSteuern der Schiffe am Vierwaldstätter See miteinem einzigen durch eine Öffnung im Heckgesteckten Streichruder, wie in der eingangsabgebildeten Miniatur aus der Chronik DieboldSchillings von 1513, ist aus weiteren Abbildungenbis ins 19. Jahrhundert gut belegt. Dassoffenbar gelegentlich – oder bei bestimmtenSchiffstypen? – auch zwei Streichruder zurAnwendung gekommen sind, offenbaren diezwei im Achterschiff des Wracks vorhandenenStreichlöcher.Für den Vierwaldstätter See ist diese eigentümlicheSteuertechnik bisher lediglich in einemweiteren Fall belegt, und zwar auf einer Votivtafelaus dem späten 17. Jahrhundert. 19Das sturmgeplagte Schiff lässt sich problemlosals Nauen, ja genauer als Steinnauen für denTransport von Baumaterialien identifizieren,und zwar von derselben charakteristischen Art,wie ihn das 1986 unterhalb des Bürgenstocksaufgefundene Wrack von Untermatt repräsentiert.Dieses Wrack aus dem zweiten Viertel des19. Jahrhunderts ist zwar nicht direkt mit der abgebildetenHavarie zu verknüpfen, jedoch kannaufgrund der formalen Analogien die Verwendungvon zwei Streichrudern im Heck zumindestbis ins späte 17. Jahrhundert zurückverfolgtwerden. Nicht nur die Größenverhältnisse unddie bauliche Gestaltung, sondern auch die Antriebs-und Steuermittel der Lastensegler scheinenalso über mehrere Jahrhunderte bis in dieZeit des vorgestellten Lastschiffs um 1830/1840weitestgehend unverändert geblieben zu sein.Sämtliche Abbildungen vor der Einführung derFotografie zeigen eben diesen Bautypus.46


Schiffsarchäologische Pionierarbeit …Zeitgenosse und Nachfolger: Das Obermatt-WrackWenige Kilometer seeaufwärts vom Untermatt-Wrack am Bürgenstock liegt vor der benachbartenLiegenschaft Obermatt ein zweites Wrackeines hölzernen Lastsegelschiffes in einer Tiefevon ca. 25–28 m. Nach der Untersuchungmehrerer, wiederum aus Fichtenholz gesägterSchiffsplanken wurde das Lastschiff im drittenViertel des 19. Jahrhunderts gebaut und ist damitnur wenige Jahrzehnte bis Jahre jünger alsdas unweit gelegene Untermatt-Wrack. Trotzdemunterscheidet sich das nicht ganz so unversehrterhalten gebliebene, deutlich massigerwirkende Schiff in manchen Details deutlich.Abb. 13: Rekonstruktion Untermatt-Wrack 2007, Heckansicht steuerbordseitig(Zeichnung: Autoren).Mit dem gerade abschließenden Spiegelheck,dem daran angebrachten, zentralen Hecksteuerrudermit geschwungener Pinne, einem leichten,positiven Decksprung, dem fehlenden übergreifendenJochbalken im Vorschiff, zusätzlich aufden Schergang der kraweelen Schiffshaut aufgesetztenLäden zur Erhöhung der Bordwandmittschiffs sowie neuen, eisernen und vorwiegendindustriell erzeugten Verbindungselementen(Bolzen, Niete, Winkelprofile als Ersatz fürnatürlich gewachsene Krummhölzer) unterscheidensich diese Fahrzeuge ganz deutlich vonden älteren Nauen, zu denen das noch wenigeJahre zuvor gebaute Untermatt-Wrack gehört.Diese andersartigen Schiffe kennzeichnet mitunterauch eine knapp bis über die Schwimmwasserlinieangebrachte, dunkle Bemalung(Teer-Beschichtung?) – wohl für einen bessereBeständigkeit des Holzes – sowie ein kleinesHüttendeck mit Kamin im Achterschiff. Ebenfallsauf den Fotografien nachzuweisen ist dieKimmkonstruktion des Obermatt-Wracks mitauf den flachen Schiffsboden gesetzten Seitenplanken.Einzig gleich geblieben ist offensichtlichder Antrieb mit den langen Rudern undeinem einfachen Rahsegel.Verständlich wird dadurch die Unterscheidungim Reglement der neu gegründeten Schiffer-gesellschaftvon Luzern von 1836, dem Jahr derAufhebung der ehemals obrigkeitlichen Monopolwerft,welche für die „nicht gemalten Schiffe“eine Lebensdauer von drei Jahren, für „die gemaltenSchiffe“ hingegen eine von fünf Jahrenvorschreibt. Diese Zweiteilung ist überdies inderselben Form regelmäßig in den aus jener Zeitüberlieferten Inventaren des Luzerner Schiffsamteserhalten, sodass auch daraus verschiedeneLastschifftypen für die Zeit der 1830er und1840er Jahre auf dem Vierwaldstätter See nachweisbarwerden. 20Die grundlegende Veränderungen im Schiffbauwaren nicht zuletzt dem Einsatz von Dampfschiffengeschuldet: Schwere Lastsegler wurden19Hans von Matt, Votivkunst in Nidwalden (Stans1976) 258, mit Datierungsvorschlag vor 1741. Die Votivtafel,ursprünglich aus der Ridlikapelle/Beckenried,befindet sich heute im Depot des Historischen Museumsvon Stans/NW; Inv.−Nr. 285, Öl auf Holz, H 38,8cm, B 50 cm. Eine versuchte Dendrodatierung der Tafelbrachte leider keinen Erfolg.20H aas-Zumbühl 1910, 161 und Inventare des Schiffsamtesin StALU AKT A 1 F7 Sch. 903.aAbb. 14a–b; 15: Rekonstruktion(oben) und Original (unten)Untermatt-Wrack 2007, Heck-Details mit Streichloch am Heck(Zeichnung: Autoren; Foto: ThomasReitmaier).b47


NAU 14 2008Abb. 16: Lastensegler mit Sandladung (Steinnauen?) mit zweiStreichrudern im Heck auf einer Votivtafel aus der Ridlikapelle/Beckenried,wohl aus dem 17. Jh. (Nidwaldner Museum, Stans. Foto:Th. Reitmaier).Schiffgesellschaft schildert: „Kraftvoll leitete erdas Gesellschaftsschiff durch alle Klippen der Konkurrenzund der stets sich veränderten Verkehrsverhältnisse.[…] Unter ihm wurden die Jahrhundertealten Fahrverhältnisse den neuern, mehrdem Reisepublikum angepassten Ansichten umgearbeitet;die alten Nauen machten den leichternSchaluppen Platz, die Jassen [kleine Nauen] gefälligenSegelschiffen: Der Schiffspark vermehrte sichums dreifache.“ 21 Hier taucht mit dem Begriffder Schaluppe zum ersten Mal neben den durchdie Jahrhunderte gleich benannten Nauen undJassen in ihren unterschiedlichen Variationenein neuer Schifftypus in Luzern auf – eine Bauform,die im übrigen mit der Konstruktion einesKanonenboots (chaloupe) für die französischenBesatzungstruppen 1798 am VierwaldstätterSee in Verbindung gebracht werden kann. 22FazitAbb. 17: Lastensegler vomälteren Typus des Untermatt-Nauensan derrechtsufrigen Liegestellein Luzern, Detail ausdem Schumacherplan von1792 (StALU PLA 5258).Unverkennbar die Verwandtschaftzum eingangsgezeigten Nauen aus demJahr 1513 in der Chronikdes Diebold Schilling an dergleichen Stelle vor Luzern.48durch leichtere, flexibler einsetzbare Schiffe ersetzt.Prägnant und auch etwas schönfärberischschildert diesen Wandel ein Chronist, der dieAmtsjahre von Alois Bättig, 1848–1882 Präsidentder seit 1357 bestehenden St. Niklausen-21Haas-Zumbühl 1910, 125.22Hubert Foerster, L‘Unité, das Luzerner Kanonenboot1798−1802. In: Der Geschichtsfreund 131 (1978) 19−28.23Heinz Amstad, Schwalmis ade. In: Dampferzeitung 10Jahrgang 3, 1981, 14–17.Vom Spätmittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhundertsübten ökonomische Entwicklungenund der verschärfte Wettbewerb im Wassertransportüber den Vierwaldstätter See offensichtlichnur wenig Einfluss auf den vorindustriellenHolzschiffbau in Luzern aus. Das Wrack vorUntermatt dürfte einer der letzten Vertreter auseiner langen, ununterbrochenen Bautraditionsein. Erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundertsforcierten dann politische und wirtschaftliche,aber wohl ebenso die rasanten technischenVeränderungen (Dampfschifffahrt, Eisenbahn,Straßenbau) – über den Umweg militärischenKriegsschiffbaus wie auch am Bodensee oderGenfersee? – auch die technische Modernisierungim Lastschiffbau. Im zuvor streng organisiertenund festgeschriebenen Schifferhandwerkkonnte oder musste sich technisch Neues scheinbarnicht durchsetzen, sofern überhaupt dafürBedarf bestanden hatte – denn Vorbilder oderalternative Konzepte aus anderen, benachbartenGewässerregionen hätte es selbstredend auchschon früher gegeben. Mit der Befreiung derSchifffahrt nach 1798 verstießen Innovationendann aber nicht mehr gegen althergebrachteNormen und Konventionen und heizten außerdemkeinen unerwünschten Wettbewerb unterden Zunftmitgliedern an. Denkbar ist folglich,dass ab ca. 1800, spätestens aber 1836 mit derPrivatisierung und Übernahme der LuzernerSchiffshütte durch die erneuerte St. Niklausen-Schiffgesellschaft, auch die Pläne und Fertigkeitender wenig zuvor gebauten Kanonenschaluppenin den traditionellen Bootsbau überge-


Schiffsarchäologische Pionierarbeit …gangen sind und diesen stark beeinflusst haben.So konnten rasch andersartige Schiffsformendas Gewässer erschließen. Das Obermatt-Wrackgehört dann bereits zu dieser neuen Generationin der letzten Ära der hölzernen Lastenseglerauf dem Vierwaldstätter See, während das Untermatt-Wrackden älteren, traditionellen Bautypusseit dem Spätmittelalter repräsentiert.Im September 1980 wurde der letzte Holznauendes Vierwaldstättersees, die „Schwalmis“ mitBaujahr 1923/24, in der Rotzloch-Werft abgewrackt.Entsprechende Bemühungen, das Lastschiffzu retten, scheiterten damals. 23Anschriften der VerfasserDr. Gregor EgloffReckenbühlstrasse 7CH-6005 Luzerngregor.egloff@lu.chDr. Thomas ReitmaierZiegelstr. 17CH-8038 Züricht.reitmaier@access.uzh.chAbb. 18: Lastensegler vom jüngeren Typus des Obermatt-Nauens an derlinksufrigen Liegestelle in Luzern, zweite Hälfte 19. Jahrhundert (Abbildung:Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern). Aus der zweiten Hälftedes 19. Jahrhunderts stehen mehrere sehr qualitätsvolle und schiffsarchäologischwertvolle Fotografien zur Verfügung, die neugestaltige Lastschiffe anden Ufern der Stadt Luzern zeigen, oft bereits zusammen mit Dampfschiffenim Hintergrund.Dear colleague,We have the pleasure of informing you that the 12th International Symposium on Boat and Ship Archaeology (ISBSA) will be held atthe Suna and Inan Kıraç Foundation Pera Museum in Istanbul, on 12–16 October, 2009.Please visit our web-site www.isbsa.org for further information. We would like to invite you to share this information with yourcolleagues.We wish you the very best in your work and look forward to seeing you at ourupcoming symposium.Best regards,Prof. Dr. Nergis GÜNSENINISBSA 12 Secretaryisbsa12@isbsa.org49


NAU 14 2008Brücken stellten seit jeher eine technische Herausforderung dar. Antike und mittelalterlicheBaumeister errichteten Steinbrücken, die zum Teil noch heute in Benutzung sind. Vonhölzernen Übergängen haben sich lediglich Spuren im feuchten Untergrund erhalten.Ziel des Kongresses ist es, auf der Grundlage archäologischer Befunde und ihres historischenKontextes die Standorte, die Entwicklung und die Konstruktionstechnik von Brücken in denverschiedenen Regionen und Ländern aufzuzeigen. Der zeitliche Rahmen reicht dabei vonden frühesten Anfängen bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts.In den Vorträgen und Posterpräsentationen sollen darüber hinaus Methoden derGrabungstechnik im Wasser und zu Lande sowie denkmalpflegerische Belange berücksichtigtwerden.Veranstaltungsort ist Regensburg (im Salzstadel an der Steinernen Brücke), dessenmittelalterliche Altstadt seit 2006 in die UNESCO-Weltkulturerbe-Liste aufgenommen wurde.Mit der spätestens im Jahre 1147 fertig gestellten Steinernen Brücke über die Donau weistRegensburg eines der imposantesten mittelalterlichen Brückenbauwerke Europas auf.KONTAKT & ANMELDUNGDr. Marcus Prell Tel. +49 8431 539282Kongress-Sekretariatbridges2009@t-online.deKreuter Weg 6www.bgfu.de86633 Neuburg an der DonauDeutschlandKongressveranstalter:• Bayerische Gesellschaft für Unterwasserarchäologie e. V.• Kommission für Unterwasserarchäologie im Verband der Landesarchäologen in derBundesrepublik DeutschlandPartnerorganisationen:• Amt für Archiv und Denkmalpflege, Stadt Regensburg• Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege• Deutsche Wasserhistorische Gesellschaft• Universität Wien, Vienna Institute for Archaeological ScienceBayerische Gesellschaft f ürUNTERWASSERARCHÄOLOGIE e.V.Verband derLandesarchäologenin de r B unde sr epu bl ikD eut sc hlan d50


Die befestigte frühbronzezeitliche Siedlung Bruszczewo:Metallproduktion, Feuchtbodenbefundeund ökologischer Kollaps?Jutta Kneisel, <strong>Janus</strong>z Czebreszuk, Walter Dörfler, Piet Grootes, Jean Nicolas Haas,Karl-Uwe Heussner, Sabine Karg, Helmut Kroll, Johannes Müller,Notburga Wahlmüller und Tomasz WaznyZusammenfassungDie seit mehren Jahren stattfindenden Ausgrabungen in Bruszczewo, Großpolen, belegen eine frühbronzezeitlicheSeeufersiedlung von zentraler Bedeutung. Die Untersuchungen – mit zum Teil vorherrschenden Erhaltungsbedingungenim Feuchtboden – ergaben ein geschlossenes Befestigungssystem, bestehend aus Graben und Palisade und einerdreireihigen Befestigung im Feuchtboden. Zudem konnten die ersten Hausgrundrisse und Holzkonstruktionen imZusammenhang mit frühbronzezeitlichen Komplexen in Polen geborgen werden. 14 C-Daten und dendrochronologischeUntersuchungen ermöglichen detaillierte Aussagen zum Siedlungsverlauf. Anhand der naturwissenschaftlichenUntersuchungen gelingt eine Rekonstruktion der Umwelt, die sich im Laufe der Besiedlung von einer bewaldeten zueiner offenen Landschaft wandelt. Die im Seeprofil erkennbaren Verunreinigungen weisen gegen Ende der Siedlungauf toxische Wasserverhältnisse hin, die möglicherweise zu einem ökologischen Kollaps führten.AbstractFor several years the site Bruszczewo, Greater Poland, has been excavated yielding an Early Bronze Age settlement ofsupra-regional importance situated at a oxbow lake. The exploration – of partly wet area preservation – confirmed aclosed fortification system comprising a ditch, palisades and a three lined fortification in the wet area. Furthermore,it was possible to excavate the first houses and wooden constructions of Early Bronze Age Poland. 14 C-analyses anddendrochronological data describe the chronological development of the settlement. Based on palynology, macrofossilsand dendrology the reconstruction of the environment is possible: the forested environment changed to open landscape.In the lake profile impurities indicate a toxic water quality, which – towards the end of the settlement – might haveled to an ecological collapse.Die frühbronzezeitliche Siedlung Bruszczewoliegt im Bereich der flachwelligen Grund- undEndmoränenlandschaft Großpolens am FlussSamica. Der Fundplatz selbst befindet sich aufeiner weichselkaltzeitlichen Terrasse, die sichca. fünf Meter über der Samica-Niederung imSüdosten und Osten erhebt. In der Niederungliegt das im 19. Jh. meliorierte Niederungsmoor.Algengyttja und Seekreidebildungen weisen sedimentologischdarauf hin, dass sich hier nochbis vor 150 Jahren zeitweise ein stehendes Gewässerbefand (Müller/Czebreszuk 2004,39). Pollenprofile belegen am Fuße der Terrassenoch bis in die Neuzeit hinein einen ausgedehnterAltarmsee (Haas/Wahlmüller im Druck).In diesem siedlungsgünstigen Areal konntenUntersuchungen des Museums Poznań seit den1960er Jahren ein reichhaltiges Siedlungsmaterialder Früh- und Spätbronzezeit nachweisen.Die neueren Grabungen finden seit 1999 in Kooperationvon <strong>Janus</strong>z Czebreszuk (UniversitätPoznań) mit Johannes Müller (Universität Kiel)in Bruszczewo statt. Neben umfangreichen Keramikinventarenund einer entwickelten Geweih-und Knochengeräteindustrie belegen Gussformen,Tondüsen, Halbfertig- und Abfallprodukteein regionales Metallproduktionszentrum(Rassmann 2004; ders. im Druck). Die Untersuchungender letzten Jahre konzentrierten sichauf die ausgedehnten Befestigungsanlagen, denerosionsgefährdeten Bereich im Südosten derTerrasse und den Uferrandbereich im östlichenFeuchtbodenareal. Die Zusammenarbeit mitPollenanalytikern, Großrestbotanikern, Geo-51


NAU 14 2008Die BefestigungAbb. 1: Gesamtplan der geomagnetischen Prospektion aus den Jahren 2003–2005(Grafik: B. Ducke).52morphologen, Dendrologen, Zoologen und Metallurgenermöglicht umfangreiche Aussagenzu den Umwelt- und Lebensbedingungen derfrühbronzezeitlichen Siedler. Aufgrund der organischenErhaltung sind die Befunde aus demNiederungsgebiet für die Frühbronzezeit imGebiet nördlich der Alpen weitgehend singulär.Die zahlreichen Metall- und Keramikinventareweisen auf Verbindungen zum Aunjetitzer Kreishin. Somit liegen mit dem Fundplatz erstmalsFeuchtbodenbefunde dieser Kulturerscheinungvor. Die Pollen-, Dendro- und Großrestanalysenbelegen zudem eine deutliche Übernutzung dernatürlichen Ressourcen gegen Ende der Besiedlung.In diesem Aufsatz sollen überblickartigdie wichtigsten Befunde der letzten fünf Grabungskampagnenund die neusten Ergebnisseder naturwissenschaftlichen Untersuchungenvorgestellt werden.1Der Begriff Faschine wird dem der Palisade vorgezogen,da es sich um Flechtwerkwände unterschiedlicher Stärkehandelt. Sie dienten weniger der Uferbefestigung, sondernhatten auch fortifikatorische Funktion und sind alsFortsetzung der Palisade im Mineralboden zu sehen.Die Siedlung auf dem Sporn war vom Hinterlanddurch einen Graben getrennt, der dennordwestlichen Bereich umschloss und derdurch zwei Palisadenreihen verstärkt wurde(Abb. 1). Im Nordwesten befand sich der Zugangzur Siedlung. Die Strukturen zeichnetensich deutlich in der geomagnetischen Prospektionab. Grabungen an entsprechenden Stellenergaben einen zwischen 10 und 20 m breitenGraben, der bis zu 4,50 m tief war.Im Jahre 2006 fanden Untersuchungen imTorbereich im Nordwesten der Siedlung statt(Schnitt 51, Abb. 2). Zeigte sich bereits in dergeomagnetischen Untersuchung in diesem Bereicheine Lücke, konnte nun erstmals die Torsituationgroßflächig erfasst werden. Der Grabenverjüngt sich an dieser Stelle und ist nur noch 10m breit. Wie bereits in den nördlichen und westlichenGrabenschnitten (Czebreszuk 2004, 79ff; Müller 2004a, 93 ff.; Czebreszuk et al.2004, 71 ff.) weisen zwei breite Lehmbändermit Pfahlspuren auf eine zweireihige Pfostenreihebzw. Palisade (Abb. 2) hin. Die ältestenim unteren Bereich erhaltenen Hölzer datierenmit 14 C–Daten ins 21.–19. Jh. v. Chr. (Czebreszuk/Müller2003, 456 f.). Eine leicht ovale,stark holzkohlehaltige Verfärbung lässt sich alsabgebrannter Torbereich interpretieren. Zwei14C-Daten, einmal vom Tor und einmal ausder Palisade datieren die oberen Schichten desTorbereichs in die 2. Hälfte des 18. bis 17. Jh.v. Chr. (Poz-18324 3390±35 BP 1740–1630 calBC, Tierknochen). Die stark holzkohlehaltigenSchichten weisen gegen Ende der Besiedlung aufein Brandereignis im Torbereich hin. Die Befestigungzum Hinterland im NW wurde mehrmalserneuert und hatte über 200 Jahre Bestand(Czebreszuk et al. 2004, 73 Abb. 27).Die Befestigung im FeuchtbodenDie Befestigungsanlagen am Uferrandbereichbzw. im östlichen Feuchtbodenareal sind aufgrunddes hohen Grundwasserstandes ausgesprochengut erhalten. Der östliche Befestigungsringbesteht aus zwei Flechtwerkreihen(Faschinen) 1 von unterschiedlicher Mächtigkeitund einer Balkenwand (Abb. 3). Dank der organischenErhaltungsbedingungen war es möglichdie komplette Struktur der Befestigung amöstlichen Rand der Siedlung zu erfassen. Amdeutlichsten zeigte sich die Struktur in Schnitt30. Zwei Faschinenkonstruktionen folgen im


Die befestigte frühbronzezeitliche Siedlung BruszczewoAbstand von 2,5–3,0 m aufeinander. Die landseitigeFaschine weist nur dünne Spannruten(bis 4 cm Dm.) auf. Die Spannruten der seeseitigenFaschine messen bis zu 8 cm im Durchmesser,zudem gründen ihre Pfähle wesentlichtiefer (bis 1,50 m). Auch die Durchmesser derPfähle unterscheiden sich zugunsten der seewärtsgerichteten Faschine. Östlich der seeseitigenFaschine liegt in ca. einem Meter Abstandeine weitere Befestigung (Abb. 3), bestehend auseiner Doppelpfahlreihe mit eingelegter Balkenlage(Balkenwand). Die Errichtung der drei Befestigungsreihenerfolgte anhand der Fälldatenim Abstand von 10 Jahren. Es ist zu vermuten,dass die beiden Faschinenreihen auch nach derErrichtung der Doppelpfahlkonstruktion imJahr 1787 v. Chr. (dendro) noch sichtbar waren(Wazny im Druck). In allen bisher untersuchtenFlächen im Feuchtbodenareal (Schnitt15 und 17) konnte die dreireihige Befestigungerfasst werden. Die Höhe der Faschinen ist aufgrundvon umgestürzten Pfählen auf mindestens2,60 m zu schätzen.Die Wohnstruktur 1 befindet sich in Schnitt 30westlich der landseitigen Faschine und reichtbereits in den Mineralbodenbereich hinein. Siebesteht aus ca. 26 kleineren Pfählen, die im Gegensatzzu den Faschinenpfählen (Rundhölzer)aus Spalthölzern bestehen. Eine rechtwinklige,stark zergangene Balkenkonstruktion und eineFeuerstelle bestätigen die Interpretation alsHausareal. 14 C-Proben aus der Feuerstelle undder Kulturschicht datieren die Konstruktion indas 19.–17. vorchristliche Jahrhundert (Kneiselim Druck).Die Wohnstruktur 2 befindet sich westlich derlandseitigen Faschine in Schnitt 31, nördlich derersten Wohnstruktur (Abb. 4). Dort konnten inden letzten drei Jahren ebenfalls zahlreiche Pfähleund eine rechtwinklige Balkenkonstruktionfreigelegt werden. Die Holzkonstruktion misst3,6 x 1,7 m und besteht aus zwei Längs- undAbb. 2: Gesamtplan mitGrabungsschnitten undrekonstruiertem Verlauf derBefestigung (Stand 2006).Die ergrabene Befestigungsstruktur im Feuchtbodensteht im Gegensatz zu der geomagnetischenUntersuchung. Diese zeigte im Niederungsarealnur eine einreihige etwas breite undgrabenartige Anomalie an (Abb. 1). Entwederhandelt es sich dabei um die mächtigen Sandeinlagenzwischen den beiden Faschinen oderum die aus stärkeren Hölzern errichtete seeseitigeFaschine selbst. Allerdings könnten auch dieam westlichen Rand der seeseitigen Faschineangespülten Tonschichten als Ursache für dieseAnomalie angesehen werden. Alle drei Befundefehlen im Bereich der landseitigen Faschine undder Doppelpfahlreihe, die sich im geomagnetischenBild nicht erkennen lassen.S517575S15S31Wohnstrukturen im FeuchtbodenS52S30In der geomagnetischen Prospektion zeigte sichnur im Bereich des Schnittes 31 eine rechtwinkligeAnomalie, die bei der Untersuchungeine mächtige Balkenlagen mit z. T. verkohltenHölzern sowie eine umgestürzte Flechtwanderbrachten (Wohnstruktur 2, Abb. 1). Anderesichtbare Hausstrukturen fehlen im geomagnetischenBefund. Doch ergaben die Grabungender Jahre 2005–2007 erstmals die Überreste vonmehreren Häusern westlich der landseitigen Faschine.Noch fehlen komplette Hausgrundrisse,doch weisen die Ergebnisse auf vier unterschiedlicherhaltene Wohnstrukturen hin.N25mGrabenGraben, unsicherPfostenreihenDoppelpfahlreihe (3)landseitige Faschine (1)74seeseitige Faschine (2)Befundemoderner Wegmoderner Graben737271S171237053


NAU 14 2008Abb. 3: Rekonstruktionder dreireihigen Befestigungim Feuchtboden,Schnitt 30.54zwei Querbalken, die sich überlagern. Einer dieserLängsbalken ist an einem Ende mit großenSteinen verkeilt und steht auf drei Pfählen, diein die Unterseite des Balkens eingezapft sind.Unterhalb der Steinsetzung zieht sich eine dünneFlechtwerkwand bis unter den Längsbalken(Abb. 5, HA7447 Abb. 6). Der südliche Querbalken(HA5355 Abb. 6) wird von vier schräggesetzten Pfählen arretiert. Die Konstruktionerscheint, besonders durch die eingezapftenPfähle recht komplex. Zwischen den Balken ließensich immer wieder Ast- und Rindenlagensowie verspülte Tonflecken feststellen, die aufeine Bodenkonstruktion hinweisen. Erschwertwird die Deutung der Konstruktion durch denMineralboden weiter im Westen. Dort ließensich nur noch Holzschatten verfolgen, die zueinem Knüppelboden gehören (Abb. 4).Die gesamte Konstruktion ist mit Schwellbalkenkonstruktionenvergleichbar, wie sie ausanderen Feuchtbodensiedlungen nördlich derAlpen bekannt sind. So konnten in Ürschhausen-Hornverschiedene Bodenkonstruktionenbeobachtet werden. Hartmut Gollnisch-Moosunterscheidet verschiedene Substruktionsebenen,zu denen Wandschwellen, Unterzüge unddie Schiftung gehören, die der Nivellierung desUntergrundes dienen (Gollnisch-Moos 1999,22 ff.). Lehmestriche auf Rinden- und Astlagensind in Ürschhausen-Horn u. a. in Haus 5belegt (Ebd. 34, Abb. 50). Eine ähnliche Balkenkonstruktionmit organischer Erhaltung istaus der Slowakei bekannt. Aus Mad‘arovce Zusammenhängenstammt die von Anton Točíkveröffentlichte und ebenfalls befestigte SiedlungNitransky Hrádok-Zámecek. Das Haus 6 dieserAnlage besteht aus einer quadratischen Grundflächevon 2,70 m 2 . Als Fußboden ließen sichstark vermoderte Reste eines Holzbohlenbelagesausmachen. Die Bohlen lagen im Abstand von0,50 m und waren ca. 25 cm breit. Über denBohlen lagen zwei Querbalken (Točík 1981 Taf.19,3).Parallelen für die eingezapfte Konstruktion derPfähle in Bruszczewo fehlen bisher. Ein mächtigerPfahl an der Ecke der Balkenkonstruktionweist bisher das jüngste Fälldatum der Siedlung(1779 v. Chr.) auf.Eine dritte Wohnstruktur liegt ebenfalls imÜbergangsbereich zwischen Feucht- und Mineralboden.Westlich der Wohnstruktur 1, überdecktvon Hangkolluvien und dem Aushubeines modernen Bewässerungsgrabens, lag eineweitere Wohnstruktur in Schnitt 52 (Abb. 2).Vor einer verkohlten Balkenwand im Westenfand sich eine verstürzte Wand aus gebranntenund ungebrannten Tonlagen. Dazwischen lagweitläufig verteilt ein großer, verkohlter Getreidevorrat.Die Schichten einer vierten, östlich anschließendenWohnstruktur ließen sich bis in denFeuchtboden verfolgen. Der verkohlten Balkenwandgegenüber, acht Meter weiter östlich, befandsich ein mächtiger, unten flach zugehauenerEichenpfosten (Dm. 16,5 cm) in einem Pfostenloch.Hinter dem Pfosten stand senkrechteine breite Bohle (25 cm breit, 3–6 cm dick undnoch 32 cm hoch erhalten) aus Kiefernholz,die vermutlich einen Teil einer Wand bildete


Die befestigte frühbronzezeitliche Siedlung Bruszczewo(Abb. 7). Aufgrund der kleinen Grabungsschnittekonnten die Strukturen nur in ihrerGesamtbreite von 4–5 m erfasst werden. Überdie absolute Länge von mehr als 8 m lassen sichvorerst keine Aussagen treffen. Die Nord-SüdOrientierung entspricht nicht der Ausrichtungder typischen Aunjetitzer Hausgrundrisse (Nadler2000, 42 Abb. 4).Die stratigraphische Lage der Kulturschichtenweist diese Wohnstruktur ebenfalls als frühbronzezeitlichaus.HölzerDie Holzanalysen erlauben Aussagen zu dengenutzten Ressourcen und zu selektiver Holznutzungder frühbronzezeitlichen Siedlung vonBruszczewo. Ein Großteil der Pfähle konnte bereitsvon Helmut Kroll analysiert werden. EineReihe von kleinen Pfählen vor der Balkenkonstruktion(Wohnstruktur 2) ist als Hainbuchenhölzerbestimmt. Auch die verstürzten Hölzerin der Umgebung der Wohnstruktur 2 bestehenmeist aus Hainbuche. Die Schwellbalken sowiedie Mehrheit der Befestigungsanlagen bestehenhingegen aus Eichen- und Eschenstämmen.Offensichtlich fand eine selektive Auswahl derHölzer statt (Abb. 8). Die seeseitige Faschineund die Doppelpfahlreihen bestehen durchgehendaus mächtigen Eichenhölzern, lediglich ineiner Grabungsfläche sind drei der Faschinenpfähleaus Eschenholz. Die landseitige Faschineist dagegen mit unterschiedlichen Hölzern (Eiche,Erle und Hainbuche) errichtet (Kneisel/Kroll im Druck).Nach Aussagen der Dendrologen zeigen sich inden meisten Hölzern nichthomogene und kurzeJahrringfolgen (Wazny im Druck). Der Verlaufder Jahrringkurven weist nach Tomasz Waznyauf unterschiedliche ökologische Bedingungenhin, die das Wachstum der einzelnen Bäume beeinflussthaben. Die Wachstumskurven sprechendemnach eher für kleine Baumgruppen und gegeneinen dichten Waldbestand. Die Qualitätder Altersstruktur des Baum-Materials sowie dieVerwendung unterschiedlicher Holzarten (auchvon Holzsorten, die für den Feuchtbau ungeeignetsind) sind ein Beleg für eine weitgehendeEntwaldung der Umgebung des Fundplatzes.Bäume aus einem primären Wald besitzen einehomogene Jahrringstruktur, die im Probenmaterialdes Fundplatzes jedoch fehlt. Dies ist einBild, das sich auch in den verschiedenen Pollendiagrammenwiderspiegelt (Wazny im Druck;Haas/Wahlmüller im Druck).GroßresteDie Bestimmung der Großreste durch HelmutKroll erbrachte ebenfalls Hinweise für eine Auflichtungder Siedlungslandschaft um den Fundplatzherum. Eine hohe Zahl von Weideunkräuternweist auf nasses, gestörtes Weidelandohne Baumbestand hin. Eine Reihe von Ruderalkräuternund Wasserpflanzen belegen diegestörte Grasnarbe im Uferbereich, deren Ursachenim Viehtritt bzw. in der menschlichenNutzung (Begehung) zu suchen sind. Pflanzenwie: Minzen Mentha, Sumpfbinsen Eleocharis,Froschlöffel Alisma, die Zweizahnarten Bidens,einige Binsenarten (vor allem Juncus bufonius),Hahnenfußarten (u. a. Ranunculus sceleratus undRanunculus flammula), Wolfstrapp Lycopus unddas Gänsefingerkraut Potentilla anserina zeigendie gestörten, zertretenen und beweideten Uferbereichean (Kroll im Druck). Sammelfrüchtewie Erdbeeren Fragaria, Himbeeren und Brombeerender Gattung Rubus, Hagebutten Rosa,Holunder Sambucus nigra, Weißdornarten Crataegusund Schlehe Prunus spinosa belegen eineLichtung des Waldes. Nach Helmut Kroll lässtsich aufgrund dieser Pflanzen eine offene Parklandschaftfür die frühe Bronzezeit rekonstruieren,die durch das freilaufende oder gehüteteVieh offen gehalten wurde.Abb. 4: Gesamtplan von Schnitt 31 mit den Holzbalken und Holzschatten derWohnstruktur 2 im Übergangsbereich von Feucht- zu Mineralboden.55


NAU 14 2008Brennnessel Urtica dioica und Giersch Aegopodiumbelegen zudem ein feuchtes, nährstoffreichesSiedlungsumfeld.In den frühbronzezeitlichen Siedlungsschichtenfanden sich immer wieder größere Lagen Mist,die frisch ergraben eindeutig rochen. In Schnitt15 wurden Mistschichten als Anlagerung an dielandseitige Faschine beobachtet (Müller 2004b,106 Abb. 47–48). In den Schnitten 30 und 31kam es immer wieder zu Konzentrationen undkleinen Vorkommen im Siedlungsmaterial. Besondersim Faschinenbereich zeigten sich größereFlächen von Mist (bis zu 1 m 2 ), deutlichdurch festere Konsistenz und Geruch erkennbar.Die Einbringung von Mist in den Uferbereichmag auf Dungentsorgung in diesen Bereichenhinweisen. Eine Verwendung zu Dämmzweckenwäre allerdings ebenso denkbar.PalynologieAbb. 5: Ostprofil des Balkens Schnitt 31, Fläche 7. Links dieFaschine, nach rechts einer der eingezapften Pfähle, einer derLängsbalken, Pfahlverzug des zweiten eingezapften Balkens. DieFaschinenhölzer enden am zweiten erkennbaren Pfahlverzug in derMitte des Balkens.Abb. 6: Rekonstruktionszeichnung der Balkenlage in Schnitt 31und aller zusammenhängender Pfähle und Balken.Die Pollen- und Extrafossilanalysen unterstützendas Bild der dendrologischen Ergebnisse undder Großrestanalysen. Von den drei entnommenBohrkernen entstammt ein sieben Meter langesSee-Standard-Pollenprofil ca. 200 m östlichder Siedlung aus dem Zentrum des ehemaligenAltarmsees. Zwei weitere, kürzere Profile stammenaus dem Siedlungsareal im Feuchtboden(Haas/Wahlmüller im Druck). 2 Während dasSee-Profil Aussagen zum Bewuchs der unmittelbarenUmgebung der Siedlung ermöglicht,können mit den Profilen aus der Siedlung Aussagenzur Schichtgenese und der unmittelbarenSiedlungssituation getroffen werden.Die Transgressionsschicht, die in Schnitt 31im Bohrprofil erfasst wurde und reiches Materialder Früh- und Spätbronze-/Früheisenzeitbarg, ergab ein sehr einheitliches Pollenspektrum,das auf eine kurzfristige Schichtakkumulationschließen lässt. Vermutlich handelt essich hier um ein größeres Hochwasserereignis,das die frühbronzezeitlichen Schichten in allenBereichen des Feuchtbodens mit sandigemMaterial überlagerte. 3 Der Mangel an Wasserpflanzenin den unteren, d. h. frühbronzezeitlichenSchichten, und die Zunahme derselbenin den spätbronzezeitlichen Horizonten belegenzudem einen allmählichen Anstieg des Seespiegels,dessen Ursache u. a. in der Entwaldung derUmgebung begründet sein könnte. Vor allemim See-Profil setzt am Beginn des 2. Jahrtausends,mit den ersten Spuren einer bronzezeitlichenBesiedlung, eine deutliche Abnahme desAbb. 7: Pfosten (P) der Wohnstruktur 4 mit daneben stehenderBohle (B) in derselben Pfostengrube. Die darüber liegende dunkleKulturschicht gehört zum Haushorizont.2Ein viertes bearbeitete Sarah Diers im Rahmen ihrerDiplomarbeit. Dieses Profil ist vier Meter nördlich derWohnstruktur 1 situiert und liegt in Schnitt 30 (Diers2007; dies. im Druck).3Freundl. Mitt. Iwona Hildebrandt-Radke.56


Die befestigte frühbronzezeitliche Siedlung BruszczewoBaumpollens ein, was als Indiz für zunehmendeEntwaldung der Umgebung anzusehen ist. PeterD. Moore belegt in seiner Studie den menschlichenEinfluss auf die Entstehung von Niederungsgebietenu. a. in Großritannien, indemer den Anstieg des Grundwassers in direktenZusammenhang mit einer Entwaldung setzt.(Moore 1988, 117 Abb. 44; Ders. 1986, 90Abb. 6, bes. 91).Überraschende Ergebnisse erbrachten die Analysender Extrafossilien wie Algen und Pilzsporenim Seeprofil. Sie verdeutlichen eine zunehmendeEutrophierung des Sees. Pilzsporen derTaxa Sordariaceae, die deutliche Anzeiger fürDung sind, da sie nur auf Exkrementen wachsen(Haas/Wahlmüller im Druck), treten gehäuftauf. Ebenfalls in den frühbronzezeitlichen Abschnittfällt das Auftreten von PeitschenwurmeiernTrichuris, von Arcella und von Centropyxisecornis, die auf Einträge von Fäkalien imGewässer hinweisen. Die ebenfalls ansteigendeZahl von Glomus-Pilzsporen, einem Erosionsindikator,weist auf einen erosionsbedingtenNährstoffeintrag hin. Die Blaualgen Anabaenaliegen zudem in der zweithöchsten Konzentrationim Pollendiagramm des Sees vor. DieKonzentration dieser Algen im Seeprofil dürfteals ein direkter Hinweis auf toxische Wasserverhältnisseeinzustufen sein (Haas/Wahlmüllerim Druck).Sowohl die palynologischen Untersuchungenals auch die Ergebnisse der dendrologischen Untersuchungenund der Großrestanalysen belegeneine Auflichtung bzw. Entwaldung der Umgebung.Der See zeigt zudem deutliche Verunreinigungen,die auf einen hohen Nährstoffeintragzurückzuführen sind. Blaualgen treten in hohenKonzentrationen auf. Viehtrift führte vermutlichzu einer verstärkten Einbringung von Fäkalienin den See.Zum Ende der SiedlungNach den jüngsten Datierungen der Befestigungslagenim Feuchtboden endet die Siedlungvermutlich Mitte bis Ende des 18. Jhs. v. Chr.14C-Daten, die auf jüngere Komplexe der Mittelbronzezeithinweisen, fehlen und sind erstwieder aus spätbronze- bis früheisenzeitlichenBefunden vorhanden. Die Daten aus demFeuchtbodenareal decken sich mit den 14 C-Datenam Torbereich, so dass die Siedlung vermutlichgegen Mitte/Ende des 18. Jh. aufgegebenwurde. Auch in den Pollenprofilen lässt sich eineHolzart der PfähleAnzahlQuercus Eiche 67Alnus Erle 13Carpinus Hainbuche 9Fraxinus Esche 8Pinus Kiefer 6Ulmus Ulme 2Acer Ahorn 1Corylus Hasel 1Salix/Populus Weide/Pappel 1Tilia Linde 1Zunahme der Baumpollen verzeichnen, die umdiese Zeit mit einer Abnahme der Siedlungszeigereinhergeht. Die Brandspuren im Torbereichund im Bereich der Wohnstrukturen weisen aufein Feuer am Ende der jüngsten Besiedlung hin.Die Erneuerungen der Befestigungsanlage seitBeginn des 2. Jahrtausends enden zum Beginnder Mittelbronzezeit. Die Siedlung auf dem naturräumlichgünstigen Standort wird aufgegeben:ein Phänomen, das sich über weite GebieteGroßpolens und der Lausitz erstreckt. Hinweiseauf eine mittelbronzezeitliche Besiedlung fehlenentgegen früherer Annahmen in Bruszczewo,wie auch nur wenige mittelbronzezeitlicheNachweise aus dem gesamten Gebiet vorliegen.Aufgrund der naturwissenschaftlichen Untersuchungenlässt sich zumindest für den FundplatzBruszczewo eine Übernutzung der naturräumlichenRessourcen feststellen. GeeignetesBauholz fehlte, der See war stark eutroph unddas Wasser vermutlich toxisch. Die Entwaldungkann als eine der Ursachen für einen Anstieg desSeespiegels am Ende der frühbronzezeitlichenBesiedlung gesehen werden. Offensichtlich hatdie anfangs günstige naturräumliche Lage sichnun in eine eher siedlungsungünstige Lage gewandeltund der Standort wurde aufgegeben.Ob sich die Ursachen für den Siedlungsabbruchauch überregional belegen lassen, werden künftigePollenanalysen im Umfeld von Bruszczewozeigen. Bohrungen wurden im Jahre 2006 vonWalter Dörfler, Iwona Hildebrandt-Radke undihren Teams im Wonieśćsee, 15 km südöstlichvon Bruszczewo, durchgeführt. Das Profil wirdmomentan ausgewertet.Im Rahmen von Modellbildungen zu gesellschaftlichenEntwicklungen (u. a. Diamond2005) sind die Beobachtungen in Bruszczewohochinteressant: Ein aufstrebendes regionalesZentrum der Metallproduktion, das an überregionaleNetzwerke angeschlossen ist und offensichtlichdie kleinregionale Raumordnungdominiert (Czebreszuk/Müller 2004, 311f.),kollabiert wahrscheinlich aufgrund von un-Abb. 8: Holzarten derbisher holzanatomisch untersuchtenPfähle aus denSchnitten 30 und 31.57


NAU 14 2008kontrollierter Ressourcenverschwendung undmöglichem Missmanagement. Eine sich entwickelndegesellschaftliche Stratifikation führtkeineswegs nur zu innovativen Veränderungen,sondern kann schließlich zur Vernichtung dereigenen lokalen Umwelt führen.Anschrift der VerfasserInnenJutta, Kneisel, Walter Dörfler,Helmut Kroll, Johannes MüllerInstitut für Ur- und FrühgeschichteChristian-Albrechts-Universität zu KielJohanna-Mestorf-Str. 2-624098 Kieljutta.Kneisel@ufg.uni-kiel.dejohannes.mueller@ufg.uni-kiel.de<strong>Janus</strong>z CzebreszukInstytut PrahistoriiUniwersytetu im. A. MickiewiczaUl. Świe,ty Marcin 78PL-61-809 Poznańjancze@amu.edu.plJean-Nicolas Haas, Notburga WahlmüllerUniversity of InnsbruckInstitute of BotanySternwartestraße 15A-6020 InnsbruckJean-Nicolas.Haas@uibk.ac.atSabine Karg, Sabine.Karg@natmus.dkThomas Wazny, twazny@uni.torun.plKarl-Uwe Heussner, dendro@dainst.dePiet Grootes, pgrootes@leibniz.uni-kiel.deLiteraturGollnisch-Moos 1999: H. Gollnisch-Moos,Ürschhausen-Horn. Haus- und Siedlungsstrukturender spätbronzezeitlichen Siedlung. Forschungen imSeebachtal 3. Archäologie im Thurgau 7 (Frauenfeld1999).Czebreszuk 2003: J. Czebreszuk, Stratigraphien deszentralen Siedlungsareales und des Grabens. In: J.Czebreszuk/Müller (Hrsg.), Bruszczewo I. 79–92.Kneisel im Druck: J. Kneisel, Grabungsbericht derJahre 2004–2006. Bruszczewo II (im Druck).J. Czebreszuk/J. Müller (Hrsg.), Bruszczewo I. Ausgrabungenund Forschungen in einer prähistorischenSiedlungskammer Großpolens (Poznań 2004).J. Czebreszuk/J. Müller (Hrsg.), Bruszczewo II (imDruck).Czebreszuk/Müller 2003: J. Czebreszuk/J. Müller(Hrsg.), Bruszczewo – eine frühbronzezeitlicheSiedlung mit Feuchtbodenerhaltung in Großpolen.Vorbericht zu den Ausgrabungen 1999–2001. Germania81, 2003, 443–480.Czebreszuk/Ducke/Müller/Silska 2004: J. Czebreszuk/B.Ducke/J. Müller/P. Silska, Die Siedlungsstrukturenund Siedlungstopographie. In: J. Czebreszuk/J.Müller (Hrsg.), Bruszczewo I. 71–78.Diamond 2005: J. Diamond, Kollaps. Warum Gesellschaftenüberleben oder untergehen (Frankfurt/Main 2005).Diers 2007: S. Diers, Feinstratigraphie und Chronologie.Archäologische und palynologische Analysen.Eine Fallstudie zum Fundplatz Bruszczewo 5 inGroßpolen. Die Keramik der Flächen 1 und 2 vonSchnitt 30 der Grabung 2004 und 2005 sowie einPollenprofil aus dem Nordprofil der Fläche 2 von2005. Ungedr. Magisterarbeit (Kiel 2007).Diers im Druck: S. Diers, Feinstratigraphie undChronologie. Archäologische und palynologischeAnalysen. In: J. Czebreszuk/J. Müller (Hrsg.),Bruszczewo II (im Druck).Haas/Wahlmüller im Druck: J. N. Haas/ N. Wahlmüller,Floren-, Vegetations- und Milieuveränderungenim Zuge der bronzezeitlichen Besiedlung vonBruszczewo (Polen) und der landwirtschaftlichenNutzung der umliegenden Gebiete. In: J. Czebreszuk/J.Müller (Hrsg.), Bruszczewo II (im Druck).Kneisel/Kroll im Druck: J. Kneisel/H. Kroll,Ergebnisse der Holzanalysen. In: J. Czebreszuk/J. Müller (Hrsg.), Bruszczewo II (im Druck).Kroll im Druck: H. Kroll, Großrestanalyse. In: J.Czebreszuk/J. Müller (Hrsg.), Bruszczewo II (imDruck).Moore 1986: P. D. Moore, Man and Mire: a Longand Wet Relationship. Trans. Bot. Soc. Edinb. 45,1986, 77–95.Moore 1988: P. D. Moore, The Development ofMoorlands and Upland Mires. In: M. Jones, Archaeologyand the Flora of the British Isles. Human influenceon the evolution of plant communities (Oxford1988) 116–122.Müller 2004a: J. Müller, Die Stratigraphie inSchnitt 10/99. In: J. Czebreszuk/J. Müller (Hrsg.),Bruszczewo I. 93–98.Müller 2004b: J. Müller, Die östlichen Feuchtboden-areale: Stratigraphien und Architektur. In:J. Müller/J. Czebreszuk (Hrsg.), Bruszczewo I.99–136.Nadler 2001: M. Nadler, Einzelhof oder Häuptlingshaus?Gedanken zu den Langhäusern der Frühbronzezeit.In: Aktuelles zur Frühbronzezeit und frühenMittelbronzezeit im nördlichen Alpenvorland.Hemmenhofener Skripte 2 (Freiburg i. Brsg. 2001)39–46.Rassmann 2004: K. Rassmann, Die Bemerkungenzu den chemischen Analysen von Kupferartefaktenaus der Siedlung von Bruszczewo. In: J. Czebreszuk/J. Müller (Hrsg.), Bruszczewo I. 257–262.Rassmann im Druck: K. Rassmann, Neue chemischeAnalysen von Kupferartefakten aus der Siedlung vonBruszczewo. In: J. Czebreszuk/J. Müller (Hrsg.),Bruszczewo II (im Druck).Točík 1981: A. Točík, Nitransky Hrádok-Zámecek.Bronzezeitlich befestigte Siedlung der Mad‘arovce-Kultur (Nitra 1981).Wazny im Druck: T. Wazny, Bericht der Dendrochronologie.In: Bruszczewo II (im Druck).58


Archäologische Gutachten im Rahmen derUmweltverträglichkeitsprüfungen für die geplantenFahrrinnenanpassungen von Elbe und Weser –Fragestellung und MethodikRuth Blankenfeldt und Martin MainbergerAbstractIm Zusammenhang mit dem geplanten Ausbau der Wasserstraßen Elbe und Weser durchgeführte Umweltverträglichkeitsprüfungenschlossen auch kulturelle Schutzgüter in die Untersuchungen mit ein. Auf der Grundlage vonLiteratur-, Museums- und Aktenrecherchen, stratigrafischen Analysen sowie hydroakustischen Vermessungen wurdenfür das Elbe- und Weserästuar archäologische Gutachten erstellt. Der vorliegende Artikel fasst Ausgangspunkt,Arbeitsschritte und methodisches Vorgehen dieser beiden Gutachten zusammen.AbstractCultural heritage were included in the environmental impact assessment study on the planned developments to thewaterways of the Elbe and Weser. Archaeological reports were compiled for the Elbe and Weser estuaries based onresearch in literature, museums and records, stratigraphic analyses and hydroacoustic surveys. The presented articleoutlines the starting points, procedures and methodology behind of both these expertises.Translation Jamie McIntoshEinleitungDie Elbe und die Weser dienen seit Menschengedenkenals wichtige Wasserstraßen. Vor allemdie Unterläufe beider Flüsse wurden weitgehendan diese Rolle angepasst und haben sich in denletzten hundert Jahren von ehemals oberwasserregiertenNaturgewässern in trichterförmig ausgebaute,hydrologisch maritimen Bedingungenunterworfene Großkanäle verwandelt. WichtigstesZiel der entsprechenden Ausbaumaßnahmenwar stets – neben Schutzmaßnahmengegen Hochwässer – die Vertiefung der Fahrrinnen,um stetig größer werdenden WasserfahrzeugenZugang zu den Häfen und Terminals imBinnenland und an der Küste zu ermöglichen.Auch das Zeitalter der Containerschifffahrt hatdiese Tendenz zu immer mehr, immer größerenund immer tiefer gehenden Schiffen nichtgebremst. Die letzten umfangreichen Fahrwasservertiefungenim Weser- und Elbeästuar fanden1998/1999 statt. In den Jahren 2000/2002stellten das Land Niedersachsen, die HansestadtBremen und die Freie und HansestadtHamburg beim zuständigen Ministerium fürVerkehr, Bau- und Wohnungswesen BMVBW(jetzt: BMVBS) erneut Anträge auf Fahrwasservertiefungen.Die Planfeststellungsverfahrenfür die beiden Anpassungsmaßnahmen, die vonder Gewässerdirektion Nordwest durchgeführtwerden, befinden sich inzwischen in einem fortgeschrittenenStadium. Wann mit dem Beginnder Baggerungen zu rechnen ist, ist zurzeit allerdingsnoch nicht abzusehen.Im Fall der Elbe handelt es sich um den Bereichzwischen dem Hamburger Hafen und demAbb. 1: Containerschiffauf der Außenelbe (Foto:R. Blankenfeldt).59


NAU 14 2008entnommen und auf ausgewiesenen Klappstellenund Spülfeldern resedimentiert. In bestimmtenStreckenabschnitten wird Sediment auch mitWasserinjektionsbaggern mobilisiert und mitder Strömung verdriftet (Machbarkeitsstudie2004; Projektgruppe Weseranpassung 2004a u.b; Günther 2006).Abb. 2: Übersichtskarte Elbe-Weser-Gebiet (Graphik: M. Mainberger).60Elbeästuar bei Cuxhaven zusammen mit einigenSeemeilen auf der Außenelbe. Dieses Gebiet befindetsich somit im Bereich der Freien und HansestadtHamburg so wie dem Bundesstreckenabschnitt,welcher sowohl schleswig-holsteinischeals auch niedersächsische Gebiete beinhaltet.Die Anpassungsmaßnahmen an der Weserschließen die Unterweser zwischen Bremen undBremerhaven und große Bereiche der Außenweser– bis etwa Stromkilometer 120 – ein. BeideProjekte orientierten sich an Schiffsgrößen derneuesten Generation, die bei einer Breite vonbis 46 m tideabhängige Salzwassertiefgänge bis14,5m beanspruchen. Daraus resultieren sowohlVertiefungen als auch <strong>Verlag</strong>erungen undVerbreiterungen der Fahrrinnen. Der Umfangder Vertiefungen beträgt an der Elbe bis 1,5 m,im Außenweserfahrwasser bis 1,16 m, im Unterweserfahrwasserbis 1 m. Das ausgebaggerteSediment – an der Elbe geschätzte 38 MillionenKubikmeter, an der Weser 6 Millionen Kubikmeter– wird größtenteils mit Laderaumsaugbaggern,stellenweise auch mit EimerkettenbaggernDa die geplanten Maßnahmen Vorhaben imSinn des §2 Abs.2 Umweltverträglichkeitprüfungsgesetz(UV PG) darstellen, wurde im Zugedes Planfeststellungsverfahrens eine Umweltverträglichkeitsprüfungdurchgeführt, in derenRahmen auch „Kultur- und sonstige Sachgüter“zu untersuchen waren. Vorangegangen war einsogenanntes Scoping–Verfahren, an dem unteranderen auch die betroffenen Denkmalbehördenbeteiligt waren und in dem Zuschnitt undUmfang der notwendigen Untersuchungen festgelegtwurde. Auftraggeber der beiden Gutachtenwaren die Arbeitsgruppe „VoruntersuchungFahrrinnenanpassung von Unter- und Außenelbe“in der die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung(WSD Nord sowie WSA an der Unter- undAußenelbe) und die Hamburg Port Authority(ehemals Amt Strom- und Hafenbau [HT]der Freien und Hanse stadt Hamburg) vertretensind, und die „Projektgruppe Weseranpassung“der Wasser- und Schifffahrtsämter Bremerhavenund Bremen. Die archäologischen Untersuchungenund die Erarbeitung der beidenGutachten erfolgten durch das ArchäologischeLandesamt Schleswig-Holstein unter der Federführungvon Dr. W. Kramer und durch TeraquaCAP durch Dr. M. Mainberger. Aufgabe derGutachten war, die Auswirkung der geplantenMaßnahmen auf archäologische Denkmäler zuuntersuchen, diese zu bewerten und gegebenenfallsSchutz- und Ausgleichsmaßnahmen vorzuschlagen.Die entsprechenden Arbeiten liegenden Auftraggebern seit Ende 2005 vor (Blankenfeldtet al. 2005; Mainberger 2005).Legt man die Größenordnung des auszubaggerndenSediments zugrunde, hat das Vorhabenan der Elbe einen deutlich umfangreicherenMaßstab. Ansonsten sind aber der wirtschaftlicheAusgangspunkt, die geologischen, hydrologischenund archäologischen Verhältnisse in den beidenPlanungsgebieten eng miteinander verbunden.Entsprechend gestalteten sich auch die Arbeitsabläufebei der Erarbeitung beider Gutachten mehroder weniger gleichläufig. Wenn wir im Folgendenüber Arbeitsschritte und methodischesVorgehen berichten, kann deshalb exemplarischeinmal aus dem Bereich der Elbe, einmal ausdem der Weser berichtet werden.


Archäologische Gutachten … für die geplanten Fahrrinnenanpassungen von Elbe und WeserGeologische, stratigrafische, hydrologischeVerhältnisse: Eingrenzung eines „EngerenUntersuchungsgebietes“ am Beispiel derWeserBei der außerordentlichen geographischen Größedes UVU – Gebietes, das fast 1400 km 2 umfasst,(vgl. Abb. 2) musste der erste Arbeitsschrittdarin bestehen, für die denkmalpflegerisch–archäologischeFragestellung relevante Flächenabzugrenzen. Die geologischen, stratigrafischenund hydrologischen Verhältnisse stellen hier ersteund wichtige Anhaltspunkte dar. Sie konntenim Wesentlichen durch Literaturrecherchenermittelt werden.Die Fahrrinne der Weser-Wasserstraße ist in einenkeilförmigen Sedimentkörper, der sich imHolozän über den „ertrunkenen“ eiszeitlichenTerrassen des Weser-Urstromtals aufgebaut hat,eingeschnitten. Am Außenrand der Watten erreichtdieser Sedimentkeil bis 35 m Mächtigkeit,auf der Höhe von Bremen streicht er bei Normalnullaus. Im Innern zeichnet er sich durchWechselfolgen klastischer und eingeschaltetertorfiger Sequenzen aus. Diese Abfolgen geltenals Relikte der schrittweisen, mit Transgressionenund Regressionen in das Landesinnerefortschreitenden Überflutungsprozesse im Holozän(Behre 1995, 12 f.; Streif 1998, 183 f.).Das fossile Flussbett selbst lässt sich geologischals System unterschiedlich tiefer Rinnen mitklastisch-mineralischen Hauptbestandteilen, diein den pleistozänen Untergrund eingetieft sind,nachweisen (Streif 1998, 191). Im Holozänschüttete der mäandrierende Fluss Uferwälleauf (Kraft/Steineke 1999, 20). Im Unterwesergebietverläuft er vermutlich seit etwa 900 v.Chr. in der dadurch angelegten Rinne (Preuss1979, 80), wobei das Flussbett noch zu Beginndes 17. Jahrhunderts unterhalb Bremens stellenweiseviele hundert Meter breit, von Sanden undPlaten zerteilt und stellenweise aus zahlreichenSeiten- und Altarmen zusammengesetzt war. ImMündungsbereich des Flusses bildete sich durchdie Lage an der gezeitenstarken Flachküste ander Deutschen Bucht und flussaufwärts vordringendeTideströme eine trichterförmiges Ästuaraus (Kraft/Steineke 1999, 19).Stratigrafisch aussagefähige archäologische Fundeund Befunde aus dem unmittelbaren Umfeldder Weser kennt man ab der späten Bronzezeit.Vegetationskundliche und stratigrafische Befundebelegen, dass der Mensch ab ca. 700 v. Chr.in die Galeriewälder auf den natürlichen Uferwällenvordrang und in hochwassergeschützterLage Siedlungen erbaute (Behre 2003, 18). Dieältesten und am besten untersuchten archäologischenFundstellen liegen, heute etwa 5 kmvom Fluss entfernt, bei Rodenkirchen, HahnenknooperMühle, Landkreis Wesermarsch, in etwa1,8–1,1 m Tiefe (Strahl 1997, 50; Halpaap1999, 40). Ab dem ersten Jahrhundert nachChr. entstanden Wurten (Behre 1995, 18, Abb8; 2003, Abb 14). Zu nennen sind insbesonderedie Siedlungsbefunde von Feddersen-Wierdeim Land Wursten (Schön 1999, 12 f.). Wie dieSiedlungen wurden auch die ersten nachgewiesenenGräberfelder aus dem 4./5. Jahrhundertauf den landwärtigen Abhängen der natürlichenStrandwälle angelegt. Die entsprechenden Befundeliegen heute etwas über Normalnull(Schön 1999, 40 f.). Die hauptsächlich in dasMittelalter datierenden Funde von Wasserfahrzeugenstammen, soweit entsprechende stratigrafischeBeobachtungen vorliegen, ebenfallsaus absoluten Höhen um Normalnull oder etwasdarunter, was den historisch bekanntenFahrwassertiefen von 2 bis max. 5 m entspricht(Rech 1991; Ortlam/Wesemann 1993, Abb. 1;Rech 1993).Abb: 3: Weser. Veränderungendes Strombetts undder Flussbettprofile. NachLucker 1995, ergänzt umdie historische Karte vonW. Dilich (Schleier 1994,Abb. S. 29).61


NAU 14 2008Abb. 4: Weser. HeutigerVerlauf im Verhältniszum Flusslauf um1600. Kartengrundlage:Karte v. W. Dilich(Schleier 1994, Abb.S. 29).62Die ersten Eingriffe in die Hydrologie des Flusseslassen sich bis in das Mittelalter zurückverfolgen.Ab dem 11./12. Jahrhundert wurden dienatürlichen Uferwälle durch Deiche verstärkt(Behre 1995, 37; Schirmer 1995, 138; Liebermann/Mai1999, 111). Strombauliche Maßnahmenzur Verbesserung des Schiffsverkehrs setzenim 17. Jahrhundert ein (vgl. Abb. 3). Diegravierendsten Eingriffe erfolgten allerdings erstab 1870; der „5 m-Ausbau“ zeichnete ab 1887mit seinen umfangreichen Begradigungen,Durchstichen, Buhnenbauten und Leitwerkendem Fluss sein heutiges Bett vor, und sorgte inder Folge für eine stetige Verschmälerung undVertiefung (Lucker et al. 1995, Abb. 1). Mitdem „9 m-Ausbau“ in den 1980er Jahren wurdeim gesamten Bereich der Unterweser die Holozänbasisdurchstoßen; die Sohle des Flussesverläuft hier seither in pleistozänen Schottern.In der Summe haben diese Eingriffe zu gravierendenhydrologischen Veränderungen geführt.Eine Basis für die deutlichen Verschiebungendes Verhältnisses zwischen Mittlerem Tidehochwasserund Sturmflutwasserspiegeln bildetenbereits die Deichbaumaßnahmen (Behre2003, 39). Mit dem „5 m-Ausbau“ wandelte sichder Flussabschnitt vom ehemals oberwasserbeherrschtenBinnengewässer dann zu einem Tidestromum. Der Umbau zu einem trichterförmigenÄstuar sollte tiderhythmisch die ein- undauslaufende Wassermenge steigern und derenFließgeschwindigkeit und Räumkraft erhöhen.Seitenarme wurden abgeschottet oder aufgefülltund Leitwerke erbaut, um das Fließwasser aufdie Fahrrinne zu konzentrieren. In Konsequenzwurden die Pegelhöhe der Niedrigwasser kleiner,die Tidekurven entsprechend steiler, die Grundwasserspiegelsenkten sich. Hieraus resultiertewiederum eine Vergrößerung der Strömungsgeschwindigkeitenund damit der Erosion ander Flusssohle (Behre 1995, 50; Lucker et al.1995, 302 f.). Die zunächst durch Deichbauund Entwässerung erfolgte Melioration in derMarsch dürfte durch die Absenkung der Niedrigwasserpegelund die dadurch verursachteGrundwasserabsenkung noch verstärkt wordensein (Schleier 1994; Schirmer 1995, 38; Grabemannet al. 1999, 61).Man könnte nun aus diesen geologischen, stratigrafischen,paläohydrologischen und hydrologischenBefunden schlussfolgern, dass sowohlVeränderungen in der Fahrrinnensohle als auchdie geplanten, vergleichsweise geringen seitlichenFahrrinnenverschwenkungen nur vielfachumgelagerte und stratigrafisch ungegliederteBefunde bzw. Einzelfunde betreffen können.Dem ist allerdings keineswegs so.Zum einen durchschnitten die Durchstiche undBegradigungsmaßnahmen des 19. Jahrhundertsoffenbar nicht nur im Flussbett liegende Flussinselnund Sandbänke, sondern auch große,landfeste Geländeabschnitte abseits des damaligenFlusses. Dies wird deutlich, wenn manden heutigen Flussverlauf in historische Kartenhineinprojiziert. Insbesondere der Vergleich mitder ältesten, aus der Wende zum 17. Jahrhundertstammenden „Dilich-Karte“ (Schleier 1994,29) macht deutlich, dass die Weser in manchenStreckenabschnitten offenbar bedeutendelaterale <strong>Verlag</strong>erungen erfahren hat (Abb. 3 u.4). Entsprechende Hinweise gibt es für Uferabschnittebei Bremen, Brake und Nordenham.An solchen Stellen kann trotz aller Abstriche,die man an die Genauigkeit alter Karten vornehmenmuss, keineswegs ausgeschlossen werden,dass der Fluss heute hart an ehemaligenUferwällen verläuft oder stratigrafisch intakteAbfolgen von Klei- oder Torfablagerungen ehemaligerMarschgebiete schneidet.Zum anderen werden die geplanten Maßnah-


Archäologische Gutachten … für die geplanten Fahrrinnenanpassungen von Elbe und Wesermen in der Fahrrinnensohle bedeutende Auswirkungenauf die seitlichen Böschungen haben.Denn nach allen Erfahrungen, die wir mitNassbaggerungen haben, führt der eigentlicheBodeneingriff stets dazu, dass aus den Baggerkanten,Böschungen und anschließenden UferbereichenSedimente nachrutschen und nachfließen.Dies wirkt sich so lange auf die Böschungswinkelaus, bis sich aus dem Zusammenspiel vonSchwerkraft, Wellengang und Strömungen eineweniger steile Morphologie und ein neues morphodynamischesGleichgewicht ausgebildet hat.Dieser „morphologische Nachlauf“ kann durchausquantifiziert werden. So soll im Bereich derAußenweser das Aufkommen an Baggergutdurch Unterhaltsbaggerungen allein im erstenJahr nach Erreichen der Solltiefe noch einmal50% der dann entnommenen ca. 6 Mio. Kubikmeterbetragen (Projektgruppe Weseranpassung2004a, 12). In ihrer Wirkung verstärkt werdendiese Vorgänge durch die aus der Sohlvertiefungder Fahrrinnen resultierende, zu prognostizierendeZunahme der Strömungsgeschwindigkeiten(Bundesanstalt für Wasserbau 2002, 1f.).Denkmalpflegerisch am bedenklichsten wirkendiese Vorgänge auf die oberen, um Normalnullliegenden Böschungsteile, wobei besondersnachteilige Wirkungen in Prallhanglagen zu erwartensind. Nicht ausgeschlossen werden kann,dass solche Wirkungen, wenn auch indirekt undmit zeitlichem Versatz, selbst in den Nebenflüssenauftreten werden.Auswirkungen der geplanten Maßnahmen aufden Grundwasserspiegel der angrenzendenMarschgebiete und entsprechende negative Auswirkungenauf dort unter Feuchterhaltung konservierteDenkmäler sind nach den vorhandenenPrognosen hingegen eher unwahrscheinlich.Der Tidehochwasserpegel bzw. Tideniedrigwasserpegelwird sich im Zusammenhang mit dengeplanten Maßnahmen voraussichtlich nur imZentimeterbereich verschieben (Bundesanstaltfür Wasserbau 2002). Im Vergleich zu den inden letzten 130 Jahren durchgeführten, im Meterbereichliegenden Grundwasserabsenkungenwären diese Verschiebungen sehr gering. UnsereGutachten gehen davon aus, dass die Prognosender Bundesanstalt für Wasserbau tatsächlicheintreffen.Zusammenfassend lässt sich festhalten: Überall,wo Bagger im Zuge von Sohlvertiefungen oderUnterhaltsmaßnahmen zum Einsatz kommen,sind Denkmäler unmittelbar gefährdet. Sinddie entsprechenden Arbeiten im Gang, gibt esin den überwiegenden Fällen – nämlich überallda, wo Laderaumsaugbagger zum Einsatz kommen– keine Chance mehr, denkmalpflegerischeinzugreifen. Als besonders sensibel müssen allerdingsnicht die Flusssohlen, sondern die Böschungenam Rand der Fahrrinne gelten, hiervor allem die am höchsten liegenden Bereiche,in denen nach den vorliegenden stratigrafischenBefunden archäologische Denkmäler in nochungestörter stratigrafischer Lage zu vermutensind. Werden solche Ablagerungen von erosivenVorgängen im Nachgang von Sohlbaggerungenerfasst, ist davon auszugehen, dass die darinliegenden Objekte früher oder später die Baggerkantenhinab verstürzen und in kurzer Zeitaufgerieben werden. Auch dieser Vorgang dürfteAbb. 5: Elbe. KonzentrationvölkerwanderungszeitlicherWaffen aus der Fahrrinnebei Lühesand (Raddatz1953, Taf. XVI).63


NAU 14 2008Abb. 6: Elbe. ZahlenmäßigeVerteilungder Fundstellen aufdie unterschiedlichenZeitperioden (ohneundatierte Fundstellen).64bei der Dynamik der entsprechenden Vorgängekaum kontrollierbar sein. Diejenigen Flussabschnitte,in denen der Fluss potentiell alte Uferwällebzw. Marschgebiete schneidet, verdienendaher besondere Aufmerksamkeit. Auswirkungenauf Bereiche, die heute außerhalb derDeiche liegen sind hingegen als vergleichsweisegering einzuschätzen.Das Untersuchungsgebiet für die nachfolgendearchäologische Untersuchung wurde infolgedessenim Bereich der Unterweser auf die außerdeichsgelegenen Flussabschnitte eingegrenzt.Im Bereich der Außenweser wurde, unter Berücksichtigungörtlicher Gegebenheiten, ein Bereichvon 2,5 km rechts und links der Fahrrinnesowie die als Klappstellen ausgewiesenen Arealeangenommen. Die Verklappungen sind zwarin Bezug auf die Gefährdung von Denkmalenin diesen Bereichen unbedenklich, die entsprechendenFlächen in Zukunft wegen ihrer Bedeckungmit Baggergut archäologisch aber nichtmehr zugänglich. Auf dieses „Engere Untersuchungsgebiet“konnten sich dann alle nachfolgendenUntersuchungen – Kartierung vonFunden, Geländebegehungen, hydrographischeUntersuchungen – konzentrieren (vgl. Abb. 2).Archäologische Grundlagen der denkmalpflegerischenBewertung am Beispiel derElbeAls Grundlage der denkmalpflegerischen Bewertungdes Untersuchungsraums wurden systematischeLiteratur-, Museums- und Aktenrecherchendurchgeführt. Diese Arbeiten warenR. Blankenfeldt, T. Ibsen und N. Lau übertragen.Die aus den entsprechenden Untersuchungengewonnenen Daten konnten anschließendin ein Geographisches Informationssystem(GIS) eingearbeitet und mit den relevanten naturräumlichenGegebenheiten sowie mit denResultaten der Arbeiten im Gelände abgeglichenwerden. Geographische Grundlage undUntersuchungsgebiet bildete, entsprechend denArbeiten an der Weser, der Flusslauf mit denangrenzenden, außerdeichs gelegenen Arealen,wobei die archäologischen Verhältnisse auf denangrenzenden Marsch– und Geestflächen stellenweisemitberücksichtigt wurden.Als Basis für die Literaturrecherchen dienten dieLandesaufnahmen der Kreise Steinburg (Kersten1939) und Pinneberg (Ahrens 1966), dieLandesaufnahme der Stadt Hamburg (Schindler1960), sowie weitere, jüngere Fachpublikationen,in denen auch die niedersächsischeElbseite mit den Kreisen Cuxhaven und Stadeberücksichtigt sind. Grundlage für die Fundstellenkartierungstellten im Kern die Fundkarteiender im Untersuchungsgebiet zuständigenDenkmalbehörden dar. Ergänzt werdenkonnten die-se Akten um die Fundarchive derStadt- und Kreisarchäologie Stade, des Helmsmuseums/HamburgerMuseum für Archäologieund die Geschichte Harburgs sowie des Museumsfür Hamburgische Geschichte. Für die Untersuchungder Unterwasserhindernisse und dieKartierungen der Schiffswracks lieferte in ersterLinie die so genannte Wrackkartei des Bundesamtesfür Seeschifffahrt und Hydrographie inHamburg (BSH) die Basisdaten.Die Elbe mitsamt ihren Niederungsgebietenstellte für den Menschen zu allen Zeiten einenattraktiven Anziehungspunkt dar. Nicht nurdie Nutzungsgeschichte des Flusses, sondernauch die Erhaltungschancen für archäologischeQuellen sind allerdings stark mit der geologischenund paläohydrologischen Entwicklungdes Elbetales verbunden. Meeresspiegelanstieg,fluviatile Erosions- und Akkumulationsvorgänge,klimatische Veränderungen und verschiedeneStadien der Marschenbildung gestaltetenden Elbgrund immer wieder um. Entsprechendkomplex sind die Bedingungen für eine archäologischeBeurteilung.Generell reicht die zeitliche Spanne der heutebekannten Funde und Fundstellen vom Paläolithikumbis in die jüngste Neuzeit.Die ältesten archäologischen Nachweise stammenaus dem Elbufer bei Wittenbergen (Rust1949, 16; ders. 1956, 30–32;Taf. 31–38; Schindler1960, 11), sie werden zumeist in einen Zeitraumum 250000 Jahre vor heute datiert. Weiterearchäologische Belege liegen vom Ende derletzten Eiszeit vor, als die Elb-Niederterrassepotenziell begehbar war (Ahrens 1966, 62) undvon Rentierjägergruppen genutzt wurde (Tromnau1971, 69; ders. 1973, 72 f.). Wie Funde zeigen,waren auch während des Frühneolithikums


Archäologische Gutachten … für die geplanten Fahrrinnenanpassungen von Elbe und WeserAbb. 7: Elbe. Mess- und Arbeitsschiff NIGE WARK (Foto: F. Huber).Teile der Elbniederungen noch trocken (Ahrens1966, 69). Mit dem Subboreal versumpfte dieNiederung dann weiträumig und die Besiedlungwurde für die Dauer der Bronzezeit (ca. 1600bis 800 v. Chr.), mit Ausnahme der geestnahenStellen des Dünenzuges, unterbrochen (Ahrens1966, 85). Die Endphase der subborealen Niederungsversumpfungund die Neubesiedlungvon Marsch und Niederung ist mit der VorrömischenEisenzeit (ca. 800 v. Chr.–Chr. Geb.)verbunden und lässt sich durch Fundplätze wiedie eisenzeitliche Siedlung der Hamburger Altstadtin der Alsterniederung fassen (vgl. Ahrens1966, 86). In den folgenden Jahrhunderten istfür den gesamten Bereich der Elbniederung undder unmittelbar anschließenden Geest wiedereine Fundlücke festzustellen, die erst im 4. und5. Jahrhundert durch einzelne Urnengräber inGroß Flottbek und Osdorf (Thieme 1995, 131)ansatzweise geschlossen wird. Doch auch fürdie Völkerwanderungszeit ist das vorhandeneFundmaterial relativ spärlich, die Fundstellenkonzentrieren sich hier an dem hohen Dünenzugentlang der Elbe und an ihren Nebenflüssen(Ahrens 1966, 90; 98 Abb. 13). In diesem Zusammenhangist eine Konzentration mehrererWaffen erwähnenswert, welche bei Baggerarbeitenan der flussabwärts gelegenen Spitze desLühesandes entdeckt wurde (Raddatz 1953).Diese völkerwanderungszeitlichen Schwerter,Speer- und Lanzenspitzen sind möglicherweiseals intentionell versenkte Opfergaben zu interpretieren(Abb. 5). Weitere Funde von mittelalterlicheWaffen und zahlreiche Scherben so wiemehrere in den Listen des BSH als „Bodenerhebungen“und „Steinhaufen“ gekennzeichneteBereiche lassen hier zusätzlich einen historischangelegten Übergang über die Elbe vermuten,so dass Artefakte aus diesem Bereich zum Teilauch als Verlustfunde anzusprechen sind.Mit der Errichtung der Hammaburg um 810n. Chr. wurde der Grundstein für tiefgreifendeVeränderungen der Naturlandschaft durch denMenschen gelegt, die sich besonders im Bereichder heutigen Stadt Hamburg bemerkbar machen.Nach der Eindeichung von Groiswerderum 1200 zerstörten schwere Sturmfluten im 13.und 14. Jahrhundert die Inseln und die Besiedlungsstrukturen.Finkenwerder, Waltershof, derKleine und Große Grasbrook, Rotenhaus undStikkhorn sind dagegen in diesem Zeitraumentstanden. Nach und nach wurden die meistenInseln trotz weiterer gewaltiger Fluten wieder befestigt.Rotenhaus konnte als letzte Elbinsel erst1594 eingedeicht werden (Keesenberg 1989).Für die Archäologie der Neuzeit haben die Bodenfundenur noch ergänzenden Charakter. Andie Seite der Siedlungsbelege treten allerdingsals neue Quellengattung Unterwasserfunde,die als sogenannte „Unterwasserhindernisse“ inden Listen des BSH geführt werden. Die ältestenbekannten Denkmäler von Schiffswracksstammen aus dem 17. Jahrhundert (WrackstelleWittenbergen), um dann bis in die Neuzeitquantitativ stark in den Vordergrund zu treten.Bei den jüngsten bekannten Denkmälern handeltes sich um Anlagen und Wracks aus dem 2.Weltkrieg, darunter auch Flugzeugwracks.Bei der Vielzahl älterer archäologischer Schiffsfundein den angrenzenden Fundlandschaftenwäre es allerdings falsch anzunehmen, dass derFluss erst in der Neuzeit befahren wurde. Dasbekannte Fundaufkommen spiegelt jedoch keineswegsdie Intensität der Nutzung durch denMenschen wieder. Dies zeigt sich beispielsweisedurch die Tatsache, dass vor allem im Bereich derStadt Hamburg starke Fundstellenhäufungenauftreten (Ahrens 1966, 62 f.). Die kartiertenFundverteilungen stellen hier in erster Linieeinen Indikator für Bereiche von Baggerungenund Tiefbauarbeiten dar. Ähnlich verhält es sichmit einer elbabwärts festzustellenden Abnahmeder Fundstellendichte. Diese kann möglicherweisemit einem geologischen Schichtgefälle zurNordsee hin erklärt werden; vermutlich befindensich die Fundstellen hier in größeren Tiefenund werden daher nicht von Baumaßnahmentangiert.Anders verhält es sich allerdings mit dem deutlichenÜbergewicht steinzeitlicher Funde undFundstellen gegenüber jüngeren Epochen (Abb.6). Dieses kann nicht allein mit der erhöhten65


NAU 14 200866Auffindungschance von großen und auffälligenFundstücken, wie Werkzeugen aus Geweihoder Stein, gegenüber kleinen Objekten erklärtwerden. Auch die Intensität der Forschung– sei es durch die zuständigen Behörden oderprivate Sammler – kann diese Beobachtungnicht vollständig erklären. Es ist in diesem Fallwahrscheinlich, dass der Fundniederschlag tatsächlicheine intensivere Nutzung der in densteinzeitlichen Epochen noch begehbaren Elbniederungwiderspiegelt. Bedeutsam ist dies vorallem auch in Hinblick auf die archäologischnoch weitgehend unerschlossenen Gebiete imBereich des Küstenflachmeers. Wenn hier bislangkeine steinzeitlichen Funde zum Vorscheingekommen sind, dann sicher nicht deshalb, weilder Mensch dieses über lange Zeiträume derpostglazialen Klimaerwärmung begeh- und besiedelbareGebiet nicht nutzte.Hydroakustische Untersuchungen amBeispiel der Untersuchungen auf der ElbeBei Planungsvorhaben im Maßstab der ElboderWeservertiefung, gibt es beim heutigenStand der Technik archäologisch zum Einsatzvon Hydroakustik keine Alternative. Selbstwenn Sicht- und Strömungsbedingungen systematischeBeobachtungen durch Forschungstauchereinsätzeerlauben würden, wären die zubewältigenden Flächen zu groß, als dass mansie mit Tauchern durchführen könnte. AndereMöglichkeiten der Fernerkundung, die andernortsmit großem Erfolg eingesetzt werden – wieetwa die Luftbildarchäologie – sind ebenfallsvor allem wegen der in den zu untersuchendenFlussgebieten vorherrschenden starken Wassertrübungnicht einsetzbar. Bezeichnend ist, dassunsere Versuche mit einem ROV (RemotelyOperated Vehicle), den wir zu ferngesteuertenVideofahrten über potenziellen Fundstelleneinsetzten, keinerlei aussagefähigen Ergebnisseerbrachten. Sonare werden unter solchen Bedingungenhingegen bereits seit Jahrzehnten erfolgreicheingesetzt (Fish/Carr 1990; Wendt etal. 1998; Wendt/Ewert 2001; Lurton 2002;Blondel et al. 1997).Für unsere Untersuchungen auf der Elbe setztenwir das „SES 2000 Standard“ Side Scan Sonarder Firma „Innomar Technologie GmbH“,Rostock ein. Als Arbeitsbasis für die Messfahrtendiente das Mess- und ArbeitsschiffNIGE WARK der Hamburg Port Authority,welches uns zwischen dem 01.05.2005 und dem08.06.2005 zur Verfügung stand (Abb. 7). LeitenderHydrograph war Peter Hümbs, InnomarTechnologie GmbH, die archäologische Leitunglag bei R. Blankenfeldt und F. Huber.In der Regel wurde mit 100 kHz gefahren. Dielateralen Bestreichungsbreiten („ranges“) warenauf 40 m festgelegt, wobei das Messschiff aufvorher festgelegten, in 70 m-Abstand parallelzueinander verlaufenden „lines“ navigierte. Diehydrographisch abgetasteten parallelen Streifenwaren somit als sich überschneidende Flächenangelegt. Kontrolliert wurde der entsprechendeMessvorgang am Monitor, auf dem der hydroakustischabgedeckte Bereich vom Schiffsführer,Hydrographen und Archäologen verfolgt werdenkonnte. Weitere Gewähr für eine lückenlose Abdeckungder zu befahrenen Unterwasserarealeund als Grundlage für die absolute Einmessungder Schallbilder bildete ein Differential-GPS-System, welches bei störungsfreiem Betrieb eineMessgenauigkeit von 1,5–3 m erlaubt. Zusammenmit entsprechender Software eingesetzt,ergeben sich als Arbeitsergebnis messtechnischsehr genaue, digitale, georeferenzierte Schallbilder.Da im Unterschied zum Planungsvorhaben ander Weser zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellungfür die Elbe keine aktuellen Ergebnissevon Sonarbefahrungen vorlagen und unsere Arbeitensich nur auf bereits 10 Jahre zurückliegendeStudien (Kolb 1995) beziehen konnten,war der Umfang der durchzuführenden Arbeitenbeträchtlich. Ein wichtiger methodischerSchritt stellte daher, wie am Beispiel der Weserdargelegt, die Festlegung von Arbeitsschwerpunktenbzw. Messgebieten dar. Einen solchenSchwerpunkt mussten zunächst alle Areale,die unmittelbar von den Baggermaßnahmenbetroffen sein würden, bilden. Hierzu gehöreninsbesondere die Lateralränder der Baggertrasseund somit die Randbereiche der Fahrrinne. InBezug auf dieses Untersuchungsziel wurden flächendeckendauf der gesamten Länge zwischenHamburger Hafen und Elbeästuar parallel zumFahrrinnenrand verlaufende Linien befahren.Auf eine umfassende Befahrung der Fahrrinneselbst konnte hingegen verzichtet werden. Diesewird im Auftrag des BSH regelmäßig durchVermessungsschiffe mit Sonartechnik beobachtetund auf Veränderungen im Untergrund undUnterwasserhindernisse untersucht. Durch dieseArbeiten bereits bekannte Wrackpunkte konntengezielt angefahren werden. Eine sofortige undeindeutige Abbildung eines bekannten Wracksgelang dabei allerdings selten (Abb. 8): Da aufgrundder Sedimentmobilität des Flussbettes diezeitweise Überdeckung eines bekannten Unter-


Archäologische Gutachten … für die geplanten Fahrrinnenanpassungen von Elbe und WeserAbb. 8: Elbe. Deutlich zu erkennendes eisernes Wrack während der Befahrung,Position bekannt durch BSH. Screenshot: Bildschirm SES 2000 Standard, InnomarTechnologie GmbH, Rostock.wasserhindernisses möglich ist, mussten mancheObjekte mehrfach befahren werden. In solchenFällen wurde stets angestrebt, die Objekte ausunterschiedlichen Winkeln anzunavigieren, sodass die mehrfach hydroakustisch vermessendenAreale auch nach mehreren, unterschiedlichangelegten Messsystemen untersucht wurden.Messflächen wurden außerdem sowohl auf denbereits festgelegten Klappstellen als auch aufArealen eingerichtet, innerhalb derer weitere,zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung in ihrerPosition noch nicht exakt bekannten Ablagerungsflächenausgewiesen werden sollen.Einen zweiten Arbeitsschwerpunkt bildetenAreale, welche als potenzielle Gefahrenstellenfür die historische Schifffahrt rekonstruiertwerden können. Zur Identifizierung entsprechenderStellen war im Vorfeld über die Analysehistorischer Karten Veränderungen bestimmterSandbänke im Laufe der Zeit ermittelt, mit demheutigen Erscheinungsbild verglichen und ggf.mit den Positionen bekannter Havarien undSchiffswracks abgeglichen worden. Diese Auswertungdigital übereinander gelegter aktuellerund historischer Karten zeigt auf der Zeitachseeklatante Unterschiede. Form und Ausdehnungder Sandbänke sowie der Wattkanten sind offenkundigstarken Umlagerungen durch Erosions-und Sedimentationsprozesse unterworfen.Diese extremen Veränderungen sind innerhalbder Elbe und des Mündungsbereichs in dieNordsee bereits durch den Vergleich modernerSeekarten aus jeweils einem Jahrgang zu erkennen.Ein Anteil der Befahrungszonen wurdeaufgrund dieser Überlegungen in ausgewählteRandbereiche und Schnittstellen historischerund rezenter Sandbänke und Inseln gelegt. Diezu befahrenden Areale wurden großflächig miteinem Messsystem versehen. Von besonderemInteresse waren dabei die flacheren Bereiche,die aufgrund des relativ geringen Tiefgangs der„NIGE WARK“ eingehend untersucht werdenkonnten.Schließlich stellten Areale mit möglicher prähistorischeroder historischer Besiedlung einendritten Arbeitsschwerpunkt dar. Interessant warenhier Bereiche mit Anhaltspunkten für einestarke laterale <strong>Verlag</strong>erung des Flusslaufs unddamit verbundenen Beeinträchtigungen fürarchäologisch oder historisch bekannte Siedlungsbereiche.Weitere Hinweise lieferten indieser Hinsicht bestimmte geographische Vorraussetzungenund die Häufung prähistorischerFundstellen auf relativ kleinem Raum. Bei denentsprechenden hydroakustischen Befahrungenwurde in den ausgewählten Messgebieten besondersauf die zur Landseite der Fahrrinne liegendenRandbereiche geachtet. Durch ein möglichstufernahes Befahren dieser Areale wurdedie Dokumentation potentiell aufschlussreicherProfile – etwa an der Böschung anerodierteKlei- oder Torfbänke – angestrebt.Besonders bei solchen, auf die Auffindungvon Siedlungsspuren zielenden Sonaruntersuchungenstößt man allerdings an die Grenzeder Methode. Paläolithische Lagerplätze, mesolithischeoder neolithische Besiedlungen,aber auch mittelalterliche Wurten dürften mithydroakustischen Systemen allein kaum nachzuweisensein. Denn selbst hoch auflösende Systemebilden nur größere Objekte hinreichendkonturiert ab. Diese Gegenstände müssen außerdemausreichend hoch aus dem Sedimenthervorschauen, damit sich die entsprechenden,aus Schallreflektionen resultierenden Bildkontrastescharf abzeichnen. Zusätzliche Voraussetzungfür ein aussagefähiges Schallbild ist,dass sich das betreffende Objekt in Bezug aufDichteeigenschaften möglichst stark vom umgebendenSediment unterscheidet. Die Untersuchungvon Fundstellen mit einem hohen Anteilsehr kleinteiliger, zumeist organischer Bauresteund Funde, die in der Regel in natürliche limnischeSedimente eingelagert sind, konnte alsokein Ziel der Sonarfahrten darstellen. Für diesystematische Erfassung und Beurteilung dieserBereiche ist die Bohrkernentnahme dem Einsatzder Sonartechnik vorzuziehen Derartige Unter-67


NAU 14 2008Abb. 9: Elbe. AusschnittGIS-Projekt. TopographischeKarte 1:100 000mit Bodendaten für denBereich innerhalb derDeichlinie (Graphik:N. Lau).68suchungsmethoden fanden allerdings bei denGeländearbeiten auf der Elbe nicht statt.In einem gewissen Maß gelten die genannten,methodenbedingten Einschränkungen durchausauch für große, feste Objekte, wie etwaSchiffswracks. Die starken Tideströme, die ineinem Ästuar wie der Elbe wirken, bewegentäglich große Mengen an Sediment. Das hat zurFolge, das ein heute exponiert liegendes Objektbereits morgen mit dem Sonar nicht mehr zu erfassenist, da es unter einer mit den eingesetztenhohen Frequenzen hydroakustisch nicht mehrzu durchdringenden Sedimentdecke liegt. DerEinsatz von niederfrequenten Sedimentsonarenhilft hier nur bedingt weiter. Zum einen nimmtdie visuelle Auflösung der Sonarbilder und damitihre Aussagekraft mit der kleinen Frequenzstark ab. Zum anderen bleiben die zu untersuchendenAreale wegen der wesentlich kleinerenbeschallten Fläche sehr klein. Um die möglichstflächendeckende hydroakustische Vermessungdes großen UVU-Gebietes zu gewährleisten,haben wir uns daher für eine ausschließlicheUntersuchung mit einem hochfrequenten Sonarentschieden.Weitere Probleme ergeben sich aus Unterspülungund Kolkbildung. Im Umfeld größerer, harterObjekte wie Schiffswracks bilden sich Auskolkungen,deren Größe und Ausmaß von derStärke der Ströme, der Ausdehnung und Formdes umspülten Objekts, und der Beschaffenheitdes Untergrundes abhängt. Die Auswirkungender entsprechenden Vorgänge reichen dann vomAbrutschen und Einsedimentieren bis hin zumAuseinanderbrechen des jeweiligen Objekts.Ein Wrack bzw. das ermittelte Schallbild verändertauf diese Art und Weise sehr schnell seineUmrisse. Eine sichere Ansprache ist ohne denEinsatz weiterer Methoden – hier kann ein Sedimentsonarweiterhelfen – oder taucherischenProspektionen und Beprobungen der Objektenicht möglich. Derartige Untersuchungenkonnten im Rahmen der Gutachtenerstellungallerdings nicht durchgeführt werden.Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Erkundungarchäologischer Objekte mit hydroakustischenMethoden unter Bedingungen, wiewir sie an der Weser oder der Elbe vorfanden,beim jetzigen Stand der Technik keine Alternativehat. Sichere Aussagen sind beim Einsatzdieser Methoden allerdings nur dann möglich,wenn die entsprechenden Befahrungen in regelmäßigenAbständen wiederholt und ergänzendeMaßnahmen ergriffen werden.Analyse, Darstellung, BewertungEin wesentlicher Teil der von den Auftraggebernformulierten Leistungsanforderung wardie Abgabe aller wesentlichen Ergebnisse inGIS-tauglichen Formaten. Aus denkmalpflegerischerSicht lag angesichts der geographischenGröße der Untersuchungsgebiete, des starkenBezugs der archäologischen Quellen zu naturräumlichenund technischen Raumdaten, derVerfügbarkeit zahlreicher archäologischer Datenim ADAB-Web (vgl. hierzu auch Wilbertz/Gohlisch 2003) und der einzusetzenden Geländemethodedie Nutzung eines Geoinformationssystemsebenfalls nah. Eingesetzt wurdenin beiden Fällen ArcView 9.1. Beim Elbegutachtenwurden die GIS-Arbeiten von N. Laudurchgeführt.Als Kartengrundlage dienten georeferenzierteLand- und Seekarten, welche die Auftraggeberzur Verfügung stellten. Weiterhin wurden, wieoben dargestellt, wichtige historische Kartengeoreferenziert (Lang 1969 Kat.-Nr. 37, 44, 47,61, 71, 85 u. 96; Schleier 1994, 29). Da Bodenkartenentscheidende Hinweise auf Primär- oderSekundärlage von Funden und Fundstellen gebenkönnen, waren auch im Maßstab 1:25000vorliegende Bodenkarten zu digitalisieren undzu georeferenzieren (Abb. 9).In einem zweiten Arbeitsschritt wurden alle archäologischenEinzelfunde und Fundstellen, vondenen Punkt- oder Raumkoordinaten bekanntwaren, eingepflegt. Analoge Fundstellenplänewurden digitalisiert und georeferenziert, Fundstellenohne koordinatengenaue Angaben ma-


Archäologische Gutachten … für die geplanten Fahrrinnenanpassungen von Elbe und Wesernuell in die digitalen Karten eingehängt. DieseKartenelemente konnten in der Regel nach Typund Zeitstellung aufgeschlüsselt werden. Hinzukamen, auf Grundlage der BSH-Datenbankund der eigenen Geländeuntersuchungen, dieFundpunkte aller Wracks und aller bekanntenUnterwasserhindernisse. Schließlich wurdensämtliche Ergebnisse der hydroakustischenVermessungen einarbeitet. Die GIS-Projekteumfassten damit alle relevanten, für Analyseund Darstellung notwendigen Raumdaten undkonnten als Arbeitsgrundlage für alle Auswertungs-und Bewertungsarbeiten dienen.Einzelne Fundstellen und die eigentlichen,denkmalpflegerisch–archäologischen Resultateder beiden Gutachten können angesichts desnoch laufenden Planungsverfahrens an dieserStelle noch nicht behandelt werden. Wir gehenim Folgenden also nur kurz auf einige allgemeineKriterien unserer Bewertungen ein. Fundstellenangaben,die auf bloßen Aufsammlungen vonEinzelfunden im Gezeitenbereich des Flusses resultieren,sind in Bezug auf die geplanten Maßnahmenwenig relevant – in der Regel ist davonauszugehen, dass es sich um verlagerte Einzelfundeohne stratigrafischen Zusammenhanghandelt, welche bestenfalls indirekte Hinweiseauf intakte Fundstellen darstellen. Umgekehrtbedeutet der Nachweis von Baubefunden jeglicherArt und von Schiffswracks, dass am betreffendenFundplatz in der Regel noch aussagefähige,komplexe archäologische Zusammenhängezu erwarten sind. Dies gilt auch dann, wenn anden betreffenden Stellen bereits archäologischeUntersuchungen stattgefunden haben. Da essich stets um Fundstellen mit Feuchterhaltunghandelt, ist davon auszugehen, dass es sich inallen Fällen um Denkmale von hohem wissenschaftlichenund kulturellen Wert handelt, diegeeignet sind, wichtige Aspekte der Entwicklungder Kulturlandschaften an der Weser undder Elbe und ihrem Hinterland zu beleuchten.Der denkmalpflegerischen Bewertung der vorhandenenarchäologischen Fundstellen sind ansonstenenge Grenzen gesetzt. Den rechtlichenRahmen für diesen Aspekt der Bewertung bildendie Denkmalschutzgesetze der betroffenenBundesländer. Die entsprechenden Gesetzeformulieren in ihren §§ 1 und 2 gesetzlichenSchutz für Denkmale, an deren Erhaltung ausgeschichtlichen, künstlerischen, wissenschaftlichen,städtebaulichen sowie technik- oder heimatgeschichtlichenGründen ein öffentlichesInteresse besteht. Da die Daten zu den hierbehandelten Fundstellen im Wesentlichen ausListen der Denkmalpflegebehörden resultieren,war die Schutzwürdigkeit der aufgeführtenFundstellen nicht in Frage zu stellen.Nicht uneingeschränkt gilt dies allerdings fürmanche Wrackfundstellen. Besonders im Bereichder Außenweser war die Bewertungsgrundlagenoch so unzureichend, dass dasentsprechende Gutachten hier eine endgültigeBewertung von den Ergebnissen weiterer Untersuchungenabhängig mache musste. Die Resultatedieser Arbeiten liegen z. Zt. (August 2007)noch nicht vor.SchlussDie zahlreichen Fundpunkte von Schiffswracks,die in der Datenbank und den Karten des BSHerfasst sind, könnten den Eindruck erwecken,das deutsche Nordsee-Küstenmeer und die angrenzende„Ausschließliche Wirtschaftszone“(AWZ) seien archäologisch gründlich erforscht.Mit den tatsächlichen Verhältnissen hätte diesallerdings wenig zu tun. Die entsprechendenUntersuchungen des BSH berühren nur eineeinzige archäologische Quellengattung und nurdie jüngsten Abschnitte der Nutzungsgeschichtedes Raums. Die riesigen Zeitabschnitte, in denender Mensch die heute überfluteten Landschaftendes Kontinentalsockels als Siedelareale,Fisch- und Jagdgründe nutzte, bleiben von denUntersuchungen des Bundesamtes für Seeschifffahrtnaturgemäß vollkommen unberührt.Dass sich unsere Gutachten im Bereich derUntersuchungsgebiete Außenweser und Außenelbedennoch weitgehend auf schiffsarchäologischeFragestellungen konzentrierten, hatterein praktische Gründe. Archäologische Untersuchungenim deutschen Küstenflachmeer,die Anhaltspunkte auf räumliche Verteilungenund mögliches technisches Vorgehen im Untersuchungsgebiethätten liefern können, gibt esbislang nicht. Damit fehlten die wesentlichenVoraussetzungen für einen entsprechenden Zuschnittder im Rahmen des Gutachtens notwendigenUntersuchungen.Dass in den Untersuchungsgebieten mit entsprechendenDenkmälern zu rechnen war und seinwird, ist keine Frage archäologischer Theorie.Um dies zu erkennen, genügt ein Blick in dieFundlandschaften der Nachbarländer. Besondersvon Dänemark und Großbritannien sindinzwischen eine bedeutende Anzahl von Fundstellenmit teilweise ausgezeichnet erhaltenenarchäologischen Befunden bekannt geworden(Fischer 2004; Fleming 2004b; Grøn/Skaa-69


NAU 14 2008rup 2004; Momber 2004). Die meisten derentsprechenden Untersuchungen beziehen sichzwar auf Gebiete mit weitaus günstigeren Bedingungenfür die Erhaltung archäologischerBefunde sowie auch für deren Zugänglichkeit,als dies an der deutschen Nordseeküste mit ihrenaußerordentlich rauen Naturverhältnissenund schwierigen Arbeitsbedingungen der Fallist. Es kann aber kein Zweifel daran bestehen,dass es auch hier, wie in der gesamten Nordsee,geomorphologische Voraussetzungen – etwafossile Ästuare – gibt, welche menschliche Nutzungund die Erhaltung entsprechender archäologischerSpuren ermöglichten und sogar wahrscheinlichmachten (Fleming 2004a, 15).Die entsprechenden dänischen, englischen undniederländischen Forschungen des letzten Jahrzehntssehen sich selbst weit von einer systematischenErforschung des „Doggerland“ (Coles1998) entfernt. Für zukünftige Planungsvorhabenin deutschen Küstengewässern können siedennoch als wegweisend gelten. Die entsprechendenUntersuchungen des letzten Jahrzehntshaben zwei Hauptaspekte gemeinsam: sie standenzum einen in einem engen Zusammenhangmit neuen nationalen und europäischen Gesetzgebungen(Fleming 2004a, 12; Maarleveld/Peeters 2004; Oxley 2004), zum anderen mitneuen oder ausgeweiteten industriellen Nutzungender Nordsee – Fischerei, Öl- und Gasindustrie,Kiesgewinnung, Hafenbaggerungenund der Einrichtung von Windparks (Firth2004; Fischer 2004, 23. – vgl. insbesondereauch Beitrag D. Paddenberg in diesem Heft).In Deutschland wurde mit dem Umweltverträglichkeitsgesetzvon 1994, das Kulturgüterals Schutzgut einschließt, eine wichtige Voraussetzungfür Schritte in die gleiche Richtung gemacht(Heun 2003, 88 f.). Angesichts der Herausforderungen,die mit aktuellen Planungenzur Errichtung von Windparks und der damitverbundenen Kabeltrassen (vgl. z.B. http://www.energieportal24.de/artikel_1679.htm) oder demweiteren Ausbau der Seehäfen und Containerterminals(vgl. z.B. http://www.abendblatt.de/daten/2006/12/06/648575.html) auf dieDenkmalpflegebehörden der Küstenländer zukommen,werden wir ähnliche Wege wie unsereNachbarn gehen müssen. Dies gilt nicht zuletztauch in Bezug auf die Weiterentwicklung unsererMethoden. Die Untersuchungen an Elbeund Weser zeigen, dass die heute zur Verfügungstehenden archäologischen Feldmethodenunter den besonderen Bedingungen, wie sie inden Flussästuaren und im Küstenflachmeerder Deutschen Bucht anzutreffen sind, nicht sogreifen, wie es wünschenswert wäre. Wenn esnicht glückt, an diese besonderen Verhältnisseangepasste Dokumentationsstrategien zu entwickeln,haben wir in Zukunft zunehmend miteinem schleichenden, weitgehend unbemerktenVerlust von Denkmälern mit potentiell hohemwissenschaftlichem Rang und großer geschichtlicherBedeutung für die Kultur der Küstenlandschaftzu rechnen. Planungsvorhaben vomGrößenmaßstab der hier behandelten stellen sogesehen nicht nur neue Bedrohungen für dasUnterwasserkulturerbe, sondern auch denkmalpflegerischeHerausforderung und Zukunftschancedar.DankAbschließend sei hier einigen Personen undInstitutionen gedankt, ohne deren besonderenEinsatz das gute Gelingen der beiden Vorhabennicht möglich gewesen wäre. Zu danken ist insbesondereden Schiffsbesatzungen der „NigeWark“ der Hamburg Port Authority und denHydrographen der Firma Geonautec, sowie derLeitung und den Mitarbeitern der Firma InnomarTechnologie GmbH, Rostock. Den ArbeitsgruppenProjektgruppe VoruntersuchungFahrrinnenanpassung Unter- und Außenelbe2004 und des WSH Bremerhaven gebührt fürdie stets gute Zusammenarbeit und die Erlaubniszu dieser Veröffentlichung unser besondererDank.Stellvertretend für die vielen beteiligten Kolleginnenund Kollegen aus der Denkmalpflegeund den Museen der Länder Hamburg, Bremenund Niedersachsen möchten wir Dr. W. Kramer(ALSH), der sich maßgeblich für das Gelingender Vorhabens einsetzte, und den Leitern derjeweiligen Denkmalpflegebehörden, Herrn Dr.H. Haßmann, Herrn Prof. Dr. M. Rech undHerrn Prof. Dr. C. von Carnap-Bornheim herzlichdanken.Anschrift der VerfasserInnenRuth Blankenfeldt M.A.Archäologisches LandesmuseumStiftung Schleswig-Holsteinische LandesmuseenSchloss GottorfD-24837 Schleswigblankenfeldt@schloss-gottorf.deDr. Martin MainbergerUWARC GbRBallrechterstr. 3D-79219 StaufenMartin.Mainberger@uwarc.de70


Archäologische Gutachten … für die geplanten Fahrrinnenanpassungen von Elbe und WeserLiteraturAhrens 1966: C. Ahrens, Vorgeschichte des KreisesPinneberg und der Insel Helgoland. Die vor- undfrühgeschichtlichen Denkmäler und Funde in Schleswig-Holstein7 (Neumünster 1966).Machbarkeitsstudie 2004: Projektgruppe VoruntersuchungFahrrinnenanpassung Unter- und Außenelbe.Machbarkeitsstudie zur weiteren Fahrrinnenanpassungvon Unter- und Außenelbe. Arbeitsfassung(Hamburg 2004).Behre 1995: K.-E. Behre, Kleine historische Landeskundedes Elbe-Weser Raumes. In: H.-E. Dannenberg/H.-J.Schulze (Hrsg.), Geschichte des Landeszwischen Elbe und Weser (Stade 1995) 1–59.Behre 2003: K.-E. Behre, Eine neue Meeresspiegelkurvefür die südliche Nordsee. Probleme der Küstenforschungim südlichen Nordseegebiet 28, 2003,9–63.Blankenfeldt et al. 2005: R. Blankenfeldt/F. Huber/I.Ibsen/N. Lau, Anpassung der Fahrrinne vonUnter- und Außenelbe an die Containerschifffahrt.Planfeststellungsunterlage Teil H 11b. 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Die archäologische Erforschung der Roseninselim Starnberger See in der ersten Hälfte des 20. JahrhundertsWolfgang Schmid und Karl Schmidtler (†)ZusammenfassungIm Frühjahr 1943 beschäftigte sich der archäologische Laie Dr. rer. nat. habil. Karl Schmidtler (1905–1991) imRahmen seiner Dissertation (Geographische Fakultät der Ludwig-Maximilian-Universität München) mit den Holzbefundenim Flachwasser vor der Roseninsel im Starnberger See und widerlegte mit einfachsten prospektorischenMitteln die damals gültige, auf den Anschauungen von Paul Reinecke und Ferdinand Birkner basierende Forschungsmeinunghinsichtlich einer zeitlichen Zuweisung der zahlreichen Pfahlstellungen um die Insel ins Mittelalter.Die Bergung zweier spätbronzezeitlicher Gefäße aus einem der Pfahlfelder beweist die Gleichzeitigkeit vonHolzbefunden und dem prähistorischen Fundstoff, die von beiden Wissenschaftlern kategorisch in Abrede gestelltworden war. Zudem skizzierte er als erster ein System uferparallel ausgerichteter Palisaden vor der Ost-, Süd- undWestseite der Insel, das immer noch nicht ausreichend erforscht ist. Schmidtlers Arbeit wurde nie veröffentlicht underst nach seinem Tode durch seine Witwe der Bayerischen Gesellschaft für Unterwasserarchäologie e.V. (BGfU) ineinem maschinenschriftlichen Manuskriptdurchschlag zugänglich gemacht. Der die Roseninsel betreffende Teil seinerArbeit ist hier vollständig wiedergegeben.SummaryIn spring 1943 Dr. Karl Schmidtler (1905–1991), an archaeological layman, studied the numerous wooden structuresin the shallow waters around Rose Island in Lake Starnberg/Upper Bavaria, in the course of his dissertation on theFaculty of Geography in Munich University. By very simple means of prospection and survey he disproved the thenvalid scientific opinion of Paul Reinecke and Ferdinand Birkner referring to datation of the numerous pile-areasaround the island to the medieval period exclusively. The recovery of two Late Bronze Age vessels from one of thepile-fields proves that the pile-settings and the finds are of same age, which has been imperatively denied by theabove-mentioned prehistorians. Additionally, he mapped a system of palisades set up parallel to the eastern, southernand western shoreline of the island for the first time – structures, which are archaeologically unexplored up till now.Schmidtler’s thesis has never been published. After his death his widow made his scientific work available to theBavarian Society of Underwater-Archaeology (BGfU) by a copy of his type-written manuscript. The parts referringto his archaeological surveys around Rose Island are reproduced completely in this article.Die etwa bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreichendenAnfänge der archäologischenErforschung der Roseninsel im Starnberger Seeund der prähistorischen Pfahlbauten in denFlachwasserzonen um die Insel erreichten in denAusgrabungen der Jahre 1873/74 einen erstenHöhepunkt (Schmid 2000). Nachdem im StarnbergerLandrichter Sigmund von Schab, demInitiator jener Grabungen, Anfang der 1880erJahre die überragende archäologische Persönlichkeitder Roseninselforschung abgetreten ist –v. Schab war im Jahre 1883 in München verstorben– wurde es still um die weitere archäologischeErforschung des königlichen Eilands. Dasvom bayerischen Königshaus Wittelsbach zwischen1851 und 1856 errichtete Inselschlösschenverlor mit dem Ende der Monarchie in Folge derNiederlage im 1. Weltkrieg seine Funktion undverfiel zusehends, die Rosensträucher des Rosariumsin der künstlichen Parklandschaft umdas Schlösschen verdorrten und die Insel nähertesich wieder jener Idylle, aus der sie durchdas Engagement des bayerischen Königshauses70 Jahre zuvor gerissen worden war. Dem politischenNiedergang der Insel als königlichemRefugium gesellte sich ein archäologischer andie Seite. Zwar hatten noch 1895 durch denMünchner Anthropologieprofessor JohannesRanke veranlasste Grabungen auf der Insel selbststattgefunden, doch erreichten diese bei weitemnicht mehr das Niveau der Untersuchungen v.Schabs und fanden auch keinerlei Erwähnung73


NAU 14 2008Abb. 1: Planskizze der AusgrabungenSigmund von Schabs an der Roseninsel inden Jahren 1873/74 (v. Schab 1877, Taf.XVII, Ausschnitt).74in der zeitgenössischen archäologischen Fachliteratur.Im Jahre 1915 schürfte Prinz LudwigFerdinand von Bayern an verschiedenen Stellender Insel nach archäologischen Funden; jedochblieb all dies für die prähistorische Forschungvöllig bedeutungslos und die im Jahre 1928 aufErsuchen von Prof. Ferdinand Birkner, demdamaligen Leiter der Prähistorischen StaatssammlungMünchen im Nachhinein erstellteSkizze der Grabungsstellen durch den Prinzenist es kaum wert, publiziert zu werden. Für etwasieben Jahrzehnte stagnierte die archäologischeForschung auf und um die Roseninsel weitgehend.Ein grundlegender Wandel trat erst imJahre 1986 ein, als unter der Leitung von HubertBeer (ehemals: Archäologische TauchgruppeBayern e. V., jetzt: Bayerische Gesellschaftfür Unterwasserarchäologie e. V.) in einer spektakulärenmehrjährigen Ausgrabung und Bergungeines urnenfelderzeitlichen Einbaumes imFlachwasser vor der Insel archäologisches Neulandbetreten wurde (Beer 1988).In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hattesich die prähistorische Forschung um eineBewertung der Ergebnisse der von Sigmund v.Schab durchgeführten Altgrabungen sowie derzeitlichen Einordnung des umfänglichen vorgeschichtlichenFundstoffes bemüht. WeitereFeldforschung wurde nicht für nötig befunden,da die maßgeblichen Prähistoriker in Bayerndie siedlungsarchäologischen Probleme im Kernfür gelöst erachteten. So wandelten sich die imFlachwasser um die Roseninsel postulierten, angeblichauf Pfahlroste gesetzten „Pfahlbauten“v. Schab’s (v. Schab 1877, 74) zu einem amwestlichen Inselufer errichteten Stranddorf.Dies entsprach weitgehend der im Jahre 1922in Tübingen von Hans Reinerth entwickeltenwissenschaftlichen Anschauung des Pfahlbauproblems,die zusehends Anhänger in der Prähistorikergemeindefand (Speck 1981, 120).Dieser bemerkenswerte Meinungsumschwungwurde aus guten Gründen vollzogen. Bereits im19. Jahrhundert waren ältere Beobachtungenwissenschaftlich verifiziert worden, wonach derWasserspiegel des Starnberger Sees, ganz im Gegensatzzu zahlreichen anderen bayerischen Binnengewässern,offenbar stetig ansteigt und derSee somit kontinuierlich transgrediert. Schonim Jahre 1783 wurden dem bayerischen HistoriographenLorenz v. Westenrieder auf seiner Reisean den Starnberger See Beobachtungen der Seeanwohnergeschildert, wonach „sich der See, stattin engere Ufer zurückzuziehen, noch immer mehrRaum macht. Noch bey Mannsgedenken hat er anverschiedenen Orten dreyßig bis sechzig Schritteweiter ins Land gedrungen, und seine Ausdehnunggeht noch immer fort.“ (v. Westenrieder 1784,129). L. Statzner erklärte dies im Jahre 1868 alsStaueffekt, hervorgerufen durch kontinuierlicheMoorbildung am Ausfluss der Würm bei Starnberg(Statzner 1868, 435 Fig. 167) und WilliUle vermutete in seiner umfänglichen limnologischenStudie von 1901 fortgesetzte Rodungstätigkeitin der Umgebung des Sees als Ursachedes Seespiegelanstiegs, wodurch die wasserspeicherndeFunktion der Wälder vermindert würdeund das überschüssige Niederschlagswasserzwangsläufig ins Seebecken abfließen müsse(Ule 1901, 191 ff.). Bereits Sigmund v. Schabwar im Zuge seiner eigenen Ausgrabungen imJahre 1874 auf eine lang anhaltende Transgressiondes Starnberger Sees aufmerksam geworden,denn ein von ihm in Resten entdeckter, sich insInnere der Roseninsel leicht abschüssig erstreckenderunterirdischer „Kanal“ im Flachwasserbereichvor dem westlichen Inselufer hätte nichtangelegt werden können, wenn das Areal schondamals überflutet gewesen wäre (v. Schab 1875,211). Eine Auswirkung auf seine eigenen, amVorbild der Schweiz orientierten Pfahlbauvor-


Die archäologische Erforschung der Roseninsel im Starnberger See …stellungen im Sinne abgehobener Plattformenauf dem Wasser hatte dies allerdings nicht.Nach dem Ersten Weltkrieg beeinflusste derwegen seiner grundlegenden chronologischenStudien bereits zu Beginn des Jahrhunderts imgesamten europäischen Raum berühmte undin Bayern als Bodendenkmalpfleger tätige PaulReinecke die ins Stocken geratene archäologischeErforschung der Roseninsel ganz wesentlich.Für Sigmund von Schab’s wissenschaftliche Vorarbeitenfand Reinecke kaum lobende Worte,hatte sich v. Schab bei seiner Bewertung der sogenannten „Antiken von der Roseninsel“, einemmysteriösen, angeblich beim Bau des königlichen„Casinos“ auf der Insel zutage getretenenFundensemble, arg vergriffen. Hochwertige römischeArchitekturfragmente und Bruchstückegriechischer Vasen ganz unterschiedlicherProvenienz und Zeitstellung können schwerlich,wie v. Schab unterstellte, gesamthaft alsauthentische Bodenfunde von der Insel geltenund haben wohl eher mit der Sammelleidenschaftdes bayerischen Königshauses für antikeKunstgegenstände zu tun. Dieser Komplexwar zu v. Schab’s Zeiten den Gästen des Königsals Exponate in einer Vitrine im Speisesaal desCasinos präsentiert worden (Hölz 2001, 49).Die rätselhafte Mitteilung des Ausgräbers, wonachdas Fußfragment einer griechischen Kylixaus einer seiner „Fundgruben“ im Flachwasservor dem westlichen Inselufer stammt (v. Schab1877, 69 Taf. II,11a–b; XII,311), hat Reineckeoffenbar nicht beachtet. Neuere Beobachtungenvon frühlatènezeitlichen Holzbefunden imFlachwasser vor der nordöstlichen Inselspitze(Schlitzer/Pflederer 2007) im Verein mit einigenbereits von Schab geborgenen zeitgleichenKleinfunden werfen die Frage der Authentizitätzumindest eines Teiles des ominösen Antikenkomplexeserneut auf. Nicht aus dem Umfeldder späthallstatt- bis frühlatènezeitlichen keltischen„Fürstensitze“ Süddeutschlands stammendegriechische Importkeramik wäre bislangohne Parallele. Das Beispiel zeigt immerhin, wieviel Brisanz im archäologischen Potenzial derRoseninsel nach wie vor steckt und welche Vorsichtbei der „abschließenden“ archäologischenBewertung rätselhaft erscheinender Aspekte gebotenist.Im Vergleich hierzu schwerer wiegt sicherlichdie Fehleinschätzung Reineckes hinsichtlichder Zeitstellung der Pfahlbauten in den Flachwasserzonenum die Roseninsel. Zweifelsfreiverbanden im Mittelalter mehrere Brückenkonstruktionendie Roseninsel mit dem Festland(Abb. 1), deren eine – die nördliche oder untereBrücke – nicht durchgängig war, sondernzu einer im See errichteten Plattform für denFährverkehr zur damaligen Inselkirche führte.Inzwischen ist die mittelalterliche Zeitstellungdieser Bauwerke – eines hatte v. Schab anhandihm prähistorisch erscheinender Schlagfacettender Pfahlspitzen gar als vermutlich jungsteinzeitlicheingestuft (v. Schab 1877, 77) – durchdendrochronologische Untersuchungen eindeutiggeklärt (May u. a. 2003; ders. 2004).Diese Brückenanlagen bewogen Reinecke unbegründeterweisedazu, sämtliche Pfahlfelderund Holzbefunde in den Flachwasserbereichenum die Insel als mittelalterlich anzusehen, da esihm als erwiesen erschien, dass die sogenanntenPfahlbauten um die Insel nie existierten und diespätbronzezeitliche Siedlung vielmehr als UferoderStranddorf gewertet werden müsse, das imZuge der späteren Transgression des Sees unterWasser geraten sei (Reinecke 1934, 287).Diese durch Paul Reinecke vertretene Ansichtwurde somit zur autorisierten Lehrmeinung undfand bei anderen namhaften Gelehrten wie etwaFerdinand Birkner bedenkenlosen Zuspruch(Birkner 1936, 81 ff.). Heinrich Geidel brachteReineckes und Birkners Standpunkt in seinempopulär aufgemachten Buch über die Münch-Abb. 2: Karl Schmidtler(28.10.1905–16.2.1991).Foto aus seiner Zeit alsGymnasiallehrer (Quelle:Archiv des GymnasiumsWeilheim, mit freundlicherGenehmigung von GerhardWerthan).75


NAU 14 200876ner Vorzeit auf eine schlagend einfache, aber geradedeswegen problematische Formel (Geidel1938, 38): „Die Entdeckung von Pfahlrosten amWestufer der Insel in den Jahren 1865 und 1873versetzte die wissenschaftliche Welt in eine gewisseAufregung; man glaubte, damit die nördlichstenPfahlbauten Europas gefunden zu haben. Dieneuere Forschung hat indessen den Nachweis erbracht,daß die Roseninsel keine Pfahlbausiedlung,sondern vielmehr immer eine Inselsiedlung beherbergte.Denn wo Pfähle festgestellt sind, fehlen dieKulturschichten und bei den Kulturschichten amInselrand fehlen die Pfähle. Die Pfähle im See gehörenerst dem Mittelalter an.“An diesem Punkt setzte ein naturwissenschaftlichausgebildeter gebürtiger Münchner als archäologischerLaie an. Aufgrund der Ereignisse des2. Weltkrieges war seine an der GeographischenFakultät der Ludwig-Maximilian-UniversitätMünchen im März 1942 angenommene Dissertationüber den Starnberger See unpubliziertgeblieben. Die Publikationsbemühungen der imJahre 1943 aktualisierten und zum Druck eingereichtenArbeit von Karl Schmidtler (1905–1991;Abb. 2) fanden im Bombenhagel der alliiertenLuftflotten ihr Ende. Zugänglich wurde das Manuskripterst nach Schmidtlers Tod durch dessenleider inzwischen ebenfalls verstorbene Ehegattin,Frau Ursula Schmidtler. Sie hatte im Jahre1998 Kontakt mit der Bayerischen Gesellschaftfür Unterwasserarchäologie e.V. aufgenommenund einen maschinenschriftlichen Durchschlagzur Verfügung gestellt (Schmidtler 1943). Lassenwir nun den naturwissenschaftlich versiertenAutor Karl Schmidtler – er hat in MünchenChemie, Biologie und Geographie studiert, warwährend des Dritten Reiches an der NSD Oberschule„Starnberger See“ in Feldafing tätig, habilitiertesich 1944 und wurde nach dem Kriegam Gymnasium in Weilheim als Lehrer in denStaatsdienst übernommen – über seinen Beitragzur archäologischen Erforschung der Roseninselselbst zu Wort kommen (Schmidtler 1943,149a ff.). In eckige Klammern gestellte Erläuterungenund Abbildungshinweise wurden nachträglicheingefügt, gesperrt gesetzte Ausdrückeund unterstrichene Passagen entsprechen demOriginaltext:.... „Die genaue Feststellung der tatsächlichenPfahlreste, ihrer Anordnung und Lage zur Insel ergibtnämlich eine Reihe bemerkenswerter Gesichtspunkte,die mit den bisherigen Anschauungen z.T.nicht in Einklang zu bringen sind.Der aussergewöhnlich niedrige Seespiegel, das nochwinterlich kalte Wasser und völlig windstille Tagenach vorangegangenen Stürmen, ergaben Endedes Winters 1942/43 die Möglichkeit zur genauenBeobachtung des Seebodens in der Roseninselumgebung,dessen Relief ohnehin durch die früherenLotungen kartenmässig festgelegt war.Bericht über meine Untersuchungen anden „Pfahlbauten“ der Roseninsel im Frühjahr1943Das Studium des Berichtes von S. v. S c h a b (DiePfahlbauten im Würmsee, München 1876), [erneutzum Abdruck gebracht in: Beitr. Anthr.u. Urgesch. Bayern 1, 1877, 1 ff.] sowie eigeneBeobachtungen gelegentlich meiner limnologischenArbeiten gaben mir die Anregung, bei günstigenBedingungen die Reste der sogen. Pfahlbauten imRoseninselgebiet genauer zu identifizieren.Der aussergewöhnlich tiefe Wasserstand des Sees,hervorgerufen durch die langanhaltende vorangehendeTrockenperiode (Sept. 1942 bis einschl.März 1943), die den Wasserspiegel zeitweise bisfast ½ m unter den Normalpegel zum Sinkenbrachte, gab hierzu willkommene Veranlassung.So hatte ich die Möglichkeit, in oben angegebenerZeit mehrmals, z.T. auch unter Begleitung des Inselverwalters,die fraglichen Stellen im Boot abzufahrenund zu fotografieren. Es ergab sich hierbeifolgendes:1. Auf dem nur flach vom Wasser überspültenMoränenrücken der Roseninsel (Übersicht aufmeiner Lotungskarte vom Roseninselgebiet) befindensich auf der W-Seite der Insel, etwa in Höheder Inselmitte und ca. 30–40 m seewärts vomUferrand der Insel beginnend und sich bis über denSüdsporn derselben nach S fortsetzend, eine grosseAnzahl, z.T. schlammüberdeckter eingerammterPfähle, die etwa 10–20 cm aus dem Seeboden herausragenund derzeit etwa 40–50 cm vom Wasserüberdeckt sind.2. Es lassen sich deutlich Pfahl r e i h e n von dichtnebeneinanderstehenden, ca. 15–30 cm dickenPfählen, sowie Pfahlfelder von dünneren, zahlreichund unregelmässig auf grössere Flächen verteiltenPfählen unterscheiden.3. Die Pfähle sind tief in den Moränenrückeneingerammt, z.T. nach N geneigt (Eisschub) undzeigen beim Anspiessen mit dem Bootshaken grosseFestigkeit und Zähigkeit des Holzes, vom demoberflächlich Teilchen absplittern und zu Bodensinken.4. Die Holzproben sind im nassen Zustandschwarz und zeigen nach dem Trocknen die Farbe,Festigkeit und Struktur des Eichenholzes.5. Weitere Pfahlreihen und Felder wurden auf


Die archäologische Erforschung der Roseninsel im Starnberger See …der S und SO Seite der Insel festgestellt. Teilweisezeigen die Pfahlfelder auffallend regelmässige Anordnungder Pfähle in Rechteckform. Die Entfernungvom Uferrand der Insel beträgt weniger als100 m. Auf der Westseite der Insel setzen sich diePfähle bis in das dichte Schilf hinein fort.6. Irgendwelche erst in jüngerer Zeit vorgenommeneBaulichkeiten sind nicht bekannt, sodass diePfähle als Überreste von solchen nicht in Fragekommen. Insbesondere liesse sich nicht erklären,welche Bedeutung die Pfahlfelder haben, wennauch die Pfahlreihen vielleicht als Rest ehemaligerBrückenverbindungen oder Sturmpalisaden angenommenwürden. Aber auch die beiden Stege vonder Roseninsel zum Festland, deren letzte Überresteim vergangenen Jahrhundert entfernt wurden,verliefen in anderer Richtung.7. Die Untersuchungen und Funde, die auf Anregungenvon S. v. Schab in den siebziger Jahrend. v. Jahrhunderts durchgeführt wurden, habenzu dem eindeutigen Ergebnis geführt, dass die Inselseit dem Neolithikum lange Zeit hindurch bewohntwar. Schab selbst hat damals den Beweis fürPfahlbauten als einwandfrei erbracht gehalten.8. Ein Absinken des derzeitigen Wasserspiegelsum 1,5 m würde so ziemlich alle Pfahlreste trockenlegen. – Ein Absinken um nur 60–70 cmvom augenblicklichen Wasserspiegel ab gerechnet,würde die Pfahlfelder und Reihen an der Westseitegrösstenteils in Festland verwandeln. Es ist daherder Gedanke naheliegend, dass – einem um denangegebenen Betrag angenommenen tieferen Standdes Sees vorausgesetzt – die „Pfahlbauten“ tatsächlichauf dem Festland, d.h. dem dadurch wesentlichgrösseren Roseninselbereich entstanden sind.Am 13.4.43 hatte ich wieder eine sehr günstige Beobachtungsgelegenheitzur Feststellung der Pfahlbaurestein der Roseninselumgebung. Der See lagbei strahlendem Sonnenschein spiegelglatt da, dasWasser war infolge kurz vorhergegangener Schneefällenoch ziemlich kalt (Oberflächentemperatur+6° C) und somit auch sehr klar. Starke Stürme inder ersten Aprilwoche legten vieles durch die heftigeWellenbewegung frei, was vorher durch Schlammbedeckt war und überdies lag das Seespiegelniveaunoch immer etwa 40 cm unter dem Normalpegel.Alles in allem: äusserst günstige Untersuchungsbedingungen.Dabei konnte ich feststellen, dass sich die Pfahlreihenauf der Südwest-Seite der Roseninsel erheblichweiter als vorher vermutet, nämlich schätzungsweise120–130 m über die Südspitze der Roseninselhinaus nach S fortsetzen und zwar in wesentlichbedeutendere Tiefen als bisher angenommen.Wenn auch der weitaus grösste Teil der Pfähle ander W-Seite der Insel zwischen Inselmitte und Südspitzesich erstreckt, so setzen sich einzelne Pfähleund Pfahlreihen darüber hinaus doch bis an die2,5 m Isobathe nach S fort. Am Endpunkt dieserPfahlreihen im SW, etwa 130 m von der Südspitzeder Insel entfernt, sind noch einzelne starkePfähle in etwa 3 m Tiefe festzustellen. Von daaus setzt sich die Pfahlreihe im spitzen, fast rechtenWinkel weiter nach O fort und trifft sich mitden von den Pfahlfeldern der Ostseite ausgehendenPfahlreihen-Resten. Ich habe bei der wundervollklaren Tiefensicht die Aussenränder des gesamtenPfahlbaubereiches umfahren und besonders markanteStellen im Lichtbild festzuhalten versucht.Auch auf der Ostseite der Insel sind verschiedenePfahlfelder, die nach S c h a b bis zu 180 m (?)vom Uferrand entfernt sind. – Man wäre versuchtanzunehmen, dass somit die Pfahlbauten an denverschiedenen Stellen in wechselnder Tiefe liegen.Das ist aber nicht der Fall. Die Pfahlfelder, alsodas Fundament der eigentlichen damaligen Wohnungen,wenn es sich um solche tatsächlich handelnsollte, liegen in nahezu gleicher Höhe, sowohlam W wie am O Ufer, und sind durch Pfahlreihengegen den See zu geschützt. Diese bestehen durchwegsaus stärkeren Hölzern und sind nach Schabals Palisaden gegen den Wellenschlag anzusehen.Diese Annahme wird bekräftigt durch die Tatsache,dass auch am O-Ufer solche Palisaden in etwa50–100 m Abstand vom gegenwärtigen Uferrandverfolgbar sind. Verschiedentlich sind auch auf derInnenseite dieser Schutzeinrichtungen Steinanhäufungenfestzustellen, die in ihrer Regelmässigkeitden Eindruck menschlicher Arbeit vermutenlassen. Innerhalb dieser aus eingerammten Pfählenbestehenden Schutzwälle sind weitverbreitet verstreutgrössere und kleinere eingerammte Pfähleund Pfahlgruppen, ja ganze Pfahlfelder zu sehen.Da bei dem klaren Wasser auch noch bis in Tiefenvon 1 m und darüber deutliche Aufnahmengemacht werden konnten, ist es möglich, die Beschreibungdieser Pfahlreste durch Bilder zu unterstützen.Bei einer nochmaligen Besichtigung und Absuchungdes Seebodens am 16.4.43 im Bereich der2,5 m Isobathe konnte ich den Verlauf der hauptsächlichstenPfahlreihen durch den Kompass richtungsmässigfestlegen. Es ergab sich dabei die inbeiliegender Skizze [Abb. 3] eingetragene Anordnung.– Bei genauer Beobachtung der Pfahlfelderkonnte man z.T. auch querliegende starke Balkenteilweise rechtwinklig zueinander liegend im Seesanderkennen, wie überhaupt grosse Mengen stärkererHölzer im Schlamme eingebettet liegen.Auch rechteckige Anhäufungen von Geröll konntenfestgestellt werden. Bei der Untersuchung eines77


NAU 14 2008Abb. 3: Bleistiftskizze Karl Schmidtlers zu den Palisadensystemen um die Roseninselaus dem Jahre 1943. Gestrichelt: 2,5 m Isobathe (Umzeichnung: Wolfgang Schmid,mit freundlicher Genehmigung von Frau Ursula Schmidtler †).Abb. 4: Von Karl Schmidtler in Pfahlfeldern geborgene spätbronzezeitliche Keramik:a) Kegelhalsgefäß; Stufe HaA2; H: ca. 25 cm; b) Bruchstück eines weitmundigenGefäßes mit Einstichreihe in der Halskehlung. a) Müller-Karpe 1959 Taf. 192,6;b) ebd. Taf. 192,14).78Pfahlfeldes auf der Ostseite der Insel konnte ichaus dem Schlamm ansehnliche Teile eines grösserenTongefässes herausholen. Sie lagen im Seegrundeingebettet in ca. 1,5 m derzeitiger Wassertiefeim unmittelbaren Bereich eines Pfahlfeldes. DieGefässbruchstücke, zu denen ich an der gleichenStelle bei weiteren Untersuchungen am 24.4.43noch ein Anschlussstück fand, konnten unschwerergänzt werden. Es hat eine Höhe von 30 cm[richtig: ca. 25 cm] am Rand ..... [18,5 cm] cm,am Band .... cm und am Boden [die Maße fehlenim Originalmanuskript und sollten wohl spätervom Verfasser nachgetragen werden], der vomFeuer geschwärzt ist und kohlige Sedimente zeigt,8,5 cm Durchmesser. Es ist aus mit Steinchen gemagertemTon mit der Hand hergestellt und gehörtder früheren Hallstattzeit (etwa 1200 – 1000 v.Zw.) an [Abb. 4a]. Die Bestimmung dieser Urneerfolgte liebenswürdigerweise durch Herrn ProfessorDr. F. W a g n e r, Direktor der vorgeschichtlichenStaatssammlung in München.Seit der letzten Untersuchung (13.4.43) ist infolgeder warmen Witterung eine ganz erhebliche Zunahmedes Planktonwachstums und damit Grünlichfärbungdes Seewassers in der Uferbankzonefestzustellen. Mit Beginn der Kirschblüte fällt alsoeine starke Abnahme der Tiefensicht zusammen.Oberflächentemperatur am 16.4.43 morgens 7 h+ 8°C. Bei weiteren Untersuchungen am 24.4.43konnte ich am gleichen Fundort ein weiteres Anschlussstückzu obigem Gefäss finden. Ca. 30 mnördlich davon lag in einem weiteren Pfahlbaufeld,ebenfalls im Schlamm in einer Wassertiefevon 1,5 m (derzeitig) ein Teil einer Tonurne mitweiter Mündung, mit einfacher Verzierung ausgleicher vorgeschichtlicher Zeit, das ich ebenfallsbergen konnte [Abb. 4b].Zusammenfassend ist auf Grund meiner Beobachtungenund der einschlägigen Literatur folgendesfestzustellen:1. Die auf der W., O. und S. Seite der Roseninsel inderen Flachwasserbereich vorhandenen Pfahlrestesind so zahlreich und ihrer Lage und Anordnungnach so beschaffen, dass die Vermutung, es könnesich nur um Brücken- und Uferbefestigungsresteaus dem Mittelalter handeln, kaum aufrecht zuerhalten ist, umso weniger, als Pfahlgruppen z.T.auch ziemlich weit von der Insel entfernt sind.2. Schon v. S c h a b weist in der Beschreibungseiner Ausgrabungen und Untersuchungen daraufhin, dass in der Umgebung von 3 PfahlgruppenKüchenabfälle und Artefakte gefunden wurden.3. Die bei meinen Beobachtungen in der unmittelbarenUmgebung der Pfähle gemachten Fundevon ansehnlichen Teilen zweier grösserer Tonurnenaus der früheren Hallstattzeit [Abb. 4], derenReste von mir aus dem Schlamm geborgen werdenkonnten und bei einer Urne sogar eine vollständiggesicherte Wiederherstellung der Form erlaubte 1 ,lassen vielmehr den Zusammenhang zwischenPfählen und Besiedlung vermuten. – Die AnnahmeB i r k n e r s, dass in der Gegend der Pfählekeine Artefakte vorhanden sind, trifft demnachnicht zu.4. Anordnung, Lage der Pfähle zum Uferverlaufund Wassertiefe lassen Ähnlichkeiten mit1Die Teile waren durch die lange Einwirkung des Wassers,insbes. die Schleifwirkung des sandigen Schlammes in d.sie eingebettet lagen, sehr dünn geworden, konnten aberbei einer Urne zu einem lückenlosen Profil vereinigt werden.2Die Durchführung der genannten Moorprofile ist infolgeaugenblicklicher Schwierigkeiten nicht möglich. Ich behaltesie mir für später vor.


Die archäologische Erforschung der Roseninsel im Starnberger See …den Pfahlresten der Schweizer Seen, sowie des Bodenseeserkennen (Auch beim Bodensee liegen diePfahlbauten in ähnlicher Wassertiefe am flacherenWestufer).Die vorgeschichtliche Besiedlungszeit stimmt mitder bei diesen Seen überein. Daraus ergibt sich,dass das Problem der vorgeschichtlichen Besiedlungder Roseninsel durchaus noch nicht endgültig gelöstist. Da von überdurchschnittlich starken Schwankungendes Seespiegels während des Mittelaltersnichts bekannt ist, ist nicht einzusehen, warum anStellen, die für Brückenbau oder Uferbefestigungenu. dergl. nicht in Frage kamen, Pfähle angebrachtworden sein sollen.Unter Annahme eines mehrere Meter tieferen Seespiegelstandeswährend der subborealen Zeit, worübererst Moorprofile in den Verlandungszonendes Sees aufklären würden 2 , handelt es sich auchbei der Roseninsel – aber ebenso wie bei den anderenSeen – um eine U f e r r a n d s i e d l u n g. Wiebei diesen Seen, so sind auch bei der Roseninsel alleFragen, die mit den vorgeschichtlichen Wohnstättenverknüpft sind, noch nicht endgültig gelöst …“Die in diesen Zeilen dokumentierten archäologischenProspektionen Schmidtlers sind bisheute nahezu völlig unbekannt geblieben undfanden lediglich marginal Aufnahme in der archäologischenFachliteratur (Bayer. Vorgeschbl.17, 1948, 72 f. Taf. 17,4); die beiden von ihmgeborgenen urnenfelderzeitlichen Tongefäße(Abb. 4) sind als einzige restaurierte Gefäße dieserZeitstellung von der Roseninsel in der Schausammlungder Archäologischen StaatssammlungMünchen (Abb. 4a) sowie im HeimatmuseumStarnberg (Abb. 4b) zu besichtigen. Die vonFriedrich Wagner durchgeführte Datierung desKegelhalsgefäßes (Abb. 4a) lässt sich inzwischengenauer fassen: Es gehört dem Frühstadium derspätbronzezeitlichen Besiedlung der Roseninselwährend der mittleren Urnenfelderzeit (HaA2,11. Jh. v. Chr.) an.Schmidtlers Bericht geht über rein forschungsgeschichtlicheBelange in mehrerlei Hinsichthinaus. Zum einen entlarvt er die starre wissenschaftlicheHaltung von Paul Reinecke undFerdinand Birkner zum Charakter der Pfahlbautenan der Roseninsel mit dem einfachenMittel der kritischen Nachschau als unhaltbar.In der Tat hätte sie die abwegig erscheinendevollständige Entkopplung des umfangreichenprähistorischen Fundgutes mit den zahlreichenHolzbefunden in den Flachwasserzonen umdie Roseninsel zur Folge. Bereits Sigmund v.Schab hatte ja, wie Schmidtler ausführte, schonAbb. 5: Oberflächenaufnahmedes Seegrundes an der Ostseite derRoseninsel in den Jahren 1990,1992 und 1994 (Zeichnung:Rainer A. Mayer; nach Beer/Schmid 2001, 39 Abb. 21).79


NAU 14 2008Abb. 6: Sich kreuzende Palisadensysteme im Bereich des späturnenfelderzeitlichenEinbaumes vor dem Westufer der Roseninsel. Grabungssituation in den späten1980er Jahren (Zeichnung: Michael Kinsky; nach Beer/Schmid 2001, 34 Abb. 16).801873/74 bemerkt, dass in der Nähe dreier Pfahlgruppen„aufgeschlagene Fundgruben zwar nichtdas Vorhandensein einer Culturschichte [ergeben],wohl aber fanden sich im Seeboden zahlreiche Küchenabfälleund spärliche Artefakte...“ (v. Schab1877, 74). Dieser Umstand hätte Reinecke undBirkner zumindest stutzig machen und vor derFormulierung ihrer Hypothese zur Autopsie anregenmüssen, da zu vermuten ist, dass die genannten„Küchenabfälle und Artefakte“ dereinstin eine Kulturschicht eingebettet waren, derenorganische Bestandteile der Erosion zum Opfergefallen sein dürften. Sodann liefert Schmidtlereine Reihe von Details, die ältere Beobachtungenbestätigt, jüngere vorwegnimmt undbislang nicht Beachtetes hinzufügt.Die im rechten Winkel am Seegrund liegendenstarken Balken erinnern an die Schwellenrahmen,die Sigmund v. Schab ebenfalls vom Bootaus in knapp drei Meter Wassertiefe beobachtethat (v. Schab 1875, 212; ders. 1877, 25; 74).Ob sie noch in Resten am Seegrund liegen oderinzwischen vollständig der Erosion zum Opfergefallen sind, ist nach wie vor ungeklärt. Eserübrigt sich zu betonen, dass die positive Beantwortungdieser Frage von erheblicher wissenschaftlicherBedeutung ist und verstärkterAnreiz zu gezielter archäologischer Prospektionsein sollte.Zum ersten Mal findet sich in Schmidtlers Arbeitdie Skizzierung eines komplexen Systemsvon Palisaden (Abb. 3), das in v. Schab’s Übersichtsplan(Abb. 1) nicht enthalten ist. Dennochhatte bereits dieser ein teilweise mehrreihigesSystem beschrieben (v. Schab 1877, 73): „Diesämmtlichen Pfähle stehen nicht in gleichmässigerEntfernung von einander, ziehen sich abergrösstenteils einreihig, hie und da auch mehrreihig,um die Insel herum.“In den Jahren 1990, 1992 und 1994 wurde vonder damaligen Archäologischen TauchgruppeBayern (jetzt: Bayerische Gesellschaft für Unterwasserarchäologiee.V.) im Flachwasser vorder Ostseite der Insel im Zuge von taucharchäologischenOberflächenaufnahmen in einem 5x 25 m messenden Untersuchungsareal ein ausparallelen Reihen dünner Pfähle bestehendesPalisadensystem dokumentiert (Abb. 5), dasmit dem von Schmidtler skizzierten in Teilenübereinstimmen dürfte (Beer u. a. 1995). Dieseewärtige Verlängerung der in den 1990er Jahrenuntersuchten Fläche wäre im Hinblick aufmögliche weitere parallele Pfahlreihen wünschenswert.Auch die Palisadenreihen vor derWestseite der Insel, die zwischen 1987 und1989 im Bereich des urnenfelderzeitlichen Einbaumesdokumentiert wurden (Abb. 6), sind aufSchmidtlers Skizze auszumachen.Von besonderem Interesse ist der von Schmidtlerbeschriebene und skizzierte scharfe, nahezurechtwinklige Knick der äußersten Palisade imFlachwasser, in etwa 130 m Entfernung vor demSporn an der südwestlichen Inselspitze. Vermutlichhat er nichts mit den Pfahlstrukturen deroberen (= südlichen) Brücke zu tun, da beideBrückenanlagen in Schmidtlers Skizze nicht berücksichtigtsind.Schmidtlers Beobachtungen liefern also genügendAnsatzpunkte für die Erforschung bislangunbeachtet gebliebener Holzstrukturen imUmfeld der Insel. Seine Prospektionen mittelsRuderboot und Badehose verdeutlichen einmalmehr, welch riesiges archäologisches Forschungspotenzialnach wie vor in den Flachwasserarealenum die Roseninsel verborgen liegt,wie sich festgefügte archäologische Forschungsmeinungenauch von Laien mit einfachsten Mittelnumstoßen lassen und welche Hemmschuheaus der fehlenden Publizität neuer Erkenntnisseerwachsen. Hätte man die im Kleingedrucktender archäologischen Fachliteratur verborgeneBedeutung seiner Beobachtungen eher erkannt(Bayer. Vorgeschbl. 17, 1948, 72 f.), wäre dieüber lange Zeit ins Stocken geratene archäologischeErforschung der Roseninsel möglicherweiseviel früher und viel nachhaltiger aus ihremjahrzehntelangen Dornröschenschlaf erwecktworden.


Die archäologische Erforschung der Roseninsel im Starnberger See …DanksagungLeider nur posthumer Dank gebührt vor allemFrau Ursula Schmidtler für die Überlassungdes Manuskriptes der Dissertation ihres Ehegatten.Herr Gerhard Werthan gab bereitwilligAuskunft über die biographischen Daten KarlSchmidtlers und hat dankenswerterweise dashier wiedergegebene Photo von ihm aus demArchiv des Gymnasiums Weilheim zur Verfügunggestellt. Prof. Dr. Rupert Gebhard, ArchäologischeStaatssammlung München, war beider Ermittlung der Abmessungen der von KarlSchmidtler geborgenen Gefäße behilflich.Anschrift des VerfassersWolfgang Schmid M. A.Pestalozzistr. 46/IVD-80469 Münchenwschmid@wolfgang-rieger.deLiteraturBeer 1988: H. Beer, Unterwasserarchäologische Untersuchungbronzezeitlicher Siedlungsreste und einesEinbaumes in der Flachwasserzone der Roseninsel.Arch. Jahr Bayern 1987 (Stuttgart 1988) 58–60.Beer u. a. 1995: H. Beer/R. A. Mayer/W. Schmid,Taucharchäologische Sondagen an der Roseninsel.Arch. Jahr Bayern 1994 (Stuttgart 1995) 79–82.Beer/Schmid 2001: H. Beer/W. Schmid, ModerneUnterwasserarchäologie in Bayern von 1979 bis 1996.Jahrb. Bayer. Denkmalpfl. 47/48, 1993/94 (München,Berlin 2001) 25–44.Birkner 1936: F. Birkner, Ur- und Vorzeit Bayerns(München 1936).Geidel 1938: H. Geidel, Münchens Vorzeit 2 (München1938).Hölz 2001: Ch. Hölz, Von der Fischerinsel zumköniglichen Domizil. In: Ch. Hölz (Red.), KöniglicheTräume. Casino und Park auf der Roseninselim Starnberger See. Herausgegeben von der HypoVereinsbank,Abtlg. Sponsoring und Event (München2001) 18–63.May u. a. 2003: A. May/M. Thier/M. Prell, Die“untere Brücke” an der Roseninsel. Jahresber. BayerischeGes. für Unterwasserarch. 3, 2002 (2003)1–2.May 2004: A. May, Die „obere Brücke“ an der Roseninsel.Jahresber. Bayerische Ges. für Unterwasserarch.4, 2003 (2004) 4.Müller-Karpe 1959: H. Müller-Karpe, Beiträgezur Chronologie der Urnenfelderzeit nördlichund südlich der Alpen. Römisch-Germanische Forschungen22 (Berlin 1959).Reinecke 1934: P. Reinecke, Zu Bodenfunden griechischerVasen nördlich der Alpen. Germania 18,1934, 286–287.v. Schab 1875: S. v. Schab, Die Roseninsel im Würmseeund deren historische Bedeutung. 4./5. Jahresber.Geograph. Ges. München 1875, 204–219.v. Schab 1877: S. v. Schab, Die Pfahlbauten imWürmsee. Beitr. Anthr. u. Urgesch. Bayern 1, 1877,1–90.Schlitzer/Pflederer 2007: U. Schlitzer/T. Pflederer,Taucharchäologie im Starnberger See – EisenzeitlicheBaubefunde an der Nordostspitze derRoseninsel. Arch. Jahr Bayern 2006 (Stuttgart 2007)73–75.Schmid 2000: W. Schmid, Sigmund von Schab – Pionierder bayerischen Unterwasserarchäologie. In:Inseln in der Archäologie – Islands in Archaeology.Internationaler Kongress 10.–12. Juli 1998, Starnberg.Archäologie unter Wasser 3 (Freiburg i. Br.2000) 23–28.Schmidtler 1943: K. Schmidtler, Der StarnbergerSee und seine Umrahmung. Beiträge zur Landeskundedes bayerischen Alpenvorlandes (unpubliziertesManuskript, Feldafing, Oktober 1943).Speck 1981: J. Speck, Pfahlbauten: Dichtung oderWahrheit? Ein Querschnitt durch 125 Jahre Forschungsgeschichte.Helvetia Arch. 12, 1981, 98–138.Statzner 1868: L. Statzner, Die Versumpfungen anden Seen des Alpengürtels. Der Cultur-Ingenieur 1,1868, 434–450.Ule 1901: W. Ule, Der Würmsee (Starnbergersee)in Oberbayern. Eine limnologische Studie (Leipzig1901).v. Westenrieder 1784: L. v. Westenrieder, Beschreibungdes Wurm- oder Starenbergersees undder umherliegenden Schlösser etc. (München 1784)[Faksimile-Reprint (München 1977)].81


NAU 14 2008Zu den Funden von der Roseninsel im Starnberger SeePaul Reinecke (†)Einführung und BesprechungWolfgang SchmidZusammenfassungEin bislang unpubliziertes, vom Altmeister der mitteleuropäischen Prähistorie, Paul Reinecke, verfasstes Textfragmentzu den Funden von der Roseninsel im Starnberger See, wird hier, angereichert durch Illustrationen ausgewählter,von Reinecke nur kurz angesprochener Kleinfunde und Pläne, erstmals vorgelegt. Reinecke beschäftigt sichvorwiegend mit den Ausgrabungen des Starnberger Landrichters Sigmund von Schab aus den 1860er und 1870erJahren. Vor allem der umstrittene Fundkomplex der sogenannten „Antiken von der Roseninsel“, der griechische,hellenistische und römische Kleinfunde unterschiedlichster Zeitstellung umfasst und von den Bayerischen Königen inihrem Inselschlösschen verwahrt wurde, wird kritisch beleuchtet. Das bislang wenig beachtete latènezeitliche Fundmaterialvon der Insel, das durch jüngst bekannt gewordene Holzbefunde dieser Zeitstellung anders bewertet werdenmuss, als dies noch Reinecke vorschlug, gab zu manchen spekulativen Schlüssen Reineckes Anlass. Auch Funde ausder Zeit der römischen Okkupation sind Gegenstand scharfsinniger Überlegungen. Abschließend zeigt sich, dassReineckes Bewertung den Ergebnissen von Sigmund von Schab in mancherlei Hinsicht nicht gerecht wird, obwohl erseine stupende Materialkenntnis auch hier voll zur Geltung bringt.SummaryA short paper of Paul Reinecke, creator of the chronological system of prehistorian metal ages in Central Europe,concerning the archaeological record of Rose Island in Lake Starnberg/Upper Bavaria, which is filed away in the documentsof the Bavarian State Office for Historical Monuments, is published here for the first time. Reinecke mainlydeals with the archaeological evaluation of the excavations carried out by the Starnberg based judge Sigmund vonSchab during the 1860ies and 1870ies. The mysterious complex of the so called “antiques of Rose Island”, a collectionof greec, hellenistic and roman objects, ranging a wide time-span and being kept by the Bavarian kings in their villaon the island, is taken into account critically. The importance of archaeological material of La Tène Age stemmingfrom the island, which is clearly under-estimated up till now, gave reason to some sagacious explanations. Unparalleledwooden structures of same age in the shallow water areas around the island, which have been discovered recently,throw new light upon this prehistorical period in pile dwelling context actually. Material from the period of Romanoccupation, allegedly being found on Rose Island is also a topic of Reinecke’s archaeological sagacity. To conclude onehas to state that Reinecke’s evaluation of the results and conclusions of Sigmund von Schab is quite problematic insome cases, though he brings in his enormous knowledge of archaeological record masterly.82EinführungPaul Reinecke (1872–1958), bekannt gewordendurch die vor gut einem Jahrhundert vonihm erstellte und noch heute in ihren Grundzügenverbindliche chronologische Unterteilungdes Fundstoffes der vorgeschichtlichenMetallzeiten der „Zone nordwärts der Alpen“,beschäftigte sich in seiner Funktion als bayerischerBodendenkmalpfleger wiederholt mit demreichhaltigen prähistorischen Fundgut von derRoseninsel im Starnberger See, das zwischen1865 und 1874 vom Starnberger LandrichterSigmund von Schab zutage gefördert wordenwar. Die Archäologische Staatssammlung Mün-chen wie auch das Bayerische Landesamt fürDenkmalpflege verwahrt aus Reineckes Nachlassein bisher unpubliziert gebliebenes, nach demZweiten Weltkrieg und somit nach Reineckesaltersbedingtem Ausscheiden aus dem Amtentstandenes Textfragment mit dem Titel „Zuden Funden von der Roseninsel im StarnbergerSee“. Reinecke nimmt kritisch Stellung zuSchabs Bewertungen des von ihm ergrabenenFundstoffes und bezieht weitere, bis dato nichtgewürdigte angebliche und tatsächliche Fundevon der Roseninsel in seine Betrachtungenein. Offensichtlich falsche bzw. unvollständigeJahres- und Zahlenangaben wurden in eckigenKlammern berichtigt bzw. ergänzt. Zum besse-


Zu den Funden von der Roseninsel im Starnberger Seeren Verständnis ist der ursprünglich abbildungsloseBeitrag mit Illustrationen angereichert. PaulReinecke schreibt:Im I. Bande der „Beiträge zur Anthropologie undUrgeschichte Bayerns“ (1876) [richtig: 1877] veröffentlichteder damalige Landrichter von Starnberg,Sigm. v. Schab, ein eifriger Sammler vonvorzeitlichen Bodenfunden aus seinem Amtsbezirk,eine mit 16 Tafeln und einem großen Übersichtsplan(im Maßstab von annähernd 1:2000)ausgestattete Arbeit über die Pfahlbauten derRoseninsel, einer in geringem Abstand vom Uferim Würm- (Starnberger) See gegenüber Feldafing(Lkr. Starnberg, Oberbayern) gelegenen kleinenInsel. Schab berichtete hier über den ihm in denJahren 1863 und 1864 [richtig: 1864 und 1865]gelungenen Nachweis von Pfahlstellungen um einenerheblichen Teil der Insel wie über seine danach1873 [und 1874] am Inselrande und etwasweiter im See ausgeführten Grabungen; seinenDarlegungen schickte er dazu auch eine Zusammenstellungfrüherer Nachrichten über die Inselund ebenso Angaben über ältere Beobachtungenund angebliche Funde von hier voran.Seinerzeit hat eine von dem veröffentlichten bodenständigenFundmaterial gänzlich abweichendeGruppe von Altertümern aus Italien auf einzelnenTafeln der Schabschen Arbeit [Abb. 1] zu irrigenAuswertungen geführt; später mussten Schabs Angabenhierüber kritische Zweifel und Vermutungenauslösen, ohne dass sich über den wirklichen Sachverhalteine gewisse Klarheit gewinnen liess. Beidiesem ortsfremden Fundmaterial, griechischenund italischen bemalten und glasierten Vasenscherbensehr verschiedener Zeitstellung, Amphorenverschiedener Fabriken, figürlichen Bronzenund Terrakotten sowie architektonischen Terrakottareliefsu. a. m., hatte Schab ein allerdings leichtbegreifliches Zusammentreffen völlig missverstanden.Dieses Missverständnis musste denn späterohne weiteres den Gedanken an eine absichtlicheUnterschiebung fremden Fundgutes aufkommenlassen, was jedoch schwerlich der Fall gewesen ist.Die ehedem als „der innere Wörth“ bezeichneteInsel, die Generationen hindurch einer Fischerfamiliegehört hatte und auf den noch die Umfassungsmauerneines gotischen Kirchleins, vielleichtdes Vorläufers der Feldafinger Dorfkirche, erhaltengeblieben waren, hatte im Jahre 1850 KönigMax II. von Bayern angekauft. Der König liessdann auf der Insel, die mit Aushub von einerSchotterbank vor der Südseite, wie Schab bemerkt,vielleicht dazu aber auch mit vom Festlande herübergeholtemMaterial, am Süd- und Ostrandenoch etwas vergrößert wurde, einen RosengartenAbb. 1: Aus dem Komplex der sog. „Antiken von der Roseninsel“ (v. Schab1877, Taf. II); oben li. in der Ecke Nr. 11a.anlegen und nebst einem Gärtnerhaus eine Villa(„Casino“) erbauen. Bei den baulichen und gärtnerischenMaßnahmen stiess man auf vorzeitlicheReste. Schab führt hierüber Aussagen mehrerer Augenzeugenan, deren Angaben aus der Erinnerungjedoch den tatsächlichen Befund erheblich übertriebenzu haben scheinen.Zu dem mittelalterlichen Kirchlein auf der Inselgehörte selbstverständlich eine Sepultur. Von dieserwurden damals in gewisser Zahl Gräber mitvereinzelten entsprechenden Beigaben aufgedeckt.Da Schab bei seinen Grabungen am Randstreifender Insel und an einzelnen Punkten außerhalb,bereits im See, vorgeschichtliche Siedlungsniederschlägegefunden hat, solche des Spätneolithikums,des ausgehenden frühen Bronzealters, der jüngerenHügelgräberbronzezeit und der Urnenfelderstufe,zu einigen jüngeren Stücken, versteht man ohneweiteres, dass derlei aus vor- und frühgeschicht-83


NAU 14 2008Abb. 2: Silexdolch, TypRemedello, L etwa 15cm (mit freundlicherGenehmigung derArchäologischen StaatssammlungMünchen;Photo: Manfred Eberlein).Abb. 3: Norisch-pannonischeDoppelknopffibel;L: 12,5 cm. KolorierteZeichnung von C.Eschenbach aus demJahre 1876, nach einerVorlage von Jakob Heinrichvon Hefner-Alteneck(mit freundlicher Genehmigungdes BayerischenLandesamtes für DenkmalpflegeMünchen).84lichen Zeiten auch im Boden der Insel selbst zufinden war und dass bei den Ausschachtungen außerden mittelalterlichen Gräbern sich auch Zeugnisseviel früherer Zeiten ergeben mussten. SolcheFundstücke konnten Laienbeobachtern leicht auchals Beigaben einzelner Gräber dieses kirchlichenFriedhofes erscheinen, obwohl selbstverständlichauf der Insel in vorgeschichtlicher Zeit gelegentlichauch bestattet werden konnte und wie es scheint,tatsächlich auch bestattet worden ist. Solche Fundstückeaus dem Boden der Insel sind dann auchdem lebhaft für die Vorzeit interessierten Königgebracht worden, der auch einzelnes davon weiterverschenkt hat.Aber die von Schab angeführten Zeugenaussagenenthalten nicht den geringsten Hinweis dafür, dassdie fraglichen, nicht in den gegebenen Zusammenhanggehörenden griechisch-römischen Antikenwirklich bei den baulichen Massnahmen zu Beginnder 1850er Jahre aus dem Boden der Inselzum Vorschein gekommen sind. Da wiederholtin den Aussagen davon die Rede ist, dass Spitzenaus Feuerstein, bzw. eine Lanzenspitze aus honiggelbemFeuerstein [Abb. 2], damals hier gefundenworden sind, muss wohl eine von Schabzusammen mit den griechisch-römischen Stücken,allerdings auch nebst einem bodenständigen altbronzezeitlichenGefäß abgebildete breite Dolchklingeetwa vom Remedellotypus „aus honiggelbemFeuerstein“ (Taf. I,1) doch als hier gefunden gelten,trotzdem sich aus dem schwäbisch-bayerischen Alpenvorlandekaum ein ähnlich großes und breitesVergleichsstück dafür namhaft machen lässt. Undselbst wenn die Klinge sogar die Beigabe einer vorgeschichtlichenBestattung aus dem Boden der Inselgewesen sein sollte, wird dadurch keinesfalls erwiesen,dass auch alle Gegenstände der fraglichenantiken Gruppe hier ausgegraben worden sind.Merkwürdigerweise erwähnt Schab nichts von einerweiteren Sammlung mässigen Umfanges, dieitalische Bronzesachen, Schmuck u. a. enthält, dieaus dem Casino der Insel durch königliche Schenkungnebst den von Schab abgebildeten Antikendem im Jahre 1915 [richtig: 1914] eingerichtetenMuseum in Starnberg überlassen worden sind, dieebensowenig aus dem Boden der Insel stammen, imStarnberger Museum jedoch als Roseninselfundegelten.Ein bisher unbeachtet gebliebenes zeitgenössischesZeugnis für die tatsächliche Auffindung vorgeschichtlicherAltertümer, wahrscheinlich der ebenerwähnten Feuersteinspitze, auf der Insel selbstenthält die Selbstbiographie des dänischen MärchendichtersH. Chr. Andersen. Während einesAufenthaltes in München war Andersen 1851 vomKönig von Starnberg aus zu einer Fahrt nach derRoseninsel eingeladen worden. Der Dichter, deraus seiner nordischen Heimat mit vorgeschichtlichenDenkmalen und Bodenzeugnissen vertrautwar, erzählt, dass auf der Insel bei Ausgrabungeines großen Hügels neben der Villa, den man fürein „Hünengrab“ hielt, Knochen und ein Feuersteinmessergefunden worden seien.Zu jener Zeit dürfte auf der Roseninsel mindestensnoch ein zweiter Vorzeitgrabfund gemacht wordensein. J. v. Hefner-Alteneck hat im Jahre 1851als Roseninselfund zwei große frühkaiserzeitlicheBronzefibeln vom rätisch-norisch-pannonischenTypus mit siebartig durchlöcherter dreieckigerFussplatte erworben, Stücke, wie sie wiederholt imbayerischen Alpenvorland in frühkaiserzeitlichenGräbern vorwiegend bei Körperbestattungen erscheinen.Das paarweise Auftreten hier lässt anein Grab denken, dem vielleicht noch andereSchmucksachen beigegeben waren. Weiteres überden Fund und den Verbleib der Fibeln, von denensich nur eine kolorierte Zeichnung mit entsprechendemVermerk erhalten hat, ist nicht bekannt[Abb. 3].Aus gesundheitlichen Gründen weilte König Maxschon als Kronprinz und auch noch später wiederholtim Süden. Wie ungezählte andere Liebhabervon Altertümern hat auch er aus Italien sich allerhandErinnerungen mitgebracht, mehr oder minderbelanglose Kleinigkeiten, sei es zu wiederholten


Zu den Funden von der Roseninsel im Starnberger SeeMalen oder nur eine aus verschiedenartigen undverschiedenwertigen Dingen zusammengewürfeltekeine Antikensammlung, die dann im Casino aufder Roseninsel aufgestellt wurde. Dass die dortigeSammlung von anderer Seite in absichtlicher Täuschungals angebliches Fundgut von der Insel selbstdem König überantwortet worden wäre, wie manzunächst lange Zeit hindurch glauben musste, dieseAnnahme muss aber fallen gelassen werden.Ein anderer gewichtiger Grund spricht gleichfallsdafür, dass die fragliche Antikensammlung nichtsmit dem Boden der Roseninsel zu tun hat. Baldnach Beendigung des Casinobaues reifte der Gedanke,ein bayerisches Nationalmuseum entstehenzu lassen, für das nun Jahre hindurch, bis der Museumsbaubezogen und eröffnet werden konnte,von überall her aus Bayern einschlägige Beständegesammelt wurden. Als Grundstock der in diesemMuseum aufzustellenden Abteilung vor- und frühgeschichtlicherAltertümer aus Bayern hatte dasAntiquarium in München alle seine einschlägigenheimischen Bestände abzugeben und erhielt dafürreichlichen Ersatz aus dem in den sogenannten„Vereinigten Sammlungen“ untergebrachten Besitzan antiken Kleinfunden des königlichen Hauses.Bei dieser Einstellung des Königs wäre es höchstverwunderlich gewesen, wenn die fraglichen Antiken,falls sie wirklich auf der Roseninsel gefundenworden wären oder wenigstens als solche gegoltenhätten, damals nicht als vermeintlich wertvollebayerische Bodenfunde der Vorzeit nach Münchenzur Aufstellung in dem neuen Museum gekommenwären, statt auf der Roseninsel zu verbleiben.Schab hat eben den Irrtum begangen, dass er diekleine, auch nach dem Tode des Königs noch aufder Insel belassene Sammlung mehr oder minderdoch unbedeutender Altertümer aus Italien alsFundgut von der Roseninsel selbst auffasste, ohnebei seiner begreiflicherweise geringen Sachkenntnisund Erfahrung sich weitere Gedanken darüber zumachen, dass bei seinen eigenen Grabungen unterden Mengen einwandfreier vorgeschichtlicherFundstücke nichts dergleichen zum Vorschein gekommenwar.Schabs Ausbeute bei seinen Grabungen umfassteinmal jungneolithisches Material, FelsgesteinundFeuerstein- sowie Hirschhorngerät zu einigenzugehörigen keramischen Proben, sodann einzelneStücke des frühen Bronzealters, so die oben erwähntebreite Silexdolchklinge, Proben entsprechenderKeramik und eine Bronzenadel. Reichlicherist dann die Urnenfelderstufe vertreten, undzwar mit einer gewissen Menge von Bronzen undschönen keramischen Resten. Dann erscheinenwieder Fundniederschläge der ersten Latènestufe.Ehedem konnte unter diesen jungen Stücken eineisernes Hiebmesser [Abb. 4,d], eine kurze Eisenlanzenspitze,orangegelbe Glasperlen [Abb. 4,c]sowie eine Bronzefibel [Abb. 4,a] den Gedankennahe legen, dass diese Gegenstände 1851 etwa auseinem zwecks Gewinnung von Auffüllmaterialfür die Uferränder der Insel von dem benachbartenFestlande abgetragene Grabhügel stammenkönnten, zumal alle diese Stücke nur an den Uferränderngefunden worden sind. Schab erwähntjedoch ausdrücklich schon ein paar Scherben ausGraphitton (S. 68, Nachtrag 1), die zeitlich hierhergehören, er bildet zudem eine Gefäßprobe ab(Taf. XIV 68), die vielleicht sogar spätlatènezeitlichwar [Abb. 5]. Bei späteren Grabungen im Innerender Insel zeigten sich jedoch auch einwandfreiekeramische Reste der ersten Latènestufe, sodaßdie genannten Waffen und Schmucksachen dochals weitere Siedelungszeugnisse dieser Zeit von derInsel gelten dürfen. Dass in der ersten Latènestufeauf der Insel ein oder mehrere Grabhügel errichtetAbb. 4: Frühlatènezeitliche Funde von der Roseninsel: a–b) OstalpineTierkopffibeln, Bronze (a: v. Schab 1877, Taf. XI,460 [Zeichnung:Wolfgang Schmid]); b: Bayer. Vorgeschbl. 23, 1958, 173 Abb. 25,1);c) Schichtaugenperle aus gelbem Glas (mit freundlicher Genehmigungder Archäologischen Staatssammlung München); d) Eisernes Hiebmesser(v. Schab 1877, Taf. XI,463); e) Knotenarmringbruchstück mit Pufferenden(Zeichnung: Wolfgang Schmid).85


NAU 14 2008Abb. 5: SpätlatènezeitlichesKeramikbruchstück(v. Schab 1877,Taf. XIV,68; Umzeichnung:WolfgangSchmid).worden wären, dürfte in Anbetracht des geringenFlächeninhaltes der Roseninsel wohl nicht der Fallgewesen sein.Mit Schabs Funden der Grabungen vom Jahre1873 [und 1874] kamen nach München in dieEthnographische Sammlung und danach an dieneu begründete Vorgeschichtliche Staatssammlungauch ein paar kaiserzeitliche Ziegelfragmente (voneiner Tegula und Tubenstücke), deren vereinzeltesVorkommen auf der Insel unverständlich bleibt[Abb. 6]. Mit den oben erwähnten frühkaiserzeitlichenFibeln Hefner-Altenecks haben diesewesentlich jüngeren Fragmente nichts zu tun. Diespäteren Grabungen an zahlreichen Punkten aufder Insel selbst haben überdies keine derartigenZeugnisse für das Vorhandensein eines römischenSteinbaues mit Hypokausteinrichtung und Ziegelbedachungergeben. Hier möchte man doch annehmen,dass diese wenigen Ziegelreste, die in SchabsArbeit allerdings nicht genannt werden, entwedermit Auffüllmaterial vom Festland auf die Insel gekommenoder eher noch aus einer anderweitigenälteren Aufsammlung Schabs in seinem StarnbergerAmtsbereich, etwa aus dem am Deixlfurter Seegelegenen römischen Steinbau, irrtümlicherweiseunter seine Bestände von der Roseninsel geratensind.In der ersten Hälfte der 1890er Jahre regte dieStaatssammlung neue Grabungen, diesmal aufder Fläche der Insel selbst, an, die dann im Jahre1895 durch den einstigen Vorarbeiter Schabsausgeführt wurden. Auf allen Seiten rings um dasCasino und das Gärtnerhaus wurden rechteckigeGruben, 36 [richtig: 35] an der Zahl, ausgehoben[Abb. 7]. Dabei wurden zu einzelnen mittelalterlich-neuzeitlichenKleinigkeiten Feuerstein-,Felsgestein-, Hirschhorn- und Knochengerät nebstspätneolithischen keramischen Resten, ebensolchevom Ausgang des frühen Bronzealters, urnenfelderzeitlicheBronzen und Scherben, Gefässresteder ersten Latènestufe, ein halber geknoteter Pufferarmringder zweiten Latènestufe [Abb. 4,e] undein geriefter Spätlatènescherben gehoben. Ein paarGussmodelstücke aus Sandstein unter den Fundendieser Grabung bezeugen, dass die altbronzezeitlichenSiedler auf der Insel auch Bronzegerät hergestellthaben werden [Abb. 8]. Die Funde erhieltanschliessend die Staatssammlung.Im Jahre 1915 hat dann Prinz Ludwig Ferdinandvon Bayern an mehreren Stellen auf der Insel wiedergraben lassen. Der Befund gab nichts Neues.Einige Stein-, Hirschhorn- und Bronzesachen zuScherben kamen an die Staatssammlung, der Restwurde dem neubegründeten Museum in Starnbergüberwiesen.Die kleine, im Casino auf der Roseninsel untergebrachteAntikensammlung des Königs Max II. bestehtheute nicht mehr dort. Einige Stücke scheinenan das Museum Antiker Kleinkunst gekommen zusein, anderes, so die Vasenscherben und eine Anzahlitalischer Bronzegegenstände, erhielt 1915 dasMuseum in Starnberg, eine Auswahl guter Stücke,u.a. die Pantherfigur aus Bronze, ist in Hofbesitzverblieben.Wahrscheinlich auf Schabs Grabungen geht wohlnoch eine schöne (jetzt zerbrochene) Dolchklingeaus bräunlichem Feuerstein zurück, die nach demersten Krieg aus der Sammlung des verstorbenenHauptmanns Ludw. Auer (Prien, später München)von der Vorgeschichtlichen Staatssammlungin München erworben wurde. Auer hatte in denletzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts insbesondereim Chiemseegebiet Vorzeitfunde aller Artgesammelt, besass aber auch von anderen PunktenSüdbayerns allerhand Fundstücke.Noch später wurde in Münchener Privatbesitz einefrühlatènezeitliche Bronzefibel vom Armbrustschemamit profiliertem umgebogenen Schlussknopfals Roseninselfund bekannt [Abb. 4,b]. Danachtauchte im Kunsthandel eine ehedem in J. NauesBesitz befindliche etruskische Bronzehelmhaubeals Fundstück aus dem „Starnberger See“ (mit derAndeutung, dass das Stück möglicherweise von derRoseninsel stamme) auf, ein Helm, der zu NauesZeiten schon einmal als Fund aus dem SempacherSee angeboten gewesen war und als Fundstück voneinem Platze nördlich der Alpen unbedingt abzulehnenist [Abb. 9].Abb. 6: Tubulusbruchstück in zwei Ansichten (Archäologische StaatssammlungMünchen, Umzeichnung: Wolfgang Schmid, nach Fotos vonRobert Stark) links: Innenansicht; rechts: Außenansicht.An dieser Stelle bricht das Textfragment unvermitteltab. Reineckes Interesse gilt zunächst demumstrittenen Antikenkomplex von der Roseninsel.Mit scharfsinniger Argumentation versuchter, die rätselhafte Herkunft dieser „Fundgruppe“zu erklären und bemängelt die unkritischeHaltung des Ausgräbers Sigmund von Schab.Dieser hatte es unter Verweis auf eine Textstellebei Strabo gar für möglich gehalten, einrömischer Altertumsliebhaber könnte währendder Zeit der römischen Okkupation besagte Ge-86


Zu den Funden von der Roseninsel im Starnberger Seegenstände aus seiner italischen Heimat an denStarnberger See gebracht haben (v. Schab 1877,82 f.). Allerdings ist es keineswegs so, dass sich,wie Reinecke ausführt, unter dem umfänglichenprähistorischen Material der Schab’schenGrabungen keinerlei Hinweise auf Antiken griechisch-italischerHerkunft ergeben hätten. Schabvermerkte hierzu (v. Schab 1877, 69): „Von grossemInteresse ist die Auffindung einer einem griechisch-italischenGefässe angehörenden Scherbe,wahrscheinlich dem Theile des Fusses einer Schale,dessen Durchmesser sich auf 9,4 Cm. berechnenliess. Diese Scherbe lag in Fundgrube XLVI. DiesesBruchstück ist aus sehr fein bearbeitetem und hellrothgebranntem Thone gefertigt, auf einer Seitemit einem 1 Cm. breiten dunkelbraunen concentrischenStreifen, auf der andern mit Ausnahmeeines kleinen ebenfalls concentrischen Streifens,der nicht mit Farbe überzogen ist, gleichfalls dunkelbraunbemalt. Die bemalten Stellen sind glattund glänzend, wie mit Glasur überzogen. Taf.II. 11a, 11b und Taf. XII.311.“ [Abb. 1, 11a-b,dargestellt in 2 Ansichten in den beiden oberenEcken der Abbildung]. Die Beschreibung diesesleider verschollenen Bruchstückes passt gut zumFußfragment einer griechischen Kylix. An andererStelle vermerkt er ausdrücklich, das fraglicheStück stamme aus der Kulturschicht und manstehe daher vor einem Rätsel (v. Schab 1877,82 f.). Da im Jahre 2002 bei Gartenarbeiten dasFragment eines ostmediterranen Balsamariumsaus blauem Glas (6. Jh. v. Chr.) und damit einweiteres rätselhaftes antikes Stück auf der Inselselbst aufgelesen wurde, wird die Frage nach einerzumindest teilweisen Authentizität des umstrittenenFundkomplexes erneut aufgeworfen(Fesq-Martin/Lang 2006, 12). Natürlich istnicht auszuschließen, dass ein zu Bruch gegangenesGefäß aus der auf der Insel verwahrtenköniglichen Antikenkollektion von den Bedienstetendes Königshauses auf einfachste Weiseentsorgt worden sein könnte. Zumindest hätteein in die späte Hallstattzeit weisendes Fundstückauf der Insel bislang keinerlei Parallele– sie scheint nach Ausweis des prähistorischenFundstoffs zu dieser Zeit unbesiedelt gewesen zusein. Ein aus der Kulturschicht stammendes Keramikfragmentwie der oben genannte Kylixfußläßt sich auf diese Weise nicht erklären. Da nichtaus dem Umfeld von späthallstatt/frühlatènezeitlichenkeltischen Fürstensitzen stammend,wäre im Falle verifizierbarer Authentizität dasVorhandensein dieser Scherbe auf der Roseninselzumindest sehr ungewöhnlich.Größte Bewunderung zog der prächtige honiggelbeSilexdolch vom Typ Remedello (Abb. 2)Abb. 7: Planskizze der 1895 von Johannes Ranke veranlassten Grabungen auf derRoseninsel. Vermerkt sind die Abmessungen der Gruben und die Anzahl der pro Grubegemachten Funde. Grubennummern und eine konkrete Zuweisung einzelner Fundstückezu den Schnitten fehlen (mit freundlicher Genehmigung der ArchäologischenStaatssammlung München).nach seiner Auffindung zu Beginn der 1850erJahre auf sich. Reinecke hält ihn für ein authentisches,möglicherweise aus einem neolithischenGrabfund stammendes Fundstück und korrigiertdamit seine eigene, früher geäußerte Anschauung,der Dolch sei in Zusammenhang mitden rätselhaften Italica des bayerischen Königshauseszu sehen und als unterschoben zu werten(Reinecke 1934, 287).Der frühlatènezeitliche Fundschleier, der sichüber die Insel zieht und in einigen qualitätvollenFundstücken fassbar wird (Abb. 4) unddessen Vorhandensein Reinecke zu überspitztenÜberlegungen veranlasste, hat im Lichte neuesterarchäologischer Forschungen beste Entsprechungenin bisher einzigartigen Holzbefundendieser Zeitstellung im Flachwasser vor der Nord-87


NAU 14 200888ostspitze der Roseninsel (Schlitzer/Pflederer2007). Das Abtragen latènezeitlicher Grabhügelauf dem Festland zur Gewinnung von Anschüttungsmaterialfür eine Vergrößerung der Inselflächedurch das bayerische Königshaus scheintdoch für die Erklärung von Kleinfunden dieserZeitstellung arg weit hergeholt. Vielmehr istbezeugt, dass das Schüttungsmaterial von einersüdlich an die Insel anschließenden Kiesbank imSee stammt (v. Schab 1877, 24; H. P. Uenze in:Spiegel/Pusch 1988, 10). Auch die von Schabbeschriebene Auffindung des eisernen Hiebmessers(Abb. 4,d) im unteren Teil der Kulturschichtverträgt sich nicht mit einer postuliertennachträglichen Einbringung diesbezüglichenMaterials (v. Schab 1877, 33). Das übrige, bei v.Schab abgebildete frühlatènezeitliche Material(v. Schab 1877, Taf. XI,192.195.258.426.460.464) stammt durchwegs aus Fundgruben mitKulturschicht, womit diese sich zumindest partiellals Schwemmschicht zu erkennen gibt, dasie Material unterschiedlichster Zeitstellung enthieltund latènezeitliche Metallfunde, wie dasoben genannte Messer, auch im unteren Teil derSchicht angetroffen wurden. Im Falle der FundgrubeVIII, um nur ein Beispiel zu nennen, istdie zeitliche Heterogenität des Fundstoffes anhandder Angaben v. Schabs gut nachvollziehbar(v. Schab 1877, 85 ff. Beilage I und II imVergleich mit den Abbildungen im Tafelteil derAbb. 8: Sandsteingussformfür bronzene Flachbeile(Koschik 1981, Taf. 75,1).Schab’schen Arbeit). Die im Schlussteil des Textfragmentesgenannte, frühlatènezeitliche Armbrustfibelmit umgebogenem Fuß (Abb. 4b), dieEnde der 1950er Jahre bekannt gemacht wordenist (Bayer. Vorgeschbl. 23, 1958, 173 Abb.25,1), kann einer Fibel gleichen Typs (ostalpineTierkopffibel) aus den Schab’schen Grabungenan die Seite gestellt werden (Abb. 4a). Eine inder älteren Fachliteratur getroffene Einordnungdieser Fibeln in die Gruppe der späthallstattzeitlichenFußzierfibeln (Ried 1915, 97 Nr. 76 Taf.XXIII,83) wurde von Reinecke wohl in Anlehnungan einen Aufsatz Gero von Merharts(1927, 103 Abb. XIII,16), der die frühlatènezeitlicheEinordnung dieser Fundgruppe herausgearbeitethatte, stillschweigend korrigiert. Wie invielen anderen seiner zahlreichen Fachaufsätzeerachtet Reinecke auch hier die Nennung seinerQuellen als unnötig und stellt daher hoheAnforderungen an den Leser, da er ihm selbstverständlichErscheinendes ohne viel Aufhebensvoraussetzt.Die Vorlage des von Reinecke erwähnten frühlatènezeitlichenkeramischen Fundstoffes vonder Insel, das bisher nur auf archäologischenKartierungen erfasst ist (Kappel 1969, 196 m.Beilage), bleibt weiterhin Forschungsdesideratund wird derzeit in einer Münchner Dissertationvorbereitet. Dasselbe gilt für die kammstrichverziertespätlatènezeitliche Scherbe.Aus der römischen Kaiserzeit stammen nichtnur die beiden verschollenen norisch-pannonischenBügelknopffibeln mit siebförmigdurchlochtem Fuß (Abb. 3), sondern auch einigeTubulifragmente (Abb. 6) und ein Tegulabruchstückaus dem Schab’schen Fundbestand,die einen ziegelbedeckten Hypokaustbau auf derInsel nahe legen. Zumindest einige „Trümmervon Heizröhren“ aus dem umstrittenen Antikenkomplexhat v. Schab entgegen Reineckes Beteuerungals solche erkannt und kurz erwähnt(v. Schab 1877, 5 Nr. 32; 82), so dass zumindester an einem römischen Bau auf der Inselkeinerlei Zweifel hegte. Ausdrücklich erwähnter das Vorkommen römischer Gegenstände inder Kulturschicht und schließt daraus, „dassdeshalb angenommen werden muss, dass die Culturschichtedurch den überlagernden Seeboden zurZeit römischer Niederlassung noch nicht geschlossenwar“ (v. Schab 1877, 79 Anm.). Bereits imLaufe seiner ersten Grabungen im Flachwasserbereichvor dem Inselufer, die in die Jahre 1864und 1865 fallen, hatte er offenbar aus der Kulturschichtstammende „Theile einer römischenHeizröhre“ geborgen (v. Schab 1877, 23), wodurchReineckes Konstruktion von versehent-


Zu den Funden von der Roseninsel im Starnberger Seelichen Materialvermischungen unterschiedlicherHerkunft in Schabs Altertümersammlungder Boden entzogen ist. Aus diesen spärlichenrömischen Resten in Kombination mit zweiStatuetten aus dem Bestand der Antiken vonder Roseninsel, von denen eine Telesphorus alsKaputzenmännchen (genius cucullatus), einenBegleiter des griechisch-römischen HeilgottesÄskulap, darstellt (v. Schab 1877, Taf. III,5), einÄskulapheiligtum auf der Insel zu interpolieren,scheint mehr als gewagt. V. Schab hat, da er denAntikenkomplex von der Roseninsel für authentischbefand, diesen Schluss tatsächlich gezogen(v. Schab 1875, 207), was – hätte Reineckedessen Aufsatz von 1875 verwertet – sicherlichAnlass zu weiterer Kritik gegeben hätte. Zumindestwird aus diesem Sachverhalt deutlich,dass römische Heizröhrenfragmente sowohl imumstrittenen Antikenkomplex enthalten sindals auch im Flachwasserbereich vor der Insel gefundenwurden. Damit wird, wie im Falle deseinleitend genannten, leider nicht mehr verifizierbarenKylixbruchstückes, die Inhomogenitätdes Antikenkomplexes erneut deutlich. Teile darausstammen offenbar von der Insel selbst, andereswurde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeitvon den bayerischen Königen imKunsthandel erworben und zusammen mit deneinheimischen Stücken auf der Roseninsel verwahrt.Zudem ist es schwer vorstellbar, das bayerischeKönigshaus habe unscheinbare römischeTubulibruchstücke als Altertümer in Italien erworbenund ihren Sammlungen einverleibt. Somitkann aus gutem Grunde davon ausgegangenwerden, dass während der provinzialrömischenZeit tatsächlich ein Hypokaustgebäude unklarerFunktion auf der Insel errichtet worden ist.Auch einige römische Münzen aus dem 1. Jahrhundertv. Chr. und der Spätantike, die in denersten Mitteilungen des Historischen Vereinsvon Oberbayern aus dem Jahre 1852 über diebeim Bau des königlichen Casinos gemachten„Münzen und Anticaglien“ Erwähnung finden(zitiert bei v. Schab 1877, 14) und die offenbardem Antikenkomplex einverleibt worden sind(v. Schab 1877, 6 Nr. 44–47), wird man wederin Zusammenhang mit der mittelalterlichen Sepulturum die Inselkirche bringen noch als ausdem Kunsthandel stammend ansehen dürfen,würde doch letzteres eine bewusste, vom Königshauslancierte Unterschiebung bedeuten. Siewerden daher mit hoher Wahrscheinlichkeit alsvon der Insel stammende antike Bodenfunde zugelten haben.Sigmund von Schab dürfte also mit seiner Annahmeder Authentizität des Antikenkomplexesvon der Roseninsel zumindest teilweise Rechtbehalten. Ganz im Gegensatz zu Reineckes Unterstellungvon Schlampigkeit durch den StarnbergerLandrichter wird man diesem bei sorgfältigerLektüre seiner Arbeit das stete Bemühenum große Exaktheit zugestehen müssen, wenngleichzahlreiche Interpretationen v. Schabs imLichte neuerer Erkenntnisse revisionsbedürftigsind. Doch dies kann man ihm nicht zum Vorwurfmachen, da Forschung als dynamischerProzess zwangsläufig zu ständigen Korrekturenund Verbesserungen führen muss und daherwissenschaftliche Leistungen und Einstellungenausschließlich vor dem Hintergrund ihrer Zeitzu werten sind. Dieser hatte sich in den knappdrei Jahrzehnten, die zwischen dem Wirkenv. Schabs und den bahnbrechenden chronologischenArbeiten Reineckes zu Beginn des 20.Jahrhunderts liegen, beträchtlich geändert.Zumindest hat Sigmund von Schab schon vorweit mehr als einem Jahrhundert zahlreiche archäologischeFragestellungen aufgeworfen, dieauch heute noch nichts von ihrer Aktualitäteingebüßt haben (Schmid 2000). Damit erfülltder Landrichter ein wesentliches Kriterium fürwissenschaftliche Qualität, wonach es vor allemauf die richtige Fragestellung und erst in zweiterLinie auf deren „richtige“ Beantwortungankommt. Zu unterschiedlichen Zeiten mögendarauf unterschiedliche Lösungen angebotenwerden, die bei kritischer Zusammenschau dieWahrheit Zug um Zug ans Licht bringen werden.In Reineckes kurzem Text zu den Roseninselfundenfindet man also beides: VirtuoseFundstoffbeherrschung einerseits, gepaart mitscharfer, bisweilen überzogen anmutender Argumentationbei der Erklärung widersinnigscheinender Aspekte andererseits. Auch Flüchtigkeitsfehlerblieben nicht aus. Die Arbeitenv. Schabs hat er offenbar nicht genau genugstudiert und gelegentlich vorschnell geurteilt.Abb. 9: Etruskischer BronzehelmTypus Negau, angeblichaus dem StarnbergerSee (nach einem Photo von1932, verwahrt in den Ortsaktender ArchäologischenStaatssammlung München;Umzeichnung: WolfgangSchmid, ohne Maßstab).89


NAU 14 2008Schon als junger Wissenschaftler hatte er denKomplex der so genannten „Antiken von derRoseninsel“ als problematisch entlarvt (Reinecke1902, 98 Anm. 5), worin ihn die KlassischeArchäologie noch Jahrzehnte später mit wohlabgewogenen Gründen bestärkte (Jacobsthal1934, 15). Möglicherweise ist darin die Ursachefür seine eher abschätzige Beurteilung derLeistungen des Starnberger Landrichters zu sehen,die er dann Zeit seines Lebens nicht mehrrevidieren konnte.DanksagungMein Dank gilt der Archäologischen StaatssammlungMünchen (Prof. Dr. Rupert Gebhardsowie Frau Dr. Brigitte Haas-Gebhard) sowiedem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege(Dr. Dorit Reimann und Dr. Doris Ebner) fürdie Publikationserlaubnis des Textes von PaulReinecke sowie einiger Abbildungen und Hilfebei der digitalen Bildverarbeitung.Anschrift des VerfassersWolfgang Schmid M. A.Pestalozzistr. 46/IVD-80469 Münchenwschmid@wolfgang-rieger.deLiteraturFesq-Martin/Lang 2006: M. Fesq-Martin/A.Lang, Das Rätsel der Antiken. In: E. D. Schmid, DieRoseninsel im Starnberger See 2 (München 2006),11–13.Jacobsthal 1934: P. Jacobsthal, Bodenfunde griechischerVasen nördlich der Alpen. Germania 18,1934, 14–19.Kappel 1969: I. Kappel, Die Graphittonkeramik vonManching. Die Ausgrabungen in Manching 2 (Wiesbaden1969).Koschik 1981: H. Koschik, Die Bronzezeit im südwestlichenOberbayern. Materialh. zur bayerischenVorgesch. Reihe A, Bd. 50 (Kallmünz/Opf. 1981).v. Merhart 1927: G. v. Merhart, Archäologischeszur Frage der Illyrer in Tirol. Wiener Prähist. Zeitschr.14, 1927, 65–118.Reinecke 1902: P. Reinecke, Zur Kenntnis der LaTène-Denkmäler der Zone nordwärts der Alpen. In:Festschrift zur Feier des fünfzigjährigen Bestehensdes Römisch-Germanischen Centralmuseums zuMainz (Mainz 1902) 53–109.Reinecke 1934: P. Reinecke, Zu Bodenfunden griechischerVasen nördlich der Alpen. Germania 18,1934, 286–287.Ried 1915: H. A. Ried, Die Hallstattfibeln der prähistorischenStaatssammlung in München. Beitr.Anthr. u. Urgesch. Bayern 19, 1915, 81–103.v. Schab 1875: S. v. Schab, Die Roseninsel im Würmseeund deren historische Bedeutung. 4./5. Jahresber.Geograph. Ges. München 1875, 204–219.v. Schab 1877: S. v. Schab, Die Pfahlbauten imWürmsee. Beitr. Anthr. u. Urgesch. Bayern 1, 1877,1–90.Schlitzer/Pflederer 2007: U. Schlitzer/T. Pflederer,Taucharchäologie im Starnberger See – EisenzeitlicheBaubefunde an der Nordostspitze derRoseninsel. Arch. Jahr Bayern 2006 (Stuttgart 2007)73–75.Schmid 2000: W. Schmid, Sigmund von Schab – Pionierder bayerischen Unterwasserarchäologie. In:Inseln in der Archäologie – Islands in Archaeology.Internationaler Kongress 10.–12. Juli 1998, Starnberg.Archäologie unter Wasser 3 (Freiburg i. Br.2000) 23–28.Spiegel/Pusch 1988: B. Spiegel/W. Pusch, HeimatmuseumStarnberg (München, Zürich 1988).90


Zwischen Inseln und Buchten – Auf den Spuren derFalkensteiner im Langbürgner SeeTobias PfledererZusammenfassungIm Herbst des Jahres 2006 gelang durch Prospektionen der Bayerischen Gesellschaft für Unterwasserarchäologie e. V.die Dokumentation zweier erodierter Doppelpfahlreihen im Langbürgner See (Gde. Bad Endorf, Lkr. Rosenheim,Bayern). Beide Anlagen stehen mit mittelalterlichen Inselbefestigungen in Verbindung und sind als Stege oder Balkenbrückenvorstellbar. Eine kalibrierte AMS-Analyse lieferte für beide Anlagen eine nahezu zeitgleiche, mittelalterlicheDatierung (1025–1158 n. Chr. bzw. 1024–1163 n. Chr.) und ordnet sie damit der 1166 im „Codex Falkensteinensis“erwähnten „urbs Hademarsperch“, einem der vier Herrschaftssitze der Grafen von Falkenstein, zu.AbstractIn autumn 2006, underwater surveys of the Bavarian Society for Underwaterachaeology led to the finding of twoprimarily unknown double pile-rows in Lake Langbürgen. Both double rows are connected to two mediaeval castles,situated on islands, and might formerly have been served as footbridges due to their small size and measures. Radiocarbonassays revealed identical, mediaeval dates (1025–1158 AD and 1024–1163 AD) for both constructions.Therefore they may be associated to the “urbs Hademarsperch”, one of four main castles owned by the earls of Falkensteinaccording to the “Codex Falkensteinensis”, written in 1166.Kaum ein anderer See des bayerischen Alpenvorlandesist durch eine derartige Vielzahl anInseln, Halbinseln und verwunschenen Buchtengeprägt wie der innerhalb eines Naturschutzgebietesgelegene Langbürgner See. Innerhalb einerkleinen Seengruppe, der sog. „Hemhofer Seenplatte“gelegen, bietet dieser See jedoch nichtnur landschaftliche Reize, sondern weist auchin archäologischer Sicht in unmittelbarer Umgebunginteressante Vorbefunde auf. Nördlichdes Langbürgner Sees wurde am Südufer des nahegelegenen Hartsees durch Walter Torbrüggeein wohl bronze- oder hallstattzeitlicher Grabhügeldokumentiert (Torbrügge 1959). Hinzukommen mehrere Einzelfunde der römischenKaiserzeit, die in Zusammenhang mit der umdas Nord- und Nordostufer des nahe gelegenenSchloßsees verlaufenden Via Julia von Augsburg(AUGUSTA VINDELICUM) über Seebruck(BEDAIUM) nach Salzburg (IUVAVUM) zusehen sind. Neben mehreren Bronzemünzenbelegt vor allem der Meilenstein aus dem nahegelegenen Eggstätt die Existenz der römischenFernstraße in unmittelbarer Nähe (TorbrüggeAbb. 1: Der frühmittelalterlicheEinbaum aus dem LangbürgnerSee ( 14 C-Datum: 710–810 AD)(Grafik: T. Pflederer u.H. Beer).91


NAU 14 2008Metern sowie eine Breite von 0,40 bis 0,44 Meternauf. Es vermittelt mit einer maximal 7 cmaufgehenden Bordwand leider nur noch ansatzweisedas Bild des vollständigen Bootskörpers.Etwa in Bootsmitte wurde an Stelle eines größerenAstloches ein kleineres Holzbrettchen in denEinbaumboden eingeschlagen – die Schlagspursowie zur Abdichtung eingefügte Holzspänesind noch deutlich zu erkennen. Eventuell istder Einbaum vom Langbürgner See mit den bekanntenBurgställen, der „Zicken- und Zinnenburg“,in Verbindung zu bringen.Abb. 2: Luftbildaufnahme im Maßstab 1:2000 des Langbürgner Sees. Dargestellt sinddie beiden Übergänge zwischen der „Zickenburg“ im Norden und der „Zinnenburg“im Süden. © Landesamt für Vermessung und Geoinformation Bayern.92Abb. 3: Mit Bojen markierte Doppelpfahlreihe zwischen „ZickenundZinnenburg“. Blick vom Südufer der „Zickenburg“ auf dasgegenüberliegende Ufer der „Zinnenburg“ (Foto: T. Pflederer).1959). 1973 wurde im Auftrag des DeutschenMuseums ein Einbaum aus dem LangbürgnerSee geborgen (Abb. 1). Mittels radiometrischerAnalysen konnte diesem Wasserfahrzeug einEntstehungsdatum zwischen 710 und 810 zugeordnetwerden und dürfte daher im frühen Mittelaltervon Anwohnern des Langbürgner Seesverwendet worden sein. Dieser Einbaum ist seitseiner Konservierung im Deutschen Museumausgestellt und konnte 2001 erstmals detailgetreudokumentiert werden (Pflederer 2001). DasWasserfahrzeug weist eine Restlänge von 3,87Die „Zickenburg“ wird in Überlieferungenzwischen 1120 und 1158 mons Seborc genanntund wird aufgrund von archäologisch-topographischenVergleichen mit typologisch ähnlichenbayerischen Ringwallanlagen in das frühe Mittelalter(ca. 9. bis 10. Jahrhundert sowie zweiteAusbauphase im 11. Jahrhundert) datiert(Schwarz 1989, 110 ff.). Aufgrund fehlenderarchäologischer Grabungen kann derzeit jedochkeine verlässliche absolute Datierung der Wallanlagenvorgenommen werden. Fest steht jedoch,dass die „Zickenburg“ als Vorläuferanlage derurbs Hademarsperch zu gelten hat, einer Burganlage,die zwischen dem Schloßsee im Nordenund dem Langbürgner See im Süden gestandenhat. Sie wird im Jahr 1166 als zentraler Herrschaftssitzder Grafen von Falkenstein genanntund wurde im Jahre 1247 durch Herzog Ludwigbelagert. Nach dem Aussterben des Falkensteingeschlechtesging dieses castrum Hademarsperchin den Besitz der Wittelsbacher über undwird 1394 „… sambt dem Burckstal Sicklispurgdabey“ von Herzog Stephan im Austausch gegendie Burg Reichersbeuren an Otto von Pienzenauweitergegeben (Schwarz 1989, 110 ff.). Die südlichereHalbinsel, die sog. „Zinnenburg“, weistkeine erkennbaren Wallanlagen auf. Sie bestehtaus mehreren, abgestuften Terrassen mit einerArt Auffahrt an der Südostseite und wird daherals sog. „Spähhügel“ der nördlicheren Hauptanlageinterpretiert (Popp 1895). Beide Anlagenwurden auf kaum 300 Meter voneinanderentfernten Moränenkegeln am Ostufer des Seeserrichtet (Abb. 2) und ragen im heutigen landschaftlichenErscheinungsbild als Halbinseln indas offene Seewasser. Da zur Entstehungszeitder Befestigungsanlagen von einem höheren,mittleren Wasserpegel ausgegangen werdenmuss, dürften beide Anlagen ursprünglich aufechten Inseln errichtet worden sein. Die heutigeSchilfzone zwischen den Inseln im Westen unddem eigentlichen Ostufer muss damit als ehemaligeWasserfläche rekonstruiert werden. Der


Zwischen Inseln und Buchten – Auf den Spuren der Falkensteiner im Langbürgner Seeursprüngliche Zugangsbereich zur Inselbefestigung„Zickenburg“ konnte im Nordosten derWallanlage ausgemacht werden (Popp 1895). EineVerbindung zum genau gegenüberliegendenOstufer scheint somit wahrscheinlich. Leider istdieser Bereich aufgrund einer dichten Schilfzonenicht mehr zu erschließen. GeneralmajorKarl Popp a. D. berichtet in seinem 1894 gehaltenenVortrag (Popp 1895) über „Wallburgen,Burgställe und Schanzen in Oberbayern“ auchvon einem heute unter Wasser gelegenen Stegzwischen „Zicken- und Zinnenburg“, einemmöglichen Hinweis auf die Gleichzeitigkeit beiderAnlagen.Vor dem Hintergrund dieser spannenden Forschungsgeschichteerfolgte im Sommer undHerbst des Jahres 2006 im Auftrag des BayerischenLandesamtes für Denkmalpflege einegroßflächige unterwasserarchäologische Prospektiondes Langbürgner Sees mit besondererBetonung des Areals um die beiden Inselbefestigungen.Mithilfe tatkräftiger Unterstützungdurch die örtliche Wasserwachtgruppe BadEndorf konnte das Uferareal um beide Halbinselnsystematisch erforscht werden. Abgesehenvon zwei neuzeitlichen Doppelpfahlreihen mitnur geringen Erosionsspuren, die sowohl dieBucht zwischen der „Zicken- und Zinnenburg“als auch die südlich daran angrenzende Buchtzum Zwecke des Fischfangs von der übrigenSeefläche abtrennten, gelang erstmals die Dokumentationeiner kurzen Doppelpfahlreiheaus neun noch erhaltenen und stark erodiertenPfosten zwischen den beiden Befestigungsanlagenin nur geringer Wassertiefe. Die Doppelpfahlreiheverläuft ausgehend von der Südspitzeder „Zickenburg“ in südöstlicher Richtungzur „Zinnenburg“ und besteht aus Pfählen miteinem Durchmesser von ca. 25 cm. Von einemPfahljoch zum nächsten konnte ein Abstandvon durchschnittlich 2,50 Metern ermitteltwerden, während die Jochbreite ca. 2,90 Meterbetrug (Abb. 2 und 3). Damit könnte die Doppelpfahlreiheals Steg oder als kleine Balkenbrückezwischen beiden Befestigungen interpretiertwerden. Entnommene Holzproben wurden imAMS-Labor der Friedrich-Alexander-UniversitätErlangen einer radiometrischen Analyse zugeführt,die eine mittelalterliche Datierung desSeeüberganges zwischen 1025 und 1158 n. Chr.erbrachte.Im Zuge weiterer unterwasserarchäologischerProspektionen konnte eine weitere bis aufGrundniveau aberodierte Doppelpfahlreihezwischen der südlichen „Zinnenburg“ und demWestufer in ca. 3 Metern Wassertiefe entdecktwerden (Abb. 2). Die Pfähle dieser Anlage weiseneinen stärkeren Durchmesser von bis zu 50cm auf. Ob sie damit als tragender Unterbau füreine wesentlich massivere Konstruktion gedienthaben oder ob aufgrund einer größeren Wassertiefeder Einsatz von mächtigeren Pfählen notwendigwar, kann aufgrund weiterer fehlenderHolzaufbauten nicht mehr rekonstruiert werden.Die Dokumentation von insgesamt nochfünf erhaltenen Pfahlpaaren sowie von weiterenvier in etwa derselben Flucht aufgenommenenPfählen lässt auch hier vorsichtig an einen Brückenübergangzwischen dem Westufer und der„Zinnenburg“ am Ostufer denken. Jedoch ist eineandere Interpretation, beispielsweise in Formeiner „Sperrvorrichtung“, aufgrund fehlenderaufgehender Bauelemente ebenfalls möglich.Auch diese Doppelpfahlreihe wurde durch dieEntnahme von kleinen Holzbohrkernen zurDurchführung von radiometrischen Analysenbeprobt. Zeitgleich mit der kleineren Doppelpfahlreihezwischen der „Zicken- und Zinnenburg“konnte für diese zweite Anlage eine Datierungzwischen 1024 und 1163 n. Chr. ermitteltwerden.Die Datierung der beiden potentiellen Seeübergängedes Langbürgner Sees fällt in die Blüte-Abb. 4: Familienbildnis der Grafen von Falkenstein beim Abschied Sibotos IV. vorseinem Aufbruch zum vierten Italienzug Barbarossas (Codex Falkensteinensis, 1166).Mit freundlicher Genehmigung des Bayerischen Hauptstaatsarchivs (KL Weyarn1/00002).93


NAU 14 2008mehr aus Italien zurückkehren. Dass der LangbürgnerSee auch in späterer Zeit noch über eineBrücke verfügte, ist durch die Karte von Appianaus dem Jahre 1568 belegt. Legt man dieserKarte trotz mangelndem Maßstab eine gewisseAbbildungsrealität zugrunde, so darf die hierdargestellte Brückenanlage jedoch eher am Norduferdes Sees unter der heutigen Bundesstraßevermutet werden, an dem ein heute noch vorhandener,kleiner Durchfluss in Richtung Nordenzum angrenzenden Schlosssee besteht.DanksagungAbb. 5: Darstellung der „urbs Hademarsperch“ mit zinnenbewehrtemBauwerk und romanischer Bogenfront sowie einem Mannmit Angel (Codex Falkensteinensis, 1166). Mit freundlicher Genehmigungdes Bayerischen Hauptstaatsarchivs (KL Weyarn 1/00031).zeit des Grafengeschlechtes von Falkenstein,die zur Zeit der Staufer eines der mächtigstenHerrschergeschlechter darstellte. Mit ihren ältestenBesitzungen im oberen Vils- und Inntalerstreckte sich ihr Einflussgebiet mit weitenLändereien bis nach Tirol, in das Mangfalltal,nach Niederösterreich und eben auch inden Chiemgau. Im sog. Codex Falkensteinensis(Abb. 4), dem bislang einzigen uns überliefertenTraditionsbuch einer mittelalterlichen Grundherrschaft,werden die vier Stammburgen derFalkensteiner genannt und zusätzlich in einerrot-braun gehaltenen Miniaturmalerei dargestellt(Noichl 1978). Neben Neuburg an derMangfall, der Burg Falkenstein am Inn sowieder niederösterreichischen Burg Hernstein wirdauch die vierte Burg, das oberbayerische WasserschlossHartmannsberg, die urbs Hademarsperchgezeigt (Abb. 5). Neben der Burgdarstellung miteinem zinnenbewehrten Mauerwerk und einerromanischen Bogenfassade ist auch ein Mannmit einer Angel zu erkennen. Zweifellos fällt dieDatierung der Brücken der urbs Hademarsperchnoch in die Herrschaftszeit des FalkensteinersSibotos IV., der vor seinem Aufbruch zumvierten Italienzug Barbarossas im Herbst 1166von Kanonikern des Stiftes Herrenchiemseeeben den genannten Codex Falkensteinensis anlegenließ, um den Familienbesitz für seine nochunmündigen Kinder zu sichern, sollte er nichtBesonderer Dank gilt der WasserwachtgruppeBad Endorf sowie allen Beteiligten der BayerischenGesellschaft für Unterwasserarchäologie(Marcus Thier, Dagmar Leeb, Andrea undThomas Haupt, Richard Schnell, Thomas Wachinger,Armin May M. A., Dr. Marcus Prell,Corinna Fiedler, Jürgen Fleckenstein), ohnederen tatkräftige Unterstützung eine genauereErforschung der Pfahlreihen nicht möglich gewesenwäre. Darüber hinaus sei Dr. G. Schönfeldsowie Dr. G. Schlicksbier vom BayerischenLandesamt für Denkmalpflege für die gute Zusammenarbeitgedankt.Anschrift des VerfassersDr. Tobias PfledererBayerische Gesellschaft fürUnterwasserarchäologie e. V.Naturbadstr. 25D-91056 ErlangenLiteraturPopp 1895: K. Popp, Wallburgen, Burgställe undSchanzen in Oberbayern. Oberbayer. Archiv 49,1895, 161 ff.; bes. 178 f.Torbrügge 1959: W. Torbrügge, Vor- und Frühgeschichtein Stadt und Landkreis Rosenheim. In: A.Aschl (Hrsg.), Quellen und Darstellungen zur Geschichteder Stadt und des Landkreises Rosen-heim 1(Rosenheim 1959) 54 ff.Schwarz 1989: K. Schwarz, Archäologisch-topographischeStudien zur Geschichte frühmittelalterlicherFernwege und Ackerfluren im Alpenvorland zwischenIsar, Inn und Chiemsee 45 (Kallmünz 1989).Pflederer 2001: T. Pflederer, Aktuelle Forschungenin bayerischen Seen. Nachrichtenbl. Arbeitskreis Unterwasserarch,NAU 8, 2001, 21 ff.Noichl 1978: E. Noichl, Codex Falkensteinensis.Die Rechtsaufzeichnungen der Grafen von Falkenstein(München 1978).94


Neuerscheinungen/BuchbesprechungenIrmgard Bauer/Beatrice Ruckstuhl/Josef Speck,Die spätbronzezeitlichen Ufersiedlungen vonZug-Sumpf, Band 3: Die Funde der Grabungen1923-37 (Zug 2004). Mit Beiträgen von M.Binggeli, S. Bolliger Schreyer, J. Bonzon, Ch.Maise, P. Northover, A. Rast-Eicher, W. H.Schoch, A. Shortland, A. Stempfel-Benghezal.2 Teilbände, 356 Textseiten (Teilband 1), 232Tafeln mit Katalog und Tabellen (Teilband 2).Preis: SFr. 95.- (ISBN: 3-907068-04-1).Etwa sieben Jahrzehnte nach Beendigung derumfangreichen Grabungen des Zuger ProkuristenMichael Speck in der PfahlbausiedlungZug-Sumpf liegen jetzt die Ergebnisse dieser Unternehmungenin wissenschaftlich aufbereiteterForm vor und beschließen die vom KantonalenMuseum für Urgeschichte Zug herausgegebenedreibändige Publikationsreihe zu den Ufersiedlungenim Sumpf: Gut Ding will Weile haben.Der Sohn des damaligen Ausgräbers, seinerzeitals Jugendlicher ebenfalls bereits mit von derPartie, ist Mitautor des Bandes und hat in den1950er Jahren erneut im Sumpf gegraben. DieseKampagnen, die Wesentliches zur Frage desCharakters von Pfahlbausiedlungen beisteuertenund die Mehrphasigkeit der Siedlung belegten,wurden im zweiten Band der Publikationsreihevon Mathias Seifert ausgewertet und in Zusammenarbeitmit der Zeichnerin Marlise Wunderli1997 vorgelegt. Die Dorfgeschichte ist im Auftaktbandvon 1996 von einem Autorenkollektivum Mathias Seifert abgehandelt worden (dazudie Rezension in NAU 8, 2001, 109 ff.).Den Auftakt der Abhandlungen bildet eineumfängliche, bis ins Jahr 1859 zurückreichendeForschungsgeschichte des Platzes. Wer wäre alsAutor hierfür berufener als der leider inzwischenverstorbene Josef Speck selbst, der viele Jahreals Ausgräber in Zug-Sumpf tätig war und diemoderne Erforschung der Siedlung wesentlichgefördert hat? Mehrfach wurde die Siedlung imSumpf entdeckt bzw. wiederentdeckt, mehrfachist das Wissen um ihre Lokalisierung in Vergessenheitgeraten, bis dann Michael Speck ab 1923umfängliche Grabungen einleitete und im Laufevon 12 Jahreskampagnen (in den Jahren 1930,1933 und 1934 wurde nicht gegraben) einen Teildes Siedlungsareals untersuchte. Sie genügennaturgemäß modernen Ansprüchen nicht, fandenin der damaligen Zeit aber große Beachtungund zeitigten – dies macht dieser Band deutlich– respektable Ergebnisse. Ferdinand Keller, derEntdecker der Pfahlbauten in der Schweiz, aberauch Jakob Heierli als erster akademischer Vertreterdes Faches „Urgeschichte“ an der ZürcherUniversität haben neben zahlreichen wenigerprominenten Erforschern im Sumpf ihre Spurenhinterlassen.In den folgenden Kapiteln wird der Fundstoffder Grabungen behandelt – die Befunde hingegensind im ersten Teilband zur Dorfgeschichteenthalten. Die Funde werden im KantonalenMuseum für Urgeschichte in Zug verwahrt,dessen Gründung ebenfalls auf eine InitiativeMichael Specks zurückgeht. Erneut ergreiftJosef Speck das Wort und behandelt auf knapp90 Textseiten fast 600 Bronzeobjekte. Da Speckkein ausgebildeter Prähistoriker war, sondernGeologie studiert und als Gewerbeschullehrertätig war, mußte er sich autodidaktisch in dieumfängliche archäologische Fachliteratur zurSpätbronzezeit einarbeiten, was ihm die aufrichtigeBewunderung des Rezensenten eingetragenhat.Zum Nachdenken regen allgemeine Überlegungenzur Bronzedichte in Pfahlbausiedlungenan, wie sie die Tabelle der Abb. 16 auf S. 18 liefern.Der Vergleich mit der Siedlung von Greifensee-Böschenim benachbarten Kanton Züricherbringt einen exakt 10-fach höheren Wertfür die Bronzedichte pro Siedlungsjahr. DieserWert sinkt etwas ab (von 10,0 auf 5,9), wennman die Tabelle um eine Rubrik „Bronzedichtepro m 2 und Siedlungsjahr“ als aussagekräftigerenQuotienten ergänzt. Jedenfalls verlangtdie erheblich höhere Bronzedichte der SiedlungGreifensee-Böschen im Vergleich zu Zug-Sumpfnach einer überzeugenden Deutung. Wären diePfahlbaubronzen wirklich als „echter Siedlungsniederschlag,der auf natürliche Verluste oderHinterlassenschaft bei der Siedlungsaufgabe zurückzuführenist“ aufzufassen, wie dies auf S. 21nachzulesen ist, müssten sich in vergleichbarenSiedlungen Bronzedichtequotienten derselbenGrößenordnung ergeben. So bietet es sich an,doch den von Speck pauschal abgelehnten Vorschlageiner „kultischen Deutung“ der Pfahlbaubronzendes Berner Prähistorikers Felix Müller(Jahrb. SGUF 76, 1993, 71 ff.) nicht gänzlichausser Acht zu lassen. Verweist Speck dochselbst an anderer Stelle (S. 49 Anm. 288) bei derBesprechung des Ringschmuckes auf die enormhohe Anzahl von ca. 300 Armringen der StationGrandson-Corcelettes, Kanton Vaud am NeuenburgerSee, die wohl schwerlich vorwiegendals Verlust erklärbar ist. Dass die Diskussionüber den Charakter der Pfahlbaubronzen beiweitem noch nicht beendet ist, belegen u.a. dieinzwischen publizierten Beiträge des KongressesIKUWA 2 (Antiqua 40, 2006).Im Folgenden werden die einzelnen Bronze-95


NAU 14 200896fundgattungen systematisch besprochen, wobeiden chronologisch aussagekräftigen Nadeln sowieden Messern aufgrund ihrer Häufigkeit besonderesGewicht zukommt. Die Typochronologieder Messer ist in aller Deutlichkeit herausgearbeitet;sie stützt sich natürlich auf moderne,anhand geschlossener Grabfunde gewonneneChronologieschemata, wie etwa dem von LotharSperber vor zwei Jahrzehnten erarbeiteten.Die exakte chronologische Einordnung derSiedlungen im Sumpf ist aus dem Fundbestandder Jahre 1923–37 nur ansatzweise zu erfassen(relativchronologisch: HaA2–HaB3). Dendrochronologischermittelte jahrgenaue Datenwerden aus der Arbeit von Mathias Seifert zurDorfgeschichte (s. o.) übernommen und auf denFundstoff übertragen. Dabei ist nachtragend zuergänzen, dass die dendrochronologisch bislangnicht erfasste obere Kulturschicht – sie enthältdie viel diskutierten Hausgrundrisse in Blockbautechnik– durch zusätzliches Material neuerdingsin die Jahre zwischen 880 und 860 v. Chr.datiert werden kann, wodurch die Gesamtdauerder Siedlung einschließlich eines ca. sechs Jahrzehnteumfassenden Unterbruchs nunmehr gesichertauf etwa 180 Jahre zu veranschlagen ist.Der Bronzefundstoff bietet dem Sachkundigenso manches „Schmankerl“, wie etwa den voneinigen Bearbeitern seit langem ersehnten Stangenbuckel(Ersterwähnung von Paul Reineckein Germania 16, 1932) sowie einer katalogmäßigenZusammenstellung dieser nach wie vorrätselhaften Fundgruppe in der Schweiz. Auchein Bogenfibelfragment mit tordiertem Bügelist von besonderem Interesse und belegt weitreichendeHandelskontakte in den mediterranenRaum. Da Teil eines HaB3-zeitlichen Depotfundes,ist es als chronologische Klammer zwischenverschiedenen Kulturgruppen besonderswertvoll. Einschränkend muss jedoch festgestelltwerden, dass sich Specks Besprechung derFundobjekte vorwiegend am schweizer Fundgutorientiert sowie Werke zum urnenfelderzeitlichenPfahlbaukreis aus Ostfrankreich undSüdwestdeutschland heranzieht. Darüber hinausreichendes Vergleichsmaterial wird in derRegel nur dann mit einbezogen, wenn es in denÜbersichtswerken zur Spätbronzezeit leicht zugänglichist (so das in Hermann Müller-Karpe‘s„Beiträge zur Chronologie der Urnenfelderzeitnördlich und südlich der Alpen“ zu ‚Vergleichszweckenherangezogene Material des Urnengräberfeldesvon Maria Rast in Slowenien [S. 33,Anm. 175]). Warum etwa die Nennung undkritische Würdigung von Parallelen zum ebenerwähnten Hortfund auf so wichtige Fundkomplexewie denjenigen aus der WasserburgBuchau am Federsee (er ist, da HaB1-zeitlich,zugegebenermaßen etwas älter als der Hortvon Zug-Sumpf) unterbleibt, obwohl er demVerfasser bekannt ist, wie an anderer Stelle imBuch vermerkt (S. 51), ist nicht nachvollziehbar.Bei genauerem Hinsehen entdeckt man in derSchweiz selbst eine Reihe von Depotfunden inPfahlbausiedlungen, die bislang kaum beachtetbzw. als solche erkannt worden sind (daruntermehrere Depots aus Grandson-Corcelettes,Kt. Vaud; s. Beitrag Fischer, 37 f.). Es würdesich gewiss lohnen, diesem Phänomen in einerüberregional angelegten Studie zu Bronzedeponierungenin Siedlungen die ihm gebührendeAufmerksamkeit zu verschaffen. Specks Literaturrecherchenberücksichtigen nicht immerden aktuellen Publikationsstand. So war diedas urnenfelder- und hallstattzeitliche Gräberfeldvon Künzing, Kr. Deggendorf behandelndeRegensburger Dissertation von Franz Schopper(S. 87, Anm. 479), die in der Literaturliste als„unpublizierte Dissertation“ ausgewiesen ist, zurJahrtausendwende längst veröffentlicht (Materialienzur Bronzezeit in Bayern 1, 1995). DerleiUnzulänglichkeiten schmälern jedoch die Leistungdes Autodidakten Josef Speck nur unwesentlich.Peter Northover vom Department of Materialsder Universität von Oxford, Großbritannien,zeichnet für die umfänglichen Metallanalysendes Bronzefundstoffes verantwortlich. Da erauch die Objekte aus den Kampagnen der 1950erJahre sowie von 1994 mit einbezogen hat, gehtseine ins Deutsche übertragene Studie über dieim Titel genannte Themensetzung hinaus. UnterEinsatz moderner Analysemethoden (Elektronenmikroanalysemit wellenlängendispersiverSpektrometrie) und Auswertungsverfahren(Hauptkomponentenanalyse als mathematischaufwändiges faktorenanalytisches Verfahrender operativen Statistik) werden die Objekte inGruppen unterschiedlicher Legierungsbestandteileeingeteilt. So lassen sich Fragen nach Metallströmenunterschiedlicher Zusammensetzungund deren Herkunft, welche die Siedlungin ihren einzelnen Phasen erreichten, zumindestansatzweise beantworten. Zahlreiche Korrelationsdiagrammeder Legierungselemente undHistogramme sowie umfängliche tabellarischeAuflistungen (in den Anhängen des 2. Teilbandesenthalten) geben detaillierten Einblickin Materialbasis und Gruppenbildung. Da dieObjekte der einzelnen Gruppen zusätzlich aufspeziellen Abbildungen zusammengefasst sind(man muss also im Einzelfalle nicht umständ-


Neuerscheinungen/BuchbesprechungenDear Colleagues, we would like to invite you to contribute a paper to the proposedsession at the 15 th Annual EAA Meeting to be held in Riva del Garda, Italy,September 2009:Underwater archaeology and the future of submerged European prehistorywith keynote papers by:- Dr. Anders Fischer (National Cultural Heritage Agency, Denmark)- Professor Geoff Bailey (University of York, United Kingdom)Major events of human prehistory, such as the post-glacial recolonization of NorthernEurope and the spread of agriculture though the Mediterranean, took place acrosslandscapes that are now, at least partially, underwater — the consequence of globalsea-level rise and regional crustal subsidence since the Late Pleistocene. Much of thesubmerged landscapes lie at depths accessible to divers and can be investigatedarchaeologically. Prehistoric underwater research has emerged in recent decades fromthe western Baltic to the eastern Mediterranean and methodology can be applied tocoastal regions throughout Europe and its surrounding environs. Moreover, there is agrowing awareness of the potential for underwater archaeology to transform our ideasabout key events in prehistory.This session will examine new developments in the field of submerged prehistoriclandscapes. Contributions will cover not only in the results of current underwaterresearch, both archaeological and paleoenvironmental, but also underwatermethodology and techniques for site discovery, excavation, conservation, andinterpretation. Emphasis will be placed on international collaboration and prospectsfor future research.Please submit your paper title and abstract (200 word max.) by February 28, 2009 tojonathan.benjamin@ed.ac.uk with “Submerged Prehistory 2009” in the subject line.Best regards,Dr Jonathan BenjaminDr Catriona PickardClive BonsallSchool of History, Classics & ArchaeologyUniversity of EdinburghEH1 1LT ScotlandNote: This is a preliminary call for papers for a proposed session at the EuropeanArchaeologists’ Association (EAA) conference, to be held in September 2009 – datesto be specified [see: http://www.e-a-a.org/2009.htm ]. Approval from the EAA,funding and additional organisational considerations are yet to be finalized. There is apotential that some or all accepted papers will be edited and compiled for publication.97


NAU 14 200898lich auf den Tafelteil zurückgreifen), wird hiergrößtmögliche Anschaulichkeit erreicht. Fürden Rezensenten war es interessant, wie sichmultimodale (= mehrgipflige) Häufigkeitsverteilungenin mehrere überlappende Gauß‘scheNormalverteilungen aufspalten lassen, wie diesbeim Zinngehalt der Bronzen der Fall ist (S.120, Abb. 122). Zinnreiche Bronzen erweisensich im Vergleich zu zinnärmeren bezeichnenderweiseals die älteren. Da derart ausführlicheMetallanalysen an bronzezeitlichem Fundgutanderwärts noch weitgehend ausstehen, werdendie hier vorgestellten Ergebnisse für zukünftigeBearbeiter weiterer Siedlungen von hohem Nutzensein.Jeanne Bonzon vom Mineralogischen Institutder Universität Freiburg a. d. Saane, Schweiz,steuerte petrographische Dünnschliffuntersuchungenan den meist aus gebranntem Ton (ineinem Falle möglicherweise aus Sandstein) gefertigtenLanzenspitzen-Gussformen der Kampagnevon 1952–54 bei. Die der ausführlichenBeschreibung der Schliffbilder folgenden Ergebnissesind insofern wenig überraschend, alsdie Zusammensetzung von Ton und Magerungkaum von derjenigen der an späterer Stelle imBuch besprochenen Tongefäße abweicht. Deram Bernischen Historischen Museum tätigeMarkus Binggeli kümmerte sich um einen imarchäologischen Experiment nachvollzogenenLanzenspitzen-Nachguss mit Hilfe von Holzmodellen.Dem Fachmann bietet dies kaum Neues;der interessierte Laie hingegen wird seinen gutillustrierten Kurzbeitrag sicherlich mit Genussund Gewinn lesen. Immerhin wird deutlich,dass ein erfolgreicher Guss mit ca. 4 Stunden,gerechnet vom Anfertigen der Form bis hin zumfertigen Bronzeobjekt (die Trocknungszeit desTones ist nicht eingerechnet), nicht übermäßigzeitaufwändig ist.Das mit mehr als 100 Textseiten umfangreichsteKapitel des Werkes stammt zum größten Teilaus der Feder von Irmgard Bauer vom KantonalenMuseum für Urgeschichte Zug und BeatriceRuckstuhl/Schaffhausen. Es behandelt dieim Zuger Museumsdepot überreichlich magaziniertenTongefäßfragmente (fast 20000 Scherbenim Gewicht von 660 kg) der Grabungenvon Michael Speck. Dadurch versteht es sichvon selbst, dass die Keramik, im Gegensatz zuden vollständig im Tafelteil abgebildeten Bronzen,nur in repräsentativer Auswahl vorgelegtwerden konnte. Der einleitende Abschnitt istrein deskriptiver Natur und informiert überFormspektrum, Verzierungskanon und Magerungsartspätbronzezeitlicher Ware. Kurzbeschreibungund Definition der Grundformen(=Formgruppen), wie sie Abb. 152 liefert, würdensich bestens als Einführung in dieses Themaetwa für Studienanfänger der Faches Vorgeschichteeignen. Auch ungewöhnliche Fragestellungen,wie die nach der Sekundärnutzungvon Bodenscherben oder die so genannte „Fadenlochung“als keramische Eigenheit der spätbronzezeitlichenoberrheinisch-schweizerischenGruppe, werden abgehandelt. Gerade die Fadenlöcherin den Verzierungsrillen (in ihnenwurden Getreidehalme fixiert, die eine farblicheHeraushebung des Verzierungsmotivs auf demGefäßkörper erzielen sollten) geben zu weiterenÜberlegungen Anlass, handelt es sich hierbeidoch um Schwachstellen in der Gefäßwandung,die eine dauerhafte Aufbewahrung von Flüssigkeitenerschweren, wenn nicht gar verhindern.Krusten und Beläge als eingebrannte Reste vonGekochtem an den Innenwandungen der Töpfegestatten sogar Einblicke in den Speisezettel derSiedler im Sumpf.Nichts Neues bietet das folgende Kapitel zurChronologie und Keramikentwicklung. Hierwerden lediglich die im 2. Band der Reihe vonMathias Seifert anhand der Kampagnen von1952–54 herausgearbeiteten Grundzüge referiertund graphisch aufbereitet. In Ermangelungstratigraphischer Beobachtungen im Zugeder Grabungen der 1920er und 1930er Jahremussten sich die Bearbeiterinnen notgedrungenauf die von Josef Speck in den 1950er Jahrenbesser dokumentierten und von Mathias Seifertausgewerteten Befunde stützen und diese auf ihrMaterial übertragen. Insofern konnten sich dieAutorinnen hier kurz fassen.Ungewohnte, wenn auch nicht völlig neue Wegebeschreitet Sabine Bolliger Schreyer hingegenim mit „Handschriften“ überschriebenen Unterkapitel.Vor allem der so genannte „reiche Stil“,wie er sich auf den Gefäßen der älteren Siedlungsphasevor dem durch eine Brandkatastropheeingeleiteten Siedlungsunterbruch findet,fordert eine derartige Untersuchung geradezuheraus. Nach graphologischen Kriterien liessensich, unterstützt durch den Graphologen UrsImoberdorf, insgesamt 16 Handschriften ermitteln,die ebensovielen Töpfern bzw. Töpferinnenzugewiesen werden können. Weshalb sich IrmgardBauer an mehreren Stellen des Buches definitivauf Töpferinnen festlegt, ist nicht recht zueruieren. Es kommt der Wahrheit wohl näher,wenn, wie Sabine Bolliger Schreyer vermerkt(S. 212), nicht alle metrischen Unterschiede (inForm und Verzierung; Anm. des Rezensenten)chronologisch gedeutet werden, wie dies im All-


Neuerscheinungen/Buchbesprechungengemeinen üblich ist. Hieraus ergibt sich ein ganzesBündel neuartiger Fragestellungen: Arbeiteteein einzelner Töpfer nur für den eigenen Hausgebrauchoder gab es spezialisierte Töpfer, diedie gesamte Siedlung versorgten? Beschränktesich ein bestimmter Töpfer auf die Herstellungeiner bestimmten Gefäßform bzw. einer bestimmtenVerzierung? Welche Variationsbreitewar dem einzelnen Töpfer bei der Auslegungdes Ornamentkanons möglich? Wie groß warendie individuellen Abweichungen? Einzelne Charakterewie Pedanten und Schluderer, Könnerund Stümper, Kleinkarierte und großzügig mitder zur Verfügung stehenden VerzierungsflächeUmgehende schälen sich aus dem Masse des anonymenFundstoffes heraus und vermenschlichendie sonst so trockene, da vorwiegend am Fundmaterialorientierte Vorgeschichtsforschung.Angenehm, aber auch nachdenklich, fühlt mansich an die vor mehr als einem halben Jahrhundertformulierte Feststellung Sir MortimerWheelers erinnert, dass der Archäologe nichtDinge, sondern Menschen ausgräbt. Sollte ersich dessen nicht bewusst sein, so Wheeler sinngemäß,solle er besser ein anderes Forschungsgebietwählen (aus: Moderne Archäologie. Methodenund Technik der Ausgrabung. Rowohltsdeutsche Enzyklopädie 111/112, Vorwort S. 7).Aus der Untersuchung individueller „Handschriften“resultiert zudem die Möglichkeit, Keramiksets(also Gefäße gleichen Typs und identischer,mit derselben Handschrift ausgeführtenVerzierung, aber meist unterschiedlicher Größe)herauszufiltern, die in einem Produktionszyklushergestellt worden sein dürften. Die die ersteBesiedlungsphase abschließende Brandschichtenthielt genügend fragmentierte Keramik mitdiesbezüglichen Hinweisen. Sie ist an der durchSekundärbrand hervorgerufenen charakteristischenPatina leicht zu erkennen und daher alsgleichzeitig anzusehen. Irmgard Bauer hat sichhiermit in einem eigenen Unterkapitel detailliertauseinandergesetzt. Selbst über die Verwahrungder Gefäße zum Zeitpunkt des Schadfeuerskönnen gelegentlich Aussagen getroffen werden,da sich ein Ineinanderstapeln unterschiedlicherGefäße gleichen Typs, aber abweichender Größe,mitunter nachweisen lässt. Überlegungenzur Verwendung der Keramiksets weisen u.a.in den rituellen Bereich, da sich ganz ähnlicheZusammenstellungen auch in gut ausgestattetenzeitgleichen Gräbern finden. Deren Keramik istbezeichnenderweise nicht so reich verziert wiedie Siedlungsware aus dem Sumpf – womit manwiederum bei der Frage nach dem Charakter derurnenfelderzeitlichen Pfahlbausiedlungen angelangtist. Eine einfache, eindeutige Lösung, wiesie etwa in der Alternative „profan oder sakral“gegeben wäre, zeichnet sich, wie zu erwarten,diesbezüglich nicht ab. Mit den Keramik-Untersuchungenvon Irmgard Bauer und Sabine BolligerSchreyer werden der Forschung jedenfallsneue Wege und höchst spannende Perspektivenerschlossen. Ein weiteres, ebenfalls von IrmgardBauer verfasstes Unterkapitel widmet sich derHerstellung bronzezeitlicher Keramik im archäologischenExperiment. Die engagierte Autorinversteht es auch hier, Akzente zu setzen, die, wiesie sich ausdrückt „mehr als jede Beschäftigungmit Chronologie und Typologie etwas vom Seinder bronzezeitlichen Menschen erfahrbar machen“(S. 221). Experimentell lässt sich etwadas optimale Verhältnis von Ton und Magerung(Verwendung fand Gesteinsmagerung aus zermahlenemGranit oder aus zerschlagener Keramik= Magerung mit Schamotte) mit ca. 2:1bestimmen. Der reich durch Fotos bebilderteBeitrag bietet eine Menge nützlicher Detailinformationenzu Tonaufbereitung, Gefäßaufbau,Verzierungstechniken wie etwa Inkrustation(bestehend aus einer pastosen Masse auskalzinierten Knochen), Ritztechniken mittelsBronzenadeln, Glättung der Oberfläche durchGlättsteine (vermutlich wurden von den TöpferInnenim Sumpf aufgelesene neolithische Steinbeileaus der nur ca. 150 m entfernten SiedlungCham-St. Andreas hierzu verwendet) sowie demBrennen der Ware in Gruben (Grubenbrand).Besonderheiten werden stets sehr anschaulichdurch Abbildungen von Originalkeramik illustriert.Im abschließenden, von Atika Stempfel-Benghezal vom Mineralogischen und PetrographischenInstitut der Universität Freiburg a. d.Saane, Schweiz verfassten Unterkapitel kommenerneut die Naturwissenschaften (Mineralogie,Petrographie und Chemie) zu Wort. Da dashierzu verwendete Fundmaterial durch keinerleiRestaurierungsmaßnahmen verfälscht wordensein darf, mußte die aus den Speck‘schen Grabungenstammende Keramik gesamthaft ausscheiden:Einzig die im Zuge der Rettungsgrabungim Jahre 1994 geborgenen Keramikfragmentekonnten für Dünnschliffe und chemischeAnalysen herangezogen und mit modernen, ausunterschiedlichen Tonlagerstätten der Umgebunggefertigten Repliken spätbronzezeitlicherWare (experimentelle Proben) verglichen werden.Vier verschiedene Magerungsarten undebensoviele Arten der Matrix des Rohtones ließensich unterscheiden. Nimmt man noch dengranulometrisch ermittelten Korndurchmesserder Magerungspartikel hinzu, entsteht durch99


NAU 14 2008100Kombination der Möglichkeiten ein komplexesGefüge. Alle sechs Gruppen der Gefäßgrundformenwurden diesbezüglich untersucht. Solässt sich beispielsweise herausfinden, ob sie sichin ihrer Magerung unterscheiden (was chemischnicht der Fall ist, granulometrisch hingegen sehrwohl), ob die in der jüngeren Vergangenheit ausgebeutetenTonlagerstätten schon von der bronzezeitlichenBevölkerung genutzt wurden (nurin einem Falle ist dies wahrscheinlich) und wiehoch die Brenntemperatur jeweils war. Für dasvolle Verständnis dieses Beitrages ist mineralogischesGrundwissen, aber auch mathematischerSachverstand (der sog. euklidische Abstand wirdin den Dendrogrammen ohne nähere Erklärungangegeben) unerlässlich. Wie schon bei derMetallanalytik verzichtet der Beitrag nicht aufKorrelationsdiagramme bestimmter chemischerElemente und Verbindungen (Clusteranalysen)sowie auf Tabellen zur prozentualen chemischenZusammensetzung der einzelnen Proben.Ein kurzes, von Beatrice Ruckstuhl verfasstesKapitel ist den sonstigen Tonobjekten (Spinnwirtel,Tonringe, Webgewichte, Tonspulen undMondhörner) gewidmet, die in zeitgenössischenGräbern völlig fehlen. Mit Ausnahme der rätselhaftenMondhörner (wurden sie als Firstziegeloder als Feuerböcke verwendet?) führen sie allein den Bereich textilen Wirkens. Der Bestanddieser Objekte aus dem Sumpf wird deskriptivvorgelegt und nur in einem Falle in Form einerHäufigkeitsverteilung der Spinnwirtelgewichteeiner weitergehenden Auswertung unterzogen.Vergleiche beschränken sich auf frühmittelalterlicheReihengräber – sie enthielten einst Spindeln,wie an den Wirtel zu erschließen ist – undAusflüge in die griechische Mythologie unterVerweis auf die den Lebensfaden spinnendenSchicksalsgöttinnen. Das Kapitel leitet somitzwanglos zum Beitrag der Textilspezialistin AntoinetteRast-Eicher über mit dem Titel „Spinnen– Weben – Flechten. Textiles Handwerk inZug-Sumpf“. Einige wenige Fragmente von Geflechtenund Halbgeflechten aus Holzruten sindaus dem Sumpf überliefert. Sie dürften als Stangengeflechtedie Relikte von Körben darstellen,könnten aber auch gelegentlich als Flechtwandrestegedeutet werden. Parallelen lassen sich ausdem Feuchtmilieu in einiger Zahl nennen undfehlen selbstverständlich erhaltungsbedingt inMineralböden weitgehend. Interessanter ist wiederumdas archäologische Experiment zur Fadenherstellung.Die sieben Gewichtsklassen derinsgesamt 119 Spinnwirtel liefern unterschiedlicheFadendicken und -qualitäten, so dass beisehr dünnen Fäden auf die Verwendung vonZwirn (zweifacher Faden) geschlossen werdenkann. Diese dürften, da sie sich nicht als Knäuelwickeln lassen, auf eine der oben erwähntenTonspulen gewickelt worden sein. Es wäre nützlichgewesen, an Stelle des Literaturhinweises(S. 273 Anm. 805) den Forschungsstand zubronzezeitlichen Textilien trotz des Fehlens vonGeweben im Sumpf kurz zu umreissen und ausAnschaulichkeitsgründen Beispiele hierfür abzubilden.Die Darstellung einer Spinnerin aufeiner griechischen Vase wird ja auch geboten(Abb. 312), wie auch der bekannte geflochteneHut aus dem früh/mittelbronzezeitlichen PfahlbauFiavè nicht fehlt (Abb. 309).Von großer Wichtigkeit ist der den ca. 30 erhaltenenHolzfunden gewidmete Beitrag vonChristian Maise und Werner H. Schoch (Laborfür Quartäre Hölzer/Langnau am Albis), derdie Holzartbestimmungen beisteuerte, liegendoch bislang nur wenige Komplexe von Holzobjektenaus Pfahlbausiedlungen in publizierterForm vor. Die Ansprache der Gegenstände ist inErmangelung von Parallelen oft schwierig undvielfach hypothetisch. Unproblematisch sindKnieholme, Sichelgriffe, Holzgefäße und Schindelfragmenteaus Weisstanne. Aber handelt essich bei dem unter der Katalognummer 2375abgebildeten Objekt aus Eichenholz wirklichum ein Streichmaß (und damit um einen metrologischenGegenstand), wie Maise vermutet?Der schlechte Publikationsstand bringt es mitsich, dass wiederholt Unbekanntes im Fundmaterialauftaucht, wie Reste des bislang ältestengeküferten Gefäßes, die einzige verzierteWerkzeug- bzw. Waffenschäftung oder die erstenoch erhaltene spätbronzezeitliche Holzverbindungaus dem Dachbereich eines Hauses.Selbst Konstruktionselemente für Wagenräderfehlen nicht. Berichtigend sei hier ergänzt,dass Tüllenbeile nicht erst „ganz am Ende derBronzezeit“ (S. 280) auftreten, sondern bereitsin der Mittelbronzezeit, aber auch in der älterenUrnenfelderzeit bekannt waren (vgl. die Periode-II-zeitlichenTüllenbeile des NordischenKreises). Jedenfalls werden ähnliche Komplexeaus anderen Siedlungen jede Menge neue Überraschungenbieten und unser vorwiegend metall-und keramiklastiges Bild der Spätbronzezeiterfreulich bereichern. Vergegenwärtigt man sichdie vermutlich hohe Dunkelziffer des im Zugeder Altgrabungen nicht erhalten sowie unbeachtetGebliebenen bzw. Übersehenen, erahnt mandas in den nicht untersuchten Siedlungsarealenvon Zug-Sumpf schlummernde gewaltige hölzernePotenzial.Wesentlich höher ist die Anzahl der von Bea-


Neuerscheinungen/Buchbesprechungentrice Ruckstuhl behandelten Steingeräte imSumpf. Angesichts neolithischer oder in direkterneolithischer Tradition stehender Gerätschaften(geschliffene Steinbeile sowie Silexklingen und-pfeilspitzen, aber auch einige Lochäxte) stellt siedie interessante Frage nach einer Zweitverwendungälteren Materials für andere Zwecke (etwadie oben erwähnte vermutliche Verwendungvon Beilklingen zum Glätten von Keramik) undweist eine altertümlich wirkende, aus Kernenund Abschlägen zu erschließende spätbronzezeitlicheFeuersteinindustrie innerhalb der Siedlungnach. Immerhin liegen auch jede Menge sogenannter Klopfsteine vor. Sie stellen den Ausgräberninsofern ein gutes Zeugnis aus, als ihnenihr Kleinfundcharakter trotz des unscheinbarenAussehens offensichtlich bewusst war. Auch dierätselhaften Rillensteine (Keule oder Treibhammerdes Toreuten sind nur zwei Alternativen auseiner Fülle von Deutungsmöglichkeiten) oderin den apotropäischen Bereich weisende Bergkristallprismenmit Amulettcharakter aus deminneralpinen Raum fehlen nicht.Einen ästhetischen Höhepunkt bilden die GlasundBernsteinperlen am Ende des Buches. Siewerden durch beeindruckende Farbaufnahmenin herrlichen Vergrößerungen ins rechte Lichtgesetzt und von Beatrice Ruckstuhl in knapperForm archäologisch angesprochen. Ausführlicherfällt hingegen Andrew Shortland‘s(Forschungslabor für Archäologie und Kunstgeschichteder Universität Oxford/Großbritannien)materialanalytische Auswertung desGlases aus. Da vermutlich aus Norditalien importiert,belegen diese unscheinbaren Objekteein Kulturgruppen übergreifendes, spätbronzezeitlichesHandelsnetz, das Anschluss ans Gefügeder ostmediterranen Hochkulturen hatteund aufgrund der Bernsteinimporte bis ins Baltikumzu verfolgen ist. Dünnschliffbilder unddie tabellarische Auflistung der chemischen Zusammensetzungdes blauen und weissen Glasesfehlen nicht. In aller Kürze sind abschliessendeinige Armringe aus Sapropelit (versteinerterFaulschlamm) behandelt, deren Dünnschliffbildervon Werner H. Schoch beschrieben undinterpretiert werden.Danach endet der deutschsprachige Text desBuches abrupt und es folgen Kurzzusammenfassungendes Inhaltes in deutscher, französischerund englischer Sprache.Abschliessend hätte man ein ausführlicheresKapitel zum Gesamtkomplex „Zug-Sumpf“erwartet, in dem die Ergebnisse und Perspektivendes Projektes herausgearbeitet werden. Dadies den Rahmen des gut 350 Seiten starkenTextbandes vermutlich bei weitem gesprengthätte, schlägt Brigitte Röder in ihrer Rezensiondes Werkes (Jahrb. SGUF 88, 2005, 402) mitRecht vor, man möge die Publikationsreihe umeinen vierten, diesbezüglichen Band ergänzenund das Gewonnene als Auftakt zu weiterenForschungen begreifen. Dem kann sich derRezensent guten Gewissens anschließen, dennreichhaltig sind die hier gelieferten Anregungenund aus den Ergebnissen erschlossenen weiterführenden Fragestellungen. Trotz dieser Einschränkungist in der Zusammenschau ein respektablesWerk gelungen, das auch in Layoutund graphischer wie drucktechnischer Umsetzungbesticht. Zeichnungen, Fotos und Tabellensind vorbildlich und mit Fingerspitzengefühl inden Text eingebettet, so dass das bloße Durchblätternbereits zum Genuss wird. Gelegentlichestilistische Härten in den Formulierungen odereinige unglückliche Übersetzungen aus demEnglischen (die von Wissenschaftlern der UniversitätOxford angefertigten Beiträge wurdenextra ins Deutsche übertragen) fallen da kaumins Gewicht. Das hohe Engagement der Verantwortlichensowie Enthusiasmus und Durchhaltevermögender Ausführenden werden dadurchkaum geschmälert, womit dem Regierungsratdes Kantons Zug als Herausgeber der Reihe dasbeste Zeugnis ausgestellt wird. Auch wird allen(gelegentlich gar fachlicherseits vorgebrachten)Unkenrufen zum Trotz einmal mehr deutlich,wie wichtig es ist, selbst lange vernachlässigtesMaterial aus so genannten „Altgrabungen“nach modernen wissenschaftlichen Kriterienauszuwerten und öffentlich zu machen. DieAutoren verstanden es vorbildlich, die in den20er und 30er Jahren des abgelaufenden Jahrhundertsans Licht beförderten und danach fürweitere Jahrzehnte in dunklen Museumsdepotsschlummernden „ollen Kamellen“ zum Sprechenzu bringen. Es bleibt zu wünschen, dass diedadurch ausgelösten neuen und vielfältigen Impulseauch in die Tat umgesetzt werden könnenund weiterer Forschung im sumpfigen Delta derLorze am Ufer des Zugersees die Wege ebnen.Denn wie wollte man es verantworten, hiermiteinen Schlußstrich unter das äusserst spannendeKapitel der archäologischen Erforschungder Pfahlbauten und Uferdörfer im Sumpf beiZug zu ziehen, das immense wissenschaftlichePotenzial des nur zu Teilen ausgegrabenen Siedlungskomplexesnicht weiter zu nutzen und dienoch verbliebenen Siedlungsreste sich selbst unddamit mittelfristiger Zerstörung zu überlassen?Wolfgang Schmid101

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