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Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio

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<strong>Die</strong> <strong>Zeitschrift</strong> für <strong>stud</strong>. <strong>iur</strong>. <strong>und</strong> <strong>junge</strong> <strong>Juristen</strong>TitelthemaDer Gewährleistungsstaat in der RechtswissenschaftPD Dr. Claudio Franzius„Wenn wir keinen Schiffbruch erleiden wollen,muss der Kurs jetzt geändert werden.“Ein Interview mit Adolf BauerAlexander OttoAusbildung„Von Köhler zu Wulff “ - Aktuelle Fragen zur Stellung desB<strong>und</strong>espräsidenten im Verfassungsgefüge des Gr<strong>und</strong>gesetzesGeorg <strong>Die</strong>tleinGoogle Street View – Das Leben der AnderenProf. Dr. Rolf SchwartmannSchwerpunkteEuropäische Bestrebungen zur Abschaffung eines umfassendenWerbeverbots für ArzneimittelSabrina NeuendorfPraxisJunge Anwältinnen mit Kindern – Eine lohnenswerte Herausforderung?!Rechtsanwältin Katharina Miller„Nicht nur wegen der zwei Buchstaben vor dem Namen“Ein Interview mit Prof. Dr. Peter DerlederDipl.-Jur. Dirk VeldhoffI S S N 1 8 6 7 - 6 6 0 XAusgabe 3/2010 | WWW.IURRATIO.DEExklusiv-Partner dieser Ausgabe:


TitelthemaTax KongressEntdecken Sie, wasin uns stecktFür steuerinteressierte Student(inn)en <strong>und</strong> Hochschulabsolvent(inn)en<strong>Die</strong> Fachwelt haben wir längst von unseren Qualitäten überzeugt. <strong>Die</strong> InternationalTax Review verlieh uns die Auszeichnung „Best Global Brand in Tax“ – jetzt werdenwir Sie begeistern. Auf unserem Tax Kongress stellen wir Ihnen in lockerer Atmosphäreunser Unternehmen <strong>und</strong> die Vielfalt an Einstiegsmöglichkeiten in der Steuerberatung vor.Es ist Ihre Zukunft. Wie weit wollen Sie kommen?Bitte bewerben Sie sich online bis spätestens 1. November 2010.www.tax-kongress.deDüsseldorf, 12. November 2010Deloitte bezieht sich auf Deloitte Touche Tohmatsu, einen Verein schweizerischen Rechts, <strong>und</strong>/oder sein Netzwerk vonMitglieds unternehmen. Jedes dieser Mitgliedsunternehmen ist rechtlich selbstständig <strong>und</strong> unabhängig. Eine detaillierteBeschreibung der rechtlichen Struktur von Deloitte Touche Tohmatsu <strong>und</strong> seiner Mitgliedsunternehmen finden Sie aufwww.deloitte.com/de/UeberUns© 2010 Deloitte & Touche GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Member of Deloitte Touche Tohmatsu


<strong>Iurratio</strong> AktuellEinladung zur<strong>Iurratio</strong> Gesamtkonferenzam Samstag, 9.10.2010in Köln in NRWIhre Meinung ist gefragtWir sind stetig bemüht unser Projekt Ihren Interessen <strong>und</strong>Bedürfnissen anzupassen. Nehmen Sie an der Umfrage r<strong>und</strong> umdas <strong>Iurratio</strong>-Projekt teil!Unsere Umfrage finden Sie unter: www.<strong>iur</strong>ratio.de/umfrage2010Wir suchen Studierende, Referendare/innen <strong>und</strong> wissenschaftlicheMitarbeiterInnen aus ganz Deutschland, die Zeit <strong>und</strong> Lust haben sichr<strong>und</strong> um unsere <strong>Zeitschrift</strong> in unserem Projekt zu engagieren.Wenn Du Interesse daran hast Dich an unserem ehrenamtlichen Projektzu beteiligen <strong>und</strong> uns vielleicht einfach mal kennen lernen möchtest,laden wir Dich herzlich zu unserer Gesamtkonferenz am Samstag, den9.Oktober 2010 in Köln ein.<strong>Iurratio</strong>-StellenmarktUnser zur Ausgabe 2/2010 eingeführter <strong>Iurratio</strong>-Stellenmarkt umfasstmittlerweile unversitären Stellenausschreibungen von mehr als zehnUniversitäten (siehe S. 174)Ab Oktober finden Sie auch eine Vielzahl von Praxisstellen in unseremOnlinestellenmarkt: www.<strong>iur</strong>ratio.de/stellenmarkt<strong>Die</strong> <strong>Iurratio</strong> Gesamtkonferenz findet dieses Mal in den Räumlichkeitender Kanzlei Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH statt.Mit fre<strong>und</strong>licher Unterstützung:<strong>Iurratio</strong>-LeserwettbewerbAufgr<strong>und</strong> der frühesten Veröffentlichungsmöglichkeit für etwaigeEinsendungen wurde der Einsendeschluss für Lösungen zu den inAusgabe 2/2010 gestellten Fallaufgaben auf den 30.11.2010 verlängert.<strong>Die</strong> besten Lösungen werden in den Ausgaben 2011 veröffentlicht.Weitere Information sowie die Sachverhalte finden Sie unter:www.<strong>iur</strong>ratio.de/Leserwettbewerb<strong>Iurratio</strong>-Ansprechpartner vor OrtNähere Informationen zu der Veranstaltung bekommst du vonGeorg <strong>Die</strong>tlein, Standortleiter Universität zu KölneMail: UniKoeln@<strong>iur</strong>ratio.deEine Teilnahme ist nur nach Anmeldung per eMail bis zum25. September 2010 möglich!Wir freuen uns auf einige interessante Arbeitsst<strong>und</strong>en <strong>und</strong>– vor allem – einen lustigen Abend!UNIVERSITÄT BAYREUTH: Christian W. JakobFREIE UNIVERSITÄT BERLIN: Marcel NiknafsHUMBOLDT UNIVERSITÄT BERLIN: Martin BodenUNIVERSITÄT BIELEFELD: Friederike HohmannUNIVERSITÄT BONN: Katharina WalterUNIVERSITÄT BREMEN: Aimee WaldonUNIVERSITÄT DÜSSELDORF: Lars WildhagenUNIVERSITÄT FRANKFURT A.M.: Marcel GellingsUNIVERSITÄT FREIBURG: Kiyomi von FrankenbergUNIVERSITÄT HEIDELBERG: Konstantina PapathanasiouUNIVERSITÄT JENA: Marc BradeUNIVERSITÄT KONSTANZ: Jan-Christoph StephanUNIVERSITÄT KÖLN: Georg <strong>Die</strong>tleinUNIVERSITÄT MAINZ: Hannah MengelkampUNIVERSITÄT MÜNCHEN: Tobias PeschUNIVERSITÄT OSNABRÜCK: Annica KlemmeUNIVERSITÄT PASSAU: Susanne BettendorfUNIVERSITÄT TRIER: Malte BinzUNIVERSITÄT TÜBINGEN: Stephanie LangenbergAlle anderen Standorte können über unsere Geschäftsstellekontaktiert werden.<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010 123


Inhalt / ImpressumFotos auf dieser Seite: fotolia.deTitelthemaDer moderne SozialstaatFranzius Der Gewährleistungsstaat in der Rechtswissenschaft 126ab S. 126Chefredationsinterview 130„Wenn wir keinen Schiffbruch erleiden wollen, muss der Kursjetzt geändert werden.“ – Interview mit Adolf Bauer<strong>Die</strong>tlein/Eischet Das sozialstaatliche Untermaßverbot – Justiziabilität 132<strong>und</strong> Bindungswirkung des Sozialstaatsprinzips des Gr<strong>und</strong>gesetzesTitelthema: Der moderne SozialstaatS. 138S. 144AusbildungSchwartmann Google Street View – Das Leben der Anderen 138<strong>Die</strong>tlein „Von Köhler zu Wulff “ - Aktuelle Fragen zur Stellung des 140B<strong>und</strong>espräsidenten im Verfassungsgefüge des Gr<strong>und</strong>gesetzesSchwerpunkteNeuendorf Europäische Bestrebungen zur Abschaffung eines 144umfassenden Werbeverbots für ArzneimittelLawlife Style 150- L@w Event bei BBG <strong>und</strong> Partner- Schönfelder trifft TascheStreitthema: Google Street ViewImpressum Ausgabe 3/2010Herausgeber: Jens-Peter Thiemann (V.i.S.d.P.)herausgeber@<strong>iur</strong>ratio.deWerbeverbot für Arznemittel?Chefredaktion: Alexander Otto; Vivien Eckhoff (Stellvertreterin)chefredaktion@<strong>iur</strong>ratio.deRedaktion:Ressort Zivilrecht (zivilrecht@<strong>iur</strong>ratio.de)Aimee Waldon (Ltg., Standortleiterin Universität Bremen), Christine Dutzmann;Ressort Strafrecht (strafrecht@<strong>iur</strong>ratio.de)Kiyomi von Frankenberg (Ltg., Standortleiterin Uni Freiburg)Konstantina Papathanasiou (Standortleiterin Universität Heidelberg);Ressort Öffentliches Recht (oerecht@<strong>iur</strong>ratio.de) Stefanie Löhr, Katharina Walter,Lars Wildhagen;Ressort Fallbearbeitungen (fallbearbeitung@<strong>iur</strong>ratio.de) Hanna Furlkröger (Ltg.);Ressort LawLifeSytle (lawlifestyle@<strong>iur</strong>ratio.de) Sandra Freyse, Julia Potdevin;Ressort Praxis (praxis@<strong>iur</strong>ratio.de)Jan-Christoph Stephan (Ltg.; Standortleiter Universität Konstanz), Dirk Veldhoff;Ressort Rechtsprechung (rechtsprechung@<strong>iur</strong>ratio.de) Alexander Otto (Ltg.),Kathrin Böckmann, Maike Brinkert, Lena RudkowskiAusschluss: Namentlich gekennzeichnete Beiträge repräsentieren nicht unbedingt dieMeinung der Redaktion.Lektorat: Annica Klemme, Susanne BettendorfLayout & Satz: Susanne Günther, Düsseldorfinfo@susanneguenther.de<strong>Iurratio</strong>-Logo: Tobias Kunkel.Geschäftsführer: Eckart Pradel, gf@<strong>iur</strong>ratio.deAnzeigenabteilung: Marlene Alker, Friederike Hohmann, Daniel Frey, Niels Grotjohann,Sabrina Mokulys, Björn Wittensteinanzeigen@<strong>iur</strong>ratio.deAuslandskorrespondenz: Inga Thiemann (Englisch, Niederländisch), Marlene Alker(Französisch)Vertrieb: Eva-Maria Matt, Björn Wittenstein, Lars Buchtmannvertrieb@<strong>iur</strong>ratio.dePostanschrift: <strong>Iurratio</strong>, Röckumstraße 63, 53121 BonnRedaktionsanschrift: Postfach 1540, 26645 WesterstedeDruck: Gutverlag, 48477 Hörstel, www.gutverlag.comUrheber- <strong>und</strong> Verlagsrechte: Alle in dieser <strong>Zeitschrift</strong> veröffentlichten Beiträge sindurheberrechtlich geschützt. Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken <strong>und</strong>ähnlichen Einrichtungen. Kein Teil dieser <strong>Zeitschrift</strong> darf außerhalb der engen Grenzendes Urheberrechtsgesetzes ohne schriftliche Genehmigung in irgendeiner Formreproduziert werden.Autorenhinweise: Ausführliche Autorenhinweise finden Sie auf unserer HomepageFallbearbeitungFurlkröger Anfänger im Strafrecht: „Freibier“ 152Kolbe Fortgeschrittene im Öffentlichen Recht: „Der Fall einer Gefälligkeit“ 156Frantzen Examenskandidaten im Zivilrecht: „Widerruf einer 161transmortalen Vollmacht“Mein Alltag<strong>Juristen</strong> Stellen Ihren Alltag vor 166Dutzmann/UlrichPraxisFurlkröger Praktikumsbericht europäisches Parlament 168Miller Junge Anwältinnen mit Kindern – 170Eine lohnenswerte Herausforderung?!Veldhoff„Nicht nur wegen der zwei Buchstaben vor dem Namen“ – 172Interview mit Prof. Dr. DerlederUniversitärer Stellenmarkt 174StudentischesSchillingmann Ein starkes Konzept <strong>und</strong> der lange Streit um die 176Modernisierung des rechtswissenschaftlichen StudiumsNEU! Rechtsprechung 178Ausbildungsrelevante Entscheidungen seit dem 15.05.2010


STUDENT meetsPRACTICEDas PraktikantenprogrammVom 22. August bis 30. September 2011 veranstaltet Shearman & Sterling an allen deutschenStandorten zum fünften Mal das sechswöchige Praktikantenprogramm „Student meets Practice“.Unser Motto lautet: „Mittendrin statt nur dabei.“ Entsprechend werden Sie täglich aktiv in unserespannende Mandatsarbeit einbezogen <strong>und</strong> können sich außerdem auf folgende Highlights freuen:- Besuch eines überörtlichen Seminars im Rahmen unseres Aus- <strong>und</strong> Weiterbildungsprogramms„Project Brain“- Teilnahme an den wöchentlich stattfindenden lokalen „Project Brain“-Veranstaltungen- Gemeinsamer Moot Court aller PraktikantenHaben wir Ihr Interesse geweckt? Dann bewerben Sie sich bitte bis zum 31. März 2011 <strong>und</strong> beachtenSie, dass nur eine begrenzte Anzahl an Plätzen verfügbar ist. Mehr Informationen finden Sie unter:www.<strong>stud</strong>entmeetspractice.deWir freuen uns auf Sie!Shearman & Sterling LLPMichael Mitt I Human Resources I Breite Straße 69 I 40213 DüsseldorfT +49.211.17888.346 I michael.mitt@shearman.com


TitelthemaDer Gewährleistungsstaat in der Rechtswissenschaftvon PD Dr. Claudio Franzius (HU Berlin)Claudio Franzius ist Privatdozent an der Humboldt-Universitätzu Berlin <strong>und</strong> vertritt im Wintersemester 2010/11 den Lehrstuhlfür Öffentliches Recht <strong>und</strong> Staatslehre an der UniversitätHamburg. Forschungsschwepunkte: Europäisches Verfassungsrecht,Umwelt-, Technik- <strong>und</strong> Netzregulierungsrecht,Gr<strong>und</strong>lagen der Rechtswissenschaft <strong>und</strong> Governance-Forschung.Aktuelle Veröffentlichung: Europäisches Verfasssungsrechtsdenken,Tübingen: Mohr Siebeck, 2010A. EINFÜHRUNGDer moderne Sozialstaat könnte Gewährleistungsstaat sein. Attribute für einUmdenken von Staatlichkeit sind keine Seltenheit. Erinnert sei an den schlankenStaat, den aktivierenden Staat oder eben den Gewährleistungsstaat, dessenBotschaft ein gewandeltes Verständnis von Staat <strong>und</strong> Gesellschaft zumAusdruck bringt. Der Staat erfüllt die ihm zugewiesenen Aufgaben nicht mehreigenhändig, sondern gewährleistet die Aufgabenerfüllung durch private Akteure.Er aktiviert nicht bloß gesellschaftliche Beiträge zum Gemeinwohl,sondern gewährleistet bestimmte Ergebnisse. Im Verwaltungsrecht wird dasmit dem Wandel von der Erfüllungsverantwortung zur Gewährleistungsverantwortungumschrieben.Schnell wird erkennbar, dass mit dem Konzept des Gewährleistungsstaatesauf die Privatisierung <strong>und</strong> Liberalisierung sozialstaatlicher Aufgabenerfüllungreagiert wird, etwa in den Feldern der Daseinsvorsorge bzw. Infrastruktur.Wo Netze wie das Telekommunikations- oder das Eisenbahnnetz reguliertwerden, trifft den Staat eine verfassungsrechtlich normierte Gewährleistungsverantwortung.Ihre Konkretisierung durch Steuerungstechniken wiedie regulierte Selbstregulierung, die sich auf einer Skala zwischen hoheitlicherRegulierung <strong>und</strong> gesellschaftlicher Selbstregulierung verorten lässt, dokumentierenkeinen Rückzug des Staates, sondern kennzeichnen neue Modi arbeitsteiligerAufgabenwahrnehmung. 1Das ist bekannt. Wer die Diskussionen über den Staat, sein vermeintlichesEnde <strong>und</strong> seine Renaissance auch nur am Rande verfolgt hat, wird über Fragender staatlichen Rahmung privatisierter Aufgabenwahrnehmung das eineoder andere Mal gestolpert sein. Vorliegend soll nicht der Frage nachgegangenwerden, ob der Gewährleistungsstaat in Zeiten der globalen, aber ebenauch lokal zu verantwortenden Finanz- <strong>und</strong> Wirtschaftskrise noch ein passendesLeitbild darstellt. 2 Um solche Fragen beantworten zu können, bedarfes einer Vergewisserung darüber, was sich hinter der Botschaft vom Gewährleistungsstaatverbirgt. <strong>Die</strong> Unsicherheiten, die Studierende im Umgang mitdem Gewährleistungsparadigma haben, sind weniger seiner konzeptionellenUnschärfe als dem Umstand geschuldet, dass nicht immer hinreichend klardie Perspektiven auseinandergehalten werden, d.h. unterschieden wird. Deshalbsoll es an dieser Stelle nicht um eine Fortentwicklung oder Korrektur,sondern um eine Rekonstruktion des Paradigmas mit dem Ziel gehen, anzugeben,an welcher Stelle der Gewährleistungsstaat in der Rechtswissenschaftrelevant wird.B. STAATSTHEORIEAn erster Stelle sei die Staatstheorie genannt, wenngleich hier bereits fraglichist, inwieweit das Öffentliche Recht eine (Wiederbelebung der) Staatstheoriebenötigt. 3 Schon auf dieser abstrakten Ebene der Betrachtung kann man skeptischsein, ob die Beschreibung des Aufgabenwandels – oder besser: des gewandeltenAufgabenverständnisses – durch den Gewährleistungsstaat an diestaatstheoretische Debatten anschließen kann. 4 Sieht man genauer hin, handeltes sich um eine verwaltungswissenschaftliche Kategorie oder um ein Leitbild,dem neben einer politischen Reform- auch eine Strukturierungsfunktionzukommt. 5 Und die Rechtswissenschaft darf sich nicht auf die Pflege dogmatischerBeziehungen beschränken. Hinter der positiven Norm tritt ihrRealbereich hervor, in den die Norm gestellt <strong>und</strong> auf den sie bezogen ist.Rechtswissenschaftliche Aufmerksamkeit verdient, was rechtlich relevant ist,auch wenn es normativ nur schwach gesteuert ist.<strong>Die</strong>s mag erklären, warum die Diskussion über den Gewährleistungsstaat miteiner zentralen Unschärfe leben kann. Bis heute ist nicht richtig geklärt, inwieweitdie Zuweisung von Gewährleistungsverantwortung die vielfach, abernicht immer zuvor bestehende Erfüllungsverantwortung des Staates ersetzt. 6Wäre dies so, dürfte der Staat die Aufgabe mit eigenem Personal nicht mehrerfüllen <strong>und</strong> die Leistung nicht länger selbst bereitstellen. In Feldern der Daseinsvorsorge,die zumindest in Teilbereichen längst Rückverstaatlichungenausgesetzt sind, wäre die private Leistungserbringung unter Ausschluss staatlicherKonkurrenz die Folge, das öffentliche Unternehmen ein Auslaufmodell.7 <strong>Die</strong> Gegenauffassung sieht in der Gewährleistungsverantwortung keinenGegenbegriff, sondern einen Oberbegriff 8 zur Erfüllungsverantwortung,die sich im Falle ihrer gewährleistungsstaatlichen Überformung zu einer residualenAuffangverantwortung verwandelt. Dem Staat, so heißt es, müssenhinreichende Rückholoptionen im Falle gesellschaftlicher Schlechterfüllungverbleiben. 9 Ungeachtet der Zweifel, vom Gewährleistungsstaat gerade die Fähigkeitzu verlangen, deren Infragestellung den Abschied vom Leistungsstaatmarkierte, wird im Modell des Gewährleistungsstaats ein voraussetzungsvollesLeitbild gesehen werden müssen. 10 In seiner rechtlichen Dimension rekurriertes auf politische Erwartungen <strong>und</strong> droht, wie der Streit über die fehlgeschlagenePrivatisierung der Flugsicherung gezeigt hat, die hinreichende Abstützungrechtlicher Steuerung aus dem Blick zu verlieren. 11So gesehen, thematisiert der Gewährleistungsstaat ähnliche Fragen wie derubiquitäre, aber überwiegend politikwissenschaftlich geführte Diskurs überGovernance. 12 Hier wie dort geht es weniger um hierarchische Organisationoder kooperative Zusammenarbeit, sondern um die Koordination der Handlungsbeiträge13 unterschiedlicher Akteure innerhalb einer Regelungsstruktur.14 <strong>Die</strong> Idee eines allmächtigen <strong>und</strong> letztverantwortlichen Staates verblassthinter den Gestaltungsproblemen der Wissensgenerierung <strong>und</strong> des Erhalts jenerWissensressourcen, die für staatliches Handeln in der Zukunft erforderlichsind. 15126<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010


TitelthemaC. VERFASSUNGSRECHTDas Verfassungsrecht, nicht frei von staatstheoretischen Übermalungen, thematisiertden Gewährleistungsstaat vor allem in den netzbasierten Infrastrukturen.Art. 87f GG ist systematisch ernst zu nehmen, indem der Gewährleistungsauftragflächendeckender Post- <strong>und</strong> Telekommunikationsdienstleistungenan den Anfang gestellt wird (Abs. 1), wodurch eine Privatisierung derLeistungserbringung (Abs. 2) ermöglicht wurde. Art. 87e GG, in seiner Strukturwesentlich komplizierter, enthält für die Eisenbahnen ebenfalls einen Gewährleistungsauftrag(Abs. 4), dem der B<strong>und</strong> als Mehrheitseigentümer (Abs.3) auch durch gesellschaftsrechtliche Einwirkungen auf den Netzbetreibernachkommen kann bzw. muss. 16Allerdings sollte man vorsichtig sein, aus der Verfassung konkrete Handlungspflichtendes Gesetzgebers abzuleiten. Der gebetsmühlenartige Hinweisauf die Wahrung legislatorischer Spielräume hat aus gewährleistungsstaatlicherSicht allerdings zwei Seiten: Ohne Zweifel hört es sich gut an, wenn Respektvor den Organisationentscheidungen des demokratisch legitimiertenGesetzgebers gefordert wird. 17 <strong>Die</strong>ser kann in der Ausgestaltung des Regulierungsregimesauch neue Wege gehen, etwa in der Schaffung einer unabhängigenRegulierungsbehörde. Aber zu beobachten ist auch, dass häufig Handlungskapazitätenunterstellt werden, die vom Staat mehr erwarten als die ausdifferenzierteRechtsordnung leisten kann. <strong>Die</strong> relative, aber gleichwohlanzuerkennende Autonomie der jeweiligen Teilrechtsordnungen, zu denenauch das Zivilrecht mit dem für staatliche Zwecke eingesetzten Gesellschaftsrechtgehört, kann jedoch nicht einfach über den Rückgriff auf einen vorverfassungsrechtlichgedachten Staat überspielt werden. 18Deshalb ist der Gewährleistungsstaat aber nicht bloß ein Thema des Verwaltungsrechts.Zwar hat der Gewährleistungsstaat über die Infrastrukturaufträgehinaus keine klare Verankerung im Gr<strong>und</strong>gesetz gef<strong>und</strong>en. 19 Dennochlässt namentlich das Sozialstaatsprinzip nach Maßgabe des Art. 20 I GG dort,wo der Rechtsanwender über Interpretationsspielräume verfügt, deren Ausfüllungdurch ein sich veränderndes Staats- <strong>und</strong> Aufgabenverständnis zu. DasSozialstaatsprinzip, stets im Verdacht, paternalistische Strukturen des Wohlfahrtstaateszu zementieren, verlangt keine Alleinzuständigkeit des Staates,sondern öffnet sich der arbeitsteiligen Gemeinwohlverwirklichung mit demZiel einer qualitativ hochwertigen Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch dieKoordination hoheitlicher <strong>und</strong> gesellschaftlicher Handlungsbeiträge. 20 Jenseitsder überkommenen Raster von Verstaatlichung <strong>und</strong> Vergesellschaftungarbeitet das Modell des Gewährleistungsstaats mit Verantwortungsteilungen.21 Das erlaubt die stärkere Einbeziehung privater Akteure in die Erbringungsozialer <strong>Die</strong>nstleistungen, wenngleich auf der anderen Seite die Verantwortungdes Sozialstaats nicht der „freihändigen“ Ausgestaltung des Gesetzgebersüberlassen ist, sondern durch das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht schärfereKonturen erhalten hat. 22D. VERWALTUNGSRECHTDennoch ist das politische Leitbild des Gewährleistungsstaates, soll es mehrals eine rhetorische Floskel sein, vor allem im Verwaltungsrecht zu verarbeiten.Ihm kommt gegenüber dem Verfassungsrecht durchaus eine Eigenständigkeitzu. 23 Im öffentlichen Wirtschaftsrecht hat das Gewährleistungspara-digma längst Spuren hinterlassen <strong>und</strong> mit dem Regulierungsrecht schält sichein neues Rechtsgebiet heraus, das seinerseits in Bewegung geraten ist: Zumeinen, weil sich der Regulierungsbegriff von den Wurzeln in den Netzwirtschaftenemanzipiert <strong>und</strong> auch andere Sozialbereiche zu prägen beginnt. 24Zum anderen, weil sich das sektorspezifische Regulierungsrecht nicht mehrallein auf die Herstellung von Wettbewerb beschränkt, sondern auch auf dieBefriedigung von Konsumenteninteressen ausgerichtet wird. 25 Ungeachtetmancher Zweifel am Gewinn einer verwaltungsrechtlichen Ausarbeitung desGewährleistungsparadigmas, erlaubt es diese Perspektive doch immerhin, diegr<strong>und</strong>legenden Entwicklungsperspektiven des Regulierungsrechts 26 explizitzu machen.1Näher: Schulze-Fielitz, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle(Hrsg.), Gr<strong>und</strong>lagen des Verwaltungsrechts, Bd. 1, 2006, § 12. Zur reguliertenSelbstregulierung als Konzept des Gewährleistungs-staates auch dieBeiträge in: <strong>Die</strong> Verwaltung, Beiheft 4 (2001).2Zur Krisenfestigkeit des Gewährleistungsstaates Knauff, DÖV 2009, 581.3Lepsius, EuGRZ 2004, 370 mit Zweifeln für das Verfassungsrecht.4Vgl. Nettesheim, EWS 2007, 145 (152 f.).5Zur Diskussion: Schuppert (Hrsg.), Der Gewährleistungsstaat – Ein Leitbildauf dem Prüfstand, 2005. Zur Einordnung von Leitbildern Franzius,in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVwR I, 2006, §4 Rn. 23 ff.6Näher Franzius, Gewährleistung im Recht, 2009, 121 ff.7In dieser Richtung Weiß, Staatsaufgaben <strong>und</strong> Privatisierung, 2002, 292 f.8Ausdrücklich Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, 337 f.9Vgl. Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), 266 (326); Wollenschläger, Effektivestaatliche Rückholoptionen bei gesellschaftlicher Schlechterfüllung, 2006,140 ff. Zu staatlichen Auffangnetzen Hoffmann-Riem, in: Schuppert (FN5), S. 89 (97 f.); krit. Schoch, NVwZ 2008, 241 (247).10Trute, in: Schuppert/Neidhardt (Hrsg.), Gemeinwohl – Auf der Suchenach Substanz, 2002, 333; Ladeur, Der Staat 48 (2009), 163; siehe aberauch Knauff, DÖV 2009, 581 (583 f.).11Näher Schoch, Vereinbarkeit des Gesetzes zur Neuregelung der Flugsicherungmit Art. 87d GG, <strong>Die</strong> Verwaltung, Beiheft 6 (2006), 47 ff.12Bestandsaufnahme: Schuppert, <strong>Die</strong> Verwaltung 39 (2007), 465.13Vgl. Schuppert, in: FS König, 2004, 287 (288 f.).14Zum Konzept der Regelungsstruktur Trute, DVBl 1996, 950 (951 ff.);Franzius, VerwArch 97 (2006), 186 (193 ff.).15<strong>Die</strong> Literatur zum Wissen ist nicht mehr überschaubar, statt vieler Schuppert/Voßkuhle(Hrsg.), Governance von <strong>und</strong> durch Wissen, 2009; Röhl(Hrsg.) Wissen – zur kognitiven Dimension des Rechts, 2010; Spiecker gen.Döhmann, RW 2010, 247 (261 ff.).16<strong>Die</strong> Einwirkungspflicht folgt nicht aus dem Mehrheitseigentum. <strong>Die</strong>sesstellt vielmehr ein Vehikel zur Umsetzung der Gewährleistungspflichteninnerhalb des Unternehmens dar: Wilkens, Wettbewerbsprinzip <strong>und</strong> Gemeinwohlorientierungbei der Erbringung von Eisenbahndienstleistungen,2006, 120 ff.17Von einem „Gewährleistungsauftrag des Gesetzgebers“ spricht Trute, in:Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, 3. Aufl. 2006,§ 88 Rn. 36 ff. Zum Gesetzesvorbehalt als Achillesferse des GewährleistungsstaatesLadeur/Gostomzyk, Der Staat 42 (2003), 141.18Ähnlich Schoch, <strong>Die</strong> Verwaltung, Beiheft 6 (2006), 58 f.19Franzius, VerwArch 99 (2008), 351 (357); Knauff, DÖV 2009, 581 (581).20Zu einer freiheitlichen Interpretation des Sozialstaatsprinzips Heinig,Der Sozialstaat im <strong>Die</strong>nst der Freiheit, 2008.21Lesenswert: Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung <strong>und</strong> „schlankem“Staat, 1999. Zur Gefahr der Etatisierung Voßkuhle, VVDStRL 62(2003), 266 (295 f.).22Zuletzt etwa BVerfG, NJW 2010, 505 Hartz IV-Regelsätze.23Jedenfalls lässt sich das Verwaltungsrecht nicht einfach mit Fritz Wernerlediglich als „konkretisiertes Verfassungsrecht“ begreifen, vgl. Möllers, in:Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVwR I, 2006, § 3Rn. 13. Zur (relativen) Eigenständigkeit der Verwaltung Hoffmann-Riem,ebd., § 11 Rn. 16 ff., 56 ff. (Gesetzgebung), 70 ff. (Rechtsprechung).24Bestandsaufnahme: Fehling/Ruffert (Hrsg.), Regulierungsrecht, 2010.25Vgl. Franzius, DVBl 2010, Heft 17; krit. Gärditz, AöR 135 (2010), 251.26Näher Fehling/Ruffert, in: dies. (FN 24), § 23 Rn. 16 ff.<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010127


TitelthemaHier konkurrieren zwei Ansätze. Regulierung als Instrument des Gewährleistungsstaateszu sehen <strong>und</strong> den Einsatz von Regulierungsrecht als Wahrnehmungder staatlichen Gewährleistungsverantwortung zu begreifen, entsprichtdem oben angesprochenen Verständnis einer übergreifenden, den Wettbewerban Gemeinwohlzielen ausrichtenden Verantwortung: Der Staat gewährleistetbestimmte Regulierungsergebnisse, welche der Wettbewerb hervorbringensoll. Dagegen lässt sich freilich nicht nur die gebotene Entwicklungsoffenheitdes Wettbewerbs einwenden. Auch das Erkenntnisproblem bleibt.Woher soll die Verwaltung wissen, welche Ergebnisse die richtigen sind? Werden Wettbewerb als Entdeckungsverfahren versteht, wird den Gewährleistungsstaatweniger zur wohlfahrtsmaximierenden Ordnung von Regulierungberufen sehen, sondern als dessen Resultat begreifen.Insoweit kann von einem Marktgewährleistungsrecht gesprochen werden,das mit der Einbeziehung der Marktteilnehmer in die Regelungsstruktur zueiner Verschleifung von Markt <strong>und</strong> Regulierung beiträgt. 27 <strong>Die</strong> Regulierungsentscheidungwird nicht im Detail legislativ vorprogrammiert, sondern unterBeachtung ökonomischer Parameter des Marktgeschehens administrativ hergestellt.Das hat Konsequenzen. Nicht nur, dass hier ein Gr<strong>und</strong> für die relativeUnabhängigkeit der B<strong>und</strong>esnetzagentur zu sehen ist. 28 <strong>Die</strong> Herausnahme derRegulierungsbehörde aus den vor allem durch das Weisungsrecht gekennzeichnetenSteuerungszusammenhängen der hierarchisch organisierten Ministerialverwaltungist europarechtlich gewollt, wenn auch nicht gefordert 29<strong>und</strong> wird durch die Begrenzung der gerichtlichen Kontrolldichte von Regulierungsentscheidungen– etwa im Bereich der Zugangs- <strong>und</strong> Entgeltregulierungnach §§ 21, 30 TKG 30 – flankiert. Nimmt man die neuere, aber nicht unangefochteneRechtsprechung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts zur Reichweiteder gr<strong>und</strong>rechtlichen Wettbewerbsfreiheit 31 hinzu, drängt sich der Verdachtauf, eine demokratisch bedenkliche Entpolitisierung zugunsten einer fachlichenVernetzung der Exekutiven gehe mit rechtsstaatlich nicht weniger problematischenEntrechtlichungen einher.Eine wichtige Implikation dieses engeren, auf die Marktkoordination gerichtetenVerständnisses von Gewährleistungsrecht ist, dass sich mit der Gewährleistungsverantwortungdes Staates auch deren Ausformung durch die Regelungenzu Universaldiensten (z.B. §§ 78 ff. TKG) in die Regelungsstrukturverschiebt. Damit wird das Gewährleistungsprogramm abhängig von den Bedingungenmarktlicher Koordination: Als Universaldienst wird festgelegt,was der Markt bereitstellt. 32 In dem Maße, wie es durch hoheitliche Regulierunggelingt, Wettbewerbsblockaden zu überwinden, trägt die Marktgewährleistungzur Verwirklichung sozialer Kohärenz der Marktergebnisse bei. Danachkann die Gemeinwohlverträglichkeit nicht im Wege der externen Vorgabebestimmter Ergebnisse gesichert werden. Sie ist vielmehr abhängig vonder Leistungserbringung, ihrem wettbewerblichen Modus <strong>und</strong> der hohen Dynamik,in die Regulierung gestellt ist. Mit anderen Worten: Soziale Ziele verfolgtdas Gewährleistungsrecht, indem die Regelungsstruktur als solche aufGemeinwohlorientierung gepolt wird.Man kann das auch anders sehen. Das weitere, nicht auf die Netzwirtschaftenbeschränkte, aber stärker in die Entwicklungszusammenhänge des Verwaltungsrechtsgelegte Verständnis von Gewährleistungsrecht begreift diesesnicht als schlichtes Produkt des Gewährleistungsstaates, sondern sieht in derKonturierung eines Gewährleistungsverwaltungsrechts eine über Wettbewerbsregulierungsfragenhinausgehende Ebene, die sich in der Dichotomievon Eingriffs- <strong>und</strong> Leistungsverwaltung nicht länger sinnvoll beschreibenlasse. Gr<strong>und</strong>legend hat das Andreas Voßkuhle, Präsident des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts,in seinem lesenswerten Staatsrechtslehrerreferat in St. Gallenzu formulieren verstanden. 33 Während auf der einen Seite die klassischen Instituteder Beleihung, Verwaltungshilfe <strong>und</strong> andere Formen der Beteiligungprivater Akteure an der hoheitlich zu verantwortenden Aufgabenverwirklichungeine bemerkenswerte Renaissance erfahren, werden auf der anderenSeite die Lücken erkennbar, die eine nach wie vor im wesentlichen auf die polizeilicheEingriffsverwaltung zugeschnittene Verwaltungsrechtsdogmatikaufweist, um die Regulierungsphänomene moderner Sozialstaatlichkeit inOrdnung zu bringen. Statt in punktuellen Modifikationen der auf das bipolareVerhältnis des Bürgers zum Staat ausgelegten Institute die Gewährleistungsverantwortungdes Staates auszuformen, müsse es um den Aufbau einerpermanenten Gewährleistungsstruktur gehen. 34Nach diesem weiten Verständnis von Gewährleistung zählt das Regulierungsrechtin seinen wesentlichen Strukturmerkmalen zum Verwaltungsrecht <strong>und</strong>stellt sich nicht, jedenfalls nicht primär als lediglich sektorales Wettbewerbsrechtdar. Direktiven erhält die Regulierung weniger durch das Wettbewerbs<strong>und</strong>Kartellrecht als vielmehr durch ein Strukturgewährleistungsrecht, dassich mit Blick auf die maßgebliche Regelungsstruktur neutral verhält, demWettbewerb also keinen prinzipiellen Vorrang einräumt. 35 Dafür gibt es imUnionsverfassungsrecht durchaus Anknüpfungspunkte, etwa im Wandel derRechtsprechung zu Art. 86 II EG, dem heute Art. 106 II AEUV entspricht. 36Auch wenn übersteigerte Erwartungen an eine Ergebnissicherung unter staatlichenRückholoptionen vermieden werden sollten, bleibt der Staat als neutraleInstanz unverzichtbar, um einen funktionierenden Leistungswettbewerbeinzurichten <strong>und</strong> absichern zu können. Für dieses Konzept liegen im Verwaltungsrecht37 inzwischen Konkretisierungsvorschläge vor, sei es mit Blick aufdie Einrichtung <strong>und</strong> Kontrolle gesellschaftlicher Eigenkontrollen 38 oder hinsichtlichder Qualitätssicherung des <strong>Die</strong>nstleistungswettbewerbs. 39 Auch nachdiesem, die staatliche Rolle schärfer akzentuierenden Verständnis von Gewährleistungsrechterhält gegenüber der materiellen Programmierung dasVerfahrens- <strong>und</strong> des Organisationsrecht besonderes Gewicht. 40E. EUROPÄISIERUNG UND INTERNATIONALISIERUNGEs bleibt die Frage, wie sich die beiden großen Trends der Europäisierung <strong>und</strong>Internationalisierung auf den modernen Sozialstaat, verstanden als Gewährleistungsstaatauswirken. Vieles spricht dafür, den europäischen Mitgliedstaatnicht länger als souveränen Nationalstaat zu überhöhen, sondern als Gewährleistungsstaatzu verstehen, der sich gerade auch aus europarechtlicher Sichtprimär verwaltungsrechtlich konzipieren <strong>und</strong> ausbuchstabieren lässt. 41 Ohneeinen robusten <strong>und</strong> zugleich offenen Staat mit einer personell <strong>und</strong> finanziellhinreichend ausgestatteten Verwaltung ließe sich weder der Binnenmarkt sichernnoch ein soziales Europa aufbauen. <strong>Die</strong> Europäische Union setzt aufwandlungsfähige Staatlichkeit, wodurch der Sozialstaat eine europäische Abstützungerhält. Denn auch das soziale Europa lässt sich ohne die in den unterschiedlichenRechtsordnungen eingespeicherten Erfahrungen <strong>und</strong> dieRessourcen des Sozialstaates kaum realisieren. Das erklärt die Zurückhaltunggegenüber Kompetenztranfers auf die Unionsebene <strong>und</strong> den Einsatz neuerKoordinierungsmodi in der europäischen Sozialpolitik. 42128<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010


TitelthemaDer Vorteil des Gewährleistungsstaates liegt darin, den Staat nicht länger alsalleinverantwortlich für die Erbringung von Sozialleistungen zu begreifen.Das gilt im Innenverhältnis gegenüber den Wohlfahrtsverbänden, aber auchmit Blick auf die privaten Akteure, deren strategisches Verhalten im Wettbewerbmit sozialen Vorgaben überformt wird. <strong>Die</strong> vor allem europarechtlichgeschützten Interessen der Verbraucher werden nicht neben, sondern in dasRegulierungsrecht gestellt. 43 Im Außenverhältnis überwindet der Gewährleistungsstaatdie scharfe Gegenüberstellung von globalisierungsbedingten Marktöffnungeneinerseits <strong>und</strong> dem Erhalt sozialpolitischer Souveränität andererseits,indem er akzeptiert, seine Autonomie <strong>und</strong> Handlungsfähigkeit 44 nur imVerb<strong>und</strong> mit anderen Staaten bewahren zu können.Mit der Einsicht in die Begrenztheit des Wissens, das sich nur dezentral erzeugen<strong>und</strong> verarbeiten, nicht aber an einer zentralen Stelle, sei es der exekutivenSpitze oder einem singulär gedachten Gesetzgeber, bündeln lässt, verbindensich Risiken, aber wie stets auch Chancen: Kann <strong>und</strong> darf der Staatnicht alles wissen, ist er zum Lernen gezwungen, um richtige Problemlösungenzu finden. Von anderen zu lernen, setzt allerdings lernfähige Strukturenim Recht voraus. Dazu gehört nicht bloß die immer wieder angemahnte Offenheitzu, sondern auch der Vergleich mit anderen Rechtsordnungen <strong>und</strong> dieBereitschaft, mit vorläufigen Regeln zu leben, die nur temporäre Bindungenerlauben. Vom Europa- <strong>und</strong> Völkerrecht zu lernen, bedeutet schließlich aberauch, die schwache Normativität von Regeln nicht reflexhaft als Krisenphänomen,sondern als Strukturmerkmal moderner Gewährleistungsstaatlichkeitzu verstehen.27Ausf. Broemel, Strategisches Verhalten in der Regulierung, 2010, 345 ff.28Vergleich: Masing/Marcou (Hrsg.), Unabhängige Regulierungsbehörden,2010. Der Gesetzgeber hat die B<strong>und</strong>esnetzagentur nicht vollkommenweisungsfrei gestellt, vgl. §§ 117 TKG, 61 EnWG, 4 I 1, III BEVVG (B<strong>und</strong>eseisenbahnverkehrsverwaltungsgesetzv. 27.12.2003, BGBl I 2378, 2394).29Siehe aber EuGH Rs. C-518/09 Kommission/Deutschland, Slg. 2010, I-0000 Rn. 41 ff. (Unabhängigkeit des Datenschutzbeauftragten), EuGH Rs.C-424/07 Kommission/Deutschland, Slg. 2010, I-0000 Rn. 59 ff. (Europarechtwidrigkeitdes § 9a TKG); krit. Gärditz, AöR 135 (2010), 251 (280 ff.).30BVerwGE 130, 39 (49); 131, 41 (71); dazu Franzius, DVBl 2009, 409 (410 ff.).31BVerfGE 105, 252 (265 ff.); dazu Bäcker, Wettbewerbsfreiheit als normgeprägtesGr<strong>und</strong>recht, 2007, 124 ff. Treffend spricht Broemel (FN 27), S. 348 ff.von einem regelungsstrukturbezogenen Gr<strong>und</strong>rechtsschutz. Zur Kritik stattvieler Schoch, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. 3,3. Aufl. 2005, § 37 Rn. 113; Lepsius, in: Fehling/Ruffert (FN 24), § 4 Rn. 37.32Krit. Franzius, ZG 2010, 66 (76).33Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), 266-328.34Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), 266 (307 f.).35Ausf. Franzius, Gewährleistung (FN 6), S. 599 ff.36Franzius, Der Staat 45 (2006), 587.37Zum Gewährleistungsrecht als Erscheinungsform des VerwaltungsrechtsFranzius, ZögU 31 (2008), 361; ähnliche Begrifflichkeit bei Schoch, NVwZ2008, 241.38Edelbluth, Gewährleistungsaufsicht, 2008. Abl. zur Konzeption einerdritten Aufsichtsform jenseits von Staats- <strong>und</strong> Wirtschaftsaufsicht Kahl, in:Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), GVwR III, 2009, §47 Rn. 113 ff.39Siehe jetzt Reimer, Qualitätssicherung: Gr<strong>und</strong>lagen eines <strong>Die</strong>nstleistungsverwaltungsrechts,2010. Zu Akkreditierung <strong>und</strong> Zertifizierung alsBausteinen der Qualitätssicherung Pünder, ZHR 170 (2006), 567; K. Bieback,Zertifizierung <strong>und</strong> Akkreditierung, 2008.40Aus steuerungswissenschaftlicher Sicht Franzius (FN 5), § 4 Rn. 42 ff. Zuden Verschränkungen der Dimensionen Möllers, in: Trute/Groß/Röhl/Möllers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht – Zur Tragfähigkeit einesKonzepts, 2008, 489.41Franzius (FN 6), S. 151 ff., 549 ff.42Etwa durch die vielkritisierte Offene Methode der Koordinierung, stattvieler Joerges, in: Schuppert/Zürn (Hrsg.), Governance in einer sich wandelndenWelt, PVS Sonderheft 41 (2008), 213.43Etwa durch das dritte Richtlinienpaket für den Energiebinnenmarkt, vgl.für den Stromsektor die Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments<strong>und</strong> des Rates v. 13.7.2009 über gemeinsame Vorschriften für denElektrizitätsbinnenmarkt <strong>und</strong> zur Aufhebung der RL 2003/54/EG, ABl2009 L 211, 55. Ihm liegt der von der Kommission favorisierte more economicapproach zugr<strong>und</strong>e, krit. Kersten, VVDStRL 69 (2010), 288 (297 ff.).44Vor dem Hintergr<strong>und</strong> der Finanzmarktkrise Mayntz, Leviathan 38 (2010), 175.REISEN soll begeistern.Wir sorgen dafür – seit 25 Jahren.Besonderesbewusst erlebenPreiswerte Flüge weltweitKreuzfahrten | Sport- <strong>und</strong> AktivreisenPauschal- <strong>und</strong> WellnessreisenJugend- <strong>und</strong> StudententarifeFerienwohnungen <strong>und</strong> FährenInteressante StudienreisenMietwagen <strong>und</strong> HotelsReisebüroReisebüro kleine fluchten | Rohrteichstraße 33 | 33602 Bielefeld | fon 0521.6 61 99 | fax 0521.6 75 80 | www.kleinefluchten.de


Titelthema„Wenn wir keinen Schiffbruch erleiden wollen,muss der Kurs jetzt geändert werden.“Ein Interview mit Adolf Bauervon Alexander OttoEin Titelthema zum „modernen Sozialstaat“ ist ebensovielschichtig wie aktuell – <strong>und</strong> das nicht nur in juristischerHinsicht. Es ist auch ein Dauerdiskussionsthemain Politik, Wirtschaft <strong>und</strong> Verbänden.Immer wieder geht es um Themen wie Hartz IV, Krankenversicherungen<strong>und</strong> Sozialrecht. <strong>Iurratio</strong> sprachdarüber im Rahmen eines Kurzinterviews mit AdolfBauer, dem Präsidenten des Sozialverbands Deutschlande.V (SoVD).Bauer: Für die Menschen im Hartz IV-Bezug ist die Entscheidung zunächstein voller Erfolg, denn die Karlsruher Richter haben deutlich gemacht, dassdie bisherige Festsetzung der Regelleistung gegen die Menschenwürde <strong>und</strong>das Sozialstaatsprinzip verstößt. Als Sozialverband haben wir stets mehrTransparenz <strong>und</strong> ein Ende der Willkür bei der Festsetzung der Regelleistungengefordert. <strong>Die</strong>se Forderungen wurden durch das Urteil klar bestätigt.<strong>Iurratio</strong>: Der Gesetzgeber ist ja nun aufgefordert, einen verfassungsmäßigen„Zustand“ in diesem Bereich herzustellen. Gehen Ihnen die diesbezüglichenBemühungen des Gesetzgebers weit genug?ADOLF BAUER<strong>Iurratio</strong>: Herr Bauer, Sie sind nunmehr seit fast sieben Jahren Präsidentdes Sozialverbands Deutschland e.V.. Glauben Sie heute noch an denSozialstaat <strong>und</strong> seine Leistungsfähigkeit?Bauer: Der Sozialstaat ist im Gr<strong>und</strong>gesetz verankert <strong>und</strong> bis heute eine elementareVoraussetzung für eine stabile Demokratie <strong>und</strong> wirtschaftlichen Erfolgin unserem Land. Gleichwohl gerät dieses Erfolgsmodell seit Jahren immerstärker unter Druck – für viele Menschen ist Sozialabbau zu einer bitterenErfahrung geworden. <strong>Die</strong> Zahl der Betroffenen ist inzwischen Legion: DerNiedriglohnsektor ufert immer weiter aus, Arbeitslosen droht nach kurzerZeit ein fast ungebremster Abstieg in Hartz IV, die Kaufkraftverluste der Alterseinkünfteder Rentner sind dramatisch gesunken <strong>und</strong> ältere Arbeitslosegeraten heute viel schneller in Armut. <strong>Die</strong>s sind nur einige Beispiele.<strong>Iurratio</strong>: Wie sieht für Sie der „moderne Sozialstaat“ aus? Wird derSozialstaat Ihrer Auffassung nach heute so praktiziert, wie es das Sozialstaatsprinziperfordert?Bauer: Zweifellos muss der Sozialstaat erneuert <strong>und</strong> gestärkt werden, damitauch in Zukunft soziale Sicherheit <strong>und</strong> Verteilungsgerechtigkeit gewährleistetwerden können. <strong>Die</strong> Notwendigkeit, in diesem Sinne zu handeln, ist inden letzten Jahren enorm gewachsen. Insbesondere der Sozialabbau <strong>und</strong> dieKommerzialisierung des Sozialen bedrohen unser Sozialsystem <strong>und</strong> macheneine ungerechtere Verteilung gesellschaftlichen Reichtums immer wahrscheinlicher.Wenn wir keinen Schiffbruch erleiden wollen, muss der Kursjetzt geändert werden. Insbesondere müssen die Sozialversicherungssystemefortentwickelt, die Alterssicherung verlässlich <strong>und</strong> solide ausgebaut, der Zugangzu Ges<strong>und</strong>heitsleistungen umfassend gesichert <strong>und</strong> die Gleichstellung<strong>und</strong> Teilhabe behinderter Menschen gewährleistet werden. Zudem ist eineumfassende Strategie gegen die wachsende Armut dringend geboten.Bauer: In der Tat geht es jetzt darum, dass die B<strong>und</strong>esregierung schnell <strong>und</strong>zielgerichtet handelt, damit sie den Vorgaben der Verfassungshüter gerechtwerden kann. Wir halten insbesondere eine transparente, bedarfs- <strong>und</strong> realitätsgerechteneue Bemessung der Regelsätze für erforderlich. Zudem müssenbei den Kinderregelsätzen die kinderspezifischen Bedarfe berücksichtigt werden.Auch bei der Fortschreibung der Regelsätze sind Änderungen geboten,denn sie muss künftig auf der Preisentwicklung basieren. Schließlich muss dieweit gehende Pauschalierung der Hartz IV-Leistungen auf den Prüfstand. Vordiesem Hintergr<strong>und</strong> gehen die bisherigen Bemühungen des Gesetzgebersnicht weit genug – wie z. B. der Vorschlag für eine Chipkarte deutlich gemachthat. Solche Mogelpackungen helfen nicht weiter.<strong>Iurratio</strong>: Als Präsident des Sozialverbands Deutschland betreiben Sieoffen Lobbyarbeit <strong>und</strong> vertreten die Interessen Ihrer ca. 540.000 Mitglieder.Regelmäßig werden Sie in Gesetzgebungsverfahren eingeb<strong>und</strong>en. Wiestark können Sie dabei mit Ihren Argumenten durchdringen? BegegnenIhnen gelegentlich auch die negativen Seiten von „Lobbyarbeit“ bei IhrerArbeit?Bauer: Der SoVD vertritt die Interessen der Rentner, der Patienten <strong>und</strong> gesetzlichKrankenversicherten sowie der pflegebedürftigen <strong>und</strong> behindertenMenschen. Wir verstehen es als unsere Aufgabe, auf soziale Missstände aufmerksamzu machen <strong>und</strong> Einfluss auf die Sozial- <strong>und</strong> Gesellschaftspolitikauszuüben. Damit wirkt der Verband aktiv am Prozess der politischen Meinungswillensbildungin Deutschland mit – z. B. im Rahmen von Anhörungenoder wenn wir uns zu aktuellen sozialpolitischen Fragen in den Medien zuWort melden. Dabei haben wir bis heute zahlreiche Erfolge erzielen können,z. B. die Verabschiedung des Pflegezeitgesetzes. Natürlich gelingt es uns nichtimmer, mit unseren Argumenten vollends durchzudringen.<strong>Iurratio</strong>: Herr Bauer, unsere Leser sind überwiegend <strong>junge</strong> <strong>Juristen</strong>in verschiedenen Ausbildungsstadien, aber auch Berufsanfänger sinddarunter. Gibt es beim Sozialverband Deutschland Betätigungsfelder für<strong>Juristen</strong>?<strong>Iurratio</strong>: Wie bewerten Sie die Hartz-IV-Entscheidung des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts?Bauer: Zweifellos gibt es beim SoVD zahlreiche Betätigungsfelder für <strong>Juristen</strong>.Neben der Arbeit auf der politischen Ebene gibt unser Verband seinen130<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010


TitelthemaMitgliedern ganz konkrete Hilfe <strong>und</strong> Beratung. Egal ob Rente, Behinderung,Pflege, Ges<strong>und</strong>heit oder Hartz IV – in den r<strong>und</strong> 230 SoVD-Beratungsstellenberaten unsere <strong>Juristen</strong> in allen Fragen des Sozialrechts.<strong>Iurratio</strong>: Wie häufig sind Sie bei Ihrer Arbeit auf juristischen Sachverstandangewiesen?Bauer: Juristischer Sachverstand ist immer dann gefragt, wenn es um dieBewertung von Gesetzestexten geht. Und dies ist angesichts der politischenZielsetzungen des SoVD regelmäßig der Fall. Deshalb arbeiten in unseren sozialpolitischenFachreferaten in der Regel Volljuristen.<strong>Iurratio</strong>: Gelegentlich betreiben Sie auch Verfassungsbeschwerden ausdem SoVD heraus, so zum Beispiel zur sog. „58er-Regelung“. Das B<strong>und</strong>esverfassungsgerichtbenötigt bis zu einer Entscheidung Monate, zum Teilsogar Jahre. Sind Verfassungsbeschwerden vor diesem Hintergr<strong>und</strong>„ultima ratio“, weil alle Versuche gescheitert sind, auf anderem Wege zueiner verfassungsgemäßen Regelung beizutragen? Häufig handelt es sichja nun wirklich um „brennende“ Probleme, die eigentlich kaum Aufschubdulden.Bauer: Eben weil es sich oft um Probleme handelt, die vielen Menschen aufden Füßen brennen, ist eine gr<strong>und</strong>legende Prüfung bestehender Gesetze geboten.Das Verfahren zeigt das deutlich: Bei den Musterklagen - wie zum Beispielbei der „58er-Regelung“ - handelt es sich um individuelle Klagen, bei denendas Urteil des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts zunächst einmal nur direkt fürden jeweiligen Kläger gilt. Entscheiden die Karlsruher Richter jedoch, dasseine gesetzliche Regelung nicht mit dem Gr<strong>und</strong>gesetz vereinbar ist, gibt es inder Regel dem Gesetzgeber auf, die entsprechende Regelung innerhalb einerbestimmten Frist zu ändern. In diesem Falle profitieren dann alle Betroffenengleichermaßen, wenn das Gesetz geändert wird.<strong>Iurratio</strong>: Eine vielleicht sehr weit gefasste Frage: Gibt es nach IhrerAuffassung noch soziale Gerechtigkeit in Deutschland oder ist diese schonbedenklich ins Wanken geraten?Bauer: Soziale Gerechtigkeit fällt nicht vom Himmel, sie muss jeden Tagwieder neu erstritten werden. In den letzten Jahren war dies eine immenseHerausforderung. <strong>Die</strong> soziale Gerechtigkeit mag schwanken - aber sie gehtnoch nicht unter.<strong>Iurratio</strong>: Herr Bauer, wir danken Ihnen für das interessante Gespräch.partner im medizinrechtpartner im medizinrecht| Prof. Dr. med. Dr. <strong>iur</strong>. CHRISTIAN DIERKS| | Dr. Prof. <strong>iur</strong>. Dr. THOMAS med. Dr. <strong>iur</strong>. BOHLE CHRISTIAN DIERKS| | Dr. <strong>iur</strong>. MARTIN THOMAS STELLPFLUG BOHLE , MA (Lond.)| | Dr. <strong>iur</strong>. MARTIN ULRICH GRAU STELLPFLUG , MA (Lond.)| | Dr. <strong>iur</strong>. GERHARD ULRICH GRAU NITZ| | TORSTEN Dr. <strong>iur</strong>. GERHARD MÜNNCH NITZ| | Dr. TORSTEN <strong>iur</strong>. RONNY MÜNNCH HILDEBRANDT| Dr. <strong>iur</strong>. THOMAS RONNY HILDEBRANDTWILLASCHEK| | Dr. <strong>iur</strong>. THOMAS CHRISTIAN WILLASCHEKBURHOLT, LL.M.| Dr. <strong>iur</strong>. CONSTANZE CHRISTIAN BURHOLT, PÜSCHEL LL.M.|| CHRISTIAN Dr. <strong>iur</strong>. CONSTANZE PINNOW PÜSCHEL|| Dr. CHRISTIAN <strong>iur</strong>. ANTONIA PINNOW MEHLITZ|| Dr. <strong>iur</strong>. BERT-SEBASTIAN ANTONIA MEHLITZ DÖRFER| | JAN Dr. <strong>iur</strong>. DANIEL BERT-SEBASTIAN MOECK DÖRFER| Dr. JAN <strong>iur</strong>. DANIEL BEN BACKMANN MOECK|| Dr. <strong>iur</strong>. SEBASTIAN BEN BACKMANN ROSENBERG, M.MEL.| Dr. <strong>iur</strong>. SEBASTIAN ROSENBERG, M.MEL. R E CH T SANWÄLT ER E CH T SANWÄLT Erechtsgebieterechtsgebiete| Apothekenrecht| | Ärztliches Apothekenrecht Berufsrecht| ArzneimittelrechtÄrztliches Berufsrecht| | ArzthaftungsrechtArzneimittelrecht| | GKV-Recht Arzthaftungsrecht| | KooperationsrechtGKV-Recht| | KrankenhausrechtKooperationsrecht| | MedizinprodukterechtKrankenhausrecht| PsychotherapeutenrechtMedizinprodukterecht| VertragsarztrechtPsychotherapeutenrecht| Vertragsarztrechtd i e r k s + b o h l e r e c h t s a n w ä l t ed i e r k s + | w w w. d b - l a w. d eWalter-Benjamin-Platz b o h l e r6 e| cD h- 10629 t s a nBerlin w ä l t| e Telefon | w w030 w. d3b 2- 7l a7 w. 87d- 0eWalter-Benjamin-Platz 6 | D - 10629 Berlin | Telefon 030 3 2 7 7 87 - 0


TitelthemaDAS SOZIALSTAATLICHE UNTERMAßVERBOT – JUSTIZIABILITÄT UNDBINDUNGSWIRKUNG DES SOZIALSTAATSPRINZIPS DES GRUNDGESETZESvon Georg <strong>Die</strong>tlein / Phillip Eischet (Universität zu Köln)Georg <strong>Die</strong>tlein (l.), Jahrgang 1992, <strong>stud</strong>iert an der Universität zu Köln Rechtswissenschaften <strong>und</strong> Wirtschaftswissenschaften.Phillip Eischet (r.), ebenfalls Jahrgang 1992, ist Abiturient an einem Aachener Gymnasium <strong>und</strong> beschäftigt sich auch außerunterrichtlichmit rechtspolitischen Fragen.A. EINFÜHRUNGBei Studenten stößt die Behandlung des Sozialstaatsprinzips i. d. R. auf wenigBegeisterung. <strong>Die</strong>s könnte ganz einfach daran liegen, dass das Sozialstaatsprinzipin Übungsarbeiten kaum Relevanz hat. Eine Begründung wird manindes nicht in mangelnder Sensibilität für soziale Belange <strong>und</strong> Sozialstaatlichkeitseitens der Studenten finden. Vielmehr ist der Jurist ständig auf der Suchenach möglichst klaren <strong>und</strong> subsumtionsfähigen Rechtsbegriffen, die er – wiebei sämtlichen Prinzipien der Staatsf<strong>und</strong>amentalnorm – im Sozialstaatsprinzipnur schwer ausmachen kann. Der „soziale B<strong>und</strong>esstaat“, ein „Novum“ desGr<strong>und</strong>gesetzes, kann daher, zumindest in seiner Terminologie, auf eine nurbegrenzt lange Geschichte zurückblicken <strong>und</strong> ist höchst unkonkret <strong>und</strong> daherkonkretisierungsbedürftig. Nicht nur deshalb ist es reizvoll, über ihn tiefernachzudenken 1 .Sozialstaat <strong>und</strong> freiheitlicher Rechtsstaat sind zwei Seiten einer Medaille. Angesichtsder großen Herausforderungen der „sozialen Frage“ im 19. Jahrh<strong>und</strong>ertwurde klar, dass sich ein Staat nicht in einem „Nachtwächterstaat“ (Lassalle)erschöpfen kann. Den Abwehrrechten des liberalen Rechtsstaats stehendaher konkrete <strong>und</strong> zu konkretisierende Schutz- <strong>und</strong> Leistungspflichten desSozialstaates gegenüber. Der Sozialstaat stellt damit eine „Fortentwicklung,aber auch partielle Überwindung des bürgerlichen Rechtsstaats“ 2 dar. Hierzeichnete sich ein Paradigmenwechsel bei den gr<strong>und</strong>legenden Staatszielen ab:von „Freiheit“ <strong>und</strong> „Eigentum“ zu einem ausgeglichenen Verhältnis von „Freiheit“<strong>und</strong> „Gleichheit“ 3 . Friedrich Schnapp ist beizupflichten, wenn er formuliert:„Insofern ist der moderne Staat, notwendigerweise Sozialstaat’“ 4 .B. RECHTSGRUNDLAGENAuch in Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG („sozialer Rechtsstaat“) <strong>und</strong> Art. 23 Abs. 1Satz 1 GG („soziale Gr<strong>und</strong>sätze“) wird auf das Sozialstaatsprinzip angespielt.Unabhängig davon, dass hierdurch das Sozialstaatsprinzip auch für die B<strong>und</strong>esländer<strong>und</strong> die Integration in die Europäische Union zu gelten hat, entfaltenbesagte Artikel keine besondere Bedeutung oder Konkretisierungswirkungfür das Sozialstaatsprinzip. Wenn auch Art. 20 <strong>und</strong> Art. 28 GG häufiggemeinsam zitiert werden, so können wir uns auf Art. 20 GG beschränken.Der Inhalt des Sozialstaatsprinzips lässt sich schwerlich auf eine klare Definitionbringen 7 . Der Begriff des Sozialstaates hat eine lange Entwicklungsgeschichtehinter sich, in der die sozialstaatlichen Ansprüche im Zeitalter desAbsolutismus <strong>und</strong> die Sozialreformen der Kaiserzeit hervorragen. Hieran anknüpfendkann man den Begriff des Sozialstaates wie folgt umreißen: Der Sozialstaatsorgt für soziale Gerechtigkeit, sozialen Ausgleich <strong>und</strong> soziale Sicherheit.Das BVerfG verpflichtet den Gesetzgeber zu einem Ausgleich dersozialen Gegensätze 8 ; hierzu gehören insbesondere die staatliche Fürsorge fürMenschen, die aufgr<strong>und</strong> ihrer Lebensumstände oder gesellschaftlicher Benachteiligungan ihrer persönlichen oder sozialen Entfaltung gehindertsind. 9Im Zusammenhang mit dem Sozialstaat können auch Forderungen nachChancengleichheit <strong>und</strong> „sozial“ angelegter Wirtschaftsverfassung (sozialeMarktwirtschaft) fallen. <strong>Die</strong> konkrete Ausgestaltung des Prinzips sollte aberdem Gesetzgeber, den gesellschaftlichen Umständen <strong>und</strong> den (finanziellen)Möglichkeiten, überlassen werden. Besondere Facetten des Sozialstaatsprinzipskönnen sich in Verbindung mit anderen Bestimmungen des Gr<strong>und</strong>gesetzes,insbesondere Gr<strong>und</strong>rechten (in ihrer Funktion als staatlichen Schutzpflichten10 ), ergeben.Das Sozialstaatsprinzip wird an verschiedenen Stellen des Gr<strong>und</strong>gesetzes angedeutet<strong>und</strong> in weiteren Artikeln konkretisiert. Als „sedes materiae“ kannman Art. 20 Abs. 1 GG identifizieren: „<strong>Die</strong> B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland istein demokratischer <strong>und</strong> sozialer B<strong>und</strong>esstaat.“ Damit ist das Sozialstaatsprinzip,zumindest in seinem „Wesensgehalt“ 5 , einer Änderung durch den pouvoirconstitué entzogen (Art. 79 Abs. 3 GG). <strong>Die</strong> Aufnahme der Sozialstaatlichkeitin die Staatsf<strong>und</strong>amentalnorm unterstreicht, dass das Sozialstaatsprinzip einenbedeutenden verfassungsrechtlichen Gr<strong>und</strong>satz darstellt 6 . So lässt es sichneben die Staatsstrukturprinzipien Demokratie, B<strong>und</strong>es- <strong>und</strong> Rechtsstaatlichkeitstellen.C. RECHTLICHE BEDEUTUNGNach ganz h. M. 11 können keine subjektiven Ansprüche auf das Sozialstaatsprinzipgestützt werden. Sozialstaatlichkeit bleibt damit zuvorderst Auftrag<strong>und</strong> Pflicht des Gesetzgebers. Das Sozialstaatsprinzip ist eine objektive Verfassungsnorm,die sich nicht ohne Folgen aus dem Gr<strong>und</strong>gesetz streichenließe. Daher hat der Sozialstaatsgr<strong>und</strong>satz im Verfassungsrecht gewisse Relevanz,auch für das juristische Examen.132<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010


TitelthemaDas Sozialstaatsprinzip stellt nicht bloß ein „Programm“ ohne Verpflichtungscharakterdar. Eine solche Deutung geht bereits am Wortlaut des Gr<strong>und</strong>gesetzesvorbei. Das Sozialstaatsprinzip entfaltet nämlich über Art. 20 Abs. 3GG Bindungswirkung für Gesetzgeber, Verwaltung <strong>und</strong> Rechtsprechung. Bereitsgemessen an seiner verfassungsrechtlichen Stellung <strong>und</strong> Bedeutung kannman das Prinzip daher nicht in die Leere laufen lassen. Über Bindungswirkung<strong>und</strong> Justiziabilität lässt sich indes trefflich streiten. In der Literatur wirddas Sozialstaatsprinzip teilweise als Strukturprinzip 12 , überwiegend aber alsStaatsziel 13 bezeichnet. <strong>Die</strong>se Unterscheidung hat keine sachliche Bedeutung.Der Terminus „Staatsziel“ trägt dem Rechnung, dass das Sozialstaatsprinzipdurch den Gesetzgeber konkretisiert werden muss.Dem Sozialstaatsprinzip kommen – auf objektiver Ebene – folgende Funktionenzu: Es verpflichtet den Gesetzgeber zur Verwirklichung von sozialer Gerechtigkeit14 , stellt einen Maßstab für die Auslegung von Verfassung <strong>und</strong> Gesetzendar 15 <strong>und</strong> bindet die Verwaltung bei der Ausübung ihres pflichtgemäßenErmessens 16 . Bei der „freien Verwaltung“ kann das mitunter auch zu einersubjektivierenden Anerkennung der Rechtsposition des Bürgers führen 17 .Zieht man zu Art. 20 Abs. 1 GG noch Gr<strong>und</strong>rechte <strong>und</strong> anderen Vorschriftenmit heran, ergeben sich konkrete Konsequenzen für den verfassungsrechtlichgeforderten Sozialstaat 18 . Das Sozialstaatsprinzip kann auch im Rahmen derVerhältnismäßigkeitsprüfung geltend gemacht werden 19 .Auch hier darf aber nicht überzogen werden: Nicht jede Einzelfallregelung,die zu Härten <strong>und</strong> Unbilligkeiten führt, kann durch Art. 20 Abs. 1 GG modifiziertwerden 20 . Gr<strong>und</strong>rechtsbeschränkende Wirkung hat das Sozialstaatsprinzipnicht, zumindest nicht unmittelbar ohne Gesetz <strong>und</strong> öffentlichesInteresse 21 ; das Sozialstaatsprinzip kann aber im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfunggeltend gemacht werden 22 .Das Sozialstaatsprinzip ist, ganz im Gegensatz zum Demokratie-, B<strong>und</strong>esoderRechtsstaatsprinzip, im Gr<strong>und</strong>gesetz recht wenig ausgeprägt. Gleichwohlsteht das Sozialstaatsprinzip nicht isoliert 23 . So finden sich Bestimmungen,die sich dem Sozialstaatsprinzip zuordnen lassen bzw. mit ihm inZusammenhang stehen. Man könnte sie explizit statuierte – im Gegensatz zuinterpretativ zugeordneten – „soziale Gr<strong>und</strong>rechte“ nennen:• das Diskriminierungsverbot wegen einer Behinderung(Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG),• das Recht auf Mutterschutz (Art. 6 Abs. 4 GG),• der Gleichstellulngsauftrag (Art. 6 Abs. 5 GG),• der Schutz von Tarifautonomie <strong>und</strong> Streikrecht (Art. 9 Abs. 3 S. 1 GG),• die Sozialbindung des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG),• das Recht des Beamten auf Fürsorge (Art. 33 Abs. 5 GG) <strong>und</strong>• bestimmte Kompetenzbestimmungen des Gr<strong>und</strong>gesetzes(Art. 73 Abs. 1 Nr. 13; Art. 74 Abs. 1 Nr. 6f., 9f., 12-16, 19, 19a, 20 GG) 24 .<strong>Die</strong> gesellschaftlich wirklich relevanten Aspekte des Sozialstaates werden allerdingsim Gr<strong>und</strong>gesetz nicht angeschnitten (Sozialversicherung, Sozialhilfe,Ausbildungsförderung, arbeitsrechtliche Bestimmungen); sie sind der konkretenAusgestaltung des Gesetzgebers überlassen.D. JUSTIZIABILITÄT DES SOZIALSTAATSPRINZIPS 25Unabhängig von der Frage nach dem Inhalt <strong>und</strong> Umfang des Sozialstaatsprinzipsist dessen Justiziabilität für den <strong>Juristen</strong> besonders interessant, da nur indiesem Rahmen subjektiv Recht erlangt werden kann. Hier scheiden sich dieMeinungen:1Instruktiv der relativ neue Beitrag von Wallerath, Der Sozialstaat in derKrise, in: JZ 2004, 949ff.2J. Ipsen, Staatsrecht I, 20. Auflage, Rn. 989. Eine erste umfassende Behandlungdes Sozialstaatsprinzips auf hohem wissenschaftlichen Niveaubietet Heinig, Hans Michael, Der Sozialstaat im <strong>Die</strong>nst der Freiheit. ZurFormel vom „sozialen“ Staat in Art. 20 Abs. 1 GG, Tübingen 2008 (bes. interessant318ff).3Dazu BVerfGE 5, 85 (198).4Schnapp, in: v. Münch/ Kunig, GG, 5. Aufl., Art. 20 Rn. 36.5Da das Sozialstaatsprinzip wohl nicht mehr auf einen „Wesensgehalt“ zureduzieren ist, ist das Sozialstaatsprinzip als solches durch die Ewigkeitsgarantiegeschützt. J. <strong>Die</strong>tlein bezieht Art. 79 III GG auf die „Gr<strong>und</strong>elemente“des Sozialstaates (in: Epping/ Hillgruber, BeckOK GG, Stand: 2010, Art. 79Rn. 48), womit zumindest dessen Kernbereich geschützt ist; vgl. BVerfGE84, 90 (121).6Vgl. BVerfGE 6, 32 (41).7Schnapp, Was können wir über das Sozialstaatsprinzip wissen?, in: JuS1998, 873ff. (875) spricht von einem „Typenbegriff “.8BVerfGE 22, 180 (204).9BVerfGE 45, 376 (387); vgl. auch 40, 121 (133); 43, 13 (19).10Dazu J. <strong>Die</strong>tlein, <strong>Die</strong> Lehre von den gr<strong>und</strong>rechtlichen Schutzpflichten, 2.Auflage, Berlin 2005.11Ipsen, aaO, Rn. 1012; Gröpl, Staatsrecht I, Rn. 567; Degenhardt, StaatsrechtI, 24. Aufl., Rn. 573; Maurer, Staatsrecht I, 5. Auflage, § 8 Rn. 71; Bull,<strong>Die</strong> Staatsaufgaben nach dem Gr<strong>und</strong>gesetz, 1973, 163ff.; Bieback, in: Jura1987, 235; Hobe, in: JA 1994, 563; Badura, in: DÖV 1989, 495.12Vgl. Ipsen, aaO, Rn. 994; Bieback, in: Jura 1987, 229.13Vgl. Zippelius/ Würtemberger, Deutsches Staatsrecht, 32. Auflage, § 13Rn. 1; Ipsen, ebd.; Wallerath, in: JZ 2004, 953; Hobe, in: JA 1994, 563; Badura,Der Sozialstaat, DÖV 1989, 492; Zacher, Das soziale Staatsziel, in:HStR I, 2. Aufl., § 25.14BVerfGE 1, 97 (105).15BVerfGE 33, 303 (330f.).16Unter Wahrung des Rechtsstaatsprinzips kann dies aber nicht über § 2 IISGB I hinausgehen; vgl. Bieback, EuGRZ 1985, 657 (665).17Schreiber, Das Sozialstaatsprinzip des Gr<strong>und</strong>gesetzes in der Praxis derRechtsprechung, Berlin 1972, 159.18Ebd, 149.19Neumann, aaO, 98.20BVerwG, DÖV 1978, 616; BVerfGE 26, 44 (61f); 34, 118 (136); 36, 173(184).21BVerfGE 59, 231 (262f); Degenhardt, aaO, Rn. 578f; Neumann, Sozialstaatsprinzip<strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>rechtsdogmatik, DVBl. 1997, 92 (98).22Neumann, aaO, 98.23Bieback, Jura 1987, 231; aA Herzog, in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 20 VII,Rn. 9ff; Stern, Staatsrecht I, 2. Aufl., 891ff.24Kompetenznormen ermächtigen den Gesetzgeber allein formell zumHandeln, sie verpflichten ihn aber nicht; seine Gesetzgebungskompetenzkann er positiv <strong>und</strong> negativ ausfüllen. Vgl. zur materiellen Bedeutung derKompetenzbestimmungen Bleckmann, Zum materiellrechtlichen Gehaltder Kompetenzbestimmungen des Gr<strong>und</strong>gesetzes, DÖV 1983, 129ff.;805ff.25Dazu gr<strong>und</strong>legend: Wiedenbrüg, Der Einfluss des Sozialstaatsprinzipsauf die Zuerkennung öffentlicher Rechte – zugleich ein Beitrag über Wesen<strong>und</strong> Motorik des Sozialstaatsprinzips, Hamburg 1978; Gerstenmaier, <strong>Die</strong>Sozialstaatsklausel des Gr<strong>und</strong>gesetzes als Prüfungsmaßstab im Normenkontrollverfahren.Justitiabilität <strong>und</strong> Justitialisierung der Sozialstaatsklauseldes Gr<strong>und</strong>gesetzes, Berlin 1975.<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010133


TitelthemaI. KEINE JUSTIZIABILITÄTIII. BEDINGTE JUSTIZIABILITÄTVereinzelt 26 wird behauptet, der Sozialstaatsgr<strong>und</strong>satz entfalte keine subjektivenRechte <strong>und</strong> könne auch nicht als objektiver Prüfungsmaßstab fungieren.Als Vordenker dieser Auffassung dürfte Ernst Forsthoff gelten, der eine Antinomiezwischen dem Rechts- <strong>und</strong> Sozialstaat behauptete, sodass „Sozialstaat“gar kein Rechtsbegriff sei (sog. Inkommensurabilitätsthese) 27 . Nach dieserAnsicht fehle es dem Sozialstaatsprinzip an Konkretisierung <strong>und</strong> Präzision; essei der Anwendung im Einzelfall nicht zugänglich, da überhaupt juristischerAuslegung verschlossen. <strong>Die</strong>se Ansicht lässt sich mit einem geschichtlichenRekurs bekräftigen 28 . <strong>Die</strong> Weimarer Reichsverfassung enthielt noch sog. „sozialeGr<strong>und</strong>rechte“, so z. B. das „Recht auf Arbeit“ (Art. 163 Abs. 2 S. 1 WRV).Bereits diese sozialen Gr<strong>und</strong>rechte mussten unter dem „Vorbehalt des Möglichen“gesehen werden – in (verfassungs-)rechtlicher, praktischer <strong>und</strong> finanziellerHinsicht – <strong>und</strong> erlangten daher bereits zu Weimarer Zeiten kaum Bedeutung.<strong>Die</strong> Abkehr von sozialen Gr<strong>und</strong>rechten <strong>und</strong> die darin immanenteAbsage an ebendiese unterstreicht die Intention des Bonner Verfassungsgebers,das Sozialstaatsprinzip nicht als unmittelbare Anspruchsgr<strong>und</strong>lage fürsubjektive Rechte zu verstehen <strong>und</strong> die Konkretisierung dem Gesetzgeber zuüberlassen. Leider hilft die Entstehungsgeschichte im Parlamentarischen Ratbei der Auslegung nicht weiter. <strong>Die</strong> Formulierung des „sozialen B<strong>und</strong>esstaats“stammt von Theodor Heuss <strong>und</strong> wurde vom Parlamentarischen Rat nahezuunhinterfragt angenommen 29 . Sie stellt einen Verfassungskompromiss vonCDU <strong>und</strong> SPD dar. <strong>Die</strong> geringe Dichte an Konkretisierung mag auf der einenSeite den Anschein von Rechtsunsicherheit <strong>und</strong> Mangelhaftigkeit auslösen.Vielmehr drückt sich aber in der Offenheit des Sozialstaatsgr<strong>und</strong>satzes dasPrinzip des Vorbehaltes des Gesetzes <strong>und</strong> damit das Rechtsstaatsprinzip aus:Es ist zuvörderst Aufgabe des Gesetzgebers, den Inhalt des Sozialstaatsprinzips,dynamisch <strong>und</strong> an die gesellschaftlichen Veränderungen angepasst, zubestimmen. <strong>Die</strong>ser Leitsatz ist ständige Rechtsprechung. des BVerfG 30 . Umgerichtliche Bevorm<strong>und</strong>ung zu verhindern, könne der Sozialstaatsgr<strong>und</strong>satznach dieser Ansicht auch nicht als Maßstab für eine rechtsstaatliche Entscheidungdienen, da der Begriff „Sozialstaat“ gerichtlicher Überprüfung überhauptnicht offen stehe.II. VOLLUMFÄNGLICHE JUSTIZIABILITÄTGegen diese Ansicht steht die Bedeutung des Sozialstaatsgr<strong>und</strong>satzes, die ihmdurch seine Stellung in Art. 20 Abs. 1 GG <strong>und</strong> die Ewigkeitsklausel zugewiesenist. Wenn dem Sozialstaatsprinzip keine rechtliche Bedeutung zukäme,hätte es auch keinen Sinn im Gr<strong>und</strong>gesetz. Hingegen muss auch eine objektiveVerfassungsvorschrift, an die Gesetzgebung, Verwaltung <strong>und</strong> Rechtsprechunggeb<strong>und</strong>en sind (Art. 20 Abs. 3 GG) zu größtmöglicher Geltung gebrachtwerden. Wird man auch aufgr<strong>und</strong> des Vorbehalts des Gesetzes nicht injedem Einzelfall positive Ansprüche aus dem Sozialstaatsprinzip ableitenkönnen, so muss doch jedes Gesetz an Art. 20 Abs. 1 GG gemessen werden.So könne es dann nicht nur ausnahmsweise als Folge legislativer Willkür zueinem feststellbaren Verstoß gegen die verfassungsgemäße Gr<strong>und</strong>entscheidungzum Sozialstaat kommen 31 . Der Verfassungsrichter habe das Sozialstaatsprinzipvollständig zu durchdringen <strong>und</strong> damit justiziabel zu machen.Für die Justiziabilität des Sozialstaatsprinzips spricht auch die Tendenz in derLiteratur objektiv-rechtlichen Gehalten der Verfassung jeweils subjektive Gehaltezuzusprechen 32 .Dagegen spricht wiederum das Rechtsstaatsprinzip 33 . In der Tat ist der Sozialstaatsgr<strong>und</strong>satzzu unkonkret, um ihn vollumfänglich gerichtlich überprüfenzu können. Darüber hinaus muss dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraumzugesprochen werden. Unmittelbare Leistungsansprüche könnendaher in der Regel, wenn überhaupt, nicht aus dem Sozialstaatsprinzip abgeleitetwerden 34 . Nur wenn der „Kernbereich“ des Sozialstaates angetastet wird,könne die Pflicht des Gesetzgebers zur Verwirklichung sozialer Gerechtigkeiti. S. d. Sozialstaatsprinzips berührt sein. 35 Als Maßstab wird man z. B. die Evidenzkontrolle(„evident sozial willkürlich“ 36 ) heranziehen können. Hier spielenMenschenwürdegarantie <strong>und</strong> Art. 2 GG eine besondere Rolle, auch wenndie konkrete Bemessung wiederum dynamisch von gesellschaftlichen Umständenabhängt 37 . Sozialstaatlichkeit geht aber keineswegs soweit, dass bereitsjedes „unsoziale Gesetz“ verfassungswidrig ist 38 . Auch ein sozialstaatlichesRückschrittsverbot bzw. eine Bestandsgarantie, wonach jeder Abbaustaatlicher Sozialleistungen (verfassungsrechtlich) begründet werden müsste,konnte sich nicht durchsetzen <strong>und</strong> würde auch dem Gestaltungsspielraumdes Gesetzgebers eklatant widersprechen 39 . <strong>Die</strong> entgegenstehende Ansicht(Peter Krause) 40 wird man so abmildern können, dass sich ohnehin jeder gesetzgeberischeAkt am Sozialstaatsprinzip messen lassen muss; ein „Rückschritt“ist daher solange unproblematisch, wie der Kernbestand von Art. 20Abs. 1 GG nicht angetastet wird.Der Gesetzgeber ist nicht nur abstrakt an das Sozialstaatsprinzip geb<strong>und</strong>en,sondern muss dieses gerade positiv umzusetzen („Sozialpflicht“) 41 . Das Sozialstaatsprinzipenthält einen Gestaltungsauftrag. Werden so im Rahmen gesetzgeberischenHandeln wichtige Aspekt des Sozialstaatsprinzips gänzlich<strong>und</strong> willkürlich außen vor gelassen, so liegt hierin ein Verstoß gegen Art. 20Abs. 1 GG, der zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzes führt. Das BVerfGwürde in einem solchen Fall da Gesetz nicht für nichtig erklären (§ 95 Abs. 3S. 1 BVerfGG), weil dann vermutlich der verfassungswidrige Zustand nochverstärkt würde. Zu einer Erklärung eines Gesetzes für verfassungswidrig alleinaufgr<strong>und</strong> eines Verstoßes gegen das Sozialstaatsprinzips ist es aber bishernoch nicht gekommen 42 . Angesichts der umfänglichen deutschen Sozialgesetzgebung<strong>und</strong> der im internationalen Vergleich enormen Sozialquote(ca. 30 %) ist eine solche Überlegung von wenig praktischer Relevanz. Schutz<strong>und</strong>Handlungspflichten des Gesetzgebers sollten daher niemals bloß aufArt. 20 Abs. 1 GG gestützt werden, sondern zusätzlich auf konkrete Bestimmungenwie die Gr<strong>und</strong>rechte.Prozessual kann das Sozialstaatsprinzip als objektive Verfassungsnorm ebenfallsnur sehr eingeschränkt geltend gemacht werden, da es keine subjektivenRechte begründet 43 . Nach h. M. <strong>und</strong> ständiger Rechtsprechung des BVerfG istdaher eine Verfassungsbeschwerde, die sich allein auf das Sozialstaatsprinzipstützt, nicht zulässig 44 . Sämtliche Bestimmungen des Art. 20 Abs. 1 GG fallennicht unter die Beschwerdebefugnis nach § 90 Abs. 1 BVerfGG, da sie wederGr<strong>und</strong>rechte noch die enumerativ aufgezählten gr<strong>und</strong>rechtsgleiche Rechtedarstellen.Fallbearbeitungen zum Sozialstaatsprinzip sind sehr selten <strong>und</strong> wurden, soweitich die Literatur überblicke, bisher nur von Christoph Degenhardt 45 <strong>und</strong>Johannes <strong>Die</strong>tlein 46 geboten. Auch hier werden positive Ansprüche gegen den134<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010


TitelthemaSozialstaat bzw. die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes allein aufgr<strong>und</strong>Verstoßes gegen das Sozialstaatsprinzip verneint.IV. SOZIALSTAATSPRINZIP UND GRUNDRECHTE 47Das BVerfG zitiert das Sozialstaatsgebot gerne in Verbindung mit Gr<strong>und</strong>rechten<strong>und</strong> anderen Verfassungsbestimmungen. Hier fungiert es mittelbar alsAnspruchsgr<strong>und</strong>lage, „stärkt“ Ansprüche bzw. deutet Gr<strong>und</strong>rechte in eine bestimmteRichtung. 48 Das Sozialstaatsprinzip entfaltet auch bei der Prüfungder Verhältnismäßigkeit besonderes Gewicht. Volker Neumann unterstreichtdie maßgebliche Bedeutung der Gr<strong>und</strong>rechte für das Sozialstaatsprinzip:„<strong>Die</strong> Gr<strong>und</strong>rechtsdogmatik strukturiert das Sozialstaatsprinzip, weist ihmOrte der normativen Entfaltung zu <strong>und</strong> macht die Konflikte mit Einzelgr<strong>und</strong>rechtensichtbar <strong>und</strong> bearbeitbar.“ 49Wird das Sozialstaatsprinzip herangezogen, so geht es nicht um die Gr<strong>und</strong>rechtein ihrer abwehrrechtlichen Dimension. Es geht um Leistungs- <strong>und</strong>Schutzansprüche gegen den Staat, die sich unmittelbar aus den Gr<strong>und</strong>rechtenergeben. Mit der Statuslehre Georg Jellineks würde man hier vom „status positivus“sprechen. Auch Ernst-Wolfgang Böckenförde 50 erkannte neben anderenAnsätzen die sozialstaatliche Interpretation der Gr<strong>und</strong>rechte an, nach derdie Gr<strong>und</strong>rechte „nicht nur negativ-auszugrenzende Ansprüche, sondern zugleichsoziale Leistungsansprüche gegen den Staat“ 51 vermitteln. <strong>Die</strong>se Leistungsrechtewerden z. T. sogar „soziale Gr<strong>und</strong>rechte“ genannt, womit der Bezugzum Sozialstaatsprinzip klarer wird. Mit Robert Alexy 52 lassen sichLeistungsrechte in drei Kategorien unterteilen: Recht auf Schutz, Recht aufOrganisation <strong>und</strong> Verfahren („status activus processualis“) <strong>und</strong> zuletzt dieRechte auf Leistungen i. e. S. („soziale Gr<strong>und</strong>rechte“). Letztere Leistungsrechtei. e. S. dürften sich ergeben, wenn das Sozialstaatsprinzip zur Auslegungder Gr<strong>und</strong>rechte herangezogen wird. <strong>Die</strong>trich Murswiek 53 spricht bereitsvom „status positivus socialis“. Der ausdrückliche Sozialbezug derLeistungsrechte i. e. S. zeigt sich schon daran, dass diese konjunktur- <strong>und</strong>haushaltsabhängig sind 54 . Erstgenannte Schutzrechte bzw. Schutzpflichtenergeben sich maßgeblich aus der Freiheitsgewährungsfunktion des klassischliberalenRechtsstaates 55 . Ein ausschließlicher Rekurs auf die Freiheitswährungsfunktionwäre aber verfehlt. Auch bei den gr<strong>und</strong>rechtlichen Schutzpflichtenhat das Sozialstaatsprinzip gewisse Bedeutung.Im Hinblick auf den Rechtsgr<strong>und</strong> sozialer Leistungsansprüche i. e. S. lassensich derivative <strong>und</strong> originäre Ansprüche unterscheiden. Derivative Leistungsansprüchesind Teilhaberechte, die erst als Reaktion auf vorgängiges staatlichesHandeln erwachsen 56 . Sie können aus den Gleichheitssätzen, dem Vertrauensschutzoder der Eigentumsgarantie abgeleitet werden. In praktischerAnschauung weisen sie eine gewisse Nähe zum Sozialstaat auf. So gibt es Teilhaberechteauf Studien- <strong>und</strong> Ausbildungsplätze (Art. 12 Abs. 1 GG i. V. m.Art. 3 Abs. 1), aber nur im Rahmen der Kapazitäten <strong>und</strong> titulierten Mittel, wiedas BVerfG im Numerus-clausus-Urteil betonte 57 . Das BVerfG nennt auchhier das Sozialstaatsprinzip, dogmatisch sind die Teilhaberechte allerdingsden Gleichheitssätzen zuzuordnen.Während über das Bestehen von Teilhaberechten weitgehend Einigkeitherrscht, gilt dies nicht für originäre Leistungsansprüche, also gr<strong>und</strong>rechtlichgewährleistete verfassungsunmittelbare Leistungsansprüche gegen die öffentlicheHand 58 . Solche sollen sich unmittelbar aus den Gr<strong>und</strong>rechten in sozialstaatlicherInterpretation ergeben 59 . Wird die soziale Dimension der Gr<strong>und</strong>rechtenicht anerkannt, so ergibt sich die Gefahr, dass diese leer laufen,besonders in einem Staat, dessen faktische Staatsgewalt nicht mehr auf Polizei,sondern auf Finanztransaktionen <strong>und</strong> Sozialleistungen beruht. So betontedas BVerfG im Numerus-clausus-Urteil: „Das Freiheitsrecht wäre ohne dietatsächlichen Voraussetzungen, es in Anspruch nehmen zu können, wertlos.“60 <strong>Die</strong> Bedeutung der Gr<strong>und</strong>rechte muss also im „tatsächlichen Handeln-Können“ über das „rechtliche Dürfen“ hinausgehen. 6126Vgl. Gerstenmaier, aaO, 89 mwN; Schreiber, aaO, 150ff.27VVDStRL 12 (1954), 8ff; dagegen Bachof, ebd., 37ff.; instruktiv Leisner,Darf der Staat gütig sein? – Förderung <strong>und</strong> Hilfe zwischen Sozialstaat <strong>und</strong>Rechtsstaat, NJW 2001, 1329ff.28Vgl. Gröpl, aaO, Rn. 561ff; 591ff; Maurer, aaO, § 8 Rn. 62ff.29Schnapp, in: JuS 1998, 874.30BVerfGE 1, 97 (155); 10, 354; 27, 253 (283); 50, 57 (108); 51, 115 (125);59, 231 (263); 65, 182 (193); 75, 348 (360); 97, 169 (185).31Vgl. Gerstenmaier, aaO, 91.32Stern, Staatsrecht III/2, 1994, § 96 II 5; J. <strong>Die</strong>tlein, Schutzpflichten, I(Vorb. 2. Aufl.).33Vgl. Weber, <strong>Die</strong> verfassungsrechtlichen Grenzen sozialstaatlicher Forderungen,Der Staat 1964, 409ff.34Degenhardt, aaO, Rn. 573; Hobe, in: JA 1994, 563. Auch hier gilt: <strong>Die</strong> Ausnahmebestätigt die Regel (Hobe, 564; s. u.).35Vgl. Gerstenmaier, aaO, 98; Sommermann, in: v. Mangoldt/ Klein/ Starck,GG II, 5. Aufl., Art. 20 Rn. 120 spricht von einem „harten Zielkern“ in Abgrenzungzum „Zielhof “, der im Spielraum des Gesetzgebers steht.36Gerstenmaier, aaO, 9137Sommermann, aaO, Rn. 123.38Gerstenmaier, aaO, 90.39Ausführlich Neumann, in: DVBl. 1997, 92 (97f); Wallerath, in: JZ 2004,954; Degenhardt, aaO, Rn. 576; Gröpl, aaO, Rn. 568. Leistungsansprüchekönnen sich aber weiterhin aus Art. 14 GG ergeben.40Krause, in: JuS 1986, 350; ders., DÖV 1984, 740; tendenziell auch Bieback,in: Jura 1987, 232.41BVerfGE 9, 124 (131).42Denck, Sozialstaatsprinzip <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>rechte im Sozialrecht, MDR 1990,281.43BVerfGE 27, 253 (283).44BVerfGE 2, 336 (339); 6, 376 (385); 13, 17; 14, 51; 17, 258; 48, 79; Schreiber,Sozialstaatsprinzip, 148; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, GG, 11. Aufl., Art. 20 Rn. 37.45AaO, Rn. 565; 580.46Examinatorium Staatsrecht, 2. Aufl., 21f.47Zum ganzen: Neumann, passim.48Bieback, Jura 1987, 23249Neumann, DVBl. 1997, 100.50Böckenförde, Gr<strong>und</strong>rechtstheorie <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>rechtsinterpretation, NJW1974, 1529ff; vgl. auch Heintschel von Heinegg/ Haltern, Gr<strong>und</strong>rechte alsLeistungsansprüche des Bürgers gegenüber dem Staat, JA 1995, 333ff. Böckenfördespricht sich aber mit der h. M. gegen unmittelbar einklagbareAnsprüche aus (1536).51Heintschel von Heinegg/ Haltern, JA 1995, 334; Badura, DÖV 1989, 492.52Alexy, Theorie der Gr<strong>und</strong>rechte, 1986, 405ff.53Murswiek, in: Isensee/ Kirchhof, HStR V, 1992, § 112 Rn. 23.54Murswiek, aaO, § 112 Rn. 22.55Heintschel von Heinegg/ Haltern, JA 1995, 336.56Heintschel von Heinegg/ Haltern, JA 1995, 337.57BVerfGE 33, 303 (331f).58Dagegen z. B.: v. Münch, in: v. Münch/ Kunig, GG I, 5. Aufl., Vorb. Art. 1-19, Rn. 20; Hesse, EuGRZ 1978, 427ff. (434).59Zu Art. 3 GG: BVerfGE 94, 241 (262); Art. 6: BVerfGE 82, 60 (79f.); Art.12: BVerfGE 33, 303 (332ff); 43, 291 (313); Art. 14: BVerfGE 53, 257 (289ff);69, 272 (300ff); 76, 256 (293f.).60BVerfGE 33, 303 (331).61Heintschel von Heinegg/ Haltern, JA 1995, 340.<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010135


TitelthemaDagegen ergeben sich die Bedenken, die man bereits gegen originäre Ansprücheaus dem Sozialstaatsprinzip anführen kann. Insbesondere ragt hier derrechtsstaatliche Vorrang des Gesetzes hervor, wonach die Bestimmung vonInhalt <strong>und</strong> Umfang originärer Leistungsansprüche, zumindest nicht gänzlich,den Gerichten überlassen werden könne. Soziale Gr<strong>und</strong>rechte sind genausowenig justiziabel wie das Sozialstaatsprinzip. 62 <strong>Die</strong> Konkretisierung ist einepolitische Aufgabe des Gesetzgebers, darunter auch eine angemessene Haushaltspolitik,die nicht bereits im vorhinein festgelegt sein kann 63 . EineGeltendmachung sozialer Leistungsansprüche würde ebenso gegen den Bestimmtheitsgr<strong>und</strong>satzverstoßen, da Art. 20 Abs. 1 GG für eine solcheAuslegung zu unkonkret ist. Johannes <strong>Die</strong>tlein kommt daher in seiner umfassendenDissertation zu den „Gr<strong>und</strong>rechtlichen Schutzpflichten“ zu folgenderEinschätzung:„<strong>Die</strong> sozialstaatliche Argumentation erscheint (...) zur Begründung eines subjektivenVerfassungsrechts auf Schutz wenig überzeugend <strong>und</strong> ist als kaumverhohlener ,Kompromiss’ praeter legem abzulehnen.“ 64V. KOMPROMISSVORSCHLÄGEExtrempositionen zur Justiziabilität „sozialer Gr<strong>und</strong>rechte“ – vollumfänglichebzw. nicht vorhandene Justiziabilität – sind somit sicherlich nicht tragbar.Kompromissvorschläge zwischen objektivrechtlichem Prinzip <strong>und</strong> subjektivemAnspruch existieren aber viele. Robert Alexy plädiert für eine Abwägungvon faktischer Freiheit <strong>und</strong> Rechtsstaatlichkeit. Demnach könne ein originärerLeistungsanspruch dann angenommen werden, wenn das „Prinzip derfaktischen Freiheit“ dies sehr dringend fordert <strong>und</strong> dadurch das Rechtsstaatsprinzip<strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>rechte anderer in „relativ geringem Maße beeinträchtigt“werden 65 . <strong>Die</strong>se These hilft selbstverständlich nicht viel weiter, wenn es umEinzelfälle geht. Hier müssen Gr<strong>und</strong>rechte unter dem Gr<strong>und</strong>satz der praktischenKonkordanz gegeneinander abgewogen werden. Problematisch anAlexy ist weiterhin, dass er originäre Leistungsrechte hier als Ansprüche dargestellt.Vielmehr stellt aber die Konkretisierung der Gr<strong>und</strong>rechte in sozialstaatlicherInterpretation eine Verpflichtung des Gesetzgebers dar. UnmittelbareAnsprüche können daher wohl in keinem Falle ohne gesetzlicheGr<strong>und</strong>lage begründet werden. Das BVerfG hat diese Frage in seiner Numerusclausus-Entscheidungausdrücklich offen gelassen. <strong>Die</strong> Argumentation istaber eher dahin zu deuten, dass ein subjektiver Anspruch auf staatliche Leistungenzur Kapazitätserweiterung oder Neuschaffung, <strong>und</strong> damit auf sozialeGr<strong>und</strong>rechte, nicht besteht 66 . Mit dem Prinzip der Gewaltenteilung, dem Demokratieprinzip<strong>und</strong> dem „Vorbehalt des Möglichen“ 67 stehen entscheidendeArgumente gegen eine mögliche Justiziabilität unmittelbarer subjektiver Ansprüche.Angesichts der enormen Bedeutung von Sozialpolitik steht der Gesetzgeberohnehin unter demokratischer Kontrolle, sodass ein Regress auf dasSozialstaatsgebot nicht erforderlich zu werden scheint. Es bleibt dabei, dass„richterlich ermittelte punktuelle Fallentscheidungen der Gerichte“ nicht inBetracht kommen 68 . Hier muss eine andere Kategorie geschaffen werden, dieden sozialen Gr<strong>und</strong>rechten <strong>und</strong> dem Rechtsstaatsprinzip gemeinsam Rechnungträgt.E. EIN „SOZIALSTAATLICHES UNTERMASSVERBOT“Um ein Mindestmaß an „Sozialstaat“, vergleichbar der Wesensgehaltsgarantiein Art. 19 Abs. 3 GG, zu gewährleisten, kann auf die Kategorie des Untermaßverboteszurückgegriffen werden 69 . Das Untermaßverbot wurde vom BVerfGim zweiten Abtreibungsurteil 70 fortentwickelt. Dabei geht es um ein Minimum,das der Staat bei der Beachtung seiner staatlichen Schutzpflichten zuerfüllen hat 71 . Wird auch das Sozialstaatsprinzip häufig von der rechtlichenauf die politische Ebene geschoben 72 , so bleibt zu betonen: „<strong>Die</strong> Sozialstaatsklauselstellt bindendes Recht <strong>und</strong> nicht lediglich einen Programmsatz dar.“ 73Ein Kernbereich an Sozialstaat muss daher effektiv geschützt werden. <strong>Die</strong>szeigt sich zum Beispiel bei der Entscheidung des BVerfG zum Kindergeld 74 :„Zwingend ist (...), dass der Staat die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdigesDasein seiner Bürger schafft.“Aus dem Sozialstaatsprinzip lassen sich, meist in Verbindung mit einzelnenGr<strong>und</strong>rechten, konkrete Gebote bzw. „Sozialpflichten“ an den Gesetzgeberableiten, die dieser umzusetzen hat <strong>und</strong> wohl auch zum jetzigen Zeitpunktrecht umfänglich erfüllt hat. Den Gerichten obliegt es das „Ob“ der „Sozialpflichten“– nicht der Sozialansprüche – festzustellen, der Gesetzgeber regeltdas „Wie“ <strong>und</strong> normiert damit Sozialansprüche.In einigen Bereichen haben oberste B<strong>und</strong>esgerichte bereits den „Kernbereich“des Sozialstaatsgebots in Verbindung mit einzelnen Gr<strong>und</strong>rechten umrissen.Konkrete Ausprägungen hat bzw. hätte der Gesetzgeber umzusetzen in folgendenFällen 75 :• Subventionierung privater Ersatzschulen (Art. 7 Abs. 4 GG) 76 ,• Schutz besonders benachteiligter Gruppen (Kriegsopfer, <strong>junge</strong> Waisen) 77 ,• Sicherung eines Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 iVm Art. 2 II Abs. 2, Abs.1 GG) 78 ,• Gewährleistung der Mindestausstattung eines Hochschullehrers für seinewissenschaftliche Tätigkeit,• Anliegergebrauch des Gr<strong>und</strong>stückseigentümers von für die Nutzung erforderlichenStraßen.<strong>Die</strong> Kernaufgaben des Sozialstaates sind noch weiter (Ausbildung, Arbeitsmarkt,Arbeitsrecht) 79 , müssen aber nicht zwingend (nur) unmittelbar durchden Staat wahrgenommen werden 80 .Um diesen „Kernbereich“ bzw. „Wesensgehalt“ zu erfassen, lässt sich die Lehrevom sog. Untermaßverbot befruchten 81 . Ein „sozialstaatliches Untermaß“wird dem Sozialstaatsprinzip dogmatisch um einiges gerechter als die Vorschlägevon Robert Alexy (Abwägungsmodell) oder Rüdiger Breuer (originäreLeistungsrechte soweit zur Erhaltung gr<strong>und</strong>rechtlicher Freiheit notwendig)82 , die die spezifische „Sozialpflicht“ des Gesetzgebers verkennen bzw.über das Ziel hinausschießen. Das Untermaßverbot dient einer ersten Einschätzung,nicht der Entscheidung im Einzelfall. Anknüpfend an die <strong>Die</strong>tlein-Hain- Kontroverse 83 wird man – <strong>und</strong> hier hat Johannes <strong>Die</strong>tlein Recht – eine(vollumfängliche) Kongruenz von Untermaßverbot <strong>und</strong> Übermaßverbot(Verhältnismäßigkeitsprinzip) verneinen können. Bei beiden Verboten gehtes zwar um den Eingriff in Rechte <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>rechte einzelner; das Untermaßverbotverfolgt aber die Verwirklichung von Zielen <strong>und</strong> Schutzpflichten mit136<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010


TitelthemaVerfassungsrang 84 <strong>und</strong> wehrt darüber hinaus Beeinträchtigungen ab, die inder Regel nicht das Niveau von Gr<strong>und</strong>rechten erreichen wie beim Übermaßverbot.Daher ist ein Durchgreifen im Kernbereich auch umso bedeutender,wenn nicht die unausweichliche Folge aus der Verfassung. Für das Sozialstaatsprinzipergibt sich dasselbe.Wenn man mit einem sozialstaatlichen Untermaßverbot „Ernst“ machenmöchte, wird man in Hinblick auf das Erforderlichkeitskriterium des Untermaßverbotsformulieren müssen: <strong>Die</strong> Mittel zur Umsetzung eines sozialstaatlichen„Kernbereiches“ sind dann ausreichend, wenn es kein geeigneteres bzw.effektiveres Mittel gibt, das sich bei Abwägung mit betroffenen Gr<strong>und</strong>rechtenals verhältnismäßig darstellt.<strong>Die</strong> Formulierung zeigt bereits, dass auch das Untermaßverbot ein wenighinkt. Hierbei müssen auch – jeweils im Einzelfall – der Gestaltungsspielraumdes Gesetzgebers sowie der „Vorbehalt des Möglichen“ beachtet werden.Will man das Sozialstaatsprinzip allerdings nicht zum bloßen Programmsatzverkommen lassen, so wird man subsidiär ein sozialstaatliches Untermaßverbotheranziehen <strong>und</strong> konkret die Verwirklichung einschlägiger Schutzpflichten<strong>und</strong> Leistungsrechte prüfen müssen. <strong>Die</strong>s kann dann auch theoretisch,wenn auch praktisch wenig denkbar, zur Reduktion des legislativen Gestaltungsermessens„auf Null“ führen 85 . Ob in dem Fall, wenn selbst ein „Mindestmaß“an sozialen Garantien ausbleibt, ein individueller Anspruch, unabhängigvon gesetzgeberischen Maßnahmen, begründet wird, ist weiterhinstrittig 86 , aber ohne praktische Relevanz. <strong>Die</strong> Maßgabe des sozialstaatlichenUntermaßverbotes stellt einen Fortschritt zur ehemalig praktizierten „Evidenzkontrolle“des BVerfG 87 dar, wenn sie auch, wie das BVerfG selbst attestiert88 , nicht alle Probleme lösen kann. Insoweit bleiben Bedenken an der Profilierungdes Untermaßverbotes, wie sie Johannes <strong>Die</strong>tlein bereits anbrachte 89 ,weiterhin bestehen. Einen besseren Weg zur Konkretisierung der verfassungsrechtlichenAnforderungen an den Sozialstaat gibt es aber unseres Erachtensnicht. 9062Alexy, aaO, 459.63Nachweise bei Heintschel von Heinegg/ Haltern, JA 1995, 340 Fn. 101.64Schutzpflichten, 161.65Alexy, aaO, 465f.66So auch Heintschel von Heinegg/ Haltern, JA 1995, 341.67Zippelius/ Würtenberger, aaO, 23.68Vgl. Heintschel von Heinegg/ Haltern, JA 1995, 342.69Dazu Isensee, in: HStR V, 1992, § 111, Rn. 165.70BVerfGE 88, 203 (254); BVerfG, NJW 1995, 2343 – eine abschließendeKlärung steht noch aus.71Manssen, Staatsrecht II, 6. Aufl., Rn. 52.72Vgl. Schnapp, JuS 1998, 874.73Heintschel von Heinegg/ Haltern, ebd.74BVerfGE 82, 60 (80).75Murswiek, aaO, § 112; Schreiber, passim; Bieback, Jura 1987, 234ff.;Denck, MDR 1990, 281; ausführlich Breuer, Gr<strong>und</strong>rechte als Quelle positiverAnsprüche, Jura 1979, 401ff. (404ff.).76BVerwGE 27, 360 (363f).77Vgl. Bieback, aaO, 665.78BVerwGE 1, 159; 52, 346; BVerfGE 43, 13 (19); 82, 60 (80); 87, 153 (169);99, 216 (233); neulich: 115, 25.79Vgl. Krause, aaO, 352.80Ipsen, aaO, Rn. 1005; Badura, DÖV 1989, 493; BVerfGE 22, 180 (204).81Zur Sinnhaftigkeit des Untermaßverbotes: J. <strong>Die</strong>tlein, Das Untermaßverbot,ZG 1995, 131ff. mwN; Hain, DVBl. 1993, 982ff; ders., Das Untermaßverbotin der Kontroverse. Eine Antwort auf <strong>Die</strong>tlein, ZG 1996, 75ff. Ansätzedazu bereits bei J. <strong>Die</strong>tlein, Examinatorium, 21f.; Gröpl, aaO, Rn.581.82Breuer, in: Bachof/ Heigl/ Redeker (Hrsg.), Festgabe aus Anlaß des 25jährigenBestehens des B<strong>und</strong>esverwaltungsgerichts, 1978, 89ff (93ff).83Vgl. Fn. 81; Hain legt wohl mitunter (ZG 1996, 79) andere Maßstäbe andas Verhältnismäßigkeitsprinzip. Was aber bei ihm zunächst befürchtetwurde, nämlich die Einschränkung legislativer Gestaltungsspielräume,führt letztlich mangels klarer Abgrenzungen zu wenig Bindung des Gesetzgebersan das Untermaßverbot.84J. <strong>Die</strong>tlein, ZG 1995, 136: „eine das konkrete Gesetz transzendierende,von dessen Zielkonzeption gr<strong>und</strong>sätzlich unbeeinflußte <strong>und</strong> unmittelbarauf das Verfassungsrecht bezogene Größe“.85Vgl. Scherzberg, DVBl. 1989, 1128 (1134); J. <strong>Die</strong>tlein, ZG 1995, 140.86So wohl BVerwG, DÖV 1978, 616: „möglicherweise (...) ein verfolgbarerAnspruch“; ähnlich BVerfGE 1, 105: „möglicherweise dem Einzelnen hierausein mit der Verfassungsbeschwerde verfolgbarer Anspruch erwachsen“.Vgl. auch Heinig, Sozialstaat, 591: „In den einzelnen Gr<strong>und</strong>rechten i. V. m.Art. 20 Abs. 1 GG verankerte Ansprüche auf freiheitsfunktionale sozialeMinima bilden deshalb primär Ansprüche auf gesetzgeberisches Tätigwerden.Nur im äußersten Notfall, d. h. wenn effektiver Rechtsschutz andersnicht zu erlangen ist, ist die dritte Gewalt funktionalrechtlich befugt, demeinzelnen im Durchgriff auf die Verfassung das Recht auf eine konkreteLeistung zuzusprechen.“87BVerfG, NJW 1988, 1651 (1653); dazu J. <strong>Die</strong>tlein, Schutzpflichten, 111ff.88Vgl. BVerfG, NJW 1995, 2343.89J. <strong>Die</strong>tlein, Untermaßverbot, 141; ders., Schutzpflichten, III.90Auch die neuere Untersuchung von Heinig kommt zu keinem neuenKonkretisierungsvorschlag.<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010137


AusbildungGoogle Street View – Das Leben der Anderenvon Prof. Dr. Rolf Schwartmann (FH Köln)Rolf Schwartmann ist Leiter der Kölner Forschungsstelle fürMedienrecht an der Fachhochschule Köln <strong>und</strong> Mitautor vonDörr/Schwartmann, Medienrecht, 3. Auflage 2010 sowieMitherausgeber der Textsammlungen Schwartmann/Lamprecht-Weißenborn,Datenschutzrecht <strong>und</strong> Schwartmann/Gennen/Völkel, IT- <strong>und</strong> Internetrecht. http://www.medienrecht.fh-koeln.de/.In der Rue Washington in Paris gibt es ein Chinesisch-ThailändischesRestaurant, das Elysees Mandarin. Es hat eine grüne Neonschrift <strong>und</strong> seinenEingang bewachen zwei Löwen mit roten Schleifen um den Hals. Danebenliegt der Takeaway <strong>und</strong> dann kommt vor dem Tabac auf der Ecke ja noch dasCojean Washington. Vor dem Cojean kann man draußen sitzen, wenn einender Verkehr nicht stört. Vor dem Chinesen nicht. Der Chef des ElyseesMandarin empfiehlt gegrillte Langusten. Ich kenne mich dort nicht schlechteraus, als in der Seitenstraße, in der ich lebe. Allerdings war ich noch nie in derRue Washington. Jedenfalls nicht körperlich. Das ist nicht nötig, denn es gibtGoogle Street View, einen <strong>Die</strong>nst, der über Google Maps verfügbar ist <strong>und</strong>jedermann lebensechte Einblicke in die Straßen von 23 Staaten ermöglicht.Bald wird der Besitzer des Elysees Mandarin auch mein Haus kennen lernenkönnen. Google plant die möglichst vollständige <strong>und</strong> ungefragte Ablichtungdeutscher Straßen <strong>und</strong> Häuserfronten. Bis Ende des Jahres will der PanoramadienstAufnahmen von Straßen <strong>und</strong> Häusern aus zunächst 20 deutschenStädten ins Netz stellen, durch die in 360°-Perspektive Einblicke in Straßen,Vorgärten <strong>und</strong> Häuserfronten gewährt werden. <strong>Die</strong> Bilder werden zwar sobearbeitet, dass Gesichter von Passanten <strong>und</strong> Autokennzeichen automatischunkenntlich gemacht werden, <strong>und</strong> wenn diese Anonymisierung mal nichtklappt, sagt Google dem Betroffenen Hilfe zu. Dennoch: Stehe ich auf dembereit gestellten Bild gerade mit meinen Kindern vor dem Haus, werden wirvon dem, der uns kennt, vermutlich auch von dem, der uns kennen lernenwill, wieder erkannt.Aus der Tatsache, dass das Elysees Mandarin direkt von der Ansicht im Netzauf seine Homepage verlinken lässt, kann man schließen, dass sein Besitzerden <strong>Die</strong>nst schätzt. Das kann man aus wirtschaftlicher Sicht verstehen, dennich kenne nun das Lokal <strong>und</strong> werde es vielleicht einmal besuchen, wenn mirdie Lust nach asiatischem Essen steht. Google ist eine große digitaleLitfaßsäule. Zugleich kann sich aber auch jeder über den Zustand desGebäudes informieren <strong>und</strong> wenn er mag, Schlüsse über die Kreditwürdigkeitseines Eigentümers schließen, die er auch an dem vor der Tür parkendenFahrzeug ermessen kann. So mancher potentielle Einbrecher wird vielleichtauch seine künftigen Einsatzorte in Heimarbeit ermitteln.Rechtlich ist Google Street View vor allem aus datenschutzrechtlicher Sichtrelevant. Im Zentrum steht die Frage, ob schützenswerte personenbezogeneDaten verwendet werden, denn diese unterliegen dem Recht auf informationelleSelbstbestimmung, das im Datenschutzgesetz einfach gesetzlichkonkretisiert ist. Personen digital aufzunehmen, ist eine Erhebung personenbezogenerDaten im öffentlichen Raum nach § 3 Abs. 3 BDSG. Das machtGoogle. Denn jeder sieht, wann, wer, wie an welchem Ort war. Hierfürbenötigt man gr<strong>und</strong>sätzlich die Einwilligung des Betroffenen. Es sei denn, diePerson wird – bereits während des Aufnahmevorgangs - wirksam anonymisiert.Für die spätere Einstellung im Internet gilt nichts anderes. Auch nachdem Kunsturhebergesetz dürfen Bildnisse gr<strong>und</strong>sätzlich nur mit Einwilligungdes Abgebildeten verbreitet werden. Ausnahmen gelten dann, wenn diePersonen als Beiwerk neben einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeiterscheinen. Eine wirksame Einwilligung ist wichtig, in der Praxis für Googleschwer einzuholen. Derzeit wird mit einer Widerspruchslösung gearbeitet,bei der bis zum Widerspruch das Einverständnis des Berechtigten unterstelltwird. In der derzeitigen Konzeption des deutschen Datenschutzrechts istdieses bloße „opt-out-Verfahren“ jedenfalls nicht die Regel. Also: Abbildenvon Personen ist bei wirksamer Verschleierung oder Einwilligung zulässig.Auch Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einerbestimmten oder bestimmbaren Person sind personenbezogene Daten (§ 3Abs. 2 BDSG). Dazu gehören Angaben über Eigentum <strong>und</strong> Wohnverhältnisse,die für Google Street View verarbeitet werden. Auch hier bedarf es also einerEinwilligung oder Anonymisierung, bevor es zu einer geschäftsmäßigenDatenverarbeitung zum Zweck der Übermittlung nach § 29 BDSG kommendarf.Google Street View macht ebenso wie Google Earth – bei dem es um ähnlichesgeht, wo aber keine Details von Ansichten zu sehen sind - Spaß, <strong>und</strong> es istnützlich. Es handelt sich um eine kreative gewerbliche Betätigung, vonwirtschaftlichem Nutzen für das Unternehmen <strong>und</strong> für jeden, der auf dieseWeise auf sich aufmerksam machen möchte. Dennoch hat Google Street Viewvor allem in Deutschland wegen der strengen Datenschutzvorgaben mehrWiderstand ausgelöst als in jedem anderen der 23 Länder, für die Google StreetView schon online ist. Nirgendwo wurden so viele Zugeständnisse an dieBehörden gemacht, wie hier. So wurde ein Widerspruchsverfahren eingerichtet,mit dem jeder betroffene Bürger innerhalb einer Frist von vier Wochen derAbbildung seines Hauses durch Google Street View vor der Freischaltung dieses<strong>Die</strong>nstes widersprechen kann; zudem besteht ein zeitlich unbeschränktesWiderspruchsrecht nach der Einführung von Google Street View in Deutschland.Das B<strong>und</strong>eskabinett hat sich im August darauf verständigt, im Herbsteinen Maßnahmenplan vorzulegen, <strong>und</strong> für September ist ein Spitzengesprächder Regierung mit Experten geplant. Eine „Lex Google“ mit schärferen Regelnspeziell für den von Google geplanten <strong>Die</strong>nst soll es aber nicht geben.Dennoch müssen die Anforderungen sein, bei der Sammlung <strong>und</strong> Verwendungvon Daten mit mittelbarem Personenbezug zunächst umfassend zuinformieren <strong>und</strong> für Transparenz zu sorgen. Wie dies angesichts der massenhaftenErhebung <strong>und</strong> Bereitstellung von Daten im Internet gegenüber denBetroffenen funktionieren soll, ist noch nicht klar. Wir dürfen gespannt aufdie weitere Debatte sein <strong>und</strong> verlieren dennoch sicherlich nicht die Lust anvirtuellen Streifzügen, zum Beispiel durch unsere nächsten Reiseziele.138<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010


12Arbeitsfeld kennenlernenBereit machen für neue Perspektiven3Internationale Erfahrung genießenIn drei einfachen Schritten zuinternationaler Erfahrung.Hinter großen Erfolgen steht oft ein einfaches Prinzip.Deshalb brauchen wir außergewöhnliche Kollegen m/w,die es uns einfach machen, weltweit auf höchstem Niveauzu agieren.Für unsere Büros inBerlin, Düsseldorf,Frankfurt am Main <strong>und</strong> Münchensuchen wir Associates m/w die unserArbeitsrecht-Teamverstärken.Dazu müssen Sie nur ein paar Dinge berücksichtigen:Sie müssen unternehmerisch, kreativ <strong>und</strong> mit Teamgeistdenken, aus komplexen Sachverhalten klar formulierteStrategien machen <strong>und</strong> weltweit vernetztes Know-hownutzen. Dann werden Sie bei Baker & McKenzie immereiner helfenden Hand begegnen, um gemeinsam Höchstleistungenzu erreichen. Ganz nach unserem Motto:Einfach ist am schwersten. Also bewerben Sie sich.Ganz einfach.Baker & McKenzie - PartnerschaftsgesellschaftAxel Hamm, Bethmannstraße 50-54, 60311 Frankfurt am Main, Telefon +49 (0) 69 2 99 08 600,E-Mail: axel.hamm@bakermckenzie.com, www.bakermckenzie.com<strong>Die</strong> Baker & McKenzie - Partnerschaft von Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern <strong>und</strong> Solicitors ist eine im Partnerschaftsregister des Amtsgerichts Frankfurt/Mainunter PR-Nr. 1602 eingetragene Partnerschaftsgesellschaft nach deutschem Recht mit Sitz in Frankfurt/Main. Sie ist assoziiert mit Baker & McKenzie International, einem Vereinnach Schweizer Recht.


Ausbildung„Von Köhler zu Wulff“ - Aktuelle Fragen zur Stellung desB<strong>und</strong>espräsidenten im Verfassungsgefüge des Gr<strong>und</strong>gesetzesvon Georg <strong>Die</strong>tlein (Universität zu Köln)Georg <strong>Die</strong>tlein, Jahrgang 1992, <strong>stud</strong>iert an der Universität zuKöln Rechtswissenschaften <strong>und</strong> Wirtschaftswissenschaften.A. EINLEITUNGMit dem Rücktritt von B<strong>und</strong>espräsident Horst Köhler am 31. Mai 2010 1 ergabsich eine historisch einmalige Situation: Ein B<strong>und</strong>espräsident gibt sein Amtauf, mit „sofortiger Wirkung“. Wenn man genauer nachforscht, so ist der vorzeitigeRücktritt eines B<strong>und</strong>espräsidenten von seinem Amt gar kein „Novum“.Bereits Heinrich Lübke gab am 14. Oktober 1968 „aus staatspolitischen Gründen“die Niederlegung seines Amtes zum 30. 6. 1969 bekannt. Damit erfolgtesein Rücktritt zehn Wochen vor dem regulären Ende seiner Amtszeit 2 . DaLübke von der DDR als „KZ-Baumeister“ diffamiert wurde, verbot sich einsofortiger Rücktritt, da man diesen leicht als Schuldeingeständnis hätte interpretierenkönnen. <strong>Die</strong> Zusammenhänge um Heinrich Lübke wurden schnellvergessen, sodass das Hamburger Abendblatt am 31. Mai 2010 voreiligschrieb: „Zum ersten Mal in der Geschichte ist mit Horst Köhler ein B<strong>und</strong>espräsidentvon seinem Amt zurückgetreten.“ 3 Vielmehr ist am „Fall Köhler“einmalig, dass ein B<strong>und</strong>espräsident mit „sofortiger Wirkung“ auf sein Amtverzichtet, sich dadurch eine Zeitspanne ohne designierten B<strong>und</strong>espräsidentenergibt <strong>und</strong> eine B<strong>und</strong>esversammlung erst verspätet einen Nachfolger wählenkann 4 , was sich bei der frühzeitigen Ankündigung Lübkes nicht ergab.Im vorliegenden Beitrag wollen wir uns nicht erneut der abstrakten Stellungdes Staatsoberhauptes im Verfassungsgefüge des Gr<strong>und</strong>gesetzes widmen –hierüber ist bereits viel, möglicherweise sogar fast zu viel geschrieben worden5 . Der B<strong>und</strong>espräsident zieht bereits seit seiner „Entstehung“ besonderesInteresse auf sich, was nicht zuletzt an gesteigerter Ehrfurcht diesem Amt gegenüberliegt. Verfassungsrechtlich <strong>und</strong> machtpolitisch ist seine Rolle aber –bspw. der B<strong>und</strong>eskanzlerin gegenüber – wenig interessant.In Hinblick auf den B<strong>und</strong>espräsidenten werden meist folgende verfassungsrechtlicheFragen erörtert: Wann darf der B<strong>und</strong>espräsident auf Vorschlag desB<strong>und</strong>eskanzlers den B<strong>und</strong>estag auflösen (Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG) 6 ? Ist eineVolkswahl des B<strong>und</strong>espräsidenten aus dem Gr<strong>und</strong>gesetz heraus möglich oderwünschenswert 7 ? Hat der B<strong>und</strong>espräsident formelle <strong>und</strong> materielle Prüfungskompetenzin Hinblick auf ein Gesetz 8 ? Eine kleinere Kontroverse tat sich voreinigen Jahrzehnten zum Wahlverfahren auf 9 . Besonders die Frage nach einerformellen <strong>und</strong> materiellen „Auflösungslage“ des B<strong>und</strong>estages sowie nach formeller<strong>und</strong> materieller Prüfungskompetenz des B<strong>und</strong>espräsidenten erscheinenprüfungsrelevant. Gerade diesen Fragen möchten wir uns aber nicht erneutzuwenden. Vielmehr soll es um Einzelfragen gehen, die sich beim Wech-sel „von Köhler zu Wulff “ ergeben konnten:• Angesichts eines Rücktritts eines B<strong>und</strong>espräsidenten mit „sofortiger Wirkung“muss näher erörtert werden: Kann der B<strong>und</strong>espräsident zurücktreten– <strong>und</strong> wie?• Da Christian Wulff bei seiner Vereidigung am 2. Juli 2010 in einem ersten„Versuch“ den Amtseid nach Art. 56 GG nicht korrekt dem Wortlaut gemäßleistete, stellt sich die Frage: Wie wirkt sich die Umformulierung des Amtseidesverfassungsrechtlich aus?• Christian Wulff hatte bei seiner Kandidatur (anfänglich) noch ein Regierungsamtinne <strong>und</strong> blieb Abgeordneter eines Landtages – Wann muss dergewählte bzw. zu wählende B<strong>und</strong>espräsident nach Art. 55 Abs. 1 GG vondiesen Ämtern zurücktreten <strong>und</strong> wie wirkt sich eine Nichtbefolgung verfassungsrechtlichaus?• Wäre ein „Comeback“ von Horst Köhler verfassungsrechtlich möglich?• Hätte Horst Köhler seine umstrittenen Äußerungen zu Auslandseinsätzen derB<strong>und</strong>eswehr 10 mit der B<strong>und</strong>esregierung abstimmen müssen (Art. 58 GG)?B. DER RÜCKTRITT DES BUNDESPRÄSIDENTENBereits die Verfassungspraxis zeigt an den Beispielen Lübke <strong>und</strong> Köhler, dassder Rücktritt eines B<strong>und</strong>espräsidenten ohne weiteres möglich ist. Das ist nichtbei allen Verfassungsorganen der Fall: Anderes gilt zum Beispiel für B<strong>und</strong>esminister,die gemäß Art. 64 Abs. 1 GG „auf Vorschlag des B<strong>und</strong>eskanzlersvom B<strong>und</strong>espräsidenten ernannt <strong>und</strong> entlassen“ werden. Beim Rücktritt einesB<strong>und</strong>esministers müssen demnach stets die „Zwischeninstanzen“ B<strong>und</strong>espräsident<strong>und</strong> B<strong>und</strong>eskanzler beachtet werden. Ansonsten bleibt der Minister imAmt. Nach § 9 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BMinG ist vorgesehen, dass die B<strong>und</strong>esministerihre Entlassung (durch den B<strong>und</strong>espräsidenten) jederzeit verlangen können.Da hierbei der B<strong>und</strong>eskanzler nicht eingeschaltet wird, ist die Verfassungsmäßigkeitdieser Vorschrift strittig 11 . Meines Erachtens wird hier dasKanzlerprinzip unzulässig außer Acht gelassen, weshalb die Vorschrift verfassungswidrigsein dürfte.Der Rücktritt des B<strong>und</strong>espräsidenten ist im Gr<strong>und</strong>gesetz nicht vorgesehenbzw. nicht ausdrücklich normiert. Ein Hinweis findet sich nur in Art. 54 Abs.4 S. 1 2. Alt. GG, wo von „vorzeitiger Beendigung“ der Amtszeit des B<strong>und</strong>espräsidentendie Rede ist. In § 51 1. Var. BVerfGG wird auf einfachgesetzlicherEbene der Rücktritt des B<strong>und</strong>espräsidenten ausdrücklich vorausgesetzt. <strong>Die</strong>seVorschrift geht mit dem Gr<strong>und</strong>gesetz konform. Der Rücktritt des B<strong>und</strong>espräsidentenist eine Selbstverständlichkeit 12 , die dem B<strong>und</strong>espräsidenten nachganz h. M. offen steht 13 . Wird der Rücktritt in der Literatur nicht erwähnt, sowird er wohl stillschweigend für möglich gehalten, zumindest gibt es keineentgegenstehende Auffassung. Ein Argument für eine solche ergäbe sich auchnicht aus der Stellung des B<strong>und</strong>espräsidenten im Gr<strong>und</strong>gesetz als „pouvoirneutre“. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass auch im Hauptausschussdes Parlamentarischen Rates der Rücktritt des B<strong>und</strong>espräsidenten ausdrücklichfür möglich gehalten wurde. So lautete eine Fassung von Art. 79Abs. 1 aufgr<strong>und</strong> einer Vorlage des Organisationsausschusses: „Der B<strong>und</strong>es-140<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010


Ausbildungpräsident wird im Falle seiner Verhinderung (...). Das gleiche gilt für dieeinstweilige Vertretung beim Rücktritt des B<strong>und</strong>espräsidenten oder bei sonstigervorzeitiger Erledigung des Amtes.“ 14despräsidenten geleistet werden. Ein Verstoß gegen diese Verfassungspflichtist kein bloßer Verstoß gegen eine Ordnungsvorschrift, er kann einschneidenderechtliche Folgen haben.So sehr der Rücktritt des B<strong>und</strong>espräsidenten einhellig angenommen wird,stellt sich die Frage, wie dieser zu erfolgen hat. Auch hierzu gibt es keine Vorschriftenim Gr<strong>und</strong>gesetz oder den einfachen Gesetzen. Der B<strong>und</strong>espräsidentkann sich nicht selbst „entlassen“, daher hat der Rücktritt durch Erklärung zuerfolgen. <strong>Die</strong>se Rücktrittserklärung ist empfangsbedürftig. Fraglich ist also,wem diese Erklärung zugehen muss, damit der B<strong>und</strong>espräsident seinen Rücktritterklärt hat. Bei Horst Köhler stellte sich dieses Problem erst gar nicht, daer nach eigener Aussage bereits die wichtigsten Verfassungsorgane informierthatte 15 <strong>und</strong> allein schon durch seine Erklärung vor der Presse seine Entscheidunginnerhalb weniger Minuten b<strong>und</strong>esweit bekannt wurde. Gleichwohlwollen wir dem verfassungsrechtlichen Kern dieser Frage auf den Gr<strong>und</strong> gehen.Für die Annahme der Rücktrittserklärung steht der B<strong>und</strong>espräsident selbstnicht zur Verfügung, er ist Urheber <strong>und</strong> nicht Adressat. Nach der actus- contrarius-Theorie sollte man davon ausgehen, dass für einen Rücktritt wiederdie B<strong>und</strong>esversammlung zuständig sei. Da dieses Verfassungsorgan (Art. 54Abs. 1 S. 1, Abs. 3 GG) allerdings nicht ständig besteht, wird man auf den Präsidentendes B<strong>und</strong>estages als den „geborenen Präsidenten der B<strong>und</strong>esversammlung“16 abstellen (Art. 54 Abs. 4 S. 2, Abs. 7 GG iVm § 8 BPräsWahlG).Da bereits die Annahmeerklärung dem B<strong>und</strong>estagspräsidenten gegenüber zuerfolgen hat (§ 10 BPräsWahlG), könnte man dies nach der actus- contrarius-Theorie auch auf die Rücktrittserklärung beziehen. In der Literatur gibt esebenfalls die Ansicht, dass die Erklärung sowohl dem Präsidenten des B<strong>und</strong>estagsals auch dem Präsidenten des B<strong>und</strong>esrats gegenüber zu erfolgen hat 17 .<strong>Die</strong>s ist wohl der Regelung gezollt, dass der Präsident des B<strong>und</strong>esrats bei vorzeitigerErledigung des Amtes die Befugnisse des B<strong>und</strong>espräsidenten wahrnimmt(Art. 57 GG). Eine andere Ansicht geht davon aus, dass der Rücktrittdurch amtliche Veröffentlichung zu erfolgen habe 18 . <strong>Die</strong>s dürfte mit dem Geschehenum Heinrich Lübke zusammenhängen, der seine Rücktrittserklärungam 14. Oktober 1968 ebenfalls amtlich veröffentlichte 19 . Eine solche Veröffentlichungist aber wohl zu unverbindlich <strong>und</strong> führt möglicherweise zu einemverfassungsrechtlichen Streit 20 . Man wird daher wohl der h. M. folgen,dass der B<strong>und</strong>estagspräsident den zuständigen Erklärungsempfänger darstelle21 . Der Eingang der Rücktrittserklärung beim Präsidenten des B<strong>und</strong>estagesist konstitutive Gültigkeitsvoraussetzung des Rücktritts <strong>und</strong> stellt das„formelle Minimum“ 22 dar. Eine andere Frage ist die der Höflichkeit <strong>und</strong> Courtoise.Danach wird der B<strong>und</strong>espräsident ohnehin die wichtigsten Verfassungsorganeverständigen <strong>und</strong> möglicherweise sogar befragen. Erst danachwürde er mit seinem Rücktritt an die Öffentlichkeit gehen 23 . So ist es auch imFall von Horst Köhler geschehen, sodass sich hier kein verfassungsrechtlichesProblem auftat.C. DER AMTSEID DES BUNDESPRÄSIDENTENNach Art. 56 GG leistet der B<strong>und</strong>espräsident bei seinem Amtsantritt vor denversammelten Mitgliedern des B<strong>und</strong>estages <strong>und</strong> des B<strong>und</strong>esrates einen Amtseid.Der Amtseid hat keine besondere rechtliche Bedeutung für die Befugnisse<strong>und</strong> die Amtsführung des B<strong>und</strong>espräsidenten. Er muss aber vom Bun-1Erklärung am 31. Mai 2010: http://b<strong>und</strong>espraesident.de/-,2.664352/Erklaerung-von-B<strong>und</strong>espraesiden.htm.2Vgl. http://www.welt.de/politik/deutschland/article7862004/Als-Luebkeden-Koehler-machte.html.3http://www.abendblatt.de/politik/article1514896/Der-Ruecktritt-von-Horst-Koehler-<strong>und</strong>-die-Neuwahlen-von-Christian-Wulff.html.4Herzog, in: Maunz/ Dürig, GG, Bd. IV, Art. 54 Rn. 52 (2009) spricht voneinem „pathologischen“ Zustand.5VVDStRL 25 (1967), 2ff.; 85 Fn. 240 mWn; vgl. auch die Ausführungen inden einschlägigen Handbüchern <strong>und</strong> Kommentaren.6Dazu BVerfGE 62, 1; 114, 121.7Dazu Fromme, RuP 2004, 18ff; Seltenreich, KritJ 1995, 238ff; Wellkamp,BayVBl. 2002, 267ff; J. Ipsen, FS H.-P. Schneider, 2008, 197ff; Winter, DerB<strong>und</strong>espräsident – Legitimation durch das Volk, 2008.8Brenner, in: v. Mangoldt/ Klein/ Starck, GG, Bd. II, 5. Aufl., Art. 82 Rn.20ff; Rau, DVBl. 2004, 1ff; Schlaich, in: HStR, Bd. II, 2. Aufl., § 49 Rn. 22ff.9Dazu Jülich, DÖV 1969, 92ff; Anders, DÖV 1970, 253ff.10http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/interview/1188780/.11Dafür Pieroth, in: Jarass/ Pieroth, GG, 10. Aufl., Art. 64 Rn. 3; Meyn, in:v. Münch/ Kunig, Bd. II, 5. Aufl., Art. 64 Rn. 10; Stern, Staatsrecht II, 1980,295f; differenzierend Busse, in: Friauf/ Höfling, Berliner Komm. GG, Art.64 Rn. 22; Uhle, in: Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/ Hopfauf, GG, 11. Aufl.,Art. 64 Rn. 23; aA Hermes, in: Dreier, GG, Bd. II, 2. Aufl., Art. 64 Rn. 30;Herzog, in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 64 Rn. 51.12Herzog, in: Maunz/ Dürig, GG, Bd. IV, Art. 54 Rn. 59 (2009); Waldhoff/Grefrath, in: Friauf/ Höfling, Berliner Komm. GG, Art. 54 Rn. 88 beziehtdiese Selbstverständlichkeit auf die eines säkularen Amtes auf Zeit, im Gegensatzzu kirchlichen Ämtern wie das des Papstes. Bei einem B<strong>und</strong>esministertrifft dies aber nur, wie gezeigt, begrenzt zu.13Hemmrich, in: v. Münch/ Kunig, GG, Bd. II, 5. Aufl., Art. 54 Rn. 8; Pieroth,in: Jarass/ Pieroth, GG, 10. Aufl., Art. 54 Rn. 3; Nierhaus, in: Sachs,GG, 5. Aufl., Art. 54 Rn. 20; Pernice, in: Dreier, GG, Bd. II, 2. Aufl., Art. 54Rn. 38; Waldhoff/ Grefrath, in: Friauf/ Höfling, Berliner Komm. GG, Art.54 Rn. 88; Herzog, in: Maunz/ Dürig, GG, Bd. IV, Art. 54 Rn. 59 (2009);Stern, Staatsrecht II, 1980, 209; Müller, in: Model/ Müller, GG, 11. Aufl.,Art. 54 Rn. 3; Fink, in: v. Mangoldt/ Klein/ Starck, GG, Bd. II, 5. Aufl., Art.54 Rn. 27; Butzer, in: Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/ Hopfauf, GG, 11. Aufl.,Art. 54 Rn. 86; 93f; Umbach, in: Clemens/ Umbach, GG, Bd. II, Art. 54 Rn.44; Nettesheim, in: HStR, Bd. III, 3. Aufl., § 61 Rn. 50; Fritz, in: BonnerKomm. GG, Art. 54 Rn 163 (2001); Domgörgen, in: Hömig, GG, 9. Aufl.,Art. 54 Rn. 2; Pieper, in: Eppig/ Hillgruber, GG, Art. 54 Rn. 20; Jekewitz, in:AK GG, Bd. II, Art. 54 Rn. 7; Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/ Klein, GG,10. Aufl., Art. 54 Rn. 9. Brockmeyer spricht von „Verzicht“ auf das Amt, wovonangesichts des Wahlamtes des B<strong>und</strong>espräsidenten abzuraten ist.14Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses Bonn 1948 /1949, 122.15http://b<strong>und</strong>espraesident.de/-,2.664352/Erklaerung-von-B<strong>und</strong>espraesiden.htm: „Ich habe Herrn Bürgermeister Böhrnsen über meine Entscheidung telefonischunterrichtet, desgleichen den Herrn Präsidenten des DeutschenB<strong>und</strong>estages, die Frau B<strong>und</strong>eskanzlerin, den Herrn Präsidenten des B<strong>und</strong>esverfassungsgerichts<strong>und</strong> den Herrn Vizekanzler.“16Herzog, aaO, Art. 54 Rn. 59. Hier sei auf den Gr<strong>und</strong>satz „nasciturus proiam nato habetur“ verwiesen, der hier Anwendung findet.17Brockmeyer, aaO, Art. 54 Rn. 9; Jülich, <strong>Die</strong> Wahl des B<strong>und</strong>espräsidenten,DÖV 1969, 92ff. (96 mit Fn. 58). Jülich spricht sich für die beiden Personenals Repräsentanten der B<strong>und</strong>esversammlung aus; der Präsident des B<strong>und</strong>esratesstelle das „föderative Element der B<strong>und</strong>esversammlung“ dar.18Kimminich, in: Bonner Komm. GG, Art. 54 Rn. 34 (1968); in die Richtung:Umbach, aaO, Art. 54 Rn. 44.19Erklärung im Bulletin der B<strong>und</strong>esregierung vom 14. 10. 1968, 1131.20Fritz, in: Bonner Komm. GG, Art. 54 Rn. 163 (2001).21Schlaich, in: HStR, Bd. II, 2. Aufl., § 48 Rn. 15 m. Fn. 28; Herzog, aaO, Art.54 Rn. 59 (2009); Waldhoff/ Grefrath, aaO, Art. 54 Rn. 88; Fritz, aaO, Art. 54Rn. 163; offen Fink, aaO, Art. 54 Rn. 27; Butzer, aaO, Art. 54 Rn. 94.22Fritz, aaO, Art. 54 Rn. 163.23Butzer, aaO, Art. 54 Rn. 94 spricht vom BTagsPräs, BRatsPräs, B<strong>und</strong>eskanzler<strong>und</strong> dem PräsBVerfG.<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010141


AusbildungDaher stellt sich die Frage nach dem Wortlaut des Amtseides als besondersbedeutend dar, da bereits eine Verfälschung der Eidesformel als Eidesverweigerungausgelegt werden könnte. Der Wortlaut ist im Gr<strong>und</strong>gesetz klar mitArt. 56 S. 2, 3 festgelegt. Art. 54 S. 4 GG stellt die religiöse Beteuerung (Art. 54S. 3 GG: „So wahr mir Gott helfe.“) der Disposition des B<strong>und</strong>espräsidentenanheim; diese ausdrückliche Ausnahme spricht aber auch dafür, dass der restlicheWortlaut des Amtseides obligatorisch <strong>und</strong> unverrückbar ist 24 .Auch die Worte „Ich schwöre“ haben eine verfassungsrechtliche Diskussionum Art. 4 Abs. 1 GG, Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 IV WRV <strong>und</strong> den Eideszwangausgelöst. In Abwägung mit der Religionsfreiheit <strong>und</strong> dem Verbot, zueiner religiösen Eidesform gezwungen zu werden spricht sich eine Ansichtdafür aus, dass die Worte „Ich schwöre“ durch nichtreligiöse Formeln ersetztwerden können 25 . Dagegen sprechen aber gewichtige Argumente, darunterder Wortlaut des Art. 56 GG, der als Schranke von Art. 4 Abs. 1 <strong>und</strong> Art. 140GG i. V. m. Art. 136 I WRV gelten kann. <strong>Die</strong> Formel „Ich schwöre“ muss nochnicht einmal als religiös ausgelegt werden 26 . Das BVerfG hält ebenso am Wortlaut„Ich schwöre“ fest: „<strong>Die</strong>se Verpflichtungen erwachsen aus dem freiwilliggefassten Entschluss, die Wahl in das Amt eines Verfassungsorgans anzunehmen,in dem der Staat in besonders ausgeprägter Weise unmittelbar zu repräsentierenist <strong>und</strong> das deshalb gr<strong>und</strong>sätzlich die vollkommene Identifizierungdes Gewählten mit den in der Verfassung niedergelegten Wertungen voraussetzt.“27 <strong>Die</strong>sen Ausführungen ist zuzustimmen. Der Amtseid muss mit dereindringlichen Formel „Ich schwöre“ geleistet werden, um seinem eigenenAnspruch gerecht zu werden.Bei Christian Wulff stellte sich diese Frage gar nicht. Bei seiner Vereidigungam 2. Juli 2010 sprach er in einem ersten „Anlauf “ zur Eidesleistung: „Ichschwöre, das meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes ...“. <strong>Die</strong>se Formulierungentsprach nicht dem Wortlaut des Art. 56 S. 2 GG, sodass hier ein Verfassungsverstoßvorgelegen hätte, sofern nicht Christian Wulff, wie auch sofortgeschehen, die Eidesleistung in korrekter Weise erneut vollzogen hätte.Eine Abänderung des Wortlautes wird nämlich auch im Übrigen nicht gestattet28 . Dass geringfügige Abänderungen oder Ergänzungen zur Verstärkungdes Wortlautes zulässig sein sollen, bleibt die umstrittene Mindermeinung 29 ,die den Wortlaut des Art. 56 GG in unzulässiger Weise überschritten hat.Ein Verstoß gegen den obligatorischen Wortlaut des Art. 56 S. 2 GG steht damiteiner Verweigerung des Amtseides gleich. <strong>Die</strong>se würde aber nicht denAmtsverzicht implizieren 30 . Der B<strong>und</strong>espräsident tritt bereits mit Annahmeder Wahl <strong>und</strong> nach Erledigung der Amtszeit seines Vorgängers (§ 10 BPräs-WahlG) sein Amt an, ab dann besteht die Pflicht den Amtseid zu leisten. <strong>Die</strong>Verweigerung stellt kein Hindernis für den Amtsantritt dar, weshalb eineNeuwahl des B<strong>und</strong>espräsidenten zu erfolgen hätte 31 . Vielmehr stellt die Verfälschungdes Wortlautes bzw. die Verweigerung des Amtseides einen bloßenVerfassungsverstoß dar, aufgr<strong>und</strong> dessen der B<strong>und</strong>espräsident nach Art. 61(„vorsätzliche Verletzung des Gr<strong>und</strong>gesetzes“) vor dem BVerfG angeklagtwerden könnte 32 . Ein Organstreit nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG wäre möglicherweiseeleganter, könnte aber im Falle einer tatsächlichen Eidesverweigerungzu dem bloß deklaratorischen Ergebnis kommen, dass der B<strong>und</strong>espräsidentden Eid in der obligatorisch vorgeschriebenen Form zu leisten habe. Effektiverwäre in diesem Notfall die Präsidentenanklage, die zur Amtsenthebung(Art. 61 Abs. 2 S. 1 GG) führen würde. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitwäre hier abzuwägen, wie schwer die Verweigerung trifft, sei es ein bloßerVersprecher, eine Umformulierung oder eine generelle Verweigerung des Eides.Bei einem Versprecher wird das BVerfG den B<strong>und</strong>espräsidenten wohlkaum für seines Amtes verlustig erklären. <strong>Die</strong>s würde dem Sinn des Art. 56GG bereits nicht gerecht. Außerdem dürfte in dem Falle der nach Art. 61 GGerforderlichen Vorsatz fehlen. Bei einem Versprecher würde sich das Problemin der Regel so lösen, dass der B<strong>und</strong>espräsident den Amtseid einmal korrektvollzieht. Bei Christian Wulff ist dies geschehen, sodass sich hier keine rechtlichenFolgen ergeben.D. EIN „COMEBACK“ VON HORST KÖHLER?Eine bloß theoretische Überlegung ist es wert, ob Horst Köhler nach ChristianWulff ein „Comeback“ erleben könnte. Gemäß Art. 54 Abs. 2 S. 2 GG isteine anschließende Wiederwahl eines B<strong>und</strong>espräsidenten nur einmal zulässig.<strong>Die</strong>s trägt dem Amt des B<strong>und</strong>espräsidenten Rechnung, dessen Einflussauf das politische Geschehen nicht zu lange andauern soll. Im B<strong>und</strong>espräsidentsoll kein „quasi-monarchisches“ Element oder ein „Wahlkaiser“ wiedererstehen.In der Geschichte wurde diese Grenze bisher immer anerkannt,wenn sich auch bei Theodor Heuss die Frage nach einer Verfassungsänderungihm „zu Ehren“ stellte, was er eher ablehnte, aber nicht abschließend verwarf.Dem Wortlaut des Art. 54 Abs. 2 S. 2 GG („anschließende Wiederwahl“) entsprichtes, dass eine dritte Wiederwahl zulässig wäre, sofern dazwischen eineWahlperiode eines anderen B<strong>und</strong>espräsidenten liegt 33 . Fraglich ist dabei aber,wie lange dieses „Intermezzo“ dauern muss. Der Wortlaut des Art. 54 Abs. 2 S.2 GG spricht von „anschließender Wiederwahl“. Demnach müsste das „Intermezzo“eines anderen B<strong>und</strong>espräsidenten nicht zwingend fünf Jahre dauern 34 .Dagegen steht möglicherweise das Telos des Art. 54 Abs. 2 S. 2 GG, der zumindesteine gewisse Zeitspanne vor einer dritten Neuwahl vorsieht. Zumindestsoll ein Missbrauch des Amtes verhindert werden. Das wäre beispielsweisedann der Fall, wenn ein B<strong>und</strong>espräsident bloß pro forma gewählt würde,um das Amt anschließend wieder „freizumachen“. Hierbei kommt es auf ein„von vornherein geplantes eindeutiges Unterlaufen“ des Verfassungsgebotesan 35 . Vom Missbrauchsverbot wäre dann nicht umfasst, dass ein B<strong>und</strong>espräsidentbereits vor Ende seiner Amtszeit zurücktritt <strong>und</strong> damit indirekt, ohnedass dies geplant wurde, den Weg für eine dritte Wiederwahl seines Amtsvorgängersfreimacht. Ansonsten könnte durch vorherigen Rücktritt jederzeitder Weg für eine Wiederwahl verhindert werden. Das ist aber nicht der Sinnvon Art. 54 GG. Damit gibt es keine Anforderungen an die Dauer des „Intermezzo“,abgesehen vom Missbrauchsverbot.E. INKOMPATIBILITÄTSREGELUNGENNach Art. 55 Abs. 1 GG darf der B<strong>und</strong>espräsident weder ein Regierungsmandatnoch ein Mandat in einer gesetzgebenden Körperschaft von B<strong>und</strong> oderLand innehaben. <strong>Die</strong>se Inkompatibilitätsregelung gilt für den B<strong>und</strong>espräsidentennach Amtsantritt 36 . Bei Christian Wulff konnte der Amtsantritt nichtunmittelbar nachfolgend an Horst Köhler erfolgen, da – überraschenderweise– erst ein Nachfolger gewählt werden musste. Der Amtsantritt erfolgte durchAnnahmeerklärung dem B<strong>und</strong>estagspräsidenten gegenüber (§ 10 BPräs-WahlG). Ab diesem Zeitpunkt, dem 30. Juni 2010, galten auch die Unvereinbarkeitsregelungendes Art. 55 Abs. 1 GG. Ob ein Kandidat für das Amt desB<strong>und</strong>espräsidenten bereits vor seiner Wahl auf Ämter verzichten müsse, ist142<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010


Ausbildungeine Frage des Stils 37 , laut BVerfG aber keine Frage der Verfassung 38 . Hier istGernot Fritz beizupflichten: „Niemand ist gezwungen, schon mit der Kandidaturdie späteren Erfordernisse im Amt zu antizipieren <strong>und</strong> möglicherweisetiefgreifende politische oder berufliche Dispositionen zu treffen. (...) Art. 55verpflichtet erst den amtierenden B<strong>und</strong>espräsidenten <strong>und</strong> nicht den Amtsanwärter“39 Dass bereits Regierungsämter vor der Wahl zum B<strong>und</strong>espräsidentenaufgegeben werden, ist auch nicht gängige Verfassungspraxis – man vergleicheden Fall Johannes Rau (SPD), der nicht in der B<strong>und</strong>esversammlung gewähltwurde <strong>und</strong> als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen nach Düsseldorfzurückkehrte. Von Christian Wulff war dies auch nicht zu fordern 40 .Nach erfolgter Wahl sind allerdings alle erforderlichen Schritte zu treffen, umdie Inkompatibilitätsvorschriften nicht zu verletzen. Zwischen Wahl <strong>und</strong> Annahme(<strong>und</strong> damit – zumindest bei Christian Wulff – Amtsantritt) bleibennach § 9 Abs. 4 BPräsWahlG genau zwei Tage, binnen derer der Gewähltefortbestehende Kollisionen ausräumen kann. Da Christian Wulff den Verzichtseines Landtagsmandates in diesem Rahmen mangels Sitzungen desLandtages nicht hätte erklären können, gab er dieses bereits am 11. Juni 2010auf. Der Rücktritt vom Amt des Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsenerfolgte am 30. Juni 2010 unmittelbar nach der Wahl zum B<strong>und</strong>espräsidentenvor dem niedersächsischen Landtagspräsidenten, wodurch die Regelungdes Art. 55 Abs. 1 GG gleich eingehalten werden konnte <strong>und</strong> eine sofortigeAnnahme der Wahl möglich wurde.F. GEGENZEICHNUNGSPFLICHT FÜR REDENEin beliebtes Problem stellt die Frage dar, ob sich die Gegenzeichnungspflichtdes Art. 58 GG („Anordnungen <strong>und</strong> Verfügungen des B<strong>und</strong>espräsidenten“)auch auf Reden bezieht. Hier beschränken wir uns auf innenpolitische Reden,da die Gegenzeichnungspflicht bei außenpolitischen Reden des B<strong>und</strong>espräsidenten,denen eindeutig höhere politische Relevanz zugemessen wird, ohnehinmeist angenommen wird 41 . Bei den umstrittenen Äußerungen von HorstKöhler handelte es sich um ein Interview im Inland, das auch nur im Inlanderwartungsgemäß rezipiert wurde. Das Gespräch stellt indes keine privatenÄußerungen dar 42 , sondern eindeutig politische mit politischer Außenwirkung.<strong>Die</strong> Frage, ob auch Reden von Art. 58 GG erfasst sein könnten, findet ihrengeschichtlichen Ursprung im oft ungeschickten Umgang von Kaiser WilhelmII. mit dem Instrument der politischen Rede, wodurch es z. B. zur Daily Telegraph-Affäre kam. <strong>Die</strong>se Erfahrung führte dazu, dass Art. 50 Abs. 1 WRV(„Alle Anordnungen <strong>und</strong> Verfügungen des Reichspräsidenten, auch solcheauf dem Gebiete der Wehrmacht, bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnungdurch den Reichskanzler oder den zuständigen Reichsminister.Durch die Gegenzeichnung wird die Verantwortung übernommen.“) auchauf Reden bezogen wurde 43 . Dass Art. 58 GG aber auch für politische Redendes B<strong>und</strong>espräsidenten gelten soll, erscheint höchst zweifelhaft 44 Eine solcheGegenzeichnung wäre überhaupt nicht für jede Rede oder jedes Interview realisierbar,da nicht alles seine Relevanz im vorhinein offenbart <strong>und</strong> nicht jedespontane Äußerung im vorhinein gebilligt werden kann. So verhielt es sichauch bei Horst Köhler – die Äußerungen erhielten erst später ihre politischeBrisanz. Außerdem passt die Rechtsfolge des Art. 58 GG („ungültig“) überhauptnicht. Im Gegensatz zu 1918 hat sich auch die politische Umgebungverändert: <strong>Die</strong> politische Reaktion auf eine missglückte Rede des B<strong>und</strong>espräsidenten(ehemalig des Reichspräsidenten) ist nicht mehr, dass das Kabinettgleich zurücktritt. Der B<strong>und</strong>espräsident ist eben nicht der Reichspräsident.Zuletzt würde eine ständige Gegenzeichnung den B<strong>und</strong>espräsident überhauptentbehrlich machen. Seine Integrationsfunktion, seine Individualität <strong>und</strong> Unabhängigkeitvon der Regierung würde gänzlich entschwinden. Bei HorstKöhler war dies gerade nicht so; deshalb führt auch seine Rede nicht zurÜbernahme von Verantwortung durch die B<strong>und</strong>esregierung. Der Rücktrittmit „sofortiger Wirkung“ läutet aber auch Veränderungen in der Sichtweisedes B<strong>und</strong>espräsidenten <strong>und</strong> seiner Stellung im Verfassungsgefüge des Gr<strong>und</strong>gesetzes<strong>und</strong> in der Öffentlichkeit ein. <strong>Die</strong>se Entwicklung ist meines Erachtensals höchst bedenklich einzustufen.24So auch Butzer, aaO, Art. 56 Rn. 13; Domgörgen, aaO, Art. 56.25Hemmrich, aaO, Art. 56 Rn. 9; Pernice, aaO, Art. 56 Rn. 10; Umbach,aaO, Art. 56 Rn. 27; Bahlmann, Der Eideszwang als verfassungsrechtlichesProblem, in: Ehmke, FS Adolf Arndt, 1969, 37ff. (45ff.); Fritz, aaO, Rn. 24spricht sich dafür aus, dass eine Nichtbenutzung von „Ich schwöre“ aufgr<strong>und</strong>des Verhältnismäßigkeitsgr<strong>und</strong>satzes zumindest nicht zur Entfernungaus dem Amt (Art. 61 GG) führen könne.26Waldhoff/ Grefrath, aaO, Art. 56 Rn. 4.27BVerfGE 33,23 (31). Zustimmend: Fink, aaO, Art. 56 Rn. 9ff; Herzog,aaO, Art. 56 Rn. 24; Nierhaus, aaO, Art. 56 Rn. 5.28Nettesheim, aaO, § 61 Rn. 55 (gegen „angebliche Verstärkungen oder Bekräftigungen“);Herzog, aaO, Art. 56 Rn. 24; Nierhaus, aaO, Art. 56 Rn. 4;Hemmrich, aaO, Art. 56 Rn. 4.29Fink, aaO, Art. 56 Rn. 19 mwN; Pernice, aaO, Art. 56 Rn. 10.30Butzer, aaO, Art. 56 Rn. 23; Brockmeyer, aaO, Art. 56 Rn. 6.31So aber Müller, aaO, Art. 56; dagegen argumentierend Butzer, aaO, Art.56 Rn. 23.32Stern, aaO, 208; Butzer, ebd.; Pieroth, aaO, Art. 56 Rn. 1; Herzog, aaO, Art.56 Rn. 12f; Hemmrich, aaO, Art. 56 Rn. 2; Nettesheim, aaO, § 61 Rn. 55.33Butzer, aaO, Art. 54 Rn. 97; Fink, aaO, Art. 54 Rn. 33; Hemmrich, aaO,Art. 54 Rn. 9; Fritz, aaO, Art. 54 Rn. 153; Herzog, aaO, Art. 54 Rn. 21; Nierhaus,aaO, Art. 54 Rn. 21; Pernice, aaO, Art. 54 Rn. 33; Stern, aaO, 186;Umbach, aaO, Art. 54 Rn. 50; Brockmeyer, aaO, Art. 54 Rn. 9; zweifelndaufgr<strong>und</strong> der Stellung des B<strong>und</strong>espräsidenten Kimminich, aaO, Art. 54 Rn.36 (1968); gegen eine dritte Wiederwahl: Jekewitz, aaO, Art. 54 Rn. 8(„sprachlich verunglückte doppelte Einschränkung“). Gegen Jekewitzspricht allerdings der Wortlaut des Art. 54 GG de lege lata.34So auch Butzer, aaO, Art. 54 Rn. 98; Herzog, aaO, Art. 54 Rn. 21; Nierhaus,aaO, Art. 54 Rn. 21.35Herzog, aaO, Art. 54 Rn. 21; ebenso Fink, aaO, Art. 54 Rn. 33; Butzer,aaO, Art. 54 Rn. 98.36Fritz, aaO, Art. 55 Rn. 8; Hemmrich, aaO, Art. 55 Rn. 6; Pernice, aaO, Art.55 Rn. 9; Nierhaus, aaO, Art. 55 Rn. 5; Jekewitz, aaO, Art. 55 Rn. 9.37Fritz, aaO, Art. 55 Rn. 12.38BVerfGE 89, 359 (362).39Fritz, aaO, Art. 55 Rn. 8; Rn. 12.40So weit ging aber der Vorsitzende der SPD-B<strong>und</strong>estagsfraktion Steinmeier,vgl. http://www.haz.de/Nachrichten/Politik/Deutschland-Welt/Steinmeier-fordert-von-Wulff-auch-Ruecktritt-als-Ministerpraesident; füreine freiwillige Aufgabe im vorhinein: Stern, aaO, § 30 II 4c.41Schlaich, in: HStR II, 2. Aufl., § 49 Rn. 71; Fritz, aaO, Art. 54 Rn. 117f.;Gehrlein, DÖV 2007, 280 (282); dagegen Streinz, in: Sachs, GG, 5. Aufl.,Art. 59 Rn. 17 mwN (Pflichten ergeben sich hier nicht aus Art. 58 GG, wohlaber aus der Organtreue).42Hierfür würde Art. 58 GG nicht gelten (Herzog, aaO, Art. 58 Rn. 49).43Vgl. Maurer, in: FS Carstens, Bd. II, 1984, 714f.44Herzog, aaO, Art. 58 Rn. 50ff; ders., in: FS G. Müller, 1970, 134ff; Schenke,Verfassungsorgantreue, 1977, 62ff; Nierhaus, Entscheidung, Präsidialakt<strong>und</strong> Gegenzeichnung, 1973, 175ff; Pernice, aaO, Art. 58 Rn. 10; Nettesheim,aaO, § 62 Rn. 32; Butzer, aaO, Art. 58 Rn. 22; aA Hemmrich, aaO,Art. 58 Rn. 4; vermittelnd Fink, aaO, Art. 58 Rn. 63ff.<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010143


SchwerpunkteEuropäische Bestrebungen zur Abschaffung eines umfassendenWerbeverbots für Arzneimittelvon Sabrina Neuendorf (Universität Bremen)Sabrina Neuendorf, Jahrgang 1984, <strong>stud</strong>ierte von 2004 bis2009 an den Universitäten in Frankfurt/Oder <strong>und</strong> Bremen<strong>und</strong> absolvierte ihr 1. Staatsexamen Anfang 2010. Seit2010 ist sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhlvon Prof. Dr. Buchner, Professor für Bürgerliches Recht,Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Medizinrecht, an der Universität Brementätig.A. EINLEITUNGDas Arzneimittel ist „...für den Hersteller ein anspruchsvolles Markterzeugnis,für den Apotheker eine Handelsware..., für den Arzt als Medikament einunerlässliches Attribut seiner Tätigkeit, für den Patienten ein Heilmittel, vondem er Wohlergehen <strong>und</strong> langes Leben erwartet, für den Pharmakologen einechemische Substanz mit spezifischer nützlicher Wirkung <strong>und</strong> für den Toxikologenein Fremdstoff, der potentiell giftig ist.“ 1So unterschiedlich die Ansichten zu Arzneimitteln selbst sind, so verschiedenist auch die Einstellung zur Werbung für verschreibungspflichtige ArzneimittelZum Schutz der Patienten vor übertriebenen, falschen <strong>und</strong> irreführendenInformationen hat sich in jahrzehntelanger Entwicklung unter Einfluss derEU in Deutschland ein strenges Werbeverbot etabliert, das jegliche Äußerungender Pharmafirmen zu verschreibungspflichtigen Medikamenten außerhalbder Beipackzettel verbietet. Doch der Wandel des Bildes des Patienten/Verbrauchers vom schutzwürdigen hin zum aufgeklärten, selbstverantwortlichenIndividuum hat dazu geführt, dass die Europäische Kommission seit2001 eine Initiative vorantreibt, die eine Novellierung des Arzneimittelwerberechtsvorsieht. Sie will das strenge Werbeverbot auflockern. Pharmafirmensollen demnach bei Bestehen bleiben des Werbeverbots die Möglichkeit bekommen,Informationen direkt an Patienten weiterzugeben. Über diese Vorschlägeist eine Diskussion entbrannt, in der Befürworter <strong>und</strong> Kritiker beharrlichihre Standpunkte vertreten.B. ENTSTEHUNG DES WERBEVERBOTSI. ENTWICKLUNG DER RECHTSLAGE- NATIONALZu Beginn des 16. Jahrh<strong>und</strong>erts drängten die ersten chemisch hergestelltenWirkstoffe (sog. Geheimmittel) auf den Markt, der bis dahin den nahezu wettbewerbslosagierenden Apothekern vorbehalten war 2 . Mit fortschreitenderIndustrialisierung nahm die Werbung für diese Geheimmittel zu Beginn des19. Jahrh<strong>und</strong>erts teils marktschreierischen Charakter an <strong>und</strong> ließ die Befürchtungder steigenden Selbstmedikation aufkommen 3 . Vereinzelte Versuche einerRegulierung oder eines Verbots scheiterten, bis 1903 eine erste einheitlicheRegelung in Form einer Verordnung auf Beschluss des B<strong>und</strong>esrates erging,die in Verbotslisten Werbung für einzeln aufgezählte Mittel untersagte.<strong>Die</strong>se Methode war jedoch durch ständig nötige Ergänzungen <strong>und</strong> von vornhereinfehlende Mittel unpraktikabel 4 . Nach unterschiedlichsten Entwicklungendurch die Jahrzehnte, jahrelanger Beratung <strong>und</strong> vielen Änderungen tratam 15.07.1965 das HWG in Kraft 5 . Zur Begründung der Notwendigkeit hießes seinerzeit, dass Vorschriften des Wettbewerbs- <strong>und</strong> des Strafrechts nichtausreichten, da sie den Schutz der Volksges<strong>und</strong>heit nicht vollständig gewährleisteten.Zwar stehe jedem Staatsbürger ein Recht der Selbstmedikation zu,aber der Verbraucher sei als Laie bei vielen Arzneimitteln nicht in der Lage,ihre Güte <strong>und</strong> Wirkung zu beurteilen <strong>und</strong> müsse vor der Verleitung zu unnötigenAnwendungen geschützt werden 6 . Bis 1998 fanden eine Neufassung desHWG im Jahr 1978 <strong>und</strong> zahlreiche Änderungen durch AMG- Novellen statt 7 ,die teilweise auch der Umsetzung europarechtlicher Richtlinien dienten.Heute gilt das HWG in der Fassung von 2006, das den Pharmafirmen jeglicheAngaben, mit Ausnahme der gesetzlich vorgeschriebenen (Beipackzettel, Verpackung),zu ihren Produkten verbietet.II. ENTWICKLUNG DER RECHTSLAGE - EUROPARECHTLICHBereits kurz nach der Errichtung der EG wurde mit der Angleichung derRechtsvorschriften im Bereich des Heilmittel- <strong>und</strong> Arzneiwesens auf derGr<strong>und</strong>lage des Art. 14 EGV (heute Art. 26 AEUV) begonnen 8 . Gemäß Art. 14EGV mussten die durch unterschiedliche nationale Regelungen bestehendenHandelshemmnisse für die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Binnenmarktesabgebaut werden. Auch Arznei- <strong>und</strong> Heilmittel sind Waren innerhalbdieses Binnenmarktes. Am 3.10.1989 erging die Richtlinie 89/552/EWG, die im Rahmen einer Angleichung der Vorschriften über die Ausübungder Fernsehtätigkeit die Fernsehwerbung unter anderem für verschreibungspflichtigeArzneimittel untersagte. <strong>Die</strong>ses Verbot existierte in den meistenMitgliedsstaaten bereits <strong>und</strong> wurde durch die Richtlinie angeglichen 9 . Im Jahr1992 wurde durch die Richtlinie 92/28/EWG mit der Schaffung einheitlicherVorschriften für die Werbung von Arzneimitteln ein EU-weites Verbot derÖffentlichkeitswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel aufgestellt.Um die europäischen Regelungen des Arzneimittelrechts übersichtlicher zugestalten, die Unterschiede in den Mitgliedstaaten weiter zu verringern <strong>und</strong>einen besseren Schutz des Allgemeinwohls zu fördern, wurden im Zuge derRichtlinie 2001/83/EG alle bestehenden Bestimmungen im Gemeinschaftskodexfür Humanarzneimittel zusammengefasst 10 . <strong>Die</strong> werberechtlichen Bestimmungenblieben sowohl hierbei als auch in der letzten Änderung des Gemeinschaftskodexdurch die Richtlinie 2004/27/EG unverändert bestehen.Doch sind die europäischen Bestrebungen zur einheitlichen Regelung desWerbeverbotes für verschreibungspflichtige Arzneimittel nicht beendet.Nachdem sie in jahrelanger Arbeit dazu beigetragen hat, ein einheitliches,umfassendes Werbeverbot in allen Mitgliedsstaaten zu etablieren, stehen dieZeichen jetzt auf einer zumindest teilweisen Aufhebung der bestehendenRechtslage.III. ENTWICKLUNG DES PATIENTENBILDESEin Hauptgr<strong>und</strong> für die Veränderung der Rechtsentwicklung ist die Veränderungder Gesellschaft <strong>und</strong> die damit einhergehenden Veränderungen des Patientenbildes.Bis zum Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts standen Arzt <strong>und</strong> Patient ineiner paternalistischen Beziehung, bei der der Arzt in väterlich fürsorglicherWeise für seine Patienten, notfalls auch gegen deren Willen, entschied, danicht der Patient selbst, sondern in erster Linie das von ihm losgelöste Krank-144<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010


Schwerpunkteheitsbild behandelt wurde 11 . <strong>Die</strong>ses paternalistische Bild unterlag ab der zweitenHälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts einer gr<strong>und</strong>legenden Veränderung. <strong>Die</strong>Krankheitsbilder veränderten sich hin zu psychosomatischen <strong>und</strong> psychosozialenKrankheiten, bei denen die psychische Situation des Patienten eine wesentlicheRolle spielte 12 . Zudem entwickelte sich das Bild des Verbrauchers(durch den EuGH initiiert) vom hilflosen, unwissenden Verbraucher 13 zu einemmündigen Verbraucher, der eigenverantwortlich seine Interessen wahrnimmt,sich informiert, sich mit den Informationen auseinandersetzt <strong>und</strong> sieverarbeiten kann 14 . Beides führte dazu, dass der Patient, der ebenso Verbraucherist, nunmehr als Partner angesehen wird, der unter sachverständiger Informationdes Arztes weitestgehend am Entscheidungsprozess zu beteiligenist. <strong>Die</strong>ser Wandel zeigt sich nun auch mit einiger Verzögerung im Bereichdes Werbeverbotes für Arzneimittel. <strong>Die</strong> anfänglichen Bestrebungen eines allumfassendenVerbots der Öffentlichkeitswerbung für verschreibungspflichtigeArzneimittel auf gesetzlicher Gr<strong>und</strong>lage, wird heute mehr <strong>und</strong> mehr mitden Argumenten kritisiert, dass ein mündiger Patient auch in diesem Bereichein Recht auf Information <strong>und</strong> Aufklärung hat, bevor er sich für ein Medikament/eineBehandlung entscheidet. <strong>Die</strong>ser Entwicklung will die Kommissionmit ihrer 2001 gestarteten Initiative nun gerecht werden.C. AKTUELLE EUROPÄISCHE BESTREBUNGENBereits kurz nach Inkrafttreten der Richtlinie 2001/83/EG legte die Kommissioneinen Vorschlag zur Änderung der gerade ergangenen Richtlinie vor, indem sie die Zulassung von Informationen für Arzneimittel zur Behandlungvon Asthma, AIDS <strong>und</strong> Diabetes testweise zulassen wollte 15 . Sie begründeteihr Vorbringen mit dem Interesse, den Erwartungen <strong>und</strong> den Bedürfnissender Patienten an Informationen auch zu verschreibungspflichtigen Arzneimitteln16 . <strong>Die</strong>ser Vorschlag wurde jedoch durch das Parlament, den WSA <strong>und</strong>den ITRE mit den Gründen abgelehnt, dass die Verbesserung der Informationdurchaus erstrebenswert sei, der vorliegende Vorschlag jedoch ungeeigneterscheine <strong>und</strong> zu viele Risiken der indirekten Werbung berge 17 . Im Dezember2007 folgte dann der - in dem durch die Richtlinie 2004/27/EG eingeführteArt. 88a des Gemeinschaftskodex geforderte - Bericht der Kommissionzur „Gegenwärtigen Praxis der Bereitstellung von Arzneimittelinformationenfür Patienten“, in dem sie eine stark unterschiedliche Handhabung der Umsetzungder Richtlinie 2004/27/EG durch die Mitgliedsstaaten feststellte <strong>und</strong> erneutbemerkte, dass nationale Behörden dem Informationsbedürfnis der Patientennicht gerecht werden <strong>und</strong> die Pharmaindustrie, die über entsprechendeInformationen verfüge, diese nicht bekanntmachen dürfe 18 . Ausdiesen Gründen <strong>und</strong> zur Förderung der Gleichbehandlung aller EU- Bürgerfordert sie erneut eine Änderung der bestehenden Rechtslage. Zu Beginn desJahres 2008 startete die Kommission sodann eine öffentliche Konsultation,um die Interessen an einer Gesetzesänderung zu ermitteln. Hier bekam jederdie Möglichkeit seine Billigung, aber auch seine Kritik <strong>und</strong> Anregungen zuäußern. 19D. ARGUMENTE FÜR/ GEGEN DEN KOMMISSIONSVORSCHLAGDoch wohin könnte eine Änderung der Gesetzeslage führen? Welche Vor<strong>und</strong>Nachteile sind abzusehen? Welche Alternativen gibt es? Und kann mannicht einfach alles so lassen wie es ist? Ausschließlich über die letzte Frageherrscht Einigkeit: Nein. <strong>Die</strong> Entwicklung der Gesellschaft <strong>und</strong> das unbestrittengesteigerte Informationsbedürfnis der Patienten sollten nicht einfach außerAcht gelassen werden. Insoweit werden die Bestrebungen der Kommissionauch allgemein begrüßt 20 . Über die Umsetzung herrscht jedoch Uneinigkeit.Denn all die von der Kommission <strong>und</strong> den Befürwortern angeführtenPunkte sind zwar Argumente für Veränderungen, jedoch aus Sicht der Kritikernicht für eine Öffnung des Werbeverbots zu Gunsten einer direkten Patienteninformationdurch die Pharmaunternehmen. Denn dies berge eine zugroße Gefahr der Freigabe der Werbung durch die Hintertür 21 <strong>und</strong> setze diePatienten einem Spiel der Pharmafirmen mit ihren Ängsten <strong>und</strong> Hoffnungenaus 22 .I. STREITPUNKT MÜNDIGER PATIENTEiner der am stärksten betonten Gründe für eine Freigabe der direkten Patienteninformationist immer wieder der Wandel zum mündigen Patienten. ImZuge dieser Entwicklung ist auch im Bereich von Arzneimitteln die Nachfrage/das Bedürfnis an Informationen gestiegen. <strong>Die</strong>s belegen die stetigwachsenden Anfragen der Patienten bei den Pharmafirmen 23 . Weiterhin müssendie Patienten in Bezug auf ihre Ges<strong>und</strong>heit auch im Bereich der verschreibungspflichtigenArzneimittel über Zuzahlungen immer mehr Kosten alleintragen. Nur durch ausreichende Informationen zu Wirkungen <strong>und</strong> Kosten,die es zur Zeit nicht, nur auf sehr schwierigem Weg oder nur zu bestimmtenArzneimitteln gibt, können die mündigen Verbraucher nach Abwägung vonKosten <strong>und</strong> Nutzen eine rationale Entscheidung über den finanziellen Aufwand,den sie selbst tragen wollen, treffen 24 . Informationen sind somit füreine bewusste, durchdachte Entscheidung unerlässlich. Und eigens um dieZulassung dieser Informationen geht es den Befürwortern, die selbst für einAufrechterhalten des Werbeverbots sind 25 . Das Recht <strong>und</strong> Bedürfnis der Pati-Abkürzungen:HWG=Heilmittelwerbegesetz / WSA=Wirtschafts- <strong>und</strong> SozialausschussITRE=Ausschuss für Industrie, Außenhandel, Forschung <strong>und</strong> Energie /IQWiG=Institut für Qualität <strong>und</strong> Wirtschaftlichkeit im Ges<strong>und</strong>heitswesen1Remmer, DOC 1978 S. 700, 701.2Sander, Beschränkung/ Kontrolle der Arzneimittelwerbung, S. 13 ff.3Rieß, Publikumswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel, S. 39.4Sander, Beschränkung/ Kontrolle der Arzneimittelwerbung, S. 18-19.5Sander, Beschränkung/ Kontrolle der Arzneimittelwerbung, S. 24 ff.6Anlagen BT-Drs. IV/1867, S. 5-6.7Doepner, HWG Kommentar, Einl. Rn. 14, 16ff.8Rieß, Publikumswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel, S. 46.9Rieß, Publikumswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel, S. 48.10Begründung RiLi 2001/83/EG (1)- (6), (10), (15).11Barth, Medizinermarketing, S. 157, 158.12Barth, Medizinermarketing, S. 159.13Dreher, JZ 1997, S. 167, 173.14Schroeder, ZLR 2002, S. 275, 284.152001/ 0253 (COD), Vorschlag der Kommission, Art. 1 Nr. 54 Pkt. 2.162001/ 0253 (COD), Begründung (16).172001/ 0253 (COD), Stellungnahme ITRE zu Begründung zur ÄnderungArt. 1 Nr. 54 Pkt. 2.18Bericht über gegenwärtige Praxis der Bereitstellung von Arzneimittelinformationenfür Patienten, KOM (2007) 862 endgültig, S. 11.19Bericht über gegenwärtige Praxis der Bereitstellung von Arzneimittelinformationenfür Patienten, KOM (2007) 862 endgültig, S. 11, 12.20Der Paritätische, Stellungnahme des Paritätischen, S.1; BMA, Responseto the European Commission consultation, S. 1.21G- BA, Gemeinsame Stellungnahme, S. 1.22BMA, Response to the European Commission consultation, S. 1.23VfA, Positionspapier „Patienteninformationen“, nicht paginiert.24Rieß, Publikumswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel, S. 27.25VfA, Positionspapier „Patienteninformationen“, nicht paginiert.<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010145


Schwerpunkteenten auf/ nach Informationen wird ihnen von den Kritikern des Kommissionsvorschlagesauch nicht abgesprochen. Sie befürworten sogar zum großenTeil die Notwendigkeit einer Verbesserung des Informationssystems. Doch istbereits hier zu überlegen, ob der Patient dem Verbraucher in Sachen Mündigkeitohne Weiteres gleichzusetzen ist. Mündigkeit bedeutet willens <strong>und</strong> in derLage zu sein, rationale Entscheidungen eigenverantwortlich zu treffen, wobeiimmer auf einen verständigen Durchschnittsverbrauchers abzustellen ist 26 .Verschiedene Einflüsse verhindern jedoch von vornherein vollständig rationaleEntscheidungen. Des Weiteren ist fraglich, ob dem Patienten zugetrautwerden sollte, dass er die Folgen der hochkomplexen Medikation für seineGes<strong>und</strong>heit auf Gr<strong>und</strong>lage vermehrter Informationen differenzieren <strong>und</strong> ausreichendabschätzen kann. Zudem zeigen Umfragen, dass schwerkranke Patientenzum Großteil gar nicht eigenverantwortlich entscheiden wollen 27 . Folglichist bereits die Existenz des mündigen Patienten fraglich <strong>und</strong> es sollte wohleher vom informierten Patienten gesprochen werden. Weiterhin sehen dieGegenstimmen des Kommissionsvorschlages in der Direktinformation durchdie Pharmaunternehmen erhebliche Gefahren <strong>und</strong> fordern eine andere Lösung,die den Patienten mehr Informationen aber gleichzeitig eine hohenSchutz vor falschen oder beschönigten Informationen gewährt. Denn Unternehmenwären versucht auf Gr<strong>und</strong> ihres Gewinnstrebens eine Lockerung desstrikten Werbeverbotes auf verschiedenste Weise auszunutzen, um indirektdoch Werbung für die eigenen Produkte zu machen.II. STREITPUNKT ABGRENZUNG WERBUNG-INFORMATION1. BegrifflichBereits die fehlende begriffliche Abgrenzung zwischen Werbung <strong>und</strong> Informationliefert Probleme. Denn wo genau verläuft die Grenze zwischen objektiverInformation <strong>und</strong> subjektiver, beeinflussender Werbung? <strong>Die</strong> Kommissionselbst sagt, dass Informationen nicht als Werbung verstanden werdendürften 28 , trifft jedoch keine eigene Definition der Werbung, geschweige denn,dass sie geeignete Kriterien für eine Abgrenzung zur Verfügung stellt. So ist esden nationalen Gesetzen, Gerichten <strong>und</strong> der Lehre überlassen, eine Definitionzu finden. Doch in deutschen Gesetzen ist der Begriff der Werbung nichtdefiniert. Einigkeit besteht darüber, dass allein die produkt-/ leistungsbezogeneAbsatzwerbung, nicht hingegen die allgemeine Vertrauenswerbung, welchedie Öffentlichkeit über ein Unternehmen informieren soll ohne Bezug aufein bestimmtes Heilmittel zu nehmen, vom HWG umfasst wird 29 . Jedoch isteine Vertrauens-/Imagewerbung auch gleichzeitig eine mittelbare Werbemaßnahmefür die von dem Unternehmen vertriebenen Produkte. Hier sollentscheidend sein, ob beim Publikum der Eindruck entsteht, dass die Maßnahmesich auf ein bestimmtes Objekt/Arzneimittel i.S.d. § 1 HWG bezieht 30 .Zur Definition der leistungs-/produktbezogenen Werbung finden sich verschiedeneAnsätze. Als allgemein gültige Definition wird heutzutage die Formulierungdes Art. 86 I Gemeinschaftskodex angesehen, der besagt, dass „alleMaßnahmen zur Information, zur Marktuntersuchung <strong>und</strong> zur Schaffungvon Anreizen mit dem Ziel, die Verschreibung, den Verkauf oder den Verbrauchvon Arzneimitteln zu fördern“, als Werbung zu verstehen sind. Doepnerdefiniert Werbung als „...eine Form der beeinflussenden Kommunikation,durch die versucht wird, Einstellungen <strong>und</strong> Verhaltensweisen der Adressatenim Sinne einer werblichen Zielsetzung zu verändern.“ 31 . Der Gesetzgeber willauf jeden Fall alle Maßnahmen erfasst wissen, die der Absatzförderung wirtschaftlicherGüter dienen 32 . <strong>Die</strong> Definitionsversuche stellen auf eine Unterscheidungnach subjektiven Kriterien der Informierenden (Ziel, Versuch) ab.Dass dies kein Kriterium sein kann, da Unternehmen heutzutage gr<strong>und</strong>sätzlichbestrebt sind ihren Absatz zu steigern, ist offensichtlich. Es bleibt demnachfraglich, wo die Grenze zwischen Werbung <strong>und</strong> Information zu sehenist. <strong>Die</strong>se Situation könnte durch geschicktes Marketing zu Gunsten einer zumindestunterschwelligen Produktwerbung ausgenutzt werden. Bereits heutzutageist zu erkennen, dass gesetzliche Regelungslücken <strong>und</strong> mangelhafteÜberwachung der Einhaltung bestehender Normen dazu führen, dass dasWerbeverbot umgangen wird <strong>und</strong> die Unternehmen auf verschiedenste Weiseihre „Informationen“ Patienten zukommen lassen <strong>und</strong> Ärzte beeinflussen 33 .So versucht die Pharmaindustrie über gesponserte Fortbildungen oder alsAufwandsentschädigung für Anwendungsbeobachtungen bezeichnete finanzielleBelohnungen der Mediziner für die Verschreibungen bestimmter Medikamente,die Verschreibungen der Ärzte zu beeinflussen 34 . Aber auch die Patientenwerden ins Visier genommen <strong>und</strong> zum Beispiel durch industriegeförderteSelbsthilfegruppen oder die firmeneigenen Internetseiten (meist)unbemerkt von bestimmten Unternehmen beeinflusst 35 . Sicher muss man imZuge der gesellschaftlichen Veränderung den Patienten neben ihrem Informationsbedürfnisauch die Fähigkeit zusprechen diese Informationen zu verarbeiten<strong>und</strong> zu bewerten. Wie aber soll der Verbraucher unter bestimmtenUmständen Informationen von Werbung unterscheiden können, wenn einesolche Differenzierung nicht einmal objektiv möglich zu sein scheint?2. OptischSo ist in diesem Zusammenhang auch zu fragen, wie die Information durchdie Firmen aussehen soll, damit ihr weder objektiv noch subjektiv Werbecharakterzukommt? Sie müsste komplett neutral gehalten werden. So müsste aufBilder sowie Farben, prägnante Slogans <strong>und</strong> untermalende Musik verzichtetwerden, da diese Formen der Gestaltung neben der eigentlichen Informationin wissenschaftlich belegter Weise Einfluss auf die Psyche <strong>und</strong> somit auf dieEntscheidung haben 36 . Sie suggerieren dem Betrachter bestimmte Stimmungen<strong>und</strong> Emotionen, die dieser dann mit dem Produkt verbindet <strong>und</strong> somitkeine rein objektive Sicht auf das Präparat hat. So zeigt ein Beispiel aus denUSA, wo heutzutage Werbung erlaubt ist, Plakate für ein AIDS- Medikamentauf dem ges<strong>und</strong>e <strong>und</strong> hochaktive Sportler mit gestählten Muskeln, bei strahlendemWetter in w<strong>und</strong>erschönen Landschaften gezeigt werden. Dem Betrachterwird beim Anblick vermittelt, dass dieses Präparat sie von ihren Leidenbefreien, sie sogar heilen könnte 37 . Informationen könnten unter Umständenbei einer Lockerung des Werbeverbots nicht nur in Prospektform,sondern auch im Fernsehen oder Kino verbreitet werden. In allen Fällen ergibtsich die Frage, wie in einem 30-sekündigen Spot oder einer 20 cm² großenAnzeige alle Informationen umfassend dargestellt werden sollen 38 . Beikomplexen Medikamenten ist dies unmöglich. Hier würde nur eine sehrlange, mit vielen Informationen versehene Variante der vollständigen Informationsforderunggerecht werden.III. STREITPUNKT PATIENTENVERHALTEN<strong>Die</strong> Überschüttung mit Informationen könnte außerdem zur Folge haben,dass der vermeintlich gut informierte Patient sich auf sein erlesenes „Wissen“verlässt/begnügt <strong>und</strong> dadurch weniger eigene Anstrengungen in Nachdenken<strong>und</strong> Nachfragen investiert 39 . <strong>Die</strong>s lässt befürchten, dass dadurch eine Steigerungdes Medikamentenkonsums beispielsweise durch Einnahme empfohlenerBegleit- oder Nachsorgeprodukte oder von verstärkt angepriesenen Lifestyle-Produktenerfolgt. Hiergegen wenden Befürworter ein, dass weder In-146<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010


Schwerpunkteformation noch direkte Werbung einen solchen Effekt hätten, wie die BeispieleUSA <strong>und</strong> Neuseeland (Werbung erlaubt) belegen. Hier führte die zum Großteilbewusst wahrgenommene Werbung dazu, dass sich die Patienten verstärktum weitere Informationen bemühten <strong>und</strong> bei der nächsten Behandlungder Krankheit oder der aufgetretenen Symptome die aktive Diskussion mitihrem Arzt suchten. Es war eine erhöhte Sensibilität im Umgang mit den Arzneimittelnfestzustellen. Andererseits ist zu bemerken, dass die Ausgaben fürArzneimittel <strong>und</strong> somit auch der Konsum im Vergleich zu entsprechendeneuropäischen Ländern stärker angestiegen sind. Dass die Ursache dafür, nebenGründen wie Innovationen auf dem Markt <strong>und</strong> steigendem Wohlstand 40 ,auch in der Werbung liegt, kann nicht ausgeschlossen werden.IV. STREITPUNKT QUALITÄT<strong>Die</strong> Pharmaunternehmen führen des Weiteren an, dass es gegenwärtig vieleunzuverlässige Informationsquellen gebe, die vor allem über das Internet falsche,unvollständige <strong>und</strong> irreführende Informationen verbreiteten 41 . <strong>Die</strong>s seiim Bereich des world wide web auch nicht in den Griff zu bekommen, da eineKontrolle des gesamten Netzes wirtschaftlich sowie praktisch unmöglich ist.Um diesen Fehlinformationen entgegenzuwirken, sei es im Interesse der Verbrauchergeboten, verlässliche Informationsquellen in Form von Informationendurch die einzelnen Unternehmen zu sichern 42 . <strong>Die</strong> bereits heute bestehendenMöglichkeiten der Information für Patienten durch unabhängigeDritte sind oftmals unzulänglich oder teuer 43 <strong>und</strong> erfolgen auch meist mit erheblicherzeitlicher Verzögerung. <strong>Die</strong> Pharmaunternehmen könnten sofortnach Erscheinen über ihre Produkte informieren, da sie sie am Besten kennen44 <strong>und</strong> über den gesamten Entstehungszeitraum beobachtet haben. Zusätzlicheneue Erhebungen, Studien, Vergleiche <strong>und</strong> Tests wären somit nichtmehr zwingend notwendig. Doch stellt sich hier die Frage, wie sicher einehohe Qualität der Informationen für Patienten durch die Pharmaindustrieselbst ist. Denn wie alle Unternehmen in der Marktwirtschaft streben auchdie Pharmafirmen nach Gewinn. Gewinnsstreben <strong>und</strong> neutrale, sachliche Informationenstehen potentiell in einem Widerspruch. Denn wer Gewinn erzielenwill, wird versuchen sein Produkt so positiv <strong>und</strong> attraktiv wie nur möglichdarzustellen. Nachteilige Informationen sind für den Absatz gr<strong>und</strong>sätzlichschlecht. So ist zu befürchten, dass auf verschiedenste Weise versuchtwerden wird, diese Nachteile entweder gänzlich unerwähnt zu lassen, über siehinwegzutäuschen oder sie geschickt zu verschleiern 45 . So können durch Hervorhebender positiven Eigenschaften/Versprechungen die Wirkungserwartungüberhöht oder sogar negative Folge- <strong>und</strong> Begleiterscheinungen überspieltwerden 46 . Aus diesem Gr<strong>und</strong> besteht demnach auch bei der Direktinformationdurch Pharmafirmen die Gefahr von Falschinformation <strong>und</strong>Irreführung.V. STREITPUNKT KONTROLLEAll diesen Argumenten stellen die Befürworter entgegen, dass sie sich ohneWeiteres einem strengen <strong>und</strong> effektiven Kontroll- <strong>und</strong> Sanktionsregime unterwerfenwürden, welches die Einhaltung der aufgestellten Regeln überwachensoll. <strong>Die</strong>s ist jedoch aus Sicht der Gegenmeinung schlichtweg unpraktikabel.Bereits heute zeigt sich, dass die Kontrollsysteme unzureichend sind<strong>und</strong> die Einhaltung der Vorschriften nicht vollständig überwachen können.Eine nachträgliche Kontrolle würde voraussichtlich nicht selten dazu führen,dass rechtswidrige Informationen lange Zeit nicht entdeckt werden. So vergehenin den USA im Schnitt acht Monate bis es zu einer Abmahnung kommt 47 .<strong>Die</strong>s könnte selbst bei drohenden Konsequenzen ein Anreiz zur bewusstenNichtbeachtung der Regelungen sein, wenn die Werbung lang genug im Umlaufwar <strong>und</strong> der dadurch erzielte Mehrgewinn die Sanktion kompensiert 48 .Des Weiteren würde viel Zeit vergehen bis beanstandete Informationen beseitigtoder verändert werden. In den USA vergingen bis zu fünf Monate bis denForderungen Folge geleistet wurde 49 . Vorherige Kontrollen könnten dem ingewissem Maße zwar entgegen wirken. Jedoch könnten auch sie der bewusstenAußerachtlassung <strong>und</strong> der bis zur ihrer Aufdeckung vergehenden Zeitnicht entgegenwirken.VI. STREITPUNKT KOSTEN1. Durch Kontrollen<strong>Die</strong> mit der Ausweitung der Befugnisse der Pharmaindustrie einhergehendeerhebliche Erweiterung des Aufgabenbereichs der Kontrollinstitutionenwürde dazu führen, dass eine zeitnahe Bewältigung der Anträge/Kontrollen(vorherige/nachträgliche Kontrolle) kaum möglich wäre. Allein in Deutschlandexistieren laut roter Liste 8.834 Präparate 50 , von denen r<strong>und</strong> 5.500 verschreibungspflichtigsind 51 . Sämtliche Informationen seitens der Pharmafirmenmüssten ständig kontrolliert werden. Das würde einen großen bürokratischen<strong>und</strong> zeitlichen Arbeitsaufwand bedeuten. Eine Kontrollinstanz, diedieses Pensum in angemessener Zeit bewältigen soll, müsste eine entsprechendeGröße haben <strong>und</strong> würde dementsprechend hohe Kosten verursachen.<strong>Die</strong>se Kosten müssten die Steuerzahler oder bei einer Finanzierung durch diePharmafirmen (was wiederum die Unabhängigkeit gefährden würde) die Patiententragen.2. Durch VerschreibungEs besteht zudem die Gefahr der Erhöhung der Ausgaben im Ges<strong>und</strong>heitsbereich.Das Gewinnstreben der Pharmaindustrie hätte nach wirtschaftlichen26EuGH C-303/97, Rn. 38.27Eibach/ Schaefer, Medizinrecht 2001, S. 21, 22, 23.28http://www.zlg.de/download/AM/rechtsquellen/pending/review2001/rev200183.pdf, S. 98.29Bülow/ Ring, HWG Kommentar, § 1 Rn. 3.30Doepner, HWG Kommentar, § 1 Rn. 18.31Doepner, HWG Kommentar, § 1 Rn 10.32Anlagen BT-Drucks. IV/1867, S. 5.33Schaaber, Stellungnahme, nicht paginiert.34VDPP, Stellungnahme, S. 2.35VDPP, Stellungnahme, S. 2.36BMA, Response to the European Commission consultation, S. 2.37BUKO, Pharmabrief- Lockerung des Werbeverbots, S. 2.38Der Paritätische, Stellungnahme des Paritätischen, S. 3.39G- BA, Gemeinsame Stellungnahme, S. 1.40Rieß, Publikumswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel, S. 71.41Rieß, Publikumswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel,S. 35, 36.42VfA, Positionspapier „Patienteninformationen“, nicht paginiert.43Rieß, Publikumswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel, S. 61.44VfA, Positionspapier „Patienteninformationen“, nicht paginiert.45So auch Rehberg, Der staatliche Umgang mit Informationen, S. 118, 113sinngemäß.46BUKO, Pharmabrief- Lockerung des Werbeverbots, S. 2.47Kiewel/Stuppardt, <strong>Die</strong> Krankenversicherung 3/2008, S. 70, 72.48BMA, Response to the European Commission consultation, S. 3.49Kiewel/Stuppardt, <strong>Die</strong> Krankenversicherung 3/2008, S. 70, 72.50VfA, Statistik- <strong>Die</strong> Arzneimittelindustrie in Deutschland, S. 43.51Eigene Berechnung auf Gr<strong>und</strong>lage von Fn. 58 <strong>und</strong> BfArM, verkehrsfähigeArzneimittel.<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010147


SchwerpunkteGesichtspunkten zur Folge, dass sie nur Produkte bewerben, die für sie rentabelsind. Dadurch würden vermehrt teure <strong>und</strong> häufig verwendete Produkte inden Fokus ihrer Bemühungen treten 52 . Das würde bei Verschreibung entsprechenderMedikamente zu einer Erhöhung der Ausgaben der Krankenkassenführen, die diese durch Beitragserhöhung dann an die Patienten weitergeben53 . Folglich wären diejenigen, die durch die Informationen eigentlich begünstigtwerden sollen, die Leidtragenden. <strong>Die</strong>ses Argument der Kostensteigerungwird von den Befürwortern des Kommissionsvorschlags nicht vollständigvon der Hand gewiesen. Sie halten es durchaus für möglich, dass es zueiner kurzfristigen Kostensteigerung im Ges<strong>und</strong>heitswesen kommt. Mittel<strong>und</strong>langfristig sei jedoch mit einer Reduktion der Kosten zu rechnen, da diedann besser informierten Patienten über ein besseres Therapieverständnisverfügten <strong>und</strong> folglich den Anweisungen zur Behandlung besser Folge leistenwürden. Damit könnten die Kosten für Wiederholungs- oder Folgebehandlungerheblich reduziert werden 54 . So sind zwar in den USA <strong>und</strong> Neuseelanddie Ausgaben im Vergleich zu europäischen Länder stärker gestiegen, diesliege aber nicht an der Werbung, sondern an wachsendem Wohlstand <strong>und</strong>neuen Produkten 55 . Ein Einfluss der Werbung auf diese Entwicklung lässt sichjedoch nicht gänzlich ausschließen. Zudem scheitert ein direkter Vergleich anden sehr unterschiedlichen Ges<strong>und</strong>heitssystemen. Einer Kostensteigerungsteht aber auch entgegen, dass gerade bei den verschreibungspflichtigen Medikamentendie Ärzte das letzte Wort haben, welche Medikamente tatsächlichverschrieben werden. Somit liegt das Kostenrisiko bei ihnen. Da sie durch dieKrankenkasse nur ein beschränktes Budget pro Quartal zugeteilt bekommen,wären sie auch weiterhin gezwungen, bei der Verschreibung auf die kostengünstigerenProdukte zurückzugreifen. Ärzte werden sich diesem Einflussaber nicht vollständig entziehen können. Für sie sind die Patienten bares Geld.Jeder Patient, der dem Arzt den Rücken kehrt, weil dieser ihm ein gewünschtesMedikament nicht verschrieben hat, ist der Verlust einer Einnahmequelle.Dazu kommt die Gefahr, dass sich unter den Ärzten ein Wettbewerb um diePatienten entwickelt, der durch die Verschreibung gewünschter („beworbener“)Produkte gesteuert wird. Ärzte entscheiden dann nicht mehr nach medizinischerIndikation, sondern nach Wunsch des Patienten. In den USAkommt r<strong>und</strong> ein Drittel der Patienten mit konkreten Medikamentenwünschenzum Arzt, wovon wiederum die Hälfte das gewünschte Mittel auch verschriebenbekommt 56 . Laut einer unabhängigen Studie fühlen sich aber nur5% der Ärzte gezwungen das geforderte Medikament zu verschreiben 57 . Invielen Fällen wurde nach einer Diskussion über das gewünschte Mittel vomArzt entweder eine andere Behandlung verschrieben, gänzlich von ärztlicherBehandlung abgesehen <strong>und</strong>/oder zu einem Lebenswandel geraten 58 .VII. STREITPUNKT ARZT- PATIENTEN- VERHÄLTNIS<strong>Die</strong>se Studie aus den USA soll auch die Befürchtung der Kritiker entkräften,dass neben einer Verschreibung auf Verlangen des Patienten eine negative Beeinflussungdes Verhältnisses zwischen Arzt <strong>und</strong> Patienten hervorgerufenwerden könnte. Denn laut der Umfrage empfanden 42% eine Verbesserungihres Verhältnisses. Patienten fühlten sich besser aufgeklärt, da sie aktiv mitdem Arzt über Alternativen <strong>und</strong> Konsequenzen diskutieren konnten <strong>und</strong> wesentlichmehr verstanden. Ärzte führten an, dass informierte Patienten bessereFragen stellten <strong>und</strong> ein größeres Verständnis für die Therapien aufwiesen59 . Anfragen nach bestimmten Medikamenten seien zudem oftmals keinDruckmittel, sondern Gr<strong>und</strong>lage für eine Diskussion <strong>und</strong> resultierten nichtimmer aus der Werbung, sondern oft, wie auch in Deutschland, aus dem vorherigenGebrauch. Als Nachteil erwähnten Ärzte jedoch die verlängerten Behandlungszeitenauf Gr<strong>und</strong> der Diskussionen. Dadurch entstanden für folgendePatienten längere Wartezeiten <strong>und</strong> die Ärzte konnten weniger Patientenbehandeln 60 . Das sollte es den Ärzten zur Verbesserung der Ges<strong>und</strong>heitihrer Patienten zwar Wert sein, jedoch ist denkbar, dass die Ärzte sich die Zeitnicht nehmen. Eine dadurch unzureichende Beratung könnte wiederum zuFehlinformationen führen.VIII. STREITPUNKT BEIPACKZETTELIm Zusammenhang mit dem oben erwähnten besseren Therapieverständnisder Patienten wird auch angeführt, dass viele Patienten heutzutage ihreTherapie fehlerhaft durchführen oder gar abbrechen, weil die bestehenden Informationsmöglichkeitendurch Beipackzettel oft unverständlich oder abschreckendsind. Sie sind oft zu lang oder auf Gr<strong>und</strong> der bis zu 80% der Packungsbeilageeinnehmenden Gegenanzeigen verängstigend 61 . Wäre es denPharmafirmen gestattet, eigene Informationen zu verbreiten, könnten sie genauereAusführungen zu den dortigen Angaben <strong>und</strong> darüber hinaus geben.Doch ist fraglich, ob solche weiterführenden Angaben wirklich hilfreich sind.Ein Bedürfnis nach mehr Verständlichkeit von Angaben auf Beipackzettelnwird allseits bejaht. Eine Relativierung, wie sie durch Informationen der Pharmafirmen,die versuchen ihre Produkte in ein gutes Licht zu rücken, erfolgenkönnte, kann jedoch für die Ges<strong>und</strong>heit der Patienten gefährlich werden,wenn Wirkungen überbewertet <strong>und</strong> Nebenwirkungen herabgespielt werden.<strong>Die</strong> Beipackzettel in der heutigen Ausführung sind gesetzlich normierte objektiveInformationen. Auf Gr<strong>und</strong> ihrer sehr objektiven Formulierung wärees durchaus sinnvoll, die Passagen von Interesse verständlicher darzustellen.Es sollte aber unabhängigen Dritten vorbehalten sein. Einige Stimmen verweisenbeim Argument der Unverständlichkeit darauf, dass den Patienten dieErk<strong>und</strong>igung bei Ärzten <strong>und</strong> Apothekern offensteht. <strong>Die</strong> Praxis zeigt aber,dass das Einholen solcher Informationen (zumindest beim Arzt) mit erheblichemAufwand verb<strong>und</strong>en ist, da die Ärzte heutzutage zumeist hochfrequentiertsind. Für eine vielleicht zweiminütige Auskunft wird kaum ein Patientgewillt sein, teilweise mehrstündige Wartezeiten auf sich zu nehmen. Zudemwären Ärzte dadurch noch stärker belastet. Telefonische Auskünfte sind auchnur schwierig zu erlangen, da Ärzte dafür nur wenig Zeit haben <strong>und</strong> Patientenaus diesem Gr<strong>und</strong> oft von den Schwestern abgewiesen oder vertröstetwerden. Stellen die Patienten ihre Fragen innerhalb eines Arztbesuches, derohnehin notwendig war, kommt es, wie beschrieben, zu verlängerten Behandlungszeiten,den damit verb<strong>und</strong>enen Problemen <strong>und</strong> eventuell zu kurz gehaltenenInformationen durch den Arzt.E. ALTERNATIVENNeben aller Kritik, die die Gegner der Kommissionsbemühungen ausüben,befürworten sie den Gr<strong>und</strong>gedanken der Veränderung <strong>und</strong> machen alternativeVorschläge. Sie fordern den Ausbau der bestehenden Informationsquellen<strong>und</strong> die Errichtung neuer Möglichkeiten. Es sollte in allen EU- Mitgliedsstaatengestattet werden, dass die Pharmafirmen auf ihren Webseiten die Packungsbeilagenihrer Arzneimittel (wie in Frankreich, Belgien) zur Verfügungstellen 62 <strong>und</strong> über Kosten informieren. Da viele Patienten Packungsbeilagenjedoch nur als unzureichend bezeichnen, sind weitere Anlaufpunkte zu schaffen.Auf die Forderung, dass gerade vergleichende Studien einen hohen Informationsgehaltfür Patienten haben, könnte in allen Ländern ein öffentliches148<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010


SchwerpunkteRegister geschaffen werden, in dem sämtliche Studien verpflichtungsgemäßeingetragen werden müssen 63 . Zudem sollten die in vielen Ländern bereits bestehendenunabhängigen Informationsquellen (in Deutschland beispielsweiseIQWiG) 64 gefördert <strong>und</strong> akkreditiert werden, sodass sie unter Aufsichteines öffentlichen Gremiums ihre Informationen zur Verfügung stellen 65 .<strong>Die</strong>se Quellen könnten dann unter Federführung eines europäischen Organsvernetzt <strong>und</strong> sprachlich bearbeitet werden, sodass auch Menschen aus Ländern,in denen national ein Informationsdefizit herrscht, entsprechende Möglichkeitenhaben 66 . Um ein umfassendes Informationsangebot für die Patientenzu sichern, müssten diese unabhängigen Stellen verstärkt finanziell unterstütztwerden 67 . Auch eine finanzielle Stärkung der Kontrollinstitutionenwäre empfehlenswert, um umfassendere Kontrollen zur Einhaltung der bestehendennationalen <strong>und</strong> europarechtlichen Normen <strong>und</strong> eine strengere Ahndungder Verstöße zu gewährleisten 68 . Eine weitere Möglichkeit wäre ein EU-Label, welches durch ein europäisches Aufsichtgremium an diejenigen Stellenverliehen wird, die Informationen umfassend, verständlich <strong>und</strong> objektiv zurVerfügung stellen 69 . Hierdurch können Patienten erkennen, wie verlässlichdie Informationen sind. In jedem Fall notwendig ist eine zentrale Internetseite<strong>und</strong>/oder Anlaufstelle, auf/bei der sich die Verbraucher informierenkönnen, welche Informationsmöglichkeiten es gibt. Denn eine selbstständigeSuche ist oft schwierig <strong>und</strong> führt entweder zur Resignation, weil die gesuchteInformation nicht gef<strong>und</strong>en wird oder deren Informationsgehalt nicht sicherist. National könnte man auch in den Verbraucherzentralen persönliche Informationendurch einen Fachgebietsspezialisten ermöglichen, der je nachKrankheit <strong>und</strong> Anzahl der Arzneimittel täglich bis monatlich verfügbar ist.Mit einem solchen Ausbau der bestehenden Rechtslage könnte eine unabhängige<strong>und</strong> umfangreiche Information der Verbraucher gewährleistet werden.F. FAZITNach dieser Betrachtung lässt sich festhalten, dass eine Verbesserung des Informationssystemsunumgänglich ist. <strong>Die</strong> Patienten müssen die Möglichkeithaben, sich über Zusammensetzungen, Wirkungsweisen <strong>und</strong> Nebenwirkungenvon Arzneimitteln zu informieren. Ein erster Schritt wäre die europaweiteErlaubnis für die Pharmaunternehmen, Packungsbeilagen <strong>und</strong> Preiseauf ihren Internetseiten zu veröffentlichen. Eine weitergehende Informationder Patienten sollte den Pharmafirmen jedoch untersagt bleiben. Zwar kennensie ihre Produkte am Besten, aber durch die gewinnorientierte Teilnahmeam Markt ist die Gefahr der versteckten Werbung zu groß. Auch wenn Informationennur auf Anforderung gegeben werden, ist durch Provokation vonAbrufen oder die Gestaltung der Information eine unterschwellige Werbungnicht auszuschließen. Auch das freiwillige Unterwerfen unter umfassendeKontrollen kann diese Gefahr nicht bannen, da ständige Kontrollen in diesemUmfang nicht realistisch sind. Zu hohe Kosten <strong>und</strong> die Gefahr der bewusstenNichtbeachtung der Normen, um die Zeit bis zum Verbot zur Werbung zunutzen, stehen der Effektivität im Weg. Da bereits die gegenwärtigen Regelnumgangen werden, ist nicht zu erwarten, dass die Unternehmen sich strengan die neuen Normen halten werden. Außerdem ist nicht davon auszugehen,dass die Patienten auch bei noch so genauer Darstellung die komplexen Zusammensetzungen<strong>und</strong> Wirkungsweisen verstehen könnten. Der vermeintlichgut informierte Patient trifft dann eventuell falsche Entscheidungen oderwill den Anweisungen des Arztes nicht mehr Folge leisten. Eine vereinfachteDarstellung von Informationen, die die Verständlichkeit eventuell erleichternDas Mainzer Medieninstitut e.V. veranstaltet in Kooperation mit derJohannes Gutenberg-Universität zum WS 2010/11 den akkreditiertenWeiterbildungs<strong>stud</strong>iengang Medienrecht (LL.M.)Fachanwaltskurs Urheber- <strong>und</strong> MedienrechtRechtsreferendare, Absolventen der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultätenoder gleichwertiger Studienfächer sowie Berufstätige können in zwei bis vierSemestern (berufsbegleitend) einen LL.M. als Zusatzqualifikation <strong>und</strong>/oder ineinem Semester die theoretischen Kenntnisse für den Fachanwalt erwerben.Näheres zu Inhalten, Dozenten, St<strong>und</strong>enplänen, Zulassungsvoraussetzungen,Gebühren sowie Bewerbungsformular unter www.mainzer-medieninstitut.de.Anfragen an <strong>stud</strong>iengang@mainzer-medieninstitut.de bzw. Telefon:06131/1449250.Bewerbungen werden noch angenommen.würde, birgt wiederum die Gefahr der Irreführung oder der Fehlinformationauf Gr<strong>und</strong> von Unvollständigkeit. Da Patienten eine genaue Differenzierung<strong>und</strong> Einschätzung der Informationen aus den verschiedenen genanntenGründen nicht möglich ist, ist auch dem Hauptargument des Vorschlags, dermündige Patient, der Boden entzogen. Er ist <strong>und</strong> bleibt voraussichtlich einWunschbild, das in dieser Form in der Realität nicht existiert. Dass gut informiertePatienten durch ein besseres Therapieverständnis bewusster mit Medikamentenumgehen <strong>und</strong> Kosten für Folgebehandlungen verringert werdenkönnten, ist nicht auszuschließen. Dass diese Information nur von den Pharmafirmengeleistet werden können, ist jedoch nicht ersichtlich. Vielmehrmüsste in einem zweiten Schritt das Informationsangebot durch unabhängigeDritte in der EU gefördert <strong>und</strong> ausgebaut werden. Das Gremium könnte dannInfokataloge zusammenstellen <strong>und</strong> diese für alle zugänglich machen. <strong>Die</strong> nationalenBehörden müssten jedoch vorher auf ihre Unabhängigkeit geprüftwerden. So könnten sich Patienten vorab durch Beipackzettel <strong>und</strong> die erweitertenInformationen der unabhängigen Stellen informieren. Darüber hinausist dann das Gespräch mit dem Arzt oder mit dem Personal in Verbraucherzentralen,das über entsprechendes Fachwissen verfügt, immer noch die besteLösung, da nur hier auf den Einzelnen eingegangen werden kann. Schlussendlichist die Idee hinter dem Kommissionsvorschlag Patienten bessereMöglichkeiten der Information über Krankheiten <strong>und</strong> Therapien (Arzneimittel<strong>und</strong> Methoden) zu geben, ein Schritt in die richtige Richtung. <strong>Die</strong> Umsetzungsollte sich jedoch entgegen des Vorschlags zunächst an den Alternativenorientieren <strong>und</strong> die Information durch unabhängige Dritte fördern.52BUKO, Pharmabrief- Lockerung des Werbeverbots, S. 2.53BMA, Response to the European Commission consultation, S. 3.54VfA, Positionspapier „Patienteninformationen“, nicht paginiert.55Rieß, Publikumswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel, S. 71.56BUKO, Pharmabrief- Lockerung des Werbeverbots, S. 2.57Rieß, Publikumswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel, S. 70.58Rieß, Publikumswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel, S. 78.59Rieß, Publikumswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel, S. 70.60Rieß, Publikumswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel, S. 77.61VfA, Positionspapier „Patienteninformationen“, nicht paginiert.62Kiewel/Stuppardt, <strong>Die</strong> Krankenversicherung 3/2008, S. 70, 71.63G- BA, Gemeinsame Stellungnahme, S. 2.64Kiewel/Stuppardt, <strong>Die</strong> Krankenversicherung 3/2008, S. 70, 73.65G- BA, Gemeinsame Stellungnahme, S. 2.66BMA, Response to the European Commission consultation, S. 3, 4.67BUKO, Stellungnahme- PatientInnen nicht im Regen stehen lassen, S. 3.68BUKO, Pharmabrief- Lockerung des Werbeverbots, S. 2.69Kiewel/Stuppardt, <strong>Die</strong> Krankenversicherung 3/2008, S. 70, 73.<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010149


Schönfelder trifft TascheHeute trägt der Schönfelder buntBereits in der letzten Ausgabe berichteten wir Euch, über die drei Studenten, die in liebevoller Handarbeit Taschen für die Schönfelder herstellen. Hiererscheint nun das angekündigte Interview. Falls ihr Euch nun auch für solch eine Tasche begeistern konntet, besucht das Team von Gesetzesglück docheinfach unter www.gesetzesglück.de.<strong>Iurratio</strong>: Und Ihr seid selbst Jura<strong>stud</strong>enten. Habt Ihr da überhauptnoch genug Zeit für die Taschen?Gesetzesglück: Wir haben alle Drei in Tübingen <strong>und</strong> Freiburg Jura <strong>stud</strong>iert.Nach unserem 2. Staatsexamen letztes Jahr arbeiten wir alle in unterschiedlichenKanzleien <strong>und</strong> Rechtsgebieten als Rechtsanwälte hier in Stuttgart.Zu dritt lässt sich der Arbeitsbelastung mit den Taschen aber nach wievor gut bewältigen - es macht uns immer noch jede Menge Freude.<strong>Iurratio</strong>: Produziert Ihr alleine oder habt Ihr noch zusätzliche Helfer?<strong>Iurratio</strong>: Wer seid Ihr drei?Gesetzesglück: Wir sind drei langjährige Studienfre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> ehemaligeMitbewohner.<strong>Iurratio</strong>: Wie seit Ihr auf die Idee mit den Schönfeldertaschen gekommen?Gesetzesglück: Wir haben keine festen Helfer, die alltäglichen Aufgabenerledigen wir noch immer selbst. Wenn es besonders hoch hergeht, z.B. vorWeihnachten, bekommen wir Unterstützung durch die Nähwerkstatt einergemeinnützigen Frauenorganisation hier in Stuttgart. Das ermöglicht es uns,der Nachfrage gerecht zu werden <strong>und</strong> gleichzeitig noch etwas Gutes zu tun.<strong>Iurratio</strong>: Wo kauft Ihr Eure Stoffe?Gesetzesglück: Überall wo uns schöne Stoffe begegnen - auf dem Flohmarkt,im Internet, im Fachgeschäft oder auch gern mal im Urlaub...<strong>Iurratio</strong>: Was haben Bekannte am Anfang zu Eurer Idee gesagt?Gesetzesglück: Während eines gemütlichen WG-Abends bei einer FlascheWein kam uns die Idee mit den Taschen. Wir fanden es unpraktisch, unsereSchönfelder immer in der Hand tragen zu müssen oder unsere normalenHandtaschen damit zu strapazieren. Alle bis dahin erhältlichen Produkte fandenwir überhaupt nicht ansprechend. Daher haben wir uns überlegt was wirschön fänden <strong>und</strong> haben es dann direkt umgesetzt.<strong>Iurratio</strong>: Wie lange produziert Ihr schon?Gesetzesglück: Unsere Taschen sind seit Anfang 2008 erhältlich.Gesetzesglück: Unsere Fre<strong>und</strong>e waren begeistert von der Idee <strong>und</strong> wurdennatürlich auch als erste mit unseren Taschen ausgestattet.<strong>Iurratio</strong>: Jura-Studenten gelten generell als konservativ. Wie passenEure bunten Taschen in dieses gängige Bild?Gesetzesglück: Der Erfolg unserer Taschen zeigt, dass Jura Studenten genauso unterschiedlich sind wie alle anderen Studenten. Außerdem haben wirauch schlichtere Taschen im Angebot, sodass für jeden die richtige Tasche dabeiist!<strong>Iurratio</strong>: Könntet Ihr Euch vorstellen in größeren Stückzahlen zu produzierenoder sollen Eure Taschen etwas Besonderes bleiben?Gesetzesglück: Unsere Taschen sollen unabhängig von der Stückzahl etwasBesonderes bleiben. Auch wenn wir insgesamt viele Taschen anbieten, sosind die einzelnen Modelle meist nur in sehr kleiner Stückzahl erhältlich.<strong>Iurratio</strong>: Können auch individuelle Wünsche erfüllt werden?Gesetzesglück: <strong>Die</strong> Taschen, die im Shop zu sehen sind, sind alle schonfertig genäht. Aber gr<strong>und</strong>sätzlich können auch individuelle Wünsche erfülltwerden - sofern der gewünschte Stoff noch vorrätig ist, können andere Maßeoder sonstige Sonderwünsche fast immer umgesetzt werden.Weitere interessante Berichte finden Sie auf unserer Homepagewww.<strong>iur</strong>ratio.de<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010151


FallbearbeitungANFÄNGER IM STRAFRECHT: „Freibier“von Dipl.- <strong>iur</strong>. Hanna Furlkröger (Bonn)I. EINLEITUNG<strong>Die</strong> vielen verschiedenen Probleme, die mit dem <strong>Die</strong>bstahlstatbestand zusammenhängen,sind häufig Gegenstand der Anfängerklausuren <strong>und</strong> kleinenÜbungen. <strong>Die</strong>ser Fall zeigt die Abgrenzung des <strong>Die</strong>bstahls zu anderen Tatbeständendes StGB, wie Betrug <strong>und</strong> Unterschlagung <strong>und</strong> behandelt mit der„Tankstellenproblematik“ im zweiten Fallabschnitt einen Klassiker, der zeigt,worauf es gerade in den Anfängerklausuren ankommt. Für Anfänger im Strafrechtist es wichtig, zu üben, einen Sachverhalt in Tatkomplexe <strong>und</strong> Tatbeständeeinzuteilen <strong>und</strong> dabei durch Arbeit mit dem Gesetz die Schwerpunkteeiner Klausur aufzuspüren <strong>und</strong> zu gewichten. Unerlässlich ist neben derKenntnis der wichtigsten Meinungsstreitigkeiten auch die Argumentationmithilfe der Auslegung des Gesetzes <strong>und</strong> des Sachverhalts.II. SACHVERHALT<strong>Die</strong> in Göttingen ansässige Kleinbrauerei B vertreibt ihr Bier an die lokaleGastwirtschaft in ihrem Umkreis. Zur wöchentlichen Auslieferung bedientsie sich des Fahrers F. Eines Freitagmorgens entdeckt F bei Überprüfung derFracht vor Antritt der Fahrt, dass irrtümlicherweise zwei Kästen zuviel aufgeladenwurden. <strong>Die</strong>s kommt ihm sehr gelegen, da er für den nächsten TagFre<strong>und</strong>e zum gemeinsamen Fußballschauen eingeladen hat, aber noch nichtfür ausreichend Getränke gesorgt hatte. Daher meldet er diesen Fehler nicht,sondern fährt - bevor er zu seiner Lieferfahrt an die Kneipen in Göttingen <strong>und</strong>dem umliegenden Dörfern aufbricht - zu seinem Haus, das etwa 20 Minutenaußerhalb der von ihm geplanten Lieferroute liegt. Dort bringt er die beidenüberzähligen Kästen in den Keller <strong>und</strong> bricht dann zu seiner Lieferfahrt auf.Nachdem F seine Tour beendet hat, fährt er mit seinem privaten Pkw nachHause. Nach etwa 5 Minuten leuchtet seine Tankanzeige <strong>und</strong> F beschließt, ander nächsten Tankstelle zu halten. Als er an der Zapfsäule vorfährt, bemerkter, dass der Tankwart T gerade seinen Platz für eine Zigarettenpause verlässt<strong>und</strong> beschließt spontan, zu tanken ohne zu bezahlen. Nachdem er für 30 € getankthat, fährt er vor der Rückkehr des T davon.Hat sich F nach dem StGB strafbar gemacht? Alle eventuell erforderlichenStrafanträge sind gestellt.III. GLIEDERUNG1. Tatkomplex: <strong>Die</strong> LieferfahrtA. Strafbarkeit gem. § 242 Abs. 1 StGB (<strong>Die</strong>bstahl der Kästen)I. Tatbestand1. objektiver Tatbestanda. Tatobjekt: fremde bewegliche Sache, § 90 BGBb. Tathandlung: Wegnahmeaa. Alleingewahrsam des F?bb. StellungnahmeB. Strafbarkeit gem. § 246 Abs. 1, 2 StGB (Unterschlagung der Kästen)I. Tatbestand1. objektiver Tatbestanda. Tatobjekt: fremde bewegliche Sache, § 90 BGBb. Tathandlung: Selbst- oder Drittzueignungaa. Subjektives Element (Zueignungswille), d.h.- Wille zur dauernden Enteignung- Wille zur wenigstens vorübergehenden Aneignungbb. Objektives Element (Manifestation des Zueignungswillens)cc. Objektives Merkmal der Rechtswidrigkeit der Zueignungc. Veruntreuung nach § 246 Abs. 2 StGB (Qualifikation zu § 246 Abs. 1)2. subjektiver Tatbestand: VorsatzII. RechtswidrigkeitIII. SchuldC. Strafbarkeit gem. § 248b Abs. 1 StGB (bzgl. des Umweges)I. 1. a. vorübergehende Ingebrauchnahme eines Kfzb. unbefugte Ingebrauchnahme (Figur des „nicht-so-Berechtigten“)(1) unbefugt, wenn inhaltliche oder zeitliche Grenzen überschritten(2) nur unbefugt, wenn von Beginn an ohne Befugnis(3) Stellungnahme2. VorsatzII. Rechtswidrigkeit / III. SchuldD. Strafbarkeit gem. § 242 Abs. 1 StGB (<strong>Die</strong>bstahl des Kraftstoffes)I. 1. a. fremde, bewegliche Sacheb. WegnahmeE. Strafbarkeit gem. § 246 Abs. 1 StGB (Unterschlagung des Kraftstoffs)I. 1 a. fremde, bewegliche Sacheb. Zueignung2. Tatkomplex: Geschehen an der TankstelleA. Strafbarkeit gem. § 263 Abs. 1 StGB (Betrug ggü. dem Tankwart T z. Ln.des Tankstelleninhabers)I. 1. a. TäuschungB. Strafbarkeit gem. § 242 Abs. 1 StGB (<strong>Die</strong>bstahl des Benzins)I. 1 a. fremde, bewegliche Sache(1) bereits mit Einfüllen Übereignung des Benzins an den K<strong>und</strong>en(2) Übereignung des Eigentums erst mit Zahlung des Kaufpreises(3) Stellungnahmeb. Wegnahme(1) „Gewahrsamsbruch“ auch ohne Willen des abwesenden T(2) Einverständnis von der Bedingung der Zahlungsbereitschaftabhängig(3) Generelles Einverständnis mit Gewahrsamsübertragung(4) StellungnahmeC. Strafbarkeit gem. § 246 Abs. 1 StGB (Unterschlagung des Benzins)I.1. a. Tatobjekt: fremde bewegliche Sache, § 90 BGBb. Tathandlung: Selbst- oder Drittzueignungaa. Zueignungswillebb. Manifestation des Zueignungswillenscc. Rechtswidrigkeit der Zueignung2. VorsatzII. Rechtswidrigkeit/ III. SchuldIV. Strafantrag, § 248a StGB152<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010


FallbearbeitungIV. LÖSUNG1. TATKOMPLEX: DIE LIEFERFAHRTA. Strafbarkeit gem. § 242 Abs. 1 StGBZunächst könnte sich F wegen <strong>Die</strong>bstahls an den zwei überzähligen KästenBier gem. § 242 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er die beiden Kästenvom Lkw der B in den Keller seines Hauses bringt.I. Tatbestand1. objektiver Tatbestand:a. Bei den Kästen müsste es sich um eine fremde bewegliche Sache handeln.Sachen sind nach § 90 BGB körperliche Gegenstände. Sie sind beweglich,wenn sie tatsächlich fortbewegt werden können <strong>und</strong> fremd, wenn sie nicht imAlleineigentum des Täters stehen 1 .<strong>Die</strong> beiden Kästen sind bewegliche Sachen im Sinne des § 90 BGB, ferner sindsie auch fremd, da die Kästen im Alleineigentum der B stehen.b. Weiter müsste der F die Kästen auch weggenommen haben.aa) Wegnahme ist der Bruch fremden <strong>und</strong> die Begründung neuen, nicht notwendigerweisetätereigenen Gewahrsams. 2 Gewahrsam ist dabei die vomHerrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft, beurteilt nach derAnschauung des täglichen Lebens, 3 oder der sozial normativen Zuordnung einerSache zu einer Person. 4 <strong>Die</strong> beiden Kästen haben sich während der Fahrtunstreitig im Gewahrsam des F bef<strong>und</strong>en, es ist aber fraglich, ob F Alleingewahrsam,oder die B gleichrangigen Mitgewahrsam hatte. Nur dann, wenndie B mindestens gleichrangigen Mitgewahrsam hätte, läge ein Gewahrsamsbruchvor. Haben mehrere Personen gleichrangigen Mitgewahrsam an einerSache (vgl. § 866 BGB), so kann jeder von ihnen den Gewahrsam des anderenbrechen. 5bb) <strong>Die</strong> Beurteilung dieser Frage hängt davon ab, ob man die Kästen nach dengenannten Kriterien der allgemeinen Lebensanschauung oder der sozialnormativenZuordnung dem Fahrer oder dem Unternehmen zuordnet.Gegen einen Alleingewahrsam des F spricht, dass er sich in räumlicher Nähezur B aufhält, er fährt lediglich Kneipen in Göttingen <strong>und</strong> Umgebung an, unternimmtaber keine eigenverantwortlichen Fernfahrten. Dafür, dass F währendseiner Transportfahrten Alleingewahrsam innehat, spricht jedoch, dassdie Fahrt nicht beaufsichtigt wird. 6 F hat nur den Auftrag erhalten, die Kästenbei den K<strong>und</strong>en abzuliefern, Vorkehrungen zur Ausübung einer tatsächlichenSachherrschaft durch die B sind nicht ersichtlich. Zudem plant er seinen Streckenverlaufselbst, was gegen eine übergeordnete Planungshoheit der Bspricht. Daher ist vom Alleingewahrsam des F auszugehen <strong>und</strong> folglich Wegnahmezu verneinen.Bearbeiterhinweis: An dieser Stelle ist es wichtig, den Tatbestand Schritt fürSchritt abzuprüfen, damit dieses Problem nicht übersehen wird. Schließlichkommt es darauf an, gute Argumente für <strong>und</strong> wider im Sachverhalt zu sammeln<strong>und</strong> zu gewichten.Zwischenergebnis: F hat sich nicht nach § 242 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.B. Strafbarkeit gem. § 246 Abs. 1, 2 StGBJedoch könnte sich F durch dieselbe Handlung gem. § 246 Abs. 1, 2 StGB derUnterschlagung an den Kästen strafbar gemacht haben.I. Tatbestand1. objektiver Tatbestanda. Bei den Kästen handelt es sich um eine fremde bewegliche Sache (s.o.).b. Darüber hinaus müsste F die Kästen sich selbst oder einem Dritten zugeeignethaben.aa) Zueignung setzt das subjektive Element des Zueignungswillens, d.h. desWillens zur dauernden Enteignung <strong>und</strong> des Willens zur wenigstens vorübergehendenAneignung voraus sowie das objektive Element der Manifestationdes Zueignungswillens.bb) Nach der Manifestationstheorie muss der Täter aus der Sicht eines allwissendenBeobachters durch ein nach außen erkennbares Verhalten verlässlichzum Ausdruck bringen, dass er die Sache behalten will. 7 F entnimmt die Kästendem Laderaum <strong>und</strong> schafft diese in seinen Keller. Objektiv hat er damitsowohl die Aneignung als auch die Enteignung vollzogen <strong>und</strong> seinen Zueignungswillenhinreichend manifestiert.cc) <strong>Die</strong> Zueignung ist mangels Eigentümerstellung des F objektiv rechtswidrig.c. Zudem könnte F die Qualifikation des § 246 Abs. 2 StGB verwirklicht haben,d.h. die Kästen veruntreut haben, sofern sie ihm anvertraut wurden. Anvertrautist eine Sache, wenn sie dem Täter mit der Maßgabe überlassenwurde, mit ihr im Interesse oder nach Weisung des Eigentümers zu verfahren.8 Dem F wurden die Kästen in dem Vertrauen überlassen, dass er impflichtgemäßen Interesse der B damit verfahren <strong>und</strong> mit diesen ordnungsgemäßumgehen würde. Sie wurden dem F also anvertraut. Damit erfüllt F dieobjektiven Voraussetzungen der veruntreuenden Unterschlagung.2. subjektiver TatbestandF müsste bezüglich der objektiven Tatbestandsmerkmale vorsätzlich gehandelthaben. Vorsatz ist die Verwirklichung eines Straftatbestandes in Kenntnisaller seiner objektiven Tatumstände. 9 F hat den objektiven Tatbestand vorsätzlicherfüllt.II./III. Rechtswidrigkeit/ SchuldEbenfalls hat F rechtswidrig <strong>und</strong> schuldhaft gehandelt.Zwischenergebnis: Indem er die Kästen in den Keller seines Hauses brachte,hat sich F der veruntreuenden Unterschlagung gem. § 246 StGB Abs. 1, 2StGB strafbar gemacht.C. Strafbarkeit gem. § 248b Abs. 1 StGBBearbeiterhinweis: § 248b StGB gehört wie §§ 242, 246 StGB zu den Eigentumsdelikten<strong>und</strong> schützt den berechtigten Gebrauch. Es handelt sich um ei-1Joecks, § 242 Rn. 9.2Tröndle/Fischer, § 242 Rn. 16, Joecks § 242 Rn. 10.3BGHSt 8, 273, 275; 22, 180, 182.4SK-Hoyer, § 242 Rn. 27.5BGHSt 8, 273, 275; OLG Köln VRS 107, 366, 368; Wessels/Hillenkamp,BT 2, Rn. 84.6BGH StV 2001, 13; OLG Köln VRS 107, 366, 368.7BGHSt 14, 38, 41; Schönke/Schröder-Eser, § 246 Rn. 10; Joecks § 246 Rn.15; Wessels/Hillenkamp BT 2 Rdn. 280; Kindhäuser BT 2 § 6 Rn. 13. Bearbeiterhinweis:Hier ist ausreichend, die Definition der in der Literatur <strong>und</strong>Rechtsprechung herrschende Manifestationstheorie zu nennen, keineswegssind einzelne Abstufungen gefragt.8BGHSt 16, 280, 282; Kindhäuser BT 2, § 6 Rn. 43; Samson JA 1990, 10.9Kürzer, aber völlig ausreichend: Vorsatz ist das Wissen <strong>und</strong> Wollen derTatbestandsverwirklichung. MüKo-Joecks § 16 Rn. 1 ff., Wessels/BeulkeAT Rn. 203.<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010153


Fallbearbeitungnen Auffangtatbestand, der insbesondere dann einschlägig ist, wenn ein Zueignungsdeliktmangels Zueignung(-sabsicht) nicht einschlägig ist. Hier istgenau zwischen der Strafbarkeit bzgl. der Kästen <strong>und</strong> bzgl. des Umwegs zuunterscheiden.Ferner könnte sich F wegen unbefugten Gebrauchs eines Fahrzeugs nach§ 248 b StGB strafbar gemacht haben, indem er mit dem Lkw der B einenUmweg außerhalb seiner Lieferstrecke zu seinem Haus fuhr.2. subjektiver TatbestandF hat ferner auch vorsätzlich gehandelt.II./III. Rechtswidigkeit/ SchuldAußerdem handelte er auch rechtswidrig <strong>und</strong> schuldhaft.IV. StrafantragDer nach § 248 III erforderliche Strafantrag wurde gestellt.I. Tatbestand1. objektiver Tatbestanda. Dafür müsste es sich bei der Handlung des F um eine vorübergehendeIngebrauchnahme eines Fahrzeugs handeln. Ein Lkw ist als ein durchMaschinenkraft bewegtes Fahrzeug ein taugliches Tatobjekt im Sinne des§ 248b Abs. 4 Hs. 1 StGB. Ein Fahrzeug nimmt in Gebrauch, wer es bestimmungsgemäßals Fortbewegungsmittel nutzt. 10 F fährt mit dem Lkw einenUmweg, nimmt es mithin in Gebrauch.b. Ferner müsste die Ingebrauchnahme auch unbefugt sein. Unbefugt ist sie,wenn sie gegen den Willen des Berechtigten erfolgt. 11 Jedoch ist F gr<strong>und</strong>sätzlichzum Gebrauch des Lkws befugt, er soll damit Bierkästen an Kneipen ausliefern.Allerdings schließt diese Befugnis den von ihm gefahrenen Umwegnicht ein, sodass zwar die Ingebrauchnahme mit Willen des Berechtigten erfolgt,nicht aber das Gebrauchen zum Zweck des Abtransports der beidenKästen. Fraglich ist somit die Anwendbarkeit der Figur des „nicht-so-Berechtigten“auf § 248b StGB.aa) Nach einer Meinung ist jeder Gebrauch, der die inhaltlichen oder zeitlichenGrenzen der Gebrauchsüberlassung überschreitet, tatbestandsmäßig.Dann hätte F als nicht-so-Berechtigter den Lkw im Sinne des § 248b StGB inGebrauch genommen <strong>und</strong> den objektiven Tatbestand erfüllt. 12bb) Nach der Gegenansicht ist mangelnde Befugnis nur dann zu bejahen,wenn der Täter die Nutzung ohne Befugnis beginnt. 13 Demnach wäre eine unbefugteIngebrauchnahme durch F abzulehnen.cc) <strong>Die</strong> zweite Meinung stützt sich auf den Wortlaut der Regelung des § 248bAbs. 1 StGB, der von „in Gebrauch nehmen“ <strong>und</strong> nicht von „gebrauchen“spricht. Dem ist mit der ersten Ansicht entgegenzuhalten, dass die Wortlautauslegungnicht zwingend ist, da sowohl das Ingangsetzen, also auch das Inganghalten,gleichermaßen unter den Begriff der Ingebrauchnahme fallen. 14Zudem sprechen die teleologische Auslegung des § 248b StGB <strong>und</strong> seine systematischeStellung als Auffangtatbestand dafür, dass das Schutzgut des berechtigtenGebrauchs möglichst umfassend – im Rahmen des Wortlauts – vorunbefugter Nutzung bewahrt werden soll; daher muss sowohl der Fall der unbefugtenNutzung bei erstmaliger Ingebrauchnahme als auch der Fall, dasssich der Täter erst später zur unbefugten Nutzung entschließt, umfasst sein.Demnach ist mit der ersten Ansicht eine unbefugte Ingebrauchnahme anzunehmen.Bearbeiterhinweis: a. A. vertretbar, mit guten Argumenten kann man sich gleichermaßenfür die eine oder andere Ansicht entscheiden. Für die Gegenmeinungspricht wiederum, dass der fragmentarische Charakter des StrafrechtsStrafbarkeitslücken geradezu bedingt <strong>und</strong> ein umfassender Schutz durch dasStrafrecht aufgr<strong>und</strong> seiner Bedeutung als „schärfstes Schwert des Staates“vom Gesetzgeber gar nicht erstrebt wird.Zwischenergebnis:Folglich hat sich F der unbefugten Ingebrauchnahme eines Fahrzeugs gem.§ 248b Abs. 1 StGB strafbar gemacht.D. Strafbarkeit gem. § 242 Abs. 1 StGBI. Tatbestand1. objektiver Tatbestanda. Zwar handelt es sich um eine fremde, bewegliche Sache, da der Kraftstoffim Eigentum der B steht.b. Aber eine Strafbarkeit scheitert schon an der mangelnden Wegnahme, daF mit Antritt der Fahrt Alleingewahrsam am Lkw <strong>und</strong> am Kraftstoff erwirbt.Zwischenergebnis: F hat sich nicht des <strong>Die</strong>bstahls am Kraftstoff gem. § 242Abs. 1 StGB strafbar gemacht.E. Strafbarkeit gem. § 246 Abs. 1 StGBI. Tatbestand1. objektiver Tatbestanda. Ein taugliches Tatobjekt liegt vor.b. Auch die objektiven <strong>und</strong> subjektiven Elemente der Zueignung sind gr<strong>und</strong>sätzlichgegeben, jedoch greift der Tatbestandsausschluss des § 248b StGB, dader Gebrauch eines Fahrzeugs den Verbrauch des Kraftstoffs notwendig <strong>und</strong>untrennbar miterfasst. 15Bearbeiterhinweis: Vorausgesetzt ist hier, dass sich der Bearbeiter für eineStrafbarkeit nach § 248 Abs. 1 StGB entschieden hat. Wurde die Figur desNicht-so-Berechtigten mit der Gegenmeinung verneint, wäre an dieser Stelleeine Strafbarkeit nach § 246 Abs. 1 StGB zu bejahen.Ergebnis: Im ersten Tatkomplex hat sich F der Unterschlagung gem. § 246Abs. 1, 2 StGB <strong>und</strong> der unbefugten Ingebrauchnahme eines Fahrzeugs gem.§ 248b Abs. 1 StGB in Tatmehrheit strafbar gemacht.2. TATKOMPLEX: GESCHEHEN AN DER TANKSTELLEA. Strafbarkeit gem. § 263 Abs. 1 StGBZunächst könnte sich F des Betrugs gem. § 263 Abs. 1 StGB gegenüber demTankwart <strong>und</strong> zu Lasten des Tankstelleninhabers strafbar gemacht haben, indemer tankte, ohne für das Benzin zu bezahlen.154<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010


FallbearbeitungI. Tatbestand1. objektiver Tatbestanda. Zunächst müsste der Tankwart getäuscht worden sein. Täuschung ist einVerhalten, durch das im Wege der Einwirkung auf das Vorstellungsbild desanderen eine Fehlvorstellung über Tatsachen erzeugt wird. 16 In Betracht kämedie schlüssige, d.h. durch das Verhalten des Täters zum Ausdruck gebrachteTäuschung des Tankwarts über die Zahlungswilligkeit des F. 17 Jedoch sind sowohldie Einwirkung durch den Täter als auch die Fehlvorstellung des Opfersvorliegend ausgeschlossen, da T vor Beginn des Tankvorgangs seinen Platzverlässt.Zwischenergebnis: F hat sich nicht des Betrugs gem. § 263 Abs. 1 StGB strafbargemacht.B. Strafbarkeit gem. § 242 Abs. 1 StGB (<strong>Die</strong>bstahl des Benzins)Durch dieselbe Handlung könnte sich F allerdings des <strong>Die</strong>bstahls des Benzinsgem. § 242 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben.I. Tatbestand1. objektiver Tatbestanda. Benzin ist als körperlicher Gegenstand im Sinne des § 90 BGB eine Sachegem. § 242 StGB. <strong>Die</strong> Sachqualität bestimmt sich unabhängig vom Aggregatzustand.Fremd ist die Sache, wenn sie wenigstens auch einem anderen als demTäter gehört. 18 Das Benzin stand ursprünglich im Eigentum des Tankstelleninhabers,ist also fremd. Fraglich ist aber, ob mit dem Einfüllen des Benzinsin den Tank des Pkw des F bereits eine Eigentumsübertragung gem. § 929 BGBstattgef<strong>und</strong>en hat, die die Fremdheit der Sache ausschließen würde.aa) Einer Meinung nach ist bereits mit dem Einfüllen die Übertragung desBenzins an den K<strong>und</strong>en vollzogen. 19 Dann wäre F Alleineigentümer <strong>und</strong> dieStrafbarkeit gem. § 242 StGB würde an der mangelnden Fremdheit der Sachescheitern.bb) Laut anderer Ansicht geht erst mit der Zahlung des Kaufpreises dasEigentum über, 20 danach wäre die Sache für F weiterhin fremd.cc) Entgegen der ersten Meinung befinden sich an Tanksäulen regelmäßigHinweise, dass die Ware bis zur vollständigen Bezahlung des Preises imEigentum des Mineralölherstellers bleibt. Ein Eigentumsvorbehalt scheitertjedoch daran, dass der K<strong>und</strong>e nach lebensnaher Auslegung kein Alleineigentum,aber Miteigentum durch Vermischung gem. § 948 Abs. 1 BGB, erwirbt,sodass im Ergebnis der zweiten Meinung zu folgen ist <strong>und</strong> der Tankinhalt fürF eine fremde bewegliche Sache bleibt.b. Problematisch ist, ob auch eine Wegnahme anzunehmen ist. Wegnahme istder Bruch fremden <strong>und</strong> die Begründung neuen, nicht notwendigerweise tätereigenenGewahrsams. 21 Mit dem Einfüllen des Benzins in den Tank hat Fden bisherigen Gewahrsam des T am Benzin aufgehoben. Fraglich ist, ob derGewahrsam auch „gebrochen“ wurde. Der Gewahrsam wird gebrochen, wennder Gewahrsamswechsel ohne Willen des Berechtigten erfolgt. Wer Tanksäulenzur Selbstbedienung bereitstellt, erklärt sein Einverständnis mit dieserGewahrsamsverschiebung, wenngleich er sich sein Miteigentum vorbehält. 22Fraglich ist daher, ob dieses Einverständnis von der Bedingung der Zahlungswilligkeit<strong>und</strong> –fähigkeit des K<strong>und</strong>en abhängig gemacht werden kann.aa) Laut der ersten Ansicht kann das Einverständnis hiervon abhängig gemachtwerden, 23 demnach würde die Handlung des F den Tatbestand derWegnahme erfüllen.bb) Nach der Gegenmeinung ist eine solche Bedingung nicht möglich, sonderndurch Aufstellen der Tanksäulen zur Selbstbedienung wird ein generellesEinverständnis mit der Gewahrsamsübertragung konkludent erklärt. 24cc) Das Einverständnis ist als Ausdruck des natürlichen Willens „bedingungsfeindlich“,hinzu tritt, dass bei einem automatisierten Tankvorgang der Kraftstoffals freigegeben angesehen werden muss, solange der Tankautomat äußerlichordnungsgemäß bedient wird. 25 Im Ergebnis ist der zweiten Meinung zu folgen.Zwischenergebnis: F hat sich nicht des <strong>Die</strong>bstahls gem. § 242 Abs. 1 StGBstrafbar gemacht als er tankte, ohne das Benzin auch zu bezahlen.C. Strafbarkeit gem. § 246 Abs. 1 StGBI.Tatbestand1. objektiver Tatbestanda. Beim Benzin handelt es sich um eine fremde bewegliche Sache, § 90 BGB. 26b. Darüber hinaus müsste F sich das Benzin zugeeignet haben. Erforderlich istdazu subjektiv Zueignungswille, der objektiv manifestiert worden sein muss.F wollte sich das Benzin selbst zueignen, mit Verlassen des Geländes derTankstelle manifestiert sich der Wille, sich den Inhalt des Tanks zuzueignen,auch objektiv. <strong>Die</strong>se Zueignung ist aufgr<strong>und</strong> des bleibenden Miteigentumsdes Tankstelleninhabers auch objektiv rechtswidrig.2. subjektiver Tatbestand/ II. Rechtswidrigkeit/ III. SchuldF handelte vorsätzlich, ebenso wie rechtswidrig <strong>und</strong> schuldhaft.IV. Strafantrag, § 248a StGBEin bei der Unterschlagung geringwertiger Sachen erforderlicher Strafantragist gestellt.Ergebnis: Im zweiten Tatkomplex hat sich F der Unterschlagung des Benzinsgem. § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.10LK-Ruß § 248b Rn. 3; Joecks § 248b Rn. 6.11Tröndle/Fischer, § 248b Rn. 6, Rengier BT 1 § 6 III, Krey/Hellmann BT 2, § 1 VI.12BGHSt 11, 47, 50; NK-Kindhäuser § 248b Rn. 5; Wessels/HillenkampBT 2 Rn. 398; LK-Ruß § 248b Rn. 4.13Schönke/Schröder-Eser § 248b Rn. 4a; SK-Hoyer § 248b Rn. 12 ff.;MüKo-Hohmann § 248 b Rn. 18; Franke NJW 1974, 1803.14BGHSt 11, 47, 50; vgl. ebenso BGH GA 1960, 182; OLG Schleswig NStZ1990, 340.15sog. Tatbestandslösung: BGHSt 14, 386, 388, a. A. Konkurrenzlösung,NK-Kindhäuser § 248 b Rn. 13, wonach §§ 242, 246 als notwendige Begleittatdes unbefugten Kraftfahrzeuggebrauchs von § 248b konsumiert werden.16Schönke/Schröder-Perron § 263 Rn. 6.17OLG Köln, NJW 2002, 1059.18BGHSt 6, 377; Joecks vor § 242 Rn. 9, SK-Hoyer § 242 Rn. 3 ff.19OLG Düsseldorf, NStZ 1982, 249.20OLG Koblenz NStZ-RR 1998, 364.21Tröndle/Fischer, § 242 Rn. 16, Joecks § 242 Rn. 10.22Joecks § 242 Rn. 41.23Mitsch BT 2/1 § 2 Rn. 12; Wessels/Hillenkamp, BT 2 Rn. 184.24BGH NJW 1983, 2827 ff.; Schönke/Schröder-Eser § 242 Rn. 36; RengierBT 1 § 2 Rn. 35, MüKo-Schmitz § 242 Rn. 92.25OLG Köln NJW 2002, 1059.26s.o. unter B. I. 1. a. mit weiteren Nachweisen.<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010155


FallbearbeitungFORTGESCHRITTENE IM ÖFFENTLICHEN RECHT:„Der Fall einer Gefälligkeit“von Wiss. Mit. Nils H. Kolbe (Universität Bonn)Nils H. Kolbe (Jahrgang 1985) ist seit Mai 2010 wissenschaftlicherMitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Lehrstuhls vonProf. Dr. <strong>iur</strong>. Christian Koenig am Zentrum für Europäische Integrationsforschungder Universität Bonn. Er koordiniertdort unter anderem die akademischen Angelegenheiten desLL.M.-Programmes „Master of European Regulation of NetworkIndustries“ (www.merni.de).Erfahrungsgemäß gehören weder das Staatshaftungs- noch das Europarechtzu den Schwerpunkten in der Vorbereitung auf die erste juristische Staatsprüfung.Dennoch sind beide nicht zu unterschätzende Bereiche, die gerne zumGegenstand von Prüfungen gemacht werden – insbesondere wegen ihrer Eignung,auch das Verständnis des allgemeinen Staats- <strong>und</strong> Verwaltungsrechtsmit abzuprüfen. Zudem ist in diesen Bereichen eine gute Übersicht bezüglichder vielen Ebenen von Gesetzgebung <strong>und</strong> Vollzug unerlässlich. Der folgendeKlausurfall beschäftigt sich hauptsächlich mit Staatshaftungsrecht <strong>und</strong> setztauch Wissen im Europarecht voraus. Er ist mithin auf dem Niveau großerÜbungen.I. SACHVERHALTDer Ministerpräsident (MP) des B<strong>und</strong>eslandes N wird auf einer privaten Feiervon seinem Fre<strong>und</strong> Unternehmer U auf die angespannte Lage seiner U-GmbHangesprochen. Sie ist mit über 1000 Mitarbeitern ein nicht zu verachtenderArbeitgeber <strong>und</strong> zudem im Wahlkreis des MP ansässig. U berichtet von hartemWettbewerb durch „ausländische Billigkonkurrenz“ <strong>und</strong> einer „äußerstdünnen“ Kapitaldecke. MP ist besorgt um die vielen Arbeitsplätze <strong>und</strong> weistseinen Wirtschaftsminister an, „schnell, unbürokratisch <strong>und</strong> ohne über Brüsselzu gehen“ für eine gewisse Unterstützung der U-GmbH zu sorgen. Daraufhinsorgt das Landeswirtschaftsministerium am 24. Dezember 2009 dafür,dass der U-GmbH ein als „Überbrückungskredit“ getarnter verlorener Zuschussin Höhe von 5 Mio. EUR zukommt.Sogleich lässt U eine lang geplante Neuk<strong>und</strong>enwerbemaßnahme anlaufen, beider Neuk<strong>und</strong>en Geldprämien von bis zu 1000 EUR – statt der geplanten 100EUR – gezahlt werden. Wie eine Tageszeitung nach Recherchen am 11. Februar2010 berichtet, erhöht die U-GmbH dadurch ihren Marktanteil erheblich.Auch wird bekannt, dass die Geldprämie ausschließlich aus dem„Überbrückungskredit“ gezahlt wurde <strong>und</strong> die Kapitaldecke der U-GmbH nuraufgr<strong>und</strong> von mangelnder Innovativität so dünn war. Als Folge der Berichterstattung<strong>und</strong> der öffentlichen Empörung flaut die Werbeaktion schnell ab.<strong>Die</strong> EU-Kommission, die aus der Presse von dem Vorgang erfahren hat,stellt nach ordnungsgemäßem Vor- <strong>und</strong> förmlichem Prüfungsverfahren am10. Juni 2010 die Unvereinbarkeit der Maßnahme mit Art. 107 Abs. 1 AEUVsowie den Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV fest. Sie teilt dies der B<strong>und</strong>esrepublikDeutschland, dem Land N <strong>und</strong> der U-GmbH mit <strong>und</strong> fordertDeutschland auf, die Beihilfe zurückzuverlangen. Der U-GmbH geht balddarauf ein Rückforderungsbescheid zu, in dem das Wirtschaftsministeriumdie sofortige Rückzahlung der 5 Mio. EUR nebst Zinsen anordnet. <strong>Die</strong>semkommt die U-GmbH auch unverzüglich nach.In der Zwischenzeit hat die im süddeutschen B<strong>und</strong>esland B ansässige K-AG,die der einzige nationale Konkurrent der U-GmbH ist, von der Sache erfahren<strong>und</strong> eine Schadensanalyse vorgenommen. Insgesamt kam es ihren Angabennach durch die Abwanderung von K<strong>und</strong>en, die ohne die Geldprämie derU-GmbH sicher wegen des günstigeren monatlichen Preises bei der K-AG gebliebenwären, zu geringeren Einnahmen in Höhe von 580 000 EUR. Hierbeiist beachtet worden, dass selbst bei einer Prämie von 100 EUR seitens der U-GmbH, die K-AG, auf die übliche Laufzeit gerechnet, noch immer günstigeremonatliche Preise angeboten hätte. <strong>Die</strong>s ist insgesamt auch tatsächlich zutreffend.Um einem solventen Schuldner gegenüber zu stehen, möchte die K-AGlieber gegen eine staatliche Stelle als gegen die U-GmbH klagen um ihrenSchaden ersetzt zu bekommen.Aufgabe:Der Vorstand der K-AG kommt zu Ihnen <strong>und</strong> bittet Sie um eine ausführlicheDarstellung seiner Möglichkeiten der Geltendmachung etwaiger Schadensersatzansprüche– einschließlich verfahrensrechtlicher Aspekte <strong>und</strong> Erfolgsaussichten.Hinweise:Das B<strong>und</strong>esland N liegt nicht im Gebiet der ehemaligen DDR. Auf möglicheAnsprüche aus dem UWG ist nicht einzugehen.II. GLIEDERUNGA. Unionsrechtlicher Staatshaftungsanspruch gegen das B<strong>und</strong>esland N(~ Art. 4 Abs. 3 EUV)I. Herleitung des Haftungsanspruches <strong>und</strong> Klärung seinerRechtsnaturII. Verstoß des Mitgliedstaates oder seiner Organe gegen primäresoder sek<strong>und</strong>äres, individuelle Rechte verleihendes UnionsrechtIII. Hinreichend qualifizierter VerstoßIV. SchadenV. Kausalität zwischen hinreichend qualifiziertem Verstoß <strong>und</strong>SchadenVI. Kein Ausschluss der Haftung nach § 839 III BGBVII. Art <strong>und</strong> Umfang des SchadensersatzesVIII. VerjährungIX. Haftender HoheitsträgerX. Prozessuale GeltendmachungB. Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB, Art. 34 GG gegen das B<strong>und</strong>esland NI. Handeln/Unterlassen eines Amtsträgers in Ausübung einesöffentlichen AmtesII. Verletzung einer drittgerichteten Amtspflicht156<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010


Fallbearbeitung1. Amtspflicht2. DrittgerichtetheitIII. Verschulden des Amtsträgers (§ 839 I 1 BGB) bzgl. derAmtspflichtverletzungIV. SchadenV. Kausalität zwischen Amtspflichtverletzung <strong>und</strong> SchadenVI. Kein Haftungsausschluss1. Subsidiaritätsklausel (§ 839 I 2 BGB)2. Spruchrichterprivileg (§ 839 II BGB)3. Schuldhaftes Nicht-Ergreifen von Rechtsmitteln (§ 839 III BGB)VII. Art <strong>und</strong> Umfang des Schadensersatzes (ggf. §§ 253, 254 BGB)VIII. VerjährungIX. Haftender HoheitsträgerX. Prozessuale GeltendmachungC. Anspruch aus enteignendem EingriffD. Anspruch aus enteignungsgleichem EingriffE. AufopferungsanspruchF. FolgenbeseitigungsanspruchIII. LÖSUNGA. UNIONSRECHTLICHER STAATSHAFTUNGSANSPRUCH GEGENDAS BUNDESLAND N (~ ART. 4 ABS. 3 EUV)Zunächst könnte die K-AG gegen das B<strong>und</strong>esland N einen Anspruch aus unionsrechtlicherStaatshaftung der Mitgliedstaaten haben.I. Herleitung des unionsrechtlichen StaatshaftungsanspruchesDer unionsrechtliche (vor dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon am01.12.2009 gemeinschaftsrechtliche) Staatshaftungsanspruch gegenüber Mitgliedstaatenwurde vom EuGH seit dem Fall Francovich ständig fortentwickelt.Er ist so zu einem umfassenden individuellen Schadensersatzanspruchgegenüber Mitgliedstaaten für durch sie zu verantwortende Verletzungen individualschützenderPrimär- oder Sek<strong>und</strong>ärrechtsnormen des Unionsrechtsgeworden. 1 Dabei sieht der EuGH den Haftungsanspruch als „...untrennbarzu der durch den EWG-Vertrag [jetzt: EUV <strong>und</strong> AEUV] geschaffenen Rechtsordnung[gehörend an]“. 2 Bei seiner Herleitung stützt sich das Gericht nebendem Gr<strong>und</strong>satz der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts (effet utile)auf eine Analogie zur Haftung der Union für ihre Organe gem. Art. 340AEUV (ex Art. 288 EGV). Zusätzlich ist die Pflicht der Mitgliedstaaten zu„gemeinschaftstreuem“ Verhalten, wie sie Art. 10 EGV statuierte, ein weitererwichtiger Argumentationspfeiler, der sich nun in ähnlicher Formulierung inArt. 4 Abs. 3 EUV wiederfindet. 3 Insgesamt handelt es sich bei dem unionsrechtlichenStaatshaftungsanspruch um ein etabliertes Rechtsinstitut des Unionsrechts,das eine hybride 4 Form hat, da es einerseits bezogen auf die Anspruchsgr<strong>und</strong>lageunmittelbar im richterlichen Unionsrecht wurzelt, andererseitsaber seine nähere Ausgestaltung dem jeweiligen mitgliedstaatlichenRecht – freilich unter Wahrung des Effektivitäts- <strong>und</strong> Äquivalenzprinzips –unterliegt. Der unionsrechtliche Staatshaftungsanspruch ist gr<strong>und</strong>sätzlicheine eigenständige, vom deutschen Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGBi.V.m. Art. 34 GG getrennt zu prüfende Anspruchsgr<strong>und</strong>lage. 5II. Mitgliedstaatlicher Verstoß gegen eine den Einzelnen schützende Normdes Unionsrechts<strong>Die</strong> Beihilfengewährung durch das B<strong>und</strong>esland N könnte gegen das Notifizierungsgebotdes Art. 108 Abs. 3 S. 1 AEUV sowie gegen das Durchführungsverbotdes Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV verstoßen. Beide Regelungen entfaltenunmittelbare Wirkung <strong>und</strong> Geltung gegenüber <strong>und</strong> in der B<strong>und</strong>esrepublikDeutschland sowie ihren Untergliederungen. 6 Sie nehmen zudem am unionsrechtlichenAnwendungsvorrang teil.Gemäß Art. 108 Abs. 3 S. 1 AEUV ist die Kommission über „…jede beabsichtigteEinführung oder Umgestaltung von Beihilfen so rechtzeitig [zu] unterrichten,dass sie sich dazu äußern kann“. Sinn <strong>und</strong> Zweck dieser Notifizierungspflichtist es vor allem, der Kommission ausreichend Zeit zur Überprüfungder beabsichtigten Maßnahme hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mitUnionsrecht zu gewähren. 7 Durch die Genehmigung der Beihilfe ohne vorherigeAnmeldung bei der Kommission hat die Landesregierung N gegen deneindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift verstoßen. Da jedoch gerade nur dieKommission <strong>und</strong> nicht auch der Einzelne vom Schutzbereich erfasst wird,verstößt die Landesregierung nicht gegen eine individualschützende Norm.Allerdings schreibt Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV den Mitgliedstaaten vor, „…diebeabsichtigte Maßnahme nicht durch[zu]führen, bevor die Kommission einenabschließenden Beschluss erlassen hat“. <strong>Die</strong>ses Durchführungsverbot giltfür notifizierte <strong>und</strong> nicht-notifizierte Maßnahmen gleichermaßen sowie währenddes Vor- <strong>und</strong> Hauptprüfungsverfahrens. Geschützt wird der Markt vormöglichen Wettbewerbsverfälschungen <strong>und</strong> der einzelne Marktteilnehmervor der Gewährung von mit dem Binnenmarkt unvereinbaren Beihilfen anWettbewerber. Ohne diese Einräumung subjektiver Rechte gegenüber einzelnenWettbewerbern, die auch von den nationalen Gerichten zu beachten sind,würde letztlich das gesamte unionsrechtliche Beihilfenregime leerlaufen. 8Hiergegen hat die Regierung des B<strong>und</strong>eslandes N verstoßen, indem sie dienicht-notifizierte Beihilfe an die U-GmbH auskehrte. <strong>Die</strong> K-AG ist ein aufdemselben Markt tätiger, unmittelbarer Wettbewerber der begünstigten U-GmbH. Sie fällt damit als Wettbewerberin in den Schutzbereich des durch dasLand N verletzten individualschützenden Durchführungsverbotes des Art.108 Abs. 3 S. 3 AEUV.III. Hinreichend qualifizierter VerstoßDer Verstoß der Regierung des B<strong>und</strong>eslandes N muss auch hinreichend qualifiziertgewesen sein. Hierunter versteht der EuGH, in Anlehnung an die außervertraglicheHaftung der Union nach Art. 340 AEUV, ein erhebliches <strong>und</strong>offenk<strong>und</strong>iges Überschreiten der Grenzen des dem Mitgliedstaat eingeräumtenErmessens. 9 Dabei sind insbesondere das Maß an Klarheit der verletztenRegelung <strong>und</strong> das zur Verfügung stehende Ermessen zu berücksichtigen. Sowohldas Notifizierungsgebot des Art. 108 Abs. 3 S. 1 AEUV als auch dasDurchführungsverbot des S. 3 desselben Artikels sind klar <strong>und</strong> eindeutig formuliert(s.o. unter II.), so dass keinerlei Raum für ein Ermessen des Mitgliedstaatesübrig bleibt. Auch können Mitgliedstaaten nach der umfangreichenRechtsprechung <strong>und</strong> der Länge der Geltung dieser Regelungen (früher Art. 88Abs. 3 EGV; davor Art. 93 Abs. 3 EGV/EWGV) eine Unkenntnis der für siehandelnden Personen nicht geltend machen. 10 <strong>Die</strong>s gilt auch für das Wirtschaftsministeriumdes Landes N, das dennoch ohne vorherige Notifizierungdie Beihilfe ausgekehrt <strong>und</strong> damit sowohl gegen Art. 108 Abs. 3 S. 1 AEUV alsauch gegen Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV verstoßen hat. Ein hinreichend qualifizierterVerstoß gegen Unionsrecht liegt damit vor.<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010157


FallbearbeitungIV. Schaden<strong>Die</strong> K-AG hat ihren Schaden zutreffend auf 580 000 EUR beziffert.V. Kausalität des Verstoßes für den Schaden<strong>Die</strong> K-AG wäre ohne die staatliche Beihilfe für die U-GmbH – auch unterEinrechnung der auch ohne Beihilfengewährung möglichen <strong>und</strong> geplanten100 EUR-Neuk<strong>und</strong>enprämie – der günstigere Anbieter gewesen <strong>und</strong> hätte daheraller Wahrscheinlichkeit nach ihre K<strong>und</strong>en, ihren Umsatz <strong>und</strong> folglichauch ihren Gewinn weiter auf gleichem Niveau halten können. 11Hinweis: Tatsächlich ist die Zahl der Konkurrentenklagen wegen rechtswidrigerBeihilfen in der Praxis recht gering. <strong>Die</strong>s liegt vor allem an dem Beweisproblemfür genau diese Frage – <strong>und</strong> natürlich häufig auch an der Schwierigkeit,die genaue Schadenshöhe zu ermitteln. Für die gutachterliche Bearbeitungin Klausuren sollte aber vom Sachverhalt ausgegangen werden, so dassdiese Probleme keiner näheren Erörterung bedürfen.VI. Andere Rechtsschutzmöglichkeiten (§ 839 III BGB)Wie zuletzt der BGH, bestätigt vom EuGH, 12 annahm, ist eine zumutbareRechtsmittelergreifung gegen das Entstehen des Schadens entsprechend § 839III BGB auch im Rahmen des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs einlegitimer Ausschlussgr<strong>und</strong>. Beste Möglichkeit, die wettbewerbsschädlichenWirkungen rechtswidriger Beihilfen auszuschließen, ist, ihre Auszahlung andas potentiell begünstigte Unternehmen – etwa im Eilrechtsschutz 13 – zu verhindern.Regelmäßig kann sowohl die Beschwerde bei der EU-Kommission 14als auch die Einleitung eines Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz vorVerwaltungs- oder ordentlichen Gerichten den Konkurrenten zugemutet werden.<strong>Die</strong>s hat die K-AG nicht getan. Allerdings hat sie auch erst nach Auszahlungder Beihilfe <strong>und</strong> während der „Werbeaktion“ der U-GmbH hiervon erfahren,nämlich durch den Zeitungsbericht vom 11.02.2010. Damit scheidetein schuldhaftes Nicht-Ergreifen anderer Rechtsschutzmöglichkeiten seitensder K-AG aus.VII. Art <strong>und</strong> Umfang des SchadensersatzesArt <strong>und</strong> Umfang des Schadensersatzes orientieren sich an den für den Amtshaftungsanspruchnach deutschem Recht maßgeblichen Kriterien <strong>und</strong> müssendem unionsrechtlichen Effektivitäts- <strong>und</strong> Äquivalenzgebot Rechnung tragen.Dabei ist zu beachten, dass Art. 34 S.1 GG die nach § 839 BGB den Beamtenpersönlich treffende Haftung auf den Staat überleitet. Hieraus ergibtsich auch, dass die Haftung nicht wie üblich auf Naturalrestitution, sondernnur auf Schadensersatz in Geld gerichtet sein kann, da auch ein Beamter nichtweitergehend haften kann. Insbesondere könnte er privat beispielsweise keinenVerwaltungsakt zur „Wiedergutmachung“ des ursprünglichen Aktes erlassen.Ferner ist auch kein Mitverschulden der K-AG, das nach § 254 BGB zubeachten wäre, ersichtlich. Folglich besteht ein Anspruch auf Zahlung von580 000 EUR.VIII. VerjährungAuch für den unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch gelten die allgemeinenVerjährungsfristen der §§ 195 ff. BGB 15 , weshalb spätestens innerhalbvon 3 Jahren nach Ablauf des Jahres, in dem der Anspruchsgr<strong>und</strong> entstandenist <strong>und</strong> Kenntnis davon genommen wurde, Klage erhoben werden sollte.IX. Haftender HoheitsträgerDer Gegner des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruches bestimmt sichin Ermangelung einer unionsrechtlichen Regelung ebenfalls nach innerstaatlichemRecht, ist allerdings an die vom EuGH entwickelten Anforderungenanzupassen. 16 Es ist jedoch nicht notwendig, dass ausschließlich die B<strong>und</strong>esrepublikim völkerrechtlichen Sinn als Partner der Unionsverträge selbst haftet.Vielmehr kann die nach mitgliedstaatlichem Recht bestehende Haftungsverteilungzwischen verschiedenen Körperschaften bestehen bleiben, solangesie nicht zu ungünstigeren Bedingungen als bei innerstaatlichen Ansprüchenführt. 17 Während dies nach der EuGH-Rechtsprechung zunächst zu einemNebeneinander der Haftung der B<strong>und</strong>esrepublik <strong>und</strong> der jeweiligen Untergliederungoder Körperschaft führt, hat der BGH dies nicht aus den unionsrechtlichenVorgaben abgeleitet <strong>und</strong> sieht die reine Haftung nach innerstaatlicherVerteilung als ausreichend an. 18 <strong>Die</strong>s gilt jedenfalls, solange sich derMitgliedstaat nicht durch den Verweis auf die innerstaatliche Aufteilung derHaftung entzieht. 19In Ermangelung ausdrücklicher Regelungen im deutschen Recht richtet sichder Haftungsgegner ebenfalls nach Art. 34 S.1 GG. Nach der neueren Anvertrauenstheorie(auch Amtsübertragungstheorie) haftet diejenige staatlicheUntergliederung, die dem Amtswalter sein jeweiliges Amt, nicht aber die einzelneFunktion, übertragen hat. <strong>Die</strong>s ist regelmäßig ebenfalls die Anstellungskörperschaft.Danach haftet sowohl für MP als auch seinen Wirtschaftsministerdas Land N.X. Prozessuale Geltendmachung<strong>Die</strong> K-AG müsste, ordnungsgemäß vertreten durch den Vorstand, Klage beimnach § 71 Abs. 2 Nr.2 GVG, § 18 ZPO zuständigen Landgericht einreichen.B. AMTSHAFTUNGSANSPRUCH NACH § 839 BGB, ART. 34 GGGEGEN DAS BUNDESLAND N<strong>Die</strong> K-AG könnte ferner einen Schadensersatzanspruch aus Amtshaftunggegen das B<strong>und</strong>esland N haben, das für die rechtswidrige Beihilfe verantwortlichwar.I. Handeln/Unterlassen eines Amtsträgers in Ausübung eines öffentlichenAmtesDazu muss zunächst ein Amtsträger gehandelt haben. Nach Art. 34 GG genügtes aber, dass „jemand“ in Ausübung eines öffentlichen Amtes gehandelthat. Nicht erforderlich ist hingegen, dass der Handelnde auch Beamter im statusrechtlichenSinn ist. Sowohl der Wirtschaftsminister des Landes N, derden Bescheid erteilt hat, als auch der diesen anweisende Ministerpräsident erfüllendiese Voraussetzung während der Dauer ihrer Amtszeiten. 20 Fernermüssten die Handlungen auch öffentlich-rechtlich gewesen sein. <strong>Die</strong>s ist anzunehmen,wenn zwischen der schädigenden Handlung <strong>und</strong> der öffentlichrechtlichenTätigkeit ein „enger äußerer <strong>und</strong> innerer Zusammenhang besteht“.21 Zwischen der Tätigkeit des Ministers bzw. des Ministerpräsidentenals Ressort- bzw. Regierungschef <strong>und</strong> der öffentlichen Wirtschaftsförderungbesteht ein solcher enger innerer <strong>und</strong> äußerer Zusammenhang, zumal dieHilfe sowohl per Verwaltungsakt genehmigt als auch aus öffentlichen Mittelnbezahlt wurde. MP <strong>und</strong> der Wirtschaftsminister handelten also in Ausübungeines öffentlichen Amtes.158<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010


FallbearbeitungII. Verletzung einer drittgerichteten AmtspflichtAls Amtspflicht kommt insbesondere die gr<strong>und</strong>legende Pflicht zu rechtmäßigemVerhalten in Betracht. Zum rechtmäßigen Verhalten gehört auchdie Einhaltung der geltenden Vorschriften des Unionsrechts. MP <strong>und</strong> derWirtschaftminister haben u.A. gegen das Durchführungsverbot des Art. 108Abs. 3 S. 3 AEUV verstoßen. Da diese Regelung eine individual- <strong>und</strong> somitauch drittschützende Norm ist (s.o. A.2.), handelt es sich um einen Verstoßgegen eine drittgerichtete Amtspflicht.D. ANSPRUCH AUS ENTEIGNUNGSGLEICHEM EINGRIFF<strong>Die</strong> K-AG könnte aber einen Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff haben.Das hierfür erforderliche öffentlich-rechtliche Handeln liegt in Form derBeihilfenbewilligung durch einen Verwaltungsakt <strong>und</strong> der Finanzierung derHilfe aus Haushaltsmitteln des Landes N vor. Allerdings müsste aufgr<strong>und</strong> dieserBeihilfe an die U-GmbH auch ein Schaden bei der K-AG an solchen Güternentstanden sein, die Art. 14 I 1 GG schützt. Dessen Definition richtet sichdabei nicht nach dem zivilrechtlichen Eigentumsbegriff, sondern umfasstIII. Verschulden des Amtsträgers (§ 839 I 1 BGB) bzgl. der AmtspflichtverletzungHinweis: Anders als der unionsrechtlichen Haftungsanspruch setzt der deutscheAmtshaftungsanspruch ein schuldhaftes (vorsätzliches oder fahrlässiges)Verhalten des jeweiligen Amtsträgers voraus.Im Rahmen des Verschuldens wird ein objektivierter Verschuldensmaßstabangelegt, der auf den pflichtgemäß handelnden Durchschnittsbeamten abstellt.Bezogen auf die Amtspflicht zu rechtmäßigem Verhalten bedeutet dies,dass regelmäßig erwartet werden kann, dass ein Beamter die für die Führungseines Amtes notwendige Gesetzes- <strong>und</strong> Verwaltungskenntnis hat oder sichdiese verschafft. 22 Sowohl MP als auch der Wirtschaftsminister haben mindestensfahrlässig gehandelt, indem sie die Beihilfe einfach bewilligten <strong>und</strong>auszahlten bzw. dies anwiesen. Da zudem davon auszugehen ist, dass beidepositiv von dem Beihilfenregime der Unionsverträge wussten („…ohne überBrüssel zu gehen…“), handelten sie sogar vorsätzlich <strong>und</strong> verstießen schuldhaftgegen ihre Amtspflichten.IV. u. V. Schaden sowie Kausalität zwischen Amtspflichtverletzung <strong>und</strong>Schaden<strong>Die</strong> Amtspflichtverletzung ist laut Sachverhalt (s.o. A.IV.-V.) für den eingetretenenSchaden in Höhe von 580 000 EUR nach dem insofern maßgeblichenhypothetischen Kausalverlauf 23 – auch adäquat – ursächlich.VI. Kein HaftungsausschlussEin Ausschluss der Haftung nach § 839 I 2 BGB bei lediglich fahrlässigemVerhalten kommt nicht in Betracht, da MP <strong>und</strong> der Wirtschaftsminister vorsätzlichhandelten (s.o. III). Auch kann der K-AG nicht vorgeworfen werden,im Sinne des § 839 III BGB schuldhaft andere Rechtsmittel nicht ergriffen zuhaben (s.o. A.V.).VII. - X. Art <strong>und</strong> Umfang des Schadensersatzes (ggf. §§ 253, 254 BGB),Verjährung, haftender Hoheitsträger sowie prozessuale GeltendmachungSiehe oben unter A.VIII. bis A.X. entsprechend.C. ANSPRUCH AUS ENTEIGNENDEM EINGRIFFEin Anspruch aus enteignendem Eingriff kommt nur in Betracht, wenn derGr<strong>und</strong> für den möglichen Eigentumseingriff rechtmäßiges staatliches Handelnist. <strong>Die</strong> Beihilfe ist jedoch formell <strong>und</strong> materiell unionsrechtswidrig <strong>und</strong>damit kein geeigneter Anknüpfungspunkt für etwaige Ansprüche aus enteignendemEingriff. Da andere Anknüpfungspunkte nicht ersichtlich sind, scheidenAnsprüche hieraus gänzlich aus.1EuGH, Urteil vom 19.11.1991, Rs. C-6/90 u. 9/90 – Francovich, Slg. 1991,I-5357 (=NJW 1992, 165); Urteil vom 05.03.1996, Rs. C-46/93 u. 48/93 –Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1029. Seit dem Urteil vom 20.09.2003, Rs.C-224/01 – Köbler, Slg. 2003, I-10239 haften Staaten auch für Gemeinschaftsrechtsverstößedurch die mitgliedstaatlichen Gerichte. Mit guterÜbersicht auch EuGH, Urteil vom 24.03.2009, Rs. C-445/06 – Danske Slagterier,EuZW 2009, 334.2EuGH – Francovich, NJW 1992, 165, Rn. 35.3Seit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages stellen EUV <strong>und</strong> AEUV gemeinsam(vgl. Art. 1 Abs. 2 AEUV, Art 1 EUV) die vertragliche Gr<strong>und</strong>lageder Europäischen Union, die auch gemäß Art. 1 Abs. 3 S. 3 EUV Nachfolgerder Europäischen Gemeinschaft ist, dar.4So benannt nach Armbrüster/Kämmerer in NJW 2009, 3601.5Vgl. hierzu <strong>und</strong> zum Ganzen auch Haratsch/Koenig/Pechstein – Europarecht,7. Auflage 2010, Rn. 621 ff.6Vgl. zuletzt EuGH - Danske Slagterier a.a.O. Rn. 26, im konkreten Fall zurWarenverkehrsfreiheit des Art. 28 EGV; auch EuGH-Brasserie du Pêcheur,a.a.O. ; sowie EuGH, Urteil vom 23.05.1996, Rs. C-5/94 – Lomas, Slg. 1996,I-2553 Rn.27.7Vgl. schon EuGH, Urteil vom 15.07.1964, Rs. 6/64 – Costa/ENEL, Slg.1964, 1253 (1273).8Schon EuGH, Urteil vom 11.12.1973, Rs. 120/73 – Lorenz, Slg. 1973, 1471;auch EuGH, Urteil vom 11.07.1996 –SFEI, Slg. 1996, I-3547, etc. So auchSoltész, „Der Rechtsschutz des Konkurrenten gegen gemeinschaftswidrigeBeihilfen vor nationalen Gerichten“ in EuZW 2001, 202; sowie Martin-Ehlers,„Konvergenz von Kartell- <strong>und</strong> Beihilfenrecht“, EuZW 2010, 287 (290)m.w.N.9Siehe u.a. EuGH-Brasserie du Pêcheur, a.a.O.; auch EuGH, Urteil vom25.01.2007, Rs. C-278/05 – Robins, Slg. 2007, I-1053.10Vgl. hierzu Mitteilung der Kommission vom 09.04.2009, 2009/C 85/01,„Bekanntmachung der Kommission über die Durchsetzung des Beihilfenrechtsdurch die einzelstaatlichen Gerichte“, Rn. 45 ff.11Weitere Hinweise zu Schadensberechnung <strong>und</strong> Kausalität finden sichebenfalls in der Mitteilung der Kommission, a.a.O., Rn. 49 ff.; vgl. auchBGHZ 134, 30.12EuGH – Danske Slagterier, a.a.O.; BGH, Urteil vom 04.06.2009, Az. IIIZR 144/05, EuZW 2009, 865.13Siehe hierzu auch Soltész, a.a.O.;14<strong>Die</strong> Kommission nimmt jederzeit <strong>und</strong> von jeder natürlichen oder juristischenPerson kostenlos Beschwerden über mutmaßlich rechtswidrige staatlicheBeihilfen entgegen. Dazu stellt sie auch im Internet unter http://ec.europa.eu/competition/forms/intro_de.html ein Formular <strong>und</strong> weitereInformationen zur Verfügung.15Vgl. Fn. 12.16Koenig/Haratsch/Pechstein, a.a.O., Rn. 637 ff., m.w.N.17Siehe u.A. EuGH, Urteil vom 04.07.2000, Rs. C-424/97 – Haim, Slg. 2000,I-5123, Rn. 27-34.18BGH, Urteil vom 02.12.2004, Az. III ZR 358/03, NVwZ-RR 2006, 28 (32).19So ausdrücklich EuGH – Haim, a.a.O., Rn. 28.20Zur haftungsrechtlichen Einordnung des Ministers als Beamter sieheauch OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.03.1993, Az. 18 U 166/92, NJW-RR1993, 1184.21BGH, Urteil vom 20.05.2009, Az. I ZR 239/06, NJW 2009, 3509 (33);übersichtlich zum Ganzen auch Detterbeck, „Allgemeines Verwaltungsrechtmit Verwaltungsprozessrecht“, 8. Aufl. 2010, Rn. 1055 ff.22Papier in Münchener Kommentar zum BGB, 5. Auflage 2009, Rn. 288 zu§ 839, mit Nachweisen zur ständigen BGH-Rechtsprechung.23Detterbeck, a.a.O., Rn. 1085.<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010159


Fallbearbeitungjede vermögenswerte Rechtsposition. 24 Nicht geschützt sind hingegen bloßeGewinn- oder Erwerbschancen sowie „…die erworbene Marktstellung“. 25 <strong>Die</strong>K-AG hat nicht bereits erworbene Güter oder Teile des eingerichteten <strong>und</strong>ausgeübten Gewerbebetriebes verloren, sondern lediglich die zu dem Zeitpunktbestehende Chance, ihre eignen K<strong>und</strong>en zur Vertragsverlängerung zubewegen. Damit hat sie also lediglich Marktanteile, mithin ihre Stellung amMarkt, verloren, so dass der Schutzbereich des Art. 14 I 1 GG nicht berührt ist<strong>und</strong> ein Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff nicht besteht.E. AUFOPFERUNGSANSPRUCHVoraussetzung des Aufopferungsanspruches ist, dass in solche immateriellenRechte oder Rechtsgüter des Betroffenen eingegriffen wurde, die im Schutzbereichdes Art. 2 Abs. 2 GG liegen. <strong>Die</strong>s sind vor allem Leib, Leben <strong>und</strong> dieFortbewegungsfreiheit. <strong>Die</strong> K-AG als juristische Person verfügt jedoch nichtüber solche Rechtsgüter <strong>und</strong> könnte zudem ohnehin nur einen Vermögensschadengeltend machen. Ein Aufopferungsanspruch besteht daher nicht.F. FOLGENBESEITIGUNGSANSPRUCHDa Folgenbeseitigungsansprüche in der Rechtsfolge keine Geldleistungen erfassen(von wenigen Ausnahmen abgesehen), der Ersatz in Geld aber das erklärteZiel der K-AG ist, scheiden Ansprüche hieraus ebenfalls aus.Ergebnis <strong>und</strong> Ihr Rat an den Vorstand der K-AG:Sowohl aus unionsrechtlichem Staatshaftungsanspruch als auch aus der Amtshaftungnach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG steht der K-AG ein Schadensersatzanspruchin Geld in Höhe von 580 000 EUR gegen das B<strong>und</strong>esland N zu.Bei der vorliegenden Beweis- <strong>und</strong> Sachlage ist vom Erfolg einer möglichenKlage auszugehen.Karlheinz MuschelerErbrecht2010.Teilband I:XXXV, 1212 Seiten;Teilband II:XXVIII, 1213 – 2387 Seiten(Lehrbuch des Privatrechts).ISBN 978-3-16-150421-1Leinen € 279,–KarlheinzMuscheler behandeltin seinemzweibändigenLehrbuch»Erbrecht« dasgesamte Gebietdes Erbrechts inwissenschaftlichvertiefter <strong>und</strong>zugleich praxisbezogenerWeise.Alle Gesetzesreformenderjüngsten Vergangenheitwurdendabei umfassendberücksichtigt.In seinem zweibändigenLehrbuch »Erbrecht« behandeltKarlheinz Muscheler dasgesamte Gebiet des Erbrechtsin wissenschaftlich vertiefter<strong>und</strong> zugleich praxisbezogenerWeise. <strong>Die</strong> am 1.1.2010 in Kraftgetretene Erbrechtsreform, dieam 1.9.2009 in Kraft getreteneReform des erbrechtlichenVerfahrens (FamFG) <strong>und</strong> dieReform der Erbschaftsteuerzum 1.1.2009 wurden in vollemUmfang berücksichtigt. DasErbrecht wird in den nächstenJahren immer wichtiger. Dennjetzt gelangt das in der Nachkriegszeitaufgebaute Vermögenin die nächste Generation.Nicht zuletzt bei den Unternehmenstellen sich schwierigeNachfolgeprobleme. Im vorliegendenLehrbuch wird, in dieserForm <strong>und</strong> diesem Umfangzum ersten Mal, den einzelnenMaterien, also gewissermaßendem Besonderen Teil, ein AllgemeinerTeil des Erbrechtsvorangestellt. Dessen Hauptteilbilden die aus den besonderenMaterien abgeleiteten <strong>und</strong>umgekehrt deren Beurteilungleitenden »Prinzipien des Erbrechts«.24Vgl. Papier in Maunz/Dürig, Kommentar zum Gr<strong>und</strong>gesetz, 57. Auflage2010, Rn. 160 zu Art. 14 GG.25So BVerfG, Beschluss vom 06.10.1987, Az. 1 BvR 1086/82, 1 BvR 1468/82,1 BvR 1623/82, BVerfGE 77, 84, Rn. 106.Maßgeschneiderte Informationen: www.mohr.deMohr SiebeckTübingeninfo@mohr.dewww.mohr.de160


FallbearbeitungExamenskandidaten im Zivilrecht:„Widerruf einer transmortalen Vollmacht“von Wiss. Mit. Marayke Frantzen (Universität Bonn)Das Erbrecht ist ein von <strong>stud</strong>entischer Seite leider nur allzu oft vernachlässigterTeilbereich des Zivilrechts. Da die Materie des Erbrechts jedoch vieleSchnittstellen gerade zum allgemeinen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches,aber auch zu anderen Bereichen wie beispielsweise dem Familienrecht, aufweist,eignet sie sich bestens für Fortgeschrittenenklausuren im Zivilrecht. ImZusammenhang mit dem Erbrecht begegnen den Studenten oft altbekannteProblematiken in neuem Gewand, die eine differenzierte Notenabstufung ermöglichen.Der inhaltliche Kern des hier dargestellten Falles beschäftigt sich mit der Problematikdes Widerrufs einer transmortalen 1 Vollmacht. Es besteht eine diametraleDiskrepanz zwischen dem Willen des Erblassers <strong>und</strong> dem Willen derErbin, sodass es zu klären gilt, auf wen es letztlich ankommt. <strong>Die</strong>se Problematikhat den BGH im Jahre 1994 in gleich zwei Entscheidungen beschäftigt. 2Dass sie auch heute noch aktuell ist, beweist nicht zuletzt die Entscheidungdes BGH zur Reichweite einer einem Ehepartner erteilten transmortalenKontovollmacht aus dem März 2009. 3 Ebenfalls einen Schwerpunkt bildet dasProblemfeld um die Frage nach der Abgrenzung einer Schenkung unter Lebendenvon einer Schenkung auf den Todesfall <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>eneFrage, wann jeweils Vollzug <strong>und</strong> damit Heilung eines Formmangels anzunehmenist. <strong>Die</strong>se Fragestellung ist seit dem Bonifatius-Fall 4 des Reichsgerichtesein ebenso berühmter wie umstrittener „Klassiker“ des Erbrechts. 5I. SACHVERHALTDer schon seit längerer Zeit an schweren Depressionen leidende E ist seit über20 Jahren mit F verheiratet. F konnte die Belastung, die mit dieser Krankheitauch für den Partner einhergeht, jedoch nicht mehr ertragen, so dass sie sichtrennte <strong>und</strong> vor über drei Jahren aus der gemeinsamen Wohnung auszog. E<strong>und</strong> F haben keine Kinder. Außer seiner Tante T hat E zudem auch keinesonstigen Verwandten.Vor einem halben Jahr lernte er jedoch eine neue Lebensgefährtin, die mittelloseL, kennen. Sie zog zu ihm <strong>und</strong> kümmerte sich fortan um ihn. Ihr gegenüberäußerte er, es sei für sie im Falle seines Ablebens gesorgt. Bei T, die Bescheidwisse, liege etwas für sie bereit.Schließlich beging E im Zuge einer akuten Depression Suizid. Schon vorherhat er aber tatsächlich der T, mit der ihn ein besonderes Vertrauensverhältnisverband, Schmuck im Wert von 100.000 € in einer verschlossenen Schatulleübergeben <strong>und</strong> sie beauftragt, diese nach seinem Tod der L auszuhändigen.Am Tag nach der Beerdigung von E kommt F in die Wohnung des E <strong>und</strong> trifftdort T <strong>und</strong> L an. Sie erklärt beiden, dass sie den Schmuck suche <strong>und</strong> fragt, obsie wüssten, wo dieser sich befinde. L schweigt. T sagt, sie wisse es nicht. Fstellt die ganze Wohnung erfolglos auf den Kopf. Enttäuscht verlässt sie dieWohnung des E.T wendet sich daraufhin an L, zieht aus ihrer Tasche die Schatulle mit denSchmuck <strong>und</strong> sagt: „Hier, die soll ich dir von E geben.“ L nimmt die Schatullehocherfreut entgegen.Marayke Frantzen, Jahrgang 1983, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin<strong>und</strong> Doktorandin am Institut für römisches Recht<strong>und</strong> vergleichende Rechtsgeschichte der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-UniversitätBonn. Sie <strong>stud</strong>ierte Rechtswissenschaftenan der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster<strong>und</strong> der Università degli <strong>stud</strong>i Roma Tre in Rom <strong>und</strong> arbeitetzurzeit an einem Promotionsvorhaben zum Thema „<strong>Die</strong>Selbsttötung im römischen Recht“.Kurz darauf erhält F von den Vorgängen Kenntnis <strong>und</strong> verlangt den Schmuckvon L heraus.Zu Recht?II. GLIEDERUNGA. Anspruch F gegen L gem. § 985 BGBI. Ursprüngliches Eigentum des E, § 1006 I 1 BGBII. Eigentumserwerb der F gem. § 1922 I 1. Alt. BGB1. Erbeinsetzung durch letztwillige Verfügung gem. § 1937 BGB2. Gesetzliche Erbenstellung der F gem. § 1931 BGB3. Ausschluss des Ehegattenerbrechts gem. § 1933 S.1 BGB i.V.m. §§ 1564 ff.BGBIII. Eigentumsverlust an L gem. § 929 S.1 BGB1. Direkte Willenserklärung E2. Stellvertretung durch T gem. § 164 I 1 BGBa) Eigene Willenserklärung der Tb) In fremden Namenc) Mit Vertretungsmachtaa) Vollmachtserteilung gem. § 167 I 1. Alt. BGBbb) Keine Auswirkung des Todes von E auf die Wirksamkeit gem. § 130 IIBGBcc) Widerruf der Vollmacht durch F1<strong>Die</strong> Begriffe „transmortale Vollmacht“ <strong>und</strong> „postmortale Vollmacht“ werdenin der Literatur teilweise deckungsgleich verwendet. Es ist jedoch zuunterscheiden: Eine transmortale Vollmacht bezeichnet eine zu Lebzeitenerteilte <strong>und</strong> noch über den Tod hinaus weiter bestehende Vollmacht. Einepostmortale Vollmacht beschreibt im Unterschied dazu eine Vollmacht,die erst mit dem Tod beginnt.2BGH, Urt. v. 25.10.1994 – XI ZR 239/93, NJW 1995, 250 <strong>und</strong> BGH, Urt. v.29.11.1994 – XI ZR 175/93, NJW 1995, 953, dem dieser Fall in abgewandelterFassung nachgebildet ist.3BGH, Urt. v. 24.03.2009 – XI ZR 191/08.4RGZ 83, 223.5Vgl. nur BGH, Urt. v. 18.01.2005 – X ZR 264/02; BGH, Urt. v. 26.11.2003– IV ZR 438/02; BGH Urt. v. 05.03.1986 – IVa ZR 141/84; BGH Urt. v.09.11.1966 – VIII ZR 73/64; OLG Köln, Urt. v. 20.07.2005 – 13 U 62/05;Wacke, Donner et retenir ne vaut – Kein Schenkungsvollzug ohne Aushändigung,AcP 2001, 256 ff.<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010161


Fallbearbeitung(1) Kein Widerruf, da fehlendes Erklärungsbewusstsein(2) Ergänzende Auslegung/Arglist führt zu Widerruf(3) Kein Widerruf nötig, evidenter Missbrauch der Vertretungsmacht(4) StreitentscheidErgebnis: Anspruch der F gegen L gem. § 985 BGB (+/-)B. Anspruch F gegen L gem. § 812 I 1 1. Alt. BGBI. Erlangtes EtwasII. Durch LeistungIII. Ohne Rechtsgr<strong>und</strong>1. Einigung gem. §§ 145 ff. BGB über Schenkunga) Angebot Eaa) Direktbb) Stellvertretung durch T gem. § 164 I 1 BGB(1) Eigene Willenserklärung in fremden Namen(2) Mit Vertretungsmachtb) Annahme der L2. Nichtigkeit des Schenkungsvertrages gem. § 125 S. 1 BGBa) Durch Gesetz vorgeschriebene Formb) Nichteinhaltungc) HeilungErgebnis: F hat keinen Anspruch gegen L gem. § 812 I 1 1. Alt. BGBIII. LÖSUNGA. ANSPRUCH F GEGEN L GEM. § 985 BGBF könnte einen Anspruch gegen L auf Herausgabe des Schmucks gem. § 985 BGBhaben. Dazu müsste sie Eigentümerin <strong>und</strong> L Besitzerin des Schmucks ohneRecht zum Besitz i.S.d. § 986 BGB sein.I. Ursprüngliches Eigentum des E, § 1006 I 1 BGBUrsprünglich folgt aus der Eigentumsvermutung für den Besitzer gem.§ 1006 I 1 BGB, dass E Eigentümer des Schmucks war.II. Eigentumserwerb der F gem. § 1922 I 1. Alt. BGBF könnte jedoch mit dem Suizid des E im Zuge seiner akuten DepressionEigentümerin des Schmucks im Rahmen der Universalsukzession gem.§ 1922 I 1. Alt. BGB geworden sein. Das setzt allerdings voraus, dass sie Erbindes E ist.1. Erbeinsetzung durch letztwillige Verfügung gem. § 1937 BGBVorrangig vor der gesetzlichen Erbfolge ist eine etwaige gewillkürte Erbfolgezu berücksichtigen, vgl. § 1937 BGB. 6 Für eine einseitige Verfügung von Todeswegen seitens des E ist hier jedoch nichts ersichtlich.2. Gesetzliche Erbenstellung der F gem. § 1931 BGBF könnte als Ehefrau des E aber gesetzliche Erbin des E geworden sein. Dasgesetzliche Erbrecht des Ehegatten wird in § 1931 BGB geregelt. Der auf denüberlebenden Ehegatten entfallende Erbteil ist umso höher, je entfernter dieVerwandtschaft zu den Miterben ist. 7 Gem. § 1931 I 1 BGB ist der überlebendeEhegatte des Erblasser neben Verwandten erster Ordnung zu einemViertel <strong>und</strong> neben Verwandten zweiter Ordnung oder neben Großeltern zurHälfte der Erbschaft als gesetzlicher Erbe berufen. Erben der ersten Ordnungsind gem. § 1924 I BGB die Abkömmlinge des Erblassers. E hatte jedoch keineKinder, sodass keine Erben erster Ordnung i.S.d. § 1924 I BGB existieren.Erben der zweiten Ordnung sind gem. § 1925 I BGB die Eltern des Erblassers<strong>und</strong> deren Abkömmlinge. E hatte jedoch außer der Tante T, die als Abkömmlingder Großeltern nur der dritten Ordnung i.S.d. § 1926 I BGB zuzuordnenist, keine weiteren Verwandten, folglich auch keine der zweiten Ordnung.Mithin ist § 1931 I 1 BGB nicht einschlägig <strong>und</strong> F ist weder zu einem Viertel,noch zur Hälfte der Erbschaft als gesetzliche Erbin berufen. In Betrachtkommt aber, dass ihr gem. § 1931 II BGB die ganze Erbschaft zusteht. Danndürften weder Verwandte der ersten, noch der zweiten Ordnung, noch Großelternvorhanden sein. So verhält es sich hier. Folglich erhält F die ganze Erbschaftgem. § 1931 II BGB.3. Ausschluss des Ehegattenerbrechts gem. § 1933 S. 1 BGB i.V.m.§§ 1564 ff. BGBIn Betracht kommt jedoch, dass das Ehegattenerbrecht hier gem.§ 1933 S. 1 BGB i.V.m. §§ 1564 ff. BGB 8 ausgeschlossen ist. Dann müssten zurZeit des Todes des E die Voraussetzungen für eine Scheidung der Ehe gegebengewesen sein <strong>und</strong> E müsste die Scheidung beantragt oder ihr zugestimmt haben.Gem. § 1565 I 1 BGB kann eine Ehe geschieden werden, wenn sie gescheitertist. Sie ist gem. § 1565 I 2 BGB gescheitert, wenn die Lebensgemeinschaftder Ehegatten nicht mehr besteht <strong>und</strong> nicht erwartet werden kann, dassdie Ehegatten sie wiederherstellen. Hierfür stellt § 1566 II BGB die unwiderleglicheVermutung auf, wenn die Ehegatten seit drei Jahren getrennt leben,wobei getrennt leben gem. § 1567 I BGB bedeutet, dass die häusliche Gemeinschaftaufgelöst ist <strong>und</strong> ein Ehegatte sie erkennbar auch nicht herstellen will. Fist vor über drei Jahren aus der gemeinsamen Wohnung mit E ausgezogen.Seither gab es keine Anzeichen für eine Wiederherstellung der häuslichen Gemeinschaft.Somit greift § 1566 II BGB.Allerdings hat weder E die Scheidung beantragt, noch F die Scheidung beantragt<strong>und</strong> E diesem Antrag zugestimmt. Folglich sind die Voraussetzungendes § 1933s . 1 BGB i.V.m. §§ 1564 ff. BGB nicht erfüllt <strong>und</strong> das Ehegattenrechtder F ist nicht ausgeschlossen. F ist damit die gesetzliche Alleinerbin desE <strong>und</strong> gem. § 1922 I 1. Alt. BGB im Zuge der Universalsukzession Eigentümerinauch des Schmucks geworden.III. Eigentumsverlust an L gem. § 929 S.1 BGBSie könnte dieses Eigentum jedoch möglicherweise gem. § 929 S. 1 BGBwieder an L verloren haben. Hierzu bedarf es einer Einigung über den Eigentumsübergang,sowie einer Übergabe.F selbst hat nie erklärt, dass Eigentum an dem Schmuck an L übertragen zuwollen. Im Gegenteil macht sie durch ihr Verhalten deutlich, dass sie denSchmuck für sich beansprucht. Möglich ist aber, dass E zu Lebzeiten eine entsprechendeErklärung abgegeben hat. Da F gem. §§ 1922 I 1. Alt., 1967 BGBin die Rechtsposition von E eingetreten ist, träfe sie auch die Wirkung einersolchen Willenserklärung des E.1. Direkte Willenserklärung von EAber auch E hat gegenüber L eine solche Erklärung nicht abgegeben.2. Stellvertretung durch T gem. § 164 I 1 BGBIndem T gegenüber L äußerte „Hier, die soll ich dir von E geben“, hat T eine162<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010


Fallbearbeitungentsprechende Willenserklärung zum Eigentumsübergang an dem Schmuckauf L abgegeben. <strong>Die</strong>se Willenserklärung wirkt für <strong>und</strong> gegen E – <strong>und</strong> mithinüber §§ 1922 I 1.Alt., 1967 BGB auch für <strong>und</strong> gegen F -, wenn T ihn gem.§ 164 I 1 BGB wirksam vertreten hat. Hierfür müsste T eine eigene Willenserklärungin fremden Namen mit Vertretungsmacht abgegeben haben.a) Eigene Willenserklärung der TIn der genannten Äußerung liegt eine eigene Willenserklärung. T besaß einengewissen Entscheidungsspielraum <strong>und</strong> war mithin nicht nur Botin.b) In fremden NamenIndem T davon sprach, ihr die Schatulle von E geben zu sollen, tat sie auchdem Offenk<strong>und</strong>igkeitsprinzip genüge.c) Mit VertretungsmachtSchließlich müsste T jedoch auch mit Vertretungsmacht gehandelt haben.aa) Vollmachtserteilung gem. § 167 I 1. Alt. BGBIn Betracht kommt eine rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht, also eine Vollmachtgem. § 166 II 1 BGB. E erteilte der T gegenüber eine Innenvollmachti.S.v. § 167 I 1. Alt. BGB in Form einer Spezialvollmacht, die Verpflichtungs<strong>und</strong>Verfügungsgeschäft hinsichtlich des Schmuckes umfasste.bb) keine Auswirkung des Todes von E auf die Wirksamkeit gem.§ 130 II BGBMöglicherweise wirkt sich die Tatsache, dass E zeitnah nach Erteilung derVollmacht verstarb, negativ auf das Bestehen der Vollmacht aus. § 130 II BGB 9bestimmt jedoch, dass es auf die Wirksamkeit einer Willenserklärung ohneEinfluss ist, wenn der Erklärende nach der Abgabe verstirbt. 10cc) Widerruf der Vollmacht durch FWie bereits aufgezeigt hatte F im Gegensatz zu E nie den Willen, L denSchmuck zu überlassen. Am Tag nach der Beerdigung von E kam F in dieWohnung des E, traf dort T <strong>und</strong> L an <strong>und</strong> erklärte beiden, dass sie denSchmuck suche, wobei sie fragt, ob T oder L wüssten, wo dieser sich befinde.Im Anschluss daran stellte F die ganze Wohnung erfolglos auf den Kopf <strong>und</strong>verließ enttäuscht die Wohnung des E.Höchstfraglich ist, ob in diesem Verhalten ein Widerruf der transmortalenVollmacht 11 <strong>und</strong> damit ein Erlöschen von selbiger gem. § 168 BGB zu sehenist. 12(1) Kein Widerruf, da fehlendes ErklärungsbewusstseinNach dem BGH setzt der Widerruf als Willenserklärung das Bewusstsein voraus,dass eine rechtsgeschäftliche Erklärung wenigstens möglicherweise erforderlichist. 13 „Soweit einem tatsächlichen Verhalten auch ohne ein solchesErklärungsbewusstsein oder ohne einen Rechtsbindungswillen die Wirkungeneiner Willenserklärung beigelegt wird, geschieht dies zum Schutze desredlichen Rechtsverkehrs <strong>und</strong> setzt einen Zurechnungsgr<strong>und</strong> voraus, der nurdann gegeben ist, wenn der sich in missverständlicher Weise Verhaltende beiAnwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen <strong>und</strong> vermeidenkönnen, dass die in seinem Verhalten liegende Äußerung nach Treu<strong>und</strong> Glauben <strong>und</strong> der Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefasst werdendurfte, <strong>und</strong> wenn der Empfänger sie auch tatsächlich so verstanden hat. <strong>Die</strong>seGr<strong>und</strong>sätze gelten insbesondere auch für schlüssiges Verhalten ohne Erklärungsbewusstsein.(...) Soll es als Willenserklärung rechtliche Folgen haben,muss der sich Äußernde fahrlässig bei dem Erklärungsempfänger das Vertrauenauf einen bestimmten Erklärungsinhalt seines Verhaltens geweckt haben.<strong>Die</strong>ser Begründungsansatz <strong>und</strong> der Schutzzweck schließen es aus, aus einemtatsächlichen Verhalten ohne Erklärungsbewusstsein Rechtsfolgen zuLasten Dritter herzuleiten. <strong>Die</strong> Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichenSorgfalt durch den Erklärenden ist kein vernünftiger Gr<strong>und</strong>, seineRechtsstellung zu verbessern; bei ihm fehlt es im Übrigen an einem durchsein eigenes Verhalten geschaffenen schutzwürdigen Vertrauen.“ 14 <strong>Die</strong> Gr<strong>und</strong>sätzeder Erklärungstheorie, nach der eine Willenserklärung trotzdem für<strong>und</strong> gegen den Erklärenden wirken kann <strong>und</strong> lediglich anfechtbar ist, geltendem BGH zufolge somit nur für <strong>und</strong> nie gegen den Erklärungsempfänger.Für den vorliegenden Fall bedeutet das folgendes: F hat zum fraglichen Zeitpunktnichts von einer durch den Erblasser erteilten Vollmacht gewusst. Füreine ergänzende Auslegung ihres zur Erzeugung von Rechtswirkungen ungeeignetenVerhaltens als einen Widerruf ist deshalb dem BGH zufolge keinRaum.(2) Ergänzende Auslegung/Arglist führt zu WiderrufDas Berufungsgericht hingegen hatte noch angenommen, in der Suche nachdem Schmuck sei im Wege der ergänzenden Auslegung ein Widerruf dertransmortalen Vollmacht zu sehen. <strong>Die</strong> Erbin habe deutlich erkennbar zumAusdruck gebracht, den Schmuck für sich haben zu wollen. Zumindest Thätte diesen hypothetischen Willen auch erkennen müssen. 15 Auch im Schrifttumwird vorgebracht, vor allem die direkte Frage nach dem Verbleib habe dieAussage umfasst, dass womöglich irgendetwas Rechtserhebliches mit demSchmuck passiert sein könnte <strong>und</strong> F dies nicht gelten lassen wolle, sondernvielmehr den Schmuck für sich beanspruche. Selbst aber, wenn man dieseAuslegung als zu weit ansähe, müsste zumindest das arglistige Verhalten derVertreterin (T antwortete der F wahrheitswidrig sie wisse nicht, wo derSchmuck sei) dazu führen, dass man sie so behandele, als sei die Vollmachtwiderrufen worden. 166<strong>Die</strong>ser Vorrang ergibt sich zum einen aus dem in § 1937 BGB zugestandenenRecht, den oder die Erben selbst zu bestimmen. Zum anderen lässt ersich auch aus den in § 1938 BGB (Enterbung ohne Erbeinsetzung) <strong>und</strong>§ 1941 BGB (Erbvertrag) zugestandenen Rechten entnehmen. Vgl. auchMüKo/Leipold, § 1937 Rn. 2.7So Schulze/Hoeren, Bürgerliches Gesetzbuch, § 1931 Rn. 4.8Zum Thema: Abele/Klinger, Scheidung <strong>und</strong> Ehegattenerbrecht, FPR 2006,138 ff.; Kellermann, <strong>Die</strong> Auswirkungen einer Scheidung auf das Ehegattenerbrecht,JuS 2004, 1071 ff.9Sehr ausführlich zur § 130 II BGB: Roth, Probleme des postmortalen Zugangsvon Willenserklärungen – Ein Beitrag zum Anwendungsbereich des§ 130 II BGB, NJW, 1992, 791 ff.10Parallel dazu wird auch das Zustandekommen eines Vertrages gem. § 153 BGBnicht dadurch gehindert, dass der Antragende vor der Annahme verstirbt, essei denn, dass ein anderer Wille des Antragenden anzunehmen ist.11Hierzu Schultz, Widerruf <strong>und</strong> Mißbrauch der postmortalen Vollmachtbei der Schenkung unter Lebenden, NJW 1995, 3345 ff.12Hier liegt das eigentliche Kernproblem des Falles, bei dem vieles vertretbarist <strong>und</strong> für eine überdurchschnittliche Note eine ausführliche Darstellungerwartet wird.13Vgl. BGH, Urt. v. 10. 05. 1968 - V ZR 221/64, WM 1968, 775.14BGH, Urt. v. 29.11.1994 – XI ZR 175/93 Rn. 10f.15OLG Stuttgart, Urt. v. 05.08.1993 Az. 19 U 38/93.16Schultz, Widerruf <strong>und</strong> Mißbrauch der postmortalen Vollmacht bei derSchenkung unter Lebenden, NJW 1995, 3345 (3347).<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010163


Fallbearbeitung(3) Kein Widerruf nötig, evidenter Missbrauch der VertretungsmachtSchließlich könnte man anführen, dass es auf den Widerruf letztlich überhauptnicht ankomme. Der Vertragspartnerin, hier der L, hätte es sich geradezuaufdrängen müssen, dass F das Geschäft nicht wollte. In dem Moment,als ihr von T der Schmuck übergeben wird, weiß sie von F’s erfolgloser Suchenach diesem. Man kann daher auch der Ansicht sein, dass es sich hier um einenFall des evidenten Vollmachtsmissbrauchs handelt, sodass auf diesemWege die Vertretungsmacht entfällt. 17(4) StreitentscheidEs besteht eine diametrale Diskrepanz zwischen dem Willen des Erblassers<strong>und</strong> dem Willen der Erbin, sodass der ganzen Problematik die eigentlicheKernfrage zugr<strong>und</strong>e liegt, wessen Willen man hier für entscheidend hält. <strong>Die</strong>besseren Argumente sprechen wohl dafür, den Erblasser für entscheidend zuhalten, da auf die Erbenstellung im deutschen Erbrecht kein Anspruch, sondernstets nur eine nuda spes besteht.Bearbeiterhinweis: Im Ergebnis sind aber mit entsprechender Begründungalle Ansichten vertretbar. Es kommt nur darauf an, zumindest einige der aufgeworfenenPunkte überhaupt zu erkennen. Gegen die Ansicht des BGHkönnte man bspw. mit Habersack vorbringen, dass die Annahme, die Erklärungstheoriekönne nur für <strong>und</strong> nie gegen den Erklärungsempfänger wirken,nicht zwingend ist <strong>und</strong> sich nicht mit den „Vorgaben der Rechtsgeschäftslehre,insbesondere dem Recht der Willensmängel“ 18 vertrage.Ergebnis: Entscheidet der Verfasser sich für Ansicht (1), wird F wegen§§ 1922 I 1. Alt., 1967 BGB die Willenserklärung der T über § 164 I 1 BGB zugerechnet<strong>und</strong> L ist Eigentümerin des Schmuckes geworden (eine entsprechendeWE ihrerseits, sowie eine Übergabe liegen unproblematisch vor). EinAnspruch der F gegen L gem. § 985 BGB scheidet daher aus.Bearbeiterhinweis: <strong>Die</strong>se Vorgehensweise bietet sich zumindest aus klausurtaktischenGründen an, denn nur so kommt man im Rahmen des§ 812 I 1 1. Alt. BGB zu dem Folgeproblem der Abgrenzung einer Schenkungunter Lebenden von einer Schenkung auf den Todesfall.Entscheidet der Verfasser sich hingegen für Ansicht (2) oder (3) bleibt F Eigentümerindes Schmucks <strong>und</strong> entsprechend ist ein Anspruch der F gem.§ 985 BGB (die Prüfungspunkte Besitzer <strong>und</strong> kein Recht zum Besitz i.S.d.§ 986 BGB sollten ebenfalls keine Probleme bereiten) zu bejahen.II. Durch LeistungLeistung ist jede bewusste <strong>und</strong> zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens.L erhielt Eigentum <strong>und</strong> Besitz durch eine solche.III. Ohne Rechtsgr<strong>und</strong><strong>Die</strong>s müsste jedoch auch ohne Rechtsgr<strong>und</strong> geschehen sein. In Betrachtkommt jedoch, dass eine Schenkung gem. § 516 I BGB vereinbart wurde.1. Einigung gem. §§ 145 ff. BGB über SchenkungHierzu bedürfte es zunächst einer Einigung, mithin zweier übereinstimmenderWillenserklärungen über die Schenkung gem. §§ 145 ff. BGB, namentlicheinem Angebot <strong>und</strong> einer Annahme. Auch diesbezüglich liegt eine entsprechendeWillenserklärung der F nicht vor. Wegen §§ 1922 I 1. Alt., 1967 BGBwürde sie aber auch eine solche Willenserklärung des E treffen.a) Angebot EZunächst müsste E also ein Angebot abgegeben haben. Ein Angebot ist eineWillenserklärung, die einem anderen einen Vertragsschluss so konkret anbietet,dass dieser für das Zustandekommen nur noch zustimmen muss.aa) DirektE hat L persönlich aber kein solches Angebot gemacht.bb) Stellvertretung durch T gem. § 164 I 1 BGBIndem T äußerte „Hier, die soll ich Dir von E geben“ hat T der L jedoch einAngebot auf Abschluss eines Schenkungsvertrages gem. § 516 I BGB unterbreitet.<strong>Die</strong>ses wirkt für <strong>und</strong> gegen E, wenn die Voraussetzungen der Stellvertretunggem. § 164 I 1 BGB erfüllt sind. T müsste folglich eine eigene Willenserklärungin fremden Namen mit Vertretungsmacht abgegeben haben.(1) Eigene Willenserklärung in fremden NamenIn der besagten Äußerung ist unproblematisch eine solche eigene Willenserklärungin fremdem Namen zu sehen.(2) Mit VertretungsmachtE hatte T eine rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht, eine Innenvollmacht inForm einer Spezialvollmacht gem. § 167 I 1. Alt. BGB erteilt, die Verpflichtungs-<strong>und</strong> Verfügungsgeschäft hinsichtlich des Schmuckes umfasste. SeinTod hat gem. § 130 II BGB keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Vollmacht.Auch hier stellt sich aber erneut die Frage, ob F diese Vollmacht widerrufen<strong>und</strong> damit zum Erlöschen gem. § 168 BGB gebracht hat.B. ANSPRUCH F GEGEN L GEM. § 812 I 1 1. A lt. BGBF könnte einen Anspruch gegen L auf Herausgabe des Schmucks gem.§ 812 I 1 1. Alt. BGB haben. Dazu müsste L etwas durch Leistung <strong>und</strong> ohneRechtsgr<strong>und</strong> erlangt haben.I. Erlangtes EtwasEtwas erlangt meint jeden vermögenswerten Vorteil. Hier hat L Eigentum(nur, wenn man zuvor Ansicht (1) gefolgt ist!) <strong>und</strong> Besitz am Schmuck erlangt.Bearbeiterhinweis: <strong>Die</strong>se Frage muss deckungsgleich mit der eigenen Entscheidungzuvor beantwortet werden. Nur wer zu einer bestehenden Vertretungsmachtgelangt, kann die Prüfung wie im Folgenden fortsetzen. Ansonstenist ein Rechtsgr<strong>und</strong> an dieser Stelle zu verneinen <strong>und</strong> F der Anspruch aus§ 812 I 1 1. Alt. BGB zuzugestehen.b) Annahme der LL müsste das Angebot von E aber auch angenommen haben. Eine Annahmeist die in Bezug auf ein Angebot zustimmende Willenserklärung. L nahm dieSchatulle mit dem Schmuck freudig entgegen. Hierin liegt eine konkludenteAnnahme. Der Tod des E vor der Annahme steht dem gem. § 153 BGB nicht164<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010


Fallbearbeitungentgegen. Aufgr<strong>und</strong> von §§ 1922 I 1. Alt., 1967 BGB liegt mithin ein Schenkungsvertragzwischen F <strong>und</strong> L vor.Der Schenkungsvertrag ist daher gem. § 125 S. 1 BGB nichtig. Infolgedessenexistiert kein Rechtsgr<strong>und</strong> i.S.d. § 812 I 1 1. Alt. BGB.2. Nichtigkeit des Schenkungsvertrages gem. § 125 S. 1 BGBMöglicherweise ist dieser Schenkungsvertrag jedoch wegen Formmangelsnichtig gem. § 125 S. 1 BGB. Dann müsste durch Gesetz eine bestimmte Formvorgeschrieben <strong>und</strong> diese nicht eingehalten worden sein.Ergebnis: F hat einen Anspruch gegen L gem. § 812 I 1 1. Alt. BGB auf Herausgabedes Schmucks.a) Durch Gesetz vorgeschriebene FormGem. § 518 I BGB muss ein Schenkungsversprechen notariell beurk<strong>und</strong>etwerden. Sollte es sich hier um eine Schenkung auf den Todesfall handeln,muss gem. §§ 2301 I, 2276 BGB der Schenkungsvertrag zur Niederschrift einesNotars bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Teile erfolgen. 19b) NichteinhaltungDas Schenkungsversprechen wurde jedoch weder notariell beurk<strong>und</strong>et, nochder Schenkungsvertrag zur Niederschrift eines Notars bei gleichzeitiger Anwesenheitbeider Teile vorgelegt. Somit wurde unabhängig davon, ob eineSchenkung unter Lebenden oder auf den Todesfall vorliegt, die durch Gesetzvorgeschriebene Form nicht eingehalten.c) HeilungIn Betracht kommt allerdings, dass eine Heilung des Formmangels eingetretenist, sodass der Schenkungsvertrag nicht gem. § 125 S. 1 BGB nichtig ist.Für die Heilung einer Schenkung unter Lebenden genügt es gem. § 518 II BGB,wenn die versprochene Leistung bewirkt wird. L wurde das Eigentum an demSchmuck unter Mitwirkung der Vertreterin T übertragen, daher wären dieVoraussetzungen des § 518 II BGB erfüllt. Fraglich ist jedoch, ob es sichim vorliegenden Fall nicht um eine Schenkung auf den Todesfall gem.§ 2301 I BGB handelt. Sinn <strong>und</strong> Zweck des § 2301 BGB besteht darin, eineAushöhlung der erbrechtlichen Formvorschriften zu vermeiden. Wenn eineSchenkung auf den Todesfall vorliegt, tritt eine Heilung daher nur ein, wennder Erblasser selbst zu Lebzeiten die Schenkung i.S.d. § 2301 II BGB vollzogenhat. Nur in diesen Fällen kann sie nämlich einer Schenkung unter Lebendengleichgestellt werden. Was dies aber im Einzelnen gr<strong>und</strong>sätzlich voraussetzt,ist stark umstritten. 20 Steht die Erfüllung noch aus, ist zu fordern, dass derErblasser zu Lebzeiten bereits alles getan haben muss, damit die Vermögensverschiebungohne sein weiteres Zutun eintreten kann. 21 Der Erblasser musssich zu Lebzeiten schon derartig geb<strong>und</strong>en haben, dass er im Ergebnis nichtmehr anders entscheiden kann. 22 Für unseren Spezialfall, dass der Erblasserstirbt, bevor ein von ihm beauftragter Dritter die Erfüllungshandlung vornimmt,könnte man daher höchstens bei einer unwiderruflich erteilten Vollmacht§ 2301 II BGB bejahen. 23 In dem vorliegenden Fall war die Vollmachtmangels gegenteiliger Angaben jedoch frei widerruflich, sodass keine Heilunggem. § 2301 II BGB vorläge.Es handelt sich aber immer nur dann um eine Schenkung auf den Todesfall,wenn der Erblasser die auf den Erbfall bezogene Schenkung unter die Bedingungstellt, dass der Beschenkte den Schenker überlebt. 24 <strong>Die</strong> Zuwendungmuss also höchstpersönlicher Natur <strong>und</strong> nicht etwa auch für die Erben desBeschenkten bestimmt sein. 25 E kam es gerade darauf an, die mittellose L, sofernsie ihn überlebte, abzusichern. <strong>Die</strong> Voraussetzungen des § 2301 I BGB sind hierfolglich erfüllt, sodass es zur Heilung des Formmangels auf § 2301 II BGBankommt. 26 Dessen Voraussetzungen liegen jedoch wie geprüft hier nicht vor.17Auch dies wird von Schultz, Widerruf <strong>und</strong> Mißbrauch der postmortalenVollmacht bei der Schenkung unter Lebenden, NJW 1995, 3345 (3347) angeführt.Streng genommen müssen die Bearbeiter, die diese Ansicht vertreten,sich dann aber auch mit dem Folgeproblem befassen, welche Rechtsfolgenein Fall des evidenten Vollmachtmissbrauchs hat. Das hier beschriebeneEntfallen der Vertretungsmacht ist nur eine Ansicht. Andere haltenan der Vertretungsmacht fest <strong>und</strong> gewähren dem Vertretenen lediglich dieEinrede der unzulässigen Rechtsausübung gem. § 242 BGB.18Habersack, Fehlendes Erklärungsbewußtsein mit Wirkung zu Lasten desErklärungsempfängers? – BGH, NJW 1995, 953, JuS 1996, 585 (587). Kenntnisdieser sehr ausführlichen, aber zugleich auch sehr komplizierten Ausführungenkann von den Studenten natürlich keineswegs verlangt werden.19So die h.M., vgl. nur Palandt/Edenhofer, § 2301 Rn 5; a.A. jedoch MüKo/Musielak, § 2301 Rn. 13, der die Einhaltung von § 2247 BGB für ausreichendhält. Auch § 2247 BGB wäre aber nicht eingehalten, sodass ein Streitan dieser Stelle zumindest dahinstehen kann.20Schöne Darstellungen dazu bei Bork, Schenkungsvollzug mit Hilfe einerVollmacht, JZ 1988, 1059 (1060f.) <strong>und</strong> Wacke, Donner et retenir ne vaut –Kein Schenkungsvollzug ohne Aushändigung, AcP 2001, 256 ff.21BGHZ 99, 97 (99f.).22Nach BGH NJW 1978, 424 würde dies beispielsweise bei Bestehen einesAnwartschaftsrechts zu bejahen sein.23Siehe dazu ausführlich Bork, Schenkungsvollzug mit Hilfe einer Vollmacht,JZ 1988, 1059 (1060f.), der letztlich dem BGH zustimmend (BGHZ87, 19 (25f.)) selbst für eine unwiderrufliche Vollmacht einen Vollzug i.S.d.§ 2301 II BGB verneint.24Zur Abgrenzung einer Schenkung auf den Todesfall von einer Schenkungunter Lebenden allgemein vgl. BGH, Urt. v. 18.01.2005 – X ZR264/02; BGH, Urt. v. 26.11.2003 – IV ZR 438/02; BGH Urt. v. 05.03.1986 –IVa ZR 141/84; BGH Urt. v. 09.11.1966 – VIII ZR 73/64; OLG Köln, Urt. v.20.07.2005 – 13 U 62/05.25BGHZ 99, 97 (100f.).26So auch Habersack, Fehlendes Erklärungsbewußtsein mit Wirkung zuLasten des Erklärungsempfängers? – BGH, NJW 1995, 953, JuS 1996, 585(588) für den Fall, dass man mit dem BGH von einer wirksamen Vollmachtausgeht.<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010165


Christian Dutzmann, Itzehoe+++ Studium in Marburg a. d. Lahn +Referendariat in Itzehoe + seit 1982 Richteram Amtsgericht Itzehoe + Unterbrechungdurch Tätigkeit am OLG Schleswig 1985/86+ seit 2001 u.a. Familiendezernat +++„Das Familienrecht regelt als ein Teilgebiet des Zivilrechts insbesondere dieRechtsverhältnisse zwischen durch Ehe, Lebenspartnerschaft, Familie <strong>und</strong> Verwandtschaftmiteinander verb<strong>und</strong>enen Personen“ .<strong>Die</strong>se Definition, die so oder ähnlich vielen Lexika oder Einführungen zu Gesetzeswerkenentnommen werden kann, beschreibt den tatsächlichen Aufgabenbereicheines Familiengerichts nur unvollkommen. Dort begegnen sich vielfachMenschen, die persönlich <strong>und</strong> wirtschaftlich in einer schweren Krise sind.Der Umgang mit ihren Sorgen erfordert nicht nur die Kenntnis einer sich laufendweiterentwickelnden Gesetzgebung <strong>und</strong> einer kaum noch zu überblickendenRechtsprechung.Notwendig ist insbesondere die Bereitschaft der Familienrichterin oder des Familienrichters,mit oft zutiefst menschlichen Problemen umzugehen. Bei gescheitertenPartnerschaften führen Trauer <strong>und</strong> Enttäuschung über das Verhaltendes anderen gelegentlich zu irrationalen Verhaltensweisen der Parteien, diesich leider nicht nur auf ihre wirtschaftlichen Streitigkeiten auswirken, sondernhäufig auch auf das Verhältnis zu ihren Kindern.Gelingt es dem Familiengericht nicht, eine Einigung zwischen den Eltern herbeizuführen,hat es z.B. Umgangsregelungen zu treffen oder über den weiterenVerbleib der Kinder bei dem einen oder dem anderen Elternteil zu befinden.Letzteres ist besonders dann schwer, wenn beide ein ähnlich inniges Verhältniszu den Kindern haben <strong>und</strong> als gleichermaßen zur Erziehung geeignet erscheinen.Bei der in derartigen Fällen zu treffenden Entscheidung hilft auch das Gesetznicht wirklich weiter. <strong>Die</strong> Vorschrift des § 1671 Abs. 2, Ziffer 2 BGB nenntschlicht als einziges Beurteilungskriterium das „Kindeswohl“.Ähnlich verhält es sich, wenn Eltern auch ohne Trennungsproblematik nicht inder Lage sind, ihre Kinder angemessen zu versorgen. Maßstab für die Regelungendes Familiengerichts, die bis zur Herausnahme der Kinder aus der Familiereichen können, ist nach § 1666 Abs. 1 BGB die Gefährdung des Wohls derKinder. <strong>Die</strong> angeordneten Maßnahmen müssen „zur Abwehr der Gefahr erforderlich“sein.<strong>Die</strong> Verantwortung des Familiengerichts bei der Bearbeitung derartiger Sorgerechtsverfahrenist wegen der wohl unvermeidbar allgemeinen Fassung des Gesetzestextessehr groß. Eine sachgerechte Regelung der aufgetretenen Problemeerfordert eine enge Zusammenarbeit mit den zuständigen Jugendämtern <strong>und</strong>in der Regel eine vielfach alle Beteiligten bedrückende Anhörung der betroffenenKinder. Gelegentlich ist auch die Einholung psychologischer Sachverständigengutachtenerforderlich.Ungeachtet dieser Hilfen sind Sorgerechtsentscheidungen gelegentlich deswegenproblematisch, weil ihre Folgen letztlich nicht mit Sicherheit vorauszusehensind. Familienrichterinnen oder Familienrichter müssen hier akzeptieren, nichtjede weitere Entwicklung in den zwischenmenschlichen Beziehungen der Parteienselbst steuern zu können. <strong>Die</strong>s schließt das Bewusstsein ein, möglicherweisetrotz allen Bemühens im Ergebnis unrichtig zu entscheiden.Vielleicht ist es dieser Umstand, der viele davon abhält, ein familienrichterlichesDezernat überhaupt zu übernehmen. Eine weiterer Gesichtspunkt mag dieAngst davor sein, bereits mit Erlass der Sorgeentscheidung der hierdurch nachteiligbetroffenen Partei weh tun zu müssen, obwohl diese sich im juristischenSinn nichts hat zuschulden kommen lassen <strong>und</strong> deswegen die getroffene Regelungals zutiefst ungerecht empfindet.Auf Vorbehalte stoßen bei Richterinnen <strong>und</strong> Richtern vielfach auch andereArbeitsbereiche des Familiengerichts, insbesondere das Unterhaltsrecht.Richtig ist insoweit, dass gelegentlich ausführlich gerechnet werden muss. In derMehrzahl der Fälle gelingt es dem Familiengericht jedoch, die Parteien vollständigzu vergleichen oder den Streitstoff durch Einigung über zunächst streitigeTeilbereiche auf wenige Einzelfragen zu beschränken. <strong>Die</strong> Herstellung einesEinvernehmens in diesem Bereich ist zumeist einfacher als in Sorgerechtsfragen,weil die emotionale Belastung der Menschen niedriger ist <strong>und</strong> sie deshalb Argumentender Verfahrensökonomie gegenüber eher aufgeschlossen sind.<strong>Die</strong> Befassung mit dem Unterhaltsrecht ist im Übrigen durchaus reizvoll. Inkaum einem anderen Rechtsgebiet werden z. B. gesellschaftliche Entwicklungenderartig deutlich. Zu nennen sind vielleicht, stellvertretend für viele, die Gesetzesänderungenbetreffend die unterhaltsrechtlichen Ansprüche nichtehelicherKinder oder den Betreuungsunterhalt erziehender Elternteile.Zwar begnügt sich das Gesetz auch bei der Beschreibung der Voraussetzungenvon Unterhaltsansprüchen bisweilen mit Generalklauseln. Deren Anwendungbereitet aber weniger Probleme als bei Sorgerechtsstreitigkeiten. Zum einen habendie durch das Gericht vorzunehmenden Wertungen zumeist nicht ähnlichschwerwiegende Folgen. Zum anderen sind vielfach „nur“ Fragen tatsächlicherArt zu beantworten. Das sind z.B. solche nach Arbeitsmöglichkeiten für Unterhaltsberechtigte<strong>und</strong> Unterhaltsverpflichtete, nach ihrer ges<strong>und</strong>heitlichen Leistungsfähigkeit,nach ihren Verdienstchancen unter Berücksichtigung der schulischen<strong>und</strong> beruflichen Ausbildung <strong>und</strong> nach Betreuungsangeboten für ihreKinder.Sehr reizvoll an den beiden besonders genannten Arbeitsbereichen des Familiengerichts,dies gilt aber auch für den Zugewinnausgleich <strong>und</strong> den rechtlichvöllig neu gestalteten Versorgungsausgleich, ist letztlich der Blick in eine Vielzahlanderer, vielfach bis dahin unbekannter Rechtsgebiete, das Kennenlernender unterschiedlichsten Institutionen <strong>und</strong> die Zusammenarbeit mit diesen.Möglicherweise führt auch der hierdurch abwechselungsreiche Arbeitsalltagdazu, dass Richterinnen <strong>und</strong> Richter, haben sie erst einmal ein Familiendezernatübernommen, dieses vielfach anschließend nur noch ungern abgebenwollen.166<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010


Barbara Ulrich, Itzehoe+++ Studium sowie Referendariat in Kiel + seit 1974 Staatsanwältin imLandgerichtsbezirk Itzehoe + hierbei alle Dezernate durchlaufen + 2011geht sie in den Ruhestand +++Der Ablauf meines Arbeitstages als Staatsanwältin wird bestimmt von dem Inhaltmeines Dezernats. <strong>Die</strong> Inhalte der bei einer Staatsanwaltschaft bestehendenDezernate sind weder b<strong>und</strong>es- noch landesweit geregelt, sie haben bei denjeweiligen Staatsanwaltschaften unterschiedliche Inhalte.Es kann allgemeine Dezernate <strong>und</strong> Sonderdezernate geben – Verfahren gegenerwachsene Täter, Verfahren gegen jugendliche <strong>und</strong> heranwachsende Täter –Verfahren wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, Verfahren wegendes Vorwurfs eines Tötungsdelikts, Wirtschaftsstrafsachen, etc. pp. – wobeibei Sonderdezernaten Spezialwissen erforderlich ist.Regelmäßig hat der Staatsanwalt Sitzungsdienst. Er nimmt einmal oder häufigerin der Woche bei einem Gericht in dem Landgerichtsbezirk öffentlicheSitzungen wahr. Dabei lässt es sich organisatorisch nicht immer einrichten,dass der Staatsanwalt die Anklagen vertritt, die er selbst erhoben hat.Über diese übliche Arbeit hinaus ist es wichtig, dass sich der Staatsanwaltan Hand von Veröffentlichungen regelmäßig fortbildet – natürlich nach derTagesarbeit – <strong>und</strong> an den angebotenen Fortbildungsveranstaltungen teilnimmt,sodass er über die fachliche Fortbildung hinaus landesweit <strong>und</strong> b<strong>und</strong>esweitmit anderen Kollegen Erfahrungsaustausch pflegen kann.Neben diesen Aufgaben, auf die das Studium <strong>und</strong> die Referendarzeit vorbereiten,obliegt dem Staatsanwalt im Rahmen der Referendarausbildung dieEinführung eines Referendars in die praktische Arbeit der Strafverfolgungsbehörde.<strong>Die</strong> Arbeit ist täglich somit vielfältig <strong>und</strong> keineswegs monotone Aktenarbeit.Nicht zu vergessen ist, dass hinter jedem zu beurteilendem Fall Menschenstehen, sowohl als Opfer als auch als Täter.In den allgemeinen Dezernaten besteht die Arbeit eines Staatsanwaltes vorwiegendin „Schreibtischarbeit“. Es bedeutet, der Staatsanwalt bekommt vonder Polizei erstellte Akten <strong>und</strong> hat zu prüfen: Liegt ein strafbewehrtes Verhaltenvor, sind die Ermittlungen abgeschlossen, müssen weitere Ermittlungengeführt werden, bietet das Ergebnis der Ermittlungen genügend Anlass, öffentlicheKlage zu erheben oder nicht; besteht genügender Anlass: Ist Anklageerhebungbzw. Antragstellung auf Erlass eines Strafbefehls geboten oder kommenEntscheidungen nach den §§ 153, 153 a, 154 StPO in Betracht.Bei der Entscheidung, dass weitere Ermittlungen für eine Entscheidungsfindungerforderlich sind, sind genau formulierte Ermittlungsaufträge an die Polizeidienststellezu richten, in deren Zuständigkeitsbereich die Ermittlungshandlungvorzunehmen ist.Foto:picture alliance/dpawww.malteser-helfen.deIn besonderen Fällen führt der Staatsanwalt die Ermittlungen selbst – z.B.Beschuldigten- <strong>und</strong> Zeugenvernehmungen – oder handelt in enger Zusammenarbeitmit der Polizei (Tatortbesichtigung, Durchsuchung) oder mit Ärzten(Teilnahme an Obduktionen).Sofern der Staatsanwalt der Auffassung ist, gegen eine Beschuldigte / einen Beschuldigtenvorzugehen, ist bei dem zuständigen Amtsgericht ein Haftbefehl<strong>und</strong> die Anordnung des Vollzugs der Untersuchungshaft zu beantragen, stellter diesen Antrag schriftlich unter Vorlage der Akten oder begibt sich, bei vorläufigerFestnahme einer Beschuldigten / eines Beschuldigten durch die Polizeizum Amtsgericht <strong>und</strong> nimmt an der Vorführung der Beschuldigten / des Beschuldigtenvor dem Haftrichter teil <strong>und</strong> stellt entsprechende Anträge direktbei dem Haftrichter.Jahrh<strong>und</strong>ertflut in Pakistan20 Millionen Flutopfer brauchen jetzt Ihre Hilfe<strong>Die</strong> Überlebenden brauchen sauberes Trinkwasser,Medikamente <strong>und</strong> Lebensmittel. Retten Sie Leben.Spenden Sie jetzt.Konto ADH e.V.Spendenkonto Nr. 10 20 30 • BLZ 370 205 00 (BfS, Köln)Stichwort: Flut Pakistan<strong>Die</strong> Malteser sind Mitglied von:<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010167


PraxisPRAKTIKUMSBERICHT EUROPÄISCHES PARLAMENTvon Dipl.-<strong>iur</strong>. Hanna Furlkröger (Universität Bonn)A. EINLEITUNGauszutauschen.Bei der Europäischen Union zu arbeiten, ist der Wunsch vieler <strong>junge</strong>r <strong>Juristen</strong>.Dabei zu sein, wenn Entscheidungen gefällt werden, die die ZukunftEuropas prägen, lockt viele nach Brüssel <strong>und</strong> Straßburg. Daher habe ich dieChance sehr gern wahrgenommen, ein Praktikum im Europäischen Parlamentbei Martin Schulz, dem Vorsitzenden der 184-köpfigen, multinationalenFraktion der Sozialdemokraten absolvieren zu dürfen. Ein Praktikum imEuropäischen Parlament bietet nicht nur einen Einblick in die europäischeGesetzgebung, sondern auch die Teilnahme an Konferenzen, Debatten, Fernsehinterviews<strong>und</strong> Empfängen. Während meiner Zeit im Parlament habe ichspannende Sitzungen verfolgen <strong>und</strong> interessante Menschen kennen lernendürfen <strong>und</strong> gleichzeitig viel über Europa, Brüssel <strong>und</strong> Straßburg gelernt, dasso in keinem Lehrbuch zu finden ist.B. BEWERBUNGAlles beginnt mit der richtigen Bewerbung. Bewerben kann man sich für ein<strong>stud</strong>ienbegleitendes Praktikum entweder bei einer Fraktion oder direkt bei einemAbgeordneten des Europäischen Parlaments, eine Parteizugehörigkeit istnicht erforderlich, Politikinteresse <strong>und</strong> -verständnis aber unentbehrlich. Darüberhinaus bietet das Parlament nach dem Studienabschluss bezahlte, fünfmonatigeRobert-Schuman-Praktika an. Für die Bewerbung reichen Lebenslauf<strong>und</strong> Motivationsschreiben; Zeugnisse <strong>und</strong> Empfehlungsschreiben sindjedoch ebenso hilfreich wie der Nachweis guter Fremdsprachenkenntnisse.Eine frühzeitige Bewerbung (etwa 1 Jahr im Voraus) ist ratsam, da die Plätzehart umkämpft sind.C. AUFGABEN & ERFAHRUNGENMeine Zeit verbrachte ich je zur Hälfe im Europabüro in Alsdorf bei Aachen<strong>und</strong> im Parlamentsbüro in Brüssel <strong>und</strong> Straßburg. Das Europabüro unterstütztdie Arbeit des Abgeordneten in seinem Wahlkreis, die Mitarbeiter koordinierenseine Tätigkeiten. Dabei bildet das Büro die Schnittstelle zwischenPolitik <strong>und</strong> Bürgern. <strong>Die</strong> Arbeit ist also häufig darauf gerichtet Bürgern dieEuropäische Union näher zu bringen oder mit Interessensverbänden ins Gesprächzu kommen. Während des ersten Monats in Alsdorf habe ich MartinSchulz unter anderem zu einer Europakonferenz im Rahmen der Karlspreis-Verleihungin Aachen <strong>und</strong> zu mehreren Parteiveranstaltungen der SPDbegleitet. Im Gegensatz zum riesigen Verwaltungsapparat in Brüssel, wo dieMitarbeiter in eher spezialisierten Tätigkeitsbereichen arbeiten, übernehmendie Mitarbeiter im vergleichsweise kleinen Europabüro die unterschiedlichstenAufgaben. <strong>Die</strong>s eröffnete mir die Möglichkeit, Zeitungsbeiträge <strong>und</strong> Redenzu verfassen, mich gleichzeitig um die Internetpräsenz zu kümmern <strong>und</strong>Artikel zu aktuellen Themen zu schreiben. Fingerspitzengefühl ist insbesonderebei der Bearbeitung von Bürgeranfragen zu häufig speziellen, <strong>und</strong> meistkniffeligen europarechtlichen Problemstellungen gefragt. Besonders wichtigwar mir dabei, mit den Mitarbeitern ins Gespräch zu kommen, ihnen Fragenzu stellen <strong>und</strong> mich mit ihnen über aktuelle politische FragestellungenIn Brüssel <strong>und</strong> Straßburg dagegen erlebt man hautnah die einzelnen Stadiender politischen Willensbildung. Vorschläge für neue Richtlinien <strong>und</strong> Verordnungenkommen in den meisten Fällen von der Kommission, ein eigenes Initiativrechthat das Parlament nicht. Neue Richtlinien <strong>und</strong> Verordnungen müssenaber, bevor sie in Kraft treten können, als erstes in den Ausschüssen begutachtetwerden. Gerade dann, wenn ein Vorschlag auf ein breites Meinungsbildtrifft, wird leidenschaftlich <strong>und</strong> kontrovers diskutiert. Dank der hervorragendenArbeit der Dolmetscher kann jeder Abgeordnete in seiner Muttersprachezu Wort kommen. <strong>Die</strong> Änderungsvorschläge, auf die sich der Ausschuss einigt,werden dann zunächst in den Fraktionen, später im Plenum debattiert.Da das Europäische Parlament, anders als etwa der B<strong>und</strong>estag, keine starrenKoalitionen kennt, werden von den Fraktionsvorsitzenden für jede einzelnezur Abstimmung kommende Änderung Allianzen geschmiedet. Das istzwar mühsam, ermöglicht aber eine an der einzelnen Sachentscheidung orientiertePolitik.Dass die europäische Gesetzgebung maßgeblich vom Zusammenspiel zwischenRat, Kommission <strong>und</strong> Parlament bestimmt wird, zeigt sich auch daran,dass häufig Mitglieder der Kommission oder des Rates bei den AusschussoderPlenarsitzungen zugegen sind <strong>und</strong> Fragen beantworten sowie Vorschlägediskutieren. So konnte ich Debatten mit Herman van Rompuy, Lady CatherineAshton, José Manuel Barroso, Jean-Claude Juncker <strong>und</strong> Günther Oettingerverfolgen. Vorbereitet werden die Sitzungen, Konferenzen <strong>und</strong> Pressegesprächevon den Mitarbeitern <strong>und</strong> zahlreichen Praktikanten der Mitglieder<strong>und</strong> der Ausschüsse. So ergab sich auch für mich die Möglichkeit, im Teammit zwei anderen Praktikanten, ein Dossier zu den Positionen Deutschlands<strong>und</strong> Frankreichs bei der Bekämpfung der europäischen Finanzkrise zu erarbeitenoder eine Stellungnahme der S&D Fraktion zu einer geplanten Richtliniezu verfassen. Gerade diese inhaltliche Arbeit, die jederzeit up to datesein muss, hat mir besonders gefallen, macht sie doch die einzelnen Stadiender europäischen Gesetzgebung <strong>und</strong> politischen Willensbildung erfahrbar;von der Begutachtung eines Vorschlags innerhalb des zuständigen Ausschussesüber die wohlüberlegte Positionierung einer Fraktion bis hin zur Abstimmungim Plenum ist es ein weiter Weg.Neben der Gesetzgebung widmet sich ein weiterer wichtiger Teil der Parlamentsarbeitder Kommunikation mit den Bürgern. Dabei sollen mit unterschiedlichstenMedien Informationen <strong>und</strong> Meinungen zu aktuellen Themen,aber auch die Funktionsweise des Parlaments <strong>und</strong> des Mikrokosmos Brüsselerläutert werden, so erlebte ich Martin Schulz bei Presseinterviews <strong>und</strong> Fernsehdebatten,bereitete einen Live-Chat im Internet vor <strong>und</strong> organisierte einenBesuch interessierter Bürger im Europäischen Parlament. Um mich mitden Mitarbeitern abstimmen <strong>und</strong> mit den Bürgern verständigen zu können,musste ich ständig zwischen Englisch, Deutsch <strong>und</strong> Französisch wechseln.<strong>Die</strong>s gehört zum Alltag im Parlament <strong>und</strong> man gewöhnt sich schnell daran,schließlich sind alle europäischen Mitgliedstaaten vertreten. <strong>Die</strong> meisten Mitarbeitersprechen drei oder mehr Sprachen fließend.168<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010


PraxisAls <strong>junge</strong>, spezialisierte Boutiquekanzlei begleiten wir unsere Mandanten in allenFragen des gewerblichen Rechtsschutzes sowie des Urheber- <strong>und</strong> Medienrechts.Wir bieten interessierten <strong>und</strong> engagierten Praktikanten oder Referendaren dieMöglichkeit, mit uns zu arbeiten <strong>und</strong> sich die Welt des gewerblichen Rechtsschutzeszu erschließen. Bei Interesse schicken Sie bitte Ihre Bewerbungsunterlagen perE-Mail an: kanzlei@boden-rechtsanwaelte.deBoden RechtsanwältePartnerschaftsgesellschaftSchanzenstraße 5140549 DüsseldorfTelefon +49 (0)211.302634.0Telefax +49 (0)211.302634.19kanzlei@boden-rechtsanwaelte.dewww.boden-rechtsanwaelte.de<strong>Die</strong> Arbeitstage im Parlament sind – insbesondere in der Straßburgwoche– lang. Wenn es das aktuelle Tagesgeschehen erfordert, wird bis spät in dieNacht hinein beraten <strong>und</strong> entschieden. Dafür ist man ganz nah an den Entscheidungendran, die die Schlagzeilen der Zeitungen des nächsten Tages füllenwerden. Während meines Praktikums erlebte ich, wie Martin Schulz <strong>und</strong>seine Mitarbeiter auf die Gazablockade <strong>und</strong> die Finanzkrise schnell <strong>und</strong> adäquatregieren mussten. Dennoch blieb irgendwo zwischen Interviews, Debatten,Konferenzen <strong>und</strong> Besuchen europäischer Spitzenpolitiker immer nochZeit für ein persönliches Gespräch mit Martin Schulz, der mich auch einlud,mich mit seinen Positionen auseinander zu setzen <strong>und</strong> politische Sachverhaltezu hinterfragen.Zum festen Bestandteil des Parlamentsalltages gehören auch zahlreiche Veranstaltungen<strong>und</strong> Workshops, bei denen man mit den verschiedenen Teilnehmernlebhaft Meinungen zu unterschiedlichsten Themen austauschen <strong>und</strong>neue Ideen erarbeiten kann. <strong>Die</strong>ser Austausch kann Denkanstöße liefern <strong>und</strong>ganz neue Horizonte eröffnen, so dachte ich bisher nicht, dass ich mich fürdie Herausforderungen des „Internet of Things“, gegenwärtige Probleme desFischereirechts oder die Schwierigkeiten des Bürokratieabbaus interessierenkönnte. Abends ist jeder Parlamentarier eingeladen, Empfänge zu besuchen,bei denen sich europäische Staaten vorstellen oder Interessensvertreter fürihre Positionen werben. Sowohl in Brüssel als auch in Straßburg gibt es vieleBars, Kneipen <strong>und</strong> Restaurant, in denen sich Mitarbeiter <strong>und</strong> Praktikantennach der Arbeit treffen <strong>und</strong> miteinander ins Gespräch kommen.Brüssel <strong>und</strong> Straßburg haben neben dem Europaviertel viele Sehenswürdigkeitenzu bieten, deren Besuch sich lohnt. In Brüssel kann man am Wochenendedas Atomium, Konzerte <strong>und</strong> Ausstellungen besuchen oder den historischenStadtkern erk<strong>und</strong>en. Auch die Städte Brügge, Gent sowie die belgischeKüste sind einen Ausflug wert. In Straßburg sollte man die ausgezeichneteelsässische Küche genießen. Meist planen einige Praktikanten gemeinsameAusflüge, auf denen man sich umso besser kennen lernt <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>schaftenschließt.D. BERUFSPERSPEKTIVENWer einige Monate im Europäischen Parlament verbringt, kann Kontakte zuspäteren Arbeitgebern knüpfen, so kann das Praktikum zum Ausgangspunktder Karriere werden. Einen Concours wie für die Kommission gibt es für dasParlament nicht, die Mitarbeiter werden entweder von den Mitgliedern eingestelltoder sind direkt beim Parlament beschäftigt. <strong>Die</strong> Arbeitsverträge derAssistenten sind dabei meist auf eine Legislaturperiode befristet, nicht seltenwerden diese Stellen von ehemaligen Praktikanten besetzt. Für <strong>Juristen</strong> mitInteresse am Europarecht besonders interessant ist die Mitarbeit in den einzelnen,spezialisierten Ausschüssen. Da diese Stellen öffentlich ausgeschriebenwerden, kann sich jeder Jurist mit erstem Staatsexamen bewerben, ab <strong>und</strong>zu werden einige Jahre Berufserfahrungen vorausgesetzt. <strong>Die</strong> Aufstiegschancensind dabei im Unterschied zur Kommission sehr flexibel, da man nichtverbeamtet, sondern angestellt wird <strong>und</strong> sich immer wieder auf neue Stelleninnerhalb des Parlaments, der Europäischen Institutionen <strong>und</strong> auch der Vertretungenbewerben kann.E. FAZITEin Praktikum im Europäischen Parlament macht sich nicht nur gut im Lebenslauf,sondern war für mich eine Bereicherung, die ich nur jedem empfehlenkann. <strong>Die</strong> Erfahrungen, die man in Brüssel <strong>und</strong> Straßburg sammelt<strong>und</strong> die Bekanntschaften, die man schließt, prägen nicht selten den weiterenden Lebensweg. Mich persönlich hat es zu der Überzeugung gebracht, dassich mir eine berufliche Laufbahn bei der Europäischen Union sehr gut vorstellenkann.<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010169


PraxisJunge Anwältinnen mit Kindern –Eine lohnenswerte Herausforderung?!von Rechtsanwältin Katharina Miller, LL.M. (Madrid)A. EINLEITUNGEs war ein harter Kampf um die Zulassung von Anwältinnen zum anwaltlichenBerufsstand <strong>und</strong> noch im Januar 1922 hatte die Vertreterversammlungdes Deutschen Anwaltvereins mit einfacher Mehrheit beschlossen, dass sichdie Frau nicht zur Rechtsanwaltschaft eigne. 1 Trotzdem wurde Dr. Maria Ottoam 7. Dezember 1922 vom Bayrischen Staatsministerium der Justiz zur erstendeutschen Rechtsanwältin zugelassen. 2 In der Zwischenzeit beträgt der weiblicheAnteil unter der Anwaltschaft 30 %. 3 Seit fast einem Jahr gehöre ich zudieser Berufsgruppe, deren Zugang von meinen Geschlechtsgenossinnen sohart erkämpft wurde. Ich bin Anwältin in einer internationalen Wirtschaftskanzleiin Madrid, wo ich meinen Lebensmittelpunkt habe <strong>und</strong> kurz vor derGeburt meines ersten Kindes stehe.B. FESTSTELLUNG DES „ZUSTANDS SCHWANGERSCHAFT“ IM4. BERUFSMONATNatürlich war die Überraschung sehr groß, als mein spanischer Mann <strong>und</strong> ichinmitten meiner Mandate feststellten, dass ich schwanger bin. <strong>Die</strong> Gefühlewährend der ersten Tage schwankten von immenser Freude einerseits zumbefürchteten Ende meiner beruflichen Karriere andererseits. Mittlerweilekann ich über die negativen Gedanken schmunzeln, obwohl wir erst am Anfangdes Abenteuers „Kind“ stehen.Zunächst stellte sich für mich die Frage, wie ich die Schwangerschaft meinemspanischen Arbeitgeber mitteilen sollte, da ich erst seit vier Monaten meineAnstellung als deutsche Rechtsanwältin <strong>und</strong> eingetragene Abogada 4 mit einemunbefristeten Arbeitsvertrag begonnen hatte.C. MITTEILUNGSPFLICHTENMein Mann <strong>und</strong> ich hatten zunächst beschlossen, niemandem außerhalb unsererFamilien etwas von der Schwangerschaft zu erzählen. Ich setzte mir willkürlicheine Frist von vier Monaten, um meinen Arbeitgeber über das freudigeEreignis in Kenntnis zu setzen. In dieser Zeit hatte ich die Gelegenheitmich mit dem Gedanken Mutter zu werden anzufre<strong>und</strong>en, mich an die Veränderungendes Körpers zu gewöhnen <strong>und</strong> auch die Möglichkeit, meinen Berufnach außen hin ganz normal weiter auszuüben, wobei ich über mein normalesEngagement hinaus versuchte, Höchstleistungen zu erbringen.In Deutschland ist die Schwangere gemäss § 5 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes zumSchutz der erwerbstätigen Mutter (MuSchG) dazu verpflichtet, ihren Arbeitgeberüber die Schwangerschaft <strong>und</strong> den mutmaßlichen Tag der Entbindungzu informieren, sobald ihr die Schwangerschaft bekannt ist. In Spanien kanneine Arbeitnehmerin ihren Zustand so lange verschweigen wie dieser nichtoffenk<strong>und</strong>ig ist <strong>und</strong> sie ihrem Arbeitgeber gegenüber nicht illoyal wird 5 .Dementsprechend hat es mir persönlich gut getan, meiner Mitteilungspflichterst später nachzukommen. Ich hatte dadurch nämlich Zeit meine Gedankenzu sortieren, Erfahrungsberichte zu sammeln <strong>und</strong> festzustellen, dass eineSchwangerschaft das Normalste der Welt ist <strong>und</strong> es für das Kinderkriegenauch nie den richtigen Moment gibt. Ganz davon abgesehen mobilisierte dieanstehende Mutterschaft meinen Ehrgeiz <strong>und</strong> nach nur vier Monaten Berufstätigkeiterkämpfte ich eine Gehaltserhöhung, die ich im nichtschwangerenZustand wahrscheinlich so nicht durchgesetzt hätte.D. GEHÄLTER VON ANWÄLTENIn Spanien beträgt das Einstiegsgehalt <strong>junge</strong>r Anwälte im Durchschnitt monatlich2.400,-- EUR brutto 6 , wobei im Augenblick auf Gr<strong>und</strong> der ökonomischenKrise sehr restriktiv eingestellt wird 7 . Für die Einstiegsgehälter von angestelltenJunganwälten in Deutschland hat der BGH erst kürzlich bekräftigt,dass Rechtsanwälte nur zu angemessenen Bedingungen beschäftigt werdendürfen, § 26 BORA. Eine zu geringe <strong>und</strong> unangemessene Vergütung durchden Arbeitgeber stelle demnach ein Verstoß gegen die Berufspflichten dar,§ 43 BORA. 8 Demnach sei ein Bruttogehalt von 1.000,-- EUR monatlich unangemessenniedrig <strong>und</strong> verstoße gegen die guten Sitten, § 138 BGB. DerBGH legte dagegen als durchschnittliches Einstiegsgehalt r<strong>und</strong> 2.300,-- EURbrutto für eine Vollzeitstelle zu Gr<strong>und</strong>e <strong>und</strong> bezog sich dabei auf einen angestelltenRechtsanwalt ohne besondere Spezialisierung, ohne besondere Zusatzqualifikation<strong>und</strong> ohne Prädikatsexamen im Jahr 2006. 9Eine Statistik, wonach sich belegen lässt, dass Anwältinnen mit Kindern wenigerverdienen als ihre männlichen Kollegen mit Kindern, liegt (noch) 10nicht vor. Allerdings lässt sich diese Vermutung herleiten, denn es sind nurwenige Anwältinnen Partner in den Kanzleien 11 <strong>und</strong> Anwältinnen 12 bzw.Frauen 13 verdienen weniger als Anwälte bzw. Männer. <strong>Die</strong>s ist gelebte Wirklichkeitsowohl in Deutschland als auch in Spanien 14 .E. MUTTERSCHUTZ UND RÜCKKEHR IN DEN BERUFMein Arbeitsumfeld hat sich nach Mitteilung der Schwangerschaft nicht verändert.Nach den 16 Wochen Mutterschutz, die in Spanien zeitlich nach derGeburt liegen <strong>und</strong> in Art. 48 Abs. 4 der spanischen Arbeiterstatuten vorgesehensind, werde ich wieder ganztags in die Kanzlei zurückkehren. In Deutschlandist der Mutterschutz für berufstätige Schwangere gemäß § 3 Abs. 2MuSchG auf sechs Wochen vor der Geburt <strong>und</strong> gemäß § 6 Abs. 1 MuSchG auf8 Wochen nach der Geburt aufgeteilt. Welches System das bessere ist, kannich nicht beurteilen. Meinen Plan, bis zum Tag der Geburt zu arbeiten, mussteich leider aufgeben. Mein Körper hat genau einen Monat vor dem geschätztenGeburtstermin auf Gr<strong>und</strong> der spanischen Hitze <strong>und</strong> der 9-10 täglichen Arbeitsst<strong>und</strong>ennicht mehr mitgemacht, weshalb ich bis zur Geburt krankgeschriebenbin. Dass das kindliche Wohl dem Berufsleben vorgeht, war einewesentliche Erfahrung.<strong>Die</strong> Mandanten haben in der Regel freudig reagiert, wenn sie mich mit demschwangeren Bauch gesehen haben oder ich sie, um meine zeitlich befristeteAbwesenheit zu erklären, über meine Schwangerschaft schriftlich oder telefonischin Kenntnis setzte. Es gab allerdings auch Reaktionen von Mandanten,die Bedenken um ihre weitere Betreuung während meiner fast viermonatigenAbwesenheit äußerten. Auch dies stellen erste Lernerfahrungen bezüglich der170<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010


Tatsache dar, dass ich nun nicht mehr nur eine 100 % Anwältin, sondern auchMutter eines kleines Kindes sein werde. In Deutschland arbeiten einige Anwältinnennach der Geburt Teilzeit bzw. zu flexiblen Arbeitszeiten. 15 Vieledeutsche Kanzleien beschäftigen vorbehaltslos Anwältinnen mit Kindern <strong>und</strong>werben auch damit. 16 <strong>Die</strong> Betreuung während der Arbeitszeiten übernehmenin der Regel die Partner, Kinderfrauen oder eine Kindertagesstätten. EineTeilzeitarbeit habe ich für mich persönlich von Anfang an ausgeschlossen.Aus diesem Gr<strong>und</strong> kommt es mir zugute, dass in Spanien das Familiennetzwerksehr ausgeprägt ist <strong>und</strong> die meist aus Südamerika oder Osteuropa stammendenKinderfrauen für wenig Geld bereit sind, ein Kleinkind zu betreuen.In unserem Fall wird mein Mann die Kinderbetreuung übernehmen, da ervon Zuhause aus seinem Beruf nachgehen kann. Er freut sich schon sehr aufdiese Zeit. Ich freue mich ebenfalls schon sehr auf den Kleinen <strong>und</strong> verfolgegleichzeitig fernmündlich mit Spannung die erfolgreiche Abwicklung der Liquidierungeiner spanischen Mandantin, die gütliche Einigung in einer internationalenErbschaftsangelegenheit, den Anteilskauf eines großen spanischenUnternehmens, etc. Wieder einmal bewahrheitet sich der Sinnspruch: „Eskommt, wie es kommt!“. Hinzufügen möchte ich: „...<strong>und</strong> wie es kommt, ist esdann auch richtig!“ In diesem Sinne kann ich aus voller Überzeugung sagen,dass es eine lohnenswerte Herausforderung ist, eine schwangere <strong>junge</strong> Anwältinzu sein, die kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes steht.1Wild/Lührig, Anwaltsblattgespräch, in: AnwBl 2010, S. 175f.2Wild/Lührig, s.o.3Hommerich/Kilian, Frauen im Anwaltberuf - Ergebnisse einer Sek<strong>und</strong>äranalyse,Deutscher Anwaltverlag, 1. Aufl., Bonn 2007.4In Spanien können ausländische Anwälte, die in ihrem Heimatland alssolche in einer Rechtsanwaltskammer bzw. in einer entsprechenden Institutionzugelassen sind, die Eintragung als Abogado inscrito/ Abogada inscritain einer der spanischen Rechtsanwaltskammern beantragen, entsprechenddes Königlichen Dekrets 936/2001.5TJCE 4-10-01, Fall Tele Danmak A/S.6BAO & Partners: Análisis Comparativo de las Retribuciones en los Despachosde Abogados, Noviembre 2009.7Hidalgo Alonso, Jóvenes Abogados: Tan afectados como el que más, in:Revista del Consejo General de la Abogacía Española, Abril 2009, S. 24 f.8BGH, Beschluss vom 30.11.2009 - AnwZ (B) 11/08; NZA 2010, S. 595.9<strong>Die</strong>s gestützt auf eine Dokumentation der B<strong>und</strong>esrechtsanwaltskammer,ein Gutachten des Instituts für Freie Berufe Nü., eine Studie des Soldan-Institutsfür Anwaltsmanagement (BRAK-Mitt 2006, S. 55) <strong>und</strong> auf weiteresDatenmaterial.10<strong>Die</strong> ARGE Anwältinnen im Deutschen Anwaltverein plant zeitnah eineFragebogenaktion, wonach die berufliche Situation von Anwältinnen, dieMütter sind, erfasst werden soll.11Hommerich/Kilian, FN 2; Brenner: Kinder machen gelassen, in: AnwBlKarriere 2009, S.57; Wild/Lührig, FN 1.12Hommerich/Kilian, Strukturwandel <strong>und</strong> wirtschaftliche Situation derAnwaltschaft, in: AnwBl 2010, S.277 f., wonach Anwältinnen bis zur Hälfteweniger verdienen als ihre männliche Kollegen; Düsing/Spranger, Anwältinmit Willen – Arbeitsgemeinschaft Anwältinnen im DAV, in: DAV Ratgeber,11. Aufl., Bonn 2006, S. 74, m. w. N.13Berth, Froh zu sein bedarf es wenig, in: Süddeutsche Zeitung vom06.07.2010, http://www.sueddeutsche.de/karriere/ungleiche-bezahlungfrauen-wollen-es-nicht-anders-1.970388(Stand: 11.08.2010).14Blanco Camacho, La feminización de la Justicia: Una conquista aún a mediocamino, in: Revista del Consejo General de la Abogacía Española, Oktober2009, S. 11.15Brenner, FN 10.16Brenner, FN 10; Düsing/Spranger: FN 11.Referendars- oder Praktikumsplatzfür Rechtsreferendar/inoder Student/inSie sind Rechtsreferendar/in oder Student/in <strong>und</strong> suchen einenattraktiven Referendars- oder Praktikumsplatz? Dann sind Siebei uns richtig. Sie erhalten bei uns eine zukunftsorientierteWeiterbildung.Wir legen besonderen Wert darauf, Sie mit der notwendigenIntensität zu betreuen. Unser Ziel ist es, Ihnen in unserer wirtschaftlich-<strong>und</strong> privatrechtlich ausgerichteten Rechtsanwalts<strong>und</strong>Notariatskanzlei einen vertieften Einblick in die juristischePraxis zu gewähren <strong>und</strong> Sie bei ihrem beruflichen Werdegangtatkräftig zu unterstützen.Bewerbungen richten Sie bittez. Hd. Hans-Joachim BrockmeierWir freuen uns auf Ihre Bewerbung!Rechtsanwälte Brockmeier, Grotholt, Bietmeier, Faulhaber <strong>und</strong> KollegenBüro Rheine | Humboldplatz 4 | 48429 Rheine


Praxis„Nicht nur wegen der zwei Buchstaben vor dem Namen“Ein Interview mit Prof. Dr. Peter Derledervon Dipl.-Jur. Dirk Veldhoff (Universität Bremen)Mit viel Engagement widmet sich Peter Derleder auch nach seinerEmeritierung der Arbeit mit promotionswilligen <strong>Juristen</strong> <strong>und</strong> betreutderzeit ein Dutzend Doktorandinnen <strong>und</strong> Doktoranden. Erselbst promovierte im Jahr 1968 über das kartellrechtliche Thema„Wirtschaftliche Diskriminierung zwischen Freiheit <strong>und</strong> Gleichheit“an der Universität Kiel. Nach dem Referendariat <strong>und</strong> der Tätigkeitals wissenschaftlicher Assistent folgte er dem Ruf an die andie neugegründete Universität Bremen im Jahr 1974. Neben derProfessur war Peter Derleder bis zur Pensionierung 2005 Richteram Oberlandesgericht Bremen <strong>und</strong> seit 1995 stellvertretender Vorsitzenderdes Landesjustizprüfungsamtes Bremen.PROF. DR. PETER DERLEDER<strong>Iurratio</strong>: Lieber Herr Derleder, wie findet der promotionswillige Juristim Allgemeinen eine Doktormutter oder einen Doktorvater?Derleder: In der Vergangenheit war es vielfach üblich, dass nach PrüfungenProfessoren <strong>junge</strong> <strong>Juristen</strong> dazu ermuntert haben, promotionshalber vorbeizukommen.Heute ist dies bei der Masse der Absolventen seltener. Eskommt dann darauf an, ob man in der Sache einen Bezug zum Seminar einesDoktorvaters oder einer Doktormutter hat. Es ist auch üblich geworden, dassman sich schriftlich bewirbt. Das machen viele ganz ungeschickt, indem siekeinerlei persönlichen Bezug zu dem angeschriebenen Professor darlegen.Man muss praktisch einen Promotionsbetreuer finden, der in der Sache <strong>und</strong>an der Person interessiert ist. Das ist bei guten Noten im Ersten Staatsexamennatürlich viel leichter. <strong>Die</strong> Ausnahmegenehmigung, die bei schlechteren Notenerwirkt werden kann, macht ja auch mehr Aufwand. Trotzdem gibt es immerwieder auch Beispiele von Doktoranden, die erst mit der Promotion denDurchbruch geschafft haben <strong>und</strong> eine viel bessere Qualifikation darlegen, alssie nach den Noten erwarten ließen.<strong>Iurratio</strong>: Welche Erinnerung haben sie an Ihre Zeit als Doktorand <strong>und</strong>was sind die wesentlichen Unterschiede zu heute?Derleder: Damals kam es viel mehr auf die Note allein an. Man meldetesich bei einem Professor an, der fragte, in welchem Rechtsgebiet man promovierenwolle. Das genaue Thema wurde dem Kandidaten oft selbst überlassen.Man wurde in eine Kartei eingetragen <strong>und</strong> konnte anschließend etwas liefern.Häufige Besuche beim Professor waren nicht üblich. Weitestgehend war manbei der Bearbeitung auf sich allein gestellt.<strong>Iurratio</strong>: Ist es heute nicht immer noch an der Tagesordnung, dass Doktorandensowohl bei der Themenfindung als auch bei der Bearbeitung derDissertation überwiegend alleine gelassen werden?Derleder: Ich meine schon, dass die Themen heutzutage etwas konkretergefasst werden. <strong>Die</strong> meisten Professoren, die Promotionsthemen vergeben,sind in ihren Fachgebieten einigermaßen am Ball <strong>und</strong> versuchen dann, eineFragestellung konkret vorzugeben. Aus meiner Sicht ist es so, dass ein Doktorandnach dem Ersten Staatsexamen praktisch noch nicht ein eigenes Dissertationsthemaauswählen kann, weil er den Neuheitswert zu schlecht einschätzenkann. Ich selbst würde nur sagen, wenn ich jemanden loswerden will, dasser sich selbst ein Thema suchen soll, es sei denn, er hat schon berufliche odergesellschaftliche Erfahrung oder schon in der Praxis gearbeitet.<strong>Iurratio</strong>: Welche inhaltlichen Anforderungen muss ein Doktorthemaerfüllen? Wann ist es beispielsweise gänzlich ungeeignet?Derleder: Natürlich gibt es Themenbereiche, in denen die Diskussion einigermaßenerschöpft ist. Dann ist es nicht gut, Doktoranden darauf anzusetzen.Aber wir haben ein äußerst lebendiges Rechtsleben. Es gibt ohneweiteres die Möglichkeit für fachlich kompetente Professoren, Themen auszugeben,die aktuell sind, rechtspolitische Relevanz haben <strong>und</strong> auch rechtsdogmatischetwas bieten. Natürlich soll eine Doktorarbeit eine Monographie sein,in der etwas Neues steht, zumindest ca. 20 % neu <strong>und</strong> noch nicht in dieserWeise in der Literatur enthalten sind. Aber das kann nicht in jedem Fall gewährleistetwerden. Manchmal stellt es sich auch heraus, dass Arbeiten durchRechtsprechung oder andere Veröffentlichungen überholt werden. Insofernist es nicht immer sicher, dass etwas vollkommen Neues drinsteht.<strong>Iurratio</strong>: Was kann man tun, wenn sich die Rechtsprechung oder dieGesetzeslage erheblich ändert? Ist man gezwungen nochmals von vorne zubeginnen oder kann man zumindest einen Teil der Bearbeitung retten?Derleder: Es kann sein, dass nichts zu retten ist. Das ist dann eben Schicksal.Häufig ist es aber doch so, dass man die bisherige Rechtslage rechtsgeschichtlichversteht <strong>und</strong> mit ihrer Hilfe die neue Rechtsprechung oder Gesetzeslagevertieft bearbeitet.172<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010


Praxis<strong>Iurratio</strong>: Was bedeutet es für Sie persönlich, <strong>junge</strong> Doktoranden zu betreuen<strong>und</strong> welche Motivation steckt dahinter?Derleder: Das ist die erfreulichste Arbeit im wissenschaftlichen Nachwuchsbereich.Man hat es mit Leuten zu tun, die ein bisschen ehrgeiziger sind,sich bemühen, in einem Fachgebiet ein eigenes Buch zu schreiben. Meistensgibt es auch interessante Diskussionen dazu. Ich habe die beste Erfahrung damitgemacht, dass man in einem Seminar die Doktoranden die Themen gegenseitigvorstellen <strong>und</strong> diskutieren lässt.<strong>Iurratio</strong>: Was halten Sie von Doktoranden, die nur des Titels wegenpromovieren?ein Thema gründlich zu vertiefen <strong>und</strong> Spezialist auf einem Themensektor zuwerden. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass in späteren Bewerbungsverfahrenauch tatsächlich in die Doktorarbeit hineingeschaut wird.<strong>Iurratio</strong>: Ist die Promotionsdauer von einem Jahr nicht eher ein Ausnahmefall?Derleder: Netto ein Jahr heißt, dass, wenn jemand zusätzlich Geld verdienenmuss, es dann doch deutlich länger dauert. Es gibt natürlich auch Ausreißer,wo Leute beispielsweise sieben Jahre promoviert haben. Meistens sind siedann in der Zwischenzeit aber doch ein bisschen privat weitergekommenoder haben zusätzliche praktische Qualifikationen erworben.Derleder: In jedem Fall ist es viel besser, wenn man nicht nur wegen derzwei Buchstaben vor dem Namen promoviert. Das ist keine hinreiche Motivation<strong>und</strong> führt auch häufig zu extrem dürftigen Arbeiten. Viel besser ist es,wenn man zumindest auch ein sachliches Interesse an dem Thema hat.<strong>Iurratio</strong>: Kann man sagen, dass es einen bestimmten Typ des <strong>Juristen</strong>gibt, der nicht zum Promovieren geeignet ist?Derleder: Es wird beileibe nicht jede Doktorarbeit zu Ende geführt. Verantwortlichkönnen fachliche <strong>und</strong> persönliche Defizite sein. Es gibt in einemgrößeren Kreis von Doktoranden auch immer kleine kommunikative Schieflagen.An einem bestimmten Typ möchte ich das nicht festmachen.<strong>Iurratio</strong>: Wie wichtig ist die Benotung der Doktorarbeit? Welche Bedeutunghat die Note für die Absicht, einer Karriere in der Rechtswissenschaftzu verfolgen?Derleder: <strong>Die</strong> Note ist zunächst einmal wesentlich dafür, ob ein renommierterVerlag bereit ist zu publizieren. Dazu braucht man normalerweise einsumma cum laude oder ein magna cum laude. <strong>Die</strong> meisten Themen sindnicht so reißerisch, dass die Verlage sich andernfalls danach die Finger lecken.Im Übrigen wird kein Doktorand danach gefragt, welche Note er bei der Promotionhatte. Entscheidend ist die Note allerdings doch bei der wissenschaftlichenLaufbahn, wo man doch mindestens erwartet, dass ein Doktorand einmagna cum laude erreicht hat, wenn er denn später Professor werden will.<strong>Iurratio</strong>: Gibt es Aspekte bei der Erstellung der Doktorarbeit, die vonDoktoranden häufig nicht bedacht werden, z.B. in Bezug auf die Finanzierung?<strong>Iurratio</strong>: Kann man sagen, welcher Zeitpunkt – also vor oder nach demZweiten Staatsexamen - geeigneter ist, mit einem Promotionsvorhaben zubeginnen?Derleder: Ich bespreche mit den Doktoranden immer auch die Finanzierung.Sonst lohnt es sich nicht anzufangen. <strong>Die</strong> Finanzierung ist möglich überwissenschaftliche Mitarbeiterstellen, die aber ihrerseits viel Zeit kosten können.Viele finanzieren ihre Arbeit auch selbst <strong>und</strong> wollen ihre Eltern nichtmehr in Anspruch nehmen. Das machen sie in der Weise, dass sie ein oderzwei Tage in der Woche arbeiten <strong>und</strong> dann in der übrigen Woche promovieren.Letztere Vorgehensweise bürgert sich immer mehr ein <strong>und</strong> hat Vorzüge,aber auch Nachteile, weil die praktische Arbeit häufig doch etwas in die eigentlichePromotionszeit hinein überlappt.<strong>Iurratio</strong>: Würden Sie <strong>junge</strong>n <strong>Juristen</strong> generell empfehlen zu promovieren<strong>und</strong> welche Bedeutung hat der Doktortitel heute?Derleder: Auf dem heutigen Arbeitsmarkt, auf dem sich die Absolventenbewerben, ist es in jedem Fall ein Vorzug, promoviert zu sein. Der Doktor inRechtswissenschaft wird im Durchschnitt immer noch höher geschätzt als andereZusatzqualifikationen. Er ergibt eine deutliche Verbesserung der gesamtenQualifikation. Das Schreiben einer Doktorarbeit ist auch nicht zu vergleichenmit den Arbeiten, die zum Erwerb eines LL.M. geschrieben werden, mitdem häufig nur der Auslandsaufenthalt bestätigt wird. Deswegen lohnt essich, einmal zu versuchen, die eigenen fachlichen <strong>und</strong> schriftstellerischen Fähigkeitenzu verbessern. Dazu muss man bereit sein, netto ein Jahr vertieft aneinem Thema zu arbeiten. Dabei lernt der Doktorand häufig zum ersten Mal,Derleder: Als Doktorvater oder –mutter ist man natürlich eher daran interessiert,jemanden zu haben, der schon einen gewissen gesellschaftlichen<strong>und</strong> auch rechtspraktischen Durchblick hat. Aber die meisten promoviereneben doch nach dem ersten Examen <strong>und</strong> können nicht viel mehr vorweisenals Klausurengeschick <strong>und</strong> beschränkte Durchblicke in die Gesellschaft. Natürlichpromovieren auch viele nach dem Assessorexamen, aber auch dannsind viele noch nicht in der Lage, sich einem bestimmten Rechtsgebiet zuzuordnen.Es promovieren einzelne <strong>Juristen</strong> durchaus auch noch später im Berufsleben,zum Teil weil sie es für Verbandstätigkeit oder in der Wirtschaftbrauchen. Das kommt vor <strong>und</strong> ist häufig auch ertragreich. Auch Anwälte nehmensich nicht so selten noch einmal Zeit, wenn sie die erste Berufsphase hintersich haben. Manchmal ist es auch so, dass die Promotionstätigkeit der Beginneiner längerfristigen Publikationstätigkeit ist. Jedenfalls lässt sich festhalten,dass die meisten nach dem Ersten Staatsexamen promovieren, einigenach dem Zweiten <strong>und</strong> wenige noch zu einem späteren Zeitpunkt.Herr Dorleder, wir danken Ihnen herzlich für dieses Gespräch.<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010173


- stellenmarktAn dieser Stelle präsentieren wir Ihnen Kurzfassungen offener Stellenausschreibungen für <strong>stud</strong>entische Hilfskräfte,wissenschaftliche Hilfskräfte <strong>und</strong>wissenschaftliche Mitarbeiter an den Lehrstühlen aller juristischer Fakultäten. <strong>Die</strong> ausführlichen Stellenausschreibungen finden Sie fortan auf unsererHomepage www.<strong>iur</strong>ratio.de/stellenmarkt. Dort sind auch offene Stellen unserer Finanzpartner zu finden. Ihr <strong>Iurratio</strong>-TeamUNIVERSITÄT HAMBURGProf. Dr. Florian JeßbergerLehrstuhl für Strafrecht,insbesondere Internationales StrafrechtALBRECHT-LUDWIGS-UNIVERSITÄT FREIBURGProf. Dr. Yuanshi Bu, LL.M. (Harvard)Professur für Internationales Wirtschaftsrecht mitSchwerpunkt OstasienUNIVERSITÄT REGENSBURGProf. Dr. Rolf Eckhoff, Lehrstuhl für ÖffentlichesRecht, insbesondere Finanz- <strong>und</strong> Steuerrechtwissenschaftlicher Mitarbeiter/wissenschaftliche Mitarbeiterin19,5 St<strong>und</strong>en pro Wochewissenschaftliche(n) Mitarbeiter(in)(25% E 13 TV-L, kann bei Bedarf auf 50% erweitertwerden)2 Wissenschaftliche/r Mitarbeiter/in(1/2 oder 2/3 E 13 bzw. A 13)Bewerbungsschluss: 30. September 2010<strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden Sie hier:http://www.<strong>iur</strong>ratio.de/stellenmarkt/universitaet/214Bewerbungsschluss: 31.10.2010<strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden Sie hier:http://www.<strong>iur</strong>ratio.de/stellenmarkt/universitaet/190Bewerbungsschluss: (spätestens 31.10.2010)<strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden Sie hier:http://www.<strong>iur</strong>ratio.de/stellenmarkt/universitaet/202UNIVERSITÄT ERLANGEN-NÜRNBERGProf. Markus Krajewskifür öffentliches Recht <strong>und</strong> VölkerrechtUNIVERSITÄT ERLANGEN-NÜRNBERGProf. Dr. Markus Krajewskifür öffentliches Recht <strong>und</strong> VölkerrechtUNIVERSITÄT FRANKFURT AM MAINProf. Dr. Katja LangenbucherLehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht<strong>und</strong> Bankrecht2 <strong>stud</strong>entische Mitarbeiter oderwissenschaftliche Hilfskräfte(m/w)(6 bis 10 St<strong>und</strong>en)wissenschaftlichen Mitarbeiter (m/w)(50% E 13 TV-L, )wissenschaftliche Hilfskraft (m/w)(40 Std./Monat)Bewerbungsschluss: 30.09.2010<strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden Sie hier:http://www.<strong>iur</strong>ratio.de/stellenmarkt/universitaet/211Bewerbungsschluss: 30.09.2010<strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden Sie hier:http://www.<strong>iur</strong>ratio.de/stellenmarkt/universitaet/208Bewerbungsschluss: 20. September 2010<strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden Sie hier:http://www.<strong>iur</strong>ratio.de/stellenmarkt/universitaet/169UNIVERSITÄT FRANKFURT AM MAINProf. Dr. Katja LangenbucherLehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht<strong>und</strong> BankrechtUNIVERSITÄT FRANKFURT (ODER)Prof. Dr. Ulrich HädeLehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondereVerwaltungsrecht, Finanzrecht <strong>und</strong> WährungsrechtJUSTUS-LIEBIG UNIVERSITÄT GIEßENProf. Dr. Franz ReimerLehrstuhl für öffentliches Recht <strong>und</strong> Rechtstheoriewissenschaftlicher Mitarbeiter (m/w)(E 13 TV-G-U/halbtags)akademischer Mitarbeiter (m/w)(50% E 13 TV-L)Wissenschaftlicher Mitarbeiter (m/w)( 50 % E 13 TV-H)Bewerbungsschluss: 30. September 2010<strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden Sie hier:http://www.<strong>iur</strong>ratio.de/stellenmarkt/universitaet/205Bewerbungsschluss: 30.09.2010<strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden Sie hier:http://www.<strong>iur</strong>ratio.de/stellenmarkt/universitaet/204Bewerbungsschluss: 30.09.2010<strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden Sie hier:http://www.<strong>iur</strong>ratio.de/stellenmarkt/universitaet/209174<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010


Sie sind Juristin / Jurist <strong>und</strong> suchen eine Spezialisierung auf dem Gebiet des Europarechts?<strong>Die</strong> Universität Passau bietet in Kooperation mit dem Weiterbildungszentrum Schloss Hofen in Lochauden berufsbegleitenden postgradualen Master<strong>stud</strong>iengangEUROPARECHT, LL.M.Beginn: 14. Oktober 2010Dauer: 4 Semester, berufsbegleitendAbschluss: Master of Laws, LL.M.Wissenschaftliche Leitung:Prof. Michael Schweitzer /Prof. Waldemar HummerSCHLOSS HOFENWissenschaft <strong>und</strong> WeiterbildungLand Vorarlberg | FH VorarlbergHoferstraße 26, A-6911 Lochauinfo@schlosshofen.at | www.schlosshofen.atUNIVERSITÄT ZU KÖLNProf. Dr. Dan WielschLehrstuhl für Bürgerliches Recht <strong>und</strong> RechtstheorieUNIVERSITÄT ZU KÖLNProf. Dr. Karl-Nikolaus PeiferInstitut für R<strong>und</strong>funkrechtUNIVERSITÄT MANNHEIMProf. Dr. Andreas EngertLehrstuhl für Wirtschaftsrecht <strong>und</strong> Steuerrechtwissenschaftlicher Mitarbeiter (m/w)(0,5 bzw. 1,0 EG 13 TV-L)wissenschaftlicher Mitarbeiter (m/w)(20 Std./Woche)<strong>stud</strong>entische Hilfskräfte (m/w)(nach Vereinbarung)Bewerbungsschluss: 30.09.2010<strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden Sie hier:http://www.<strong>iur</strong>ratio.de/stellenmarkt/universitaet/207<strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden Sie hier:http://www.<strong>iur</strong>ratio.de/stellenmarkt/universitaet/206Bewerbungsschluss: 15.10.2010<strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden Sie hier:http://www.<strong>iur</strong>ratio.de/stellenmarkt/universitaet/21UNIVERSITÄT MANNHEIMProf. Dr. Andreas EngertLehrstuhl für Wirtschaftsrecht <strong>und</strong> Steuerrechtwissenschaftlichen Mitarbeiter (m/w)(50% E 13 TV-L, )UNIVERSITÄT REGENSBURGProf. Dr. Wolfgang ServatiusLehrstuhl für Bürgerliches Recht <strong>und</strong>Unternehmensrechtwissenschaftlicher Assistent (m/w)UNIVERSITÄT PASSAUProf. Dr. Hans-Georg DedererLehrstuhl für Staats- <strong>und</strong> Verwaltungsrecht,Völkerrecht, Europäisches <strong>und</strong> InternationalesWirtschaftsrechtWissenschaftlicher Mitarbeiter (m/w)(nach Vereinbarung)Bewerbungsschluss: 15.10.2010<strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden Sie hier:http://www.<strong>iur</strong>ratio.de/stellenmarkt/universitaet/212<strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden Sie hier:http://www.<strong>iur</strong>ratio.de/stellenmarkt/universitaet/213Beginn ab: 15.10.2010 (oder später)<strong>Die</strong> komplette Stellenbeschreibung finden Sie hier:http://www.<strong>iur</strong>ratio.de/stellenmarkt/universitaet/188<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010175


StudentischesEin starkes Konzept <strong>und</strong> der lange Streit um die Modernisierungdes rechtswissenschaftlichen Studiumsvon Berenice Schillingmann (Bremen/Oldenburg/Groningen) 1Ob man ein juristisches Studium mit dem Ziel eines Bachelor- oder Masterabschlusses<strong>stud</strong>ieren kann, steht schon lange zur Debatte. Immer wieder zermürbenReformen das klassische rechtswissenschaftliche Studium <strong>und</strong> esgibt Novellen, welche - sobald sie durchgesetzt sind - nicht mehr attraktiverscheinen.Ich selbst habe erst Rechtswissenschaften an der Universität Osnabrück <strong>stud</strong>iert.Während dieser Zeit wurde ich auch für einen halbjährlichen Auslandsaufenthaltan der Universität Leiden in den Niederlanden angenommen.Durch den Auslandsaufenthalt orientierte ich mich internationaler. Schließlichleitete mich dieses Interesse für europäisches Recht, internationales <strong>und</strong>europäisches Privatrecht <strong>und</strong> Rechtsvergleichung an die Universität Bremenweiter. Denn hier kann man in diesem Bereich einen Abschluss erwerben.<strong>Die</strong> Universität Bremen hat in Kooperation mit der Uni Oldenburg <strong>und</strong> derRijksuniversiteit Groningen ein neues Konzept erstellt. Angeboten wird einBachelor <strong>und</strong> Master of „Comparative and European Law“ mit rechtsvergleichendenSchwerpunkten im Europarecht, dem Deutschen <strong>und</strong> NiederländischenRecht <strong>und</strong> dem für die wirtschaftsrechtliche Praxis besonders wichtigenCommon Law.Nach einer vierjährigen Regel<strong>stud</strong>ienzeit (davon ein Jahr im Ausland) wirddas Studium mit dem Titel "Bachelor of Laws" (LL.B) abgeschlossen. Nebenden juristischen Kursen beinhaltet das Studium, wirtschaftswissenschaftliche<strong>und</strong> politikwissenschaftliche Angebote, Fremdsprachen <strong>und</strong> genügend Zeitfür ein Praktikum <strong>und</strong> die Abschlussarbeit. Das Master<strong>stud</strong>ium ermöglichtnach einem Studienjahr den Erwerb eines deutsch-niederländischen Doppeldiploms:"Master of Laws" (LL.M.) <strong>und</strong> "Meester in de Rechten" (M.R.). 2Dadurch, dass ich ein “normales“ rechtswissenschaftliches Studium abgeleistethabe, ist mir ein direkter Vergleich zu dem Studium an der Hanse LawSchool möglich.Im herkömmlichen rechtswissenschaftlichen Studium sind starke Veränderungenvorgenommen worden. Nicht nur, dass die Anzahl der Examensklausurensich nach der Reform 2003 auf sechs Klausuren erhöht hat, es wurdenun die universitäre Schwerpunktbereichsausbildung an den Universitäteneingeführt. <strong>Die</strong> Umstellung auf die Schwerpunktbereichsausbildung ist fürdie Studenten nicht einfach verlaufen <strong>und</strong> verläuft als eine Art „Zusatz“.Durch die Wahl eines Schwerpunktes hat man nun jedoch eine Orientierungsmöglichkeit.Bei der Hanse Law School ist der Schwerpunkt des Studiums,der wie der Name schon sagt im „Comparative and European Law“ liegt,mit dem St<strong>und</strong>enplan verzahnt.Beim eigentlichen wissenschaftlichen Arbeiten geht es nicht mehr nur umFalllösungen im Gutachtenstil, in denen so manch ein Student verzweifeltversucht alle wissenschaftlichen Meinungen unterzubringen. 3 Erst durch daseigene Schreiben von wissenschaftlichen Arbeiten erhöht sich das tiefere Verständnisdurch das Auseinandersetzen mit Einzelproblemen <strong>und</strong> Problembereichen.Bei diesen Arbeiten geht es nicht mehr um das allseits bekannte„Auswendiglernen“, sondern um das Erbringen einer intellektuellen Leistung.Denn natürlich sollen sich die Universitäten nicht nur auf die Ausbildung vonPraktikern wie Anwälten <strong>und</strong> Richtern, sondern auch um die Ausbildung vonWissenschaftlern bemühen. Genau das kommt bei der HLS nicht zu kurz:Durch die Hausarbeiten <strong>und</strong> die Bachelorarbeit am Schluss wird dieses Zielerreicht.Hier zeigt sich auch die Kehrseite der Medaille. Praktiker beklagen sich immerwieder, dass das Recht so gelehrt werden muss, dass die Absolventen fürdas Arbeitsleben gewappnet sind. Das heißt auch, dass Absolventen auch fähigsein müssen, im Wirtschaftsleben einen Einstieg zu finden, auch dort, woin der Praxis Schnittpunkte zwischen Wirtschaft <strong>und</strong> Recht oder Politik <strong>und</strong>Recht bestehen. Hier gib es gute berufliche Möglichkeiten für Studenten <strong>und</strong>Unternehmen zeigen Respekt vor einer fächerübergreifenden Ausbildung. Sieerkennen in einer so ausgebildeten Person nicht nur einen juristischen Fachmann,sondern jemanden, der flexibel einsetzbar ist <strong>und</strong> auch Schaltstellezwischen den genannten Bereichen sein kann. Als Student muss man dieMöglichkeit haben, einen Bereich für sich zu erkennen. <strong>Die</strong> Hanse Law Schoolist für angehende Studenten geeignet, die sich nicht für die „bloße“ Rechtswissenschaftinteressieren, sondern auch andere Bereiche im Auge haben. Derrichtige „Prüfungsmix“ der Klausuren an der Hanse Law School sorgt hierauch für eine gute Berufsbefähigung.An der Hanse Law School gibt es diese Möglichkeit, zwischen diesen Fächernzu wählen. Man muss je nach Wahl des Interessenbereiches mehrere Scheineerbringen. Dennoch werden die juristischen Fächer keinesfalls vernachlässigt.So wird sowohl insbesondere das Zivilrecht als auch das Öffentliche Recht<strong>und</strong> Strafrecht intensiv gelehrt. Auch Scheine im Arbeitsrecht sowie Handels<strong>und</strong>Gesellschaftsrecht müssen erbracht werden. Beim „normalen“ rechtswissenschaftlichenStudium ist es von Universität zu Universität unterschiedlich,ob diese Scheine erbracht werden müssen. <strong>Die</strong> Fächer können bei Themenvon späteren Übungsklausuren nicht immer aufgenommen werden, da in denÜbungs- <strong>und</strong> Examensvorbereitungsklausuren erneut nur der „wichtigste“Stoff abgeprüft wird.Von einem geringeren Niveau kann bei der HLS also keine Rede sein. Es hältsich mit dem herkömmlichen Diplom<strong>stud</strong>iengang eher die Waage. <strong>Die</strong> hoheAnforderung bei der HLS liegt aber in der Bewältigung der Stoffmenge. Dennschon in den ersten Semestern wird juristischer Stoff intensiv behandelt <strong>und</strong>es müssen mehr Leistungsnachweise erbracht werden. <strong>Die</strong>se finden in Formvon Klausuren, Hausarbeiten oder mündlichen Prüfungen vom ersten biszum letzten Semester statt. Sie zählen im Unterschied zum herkömmlichenjuristischen Studium jedoch auch für die Abschluss. Zudem muss zumAbschluss auch die Bachelorarbeit geschrieben werden, die natürlich ein juristischesThema umfasst. <strong>Die</strong>se kann aber durchaus einen Wirtschaftsbezughaben.Positiv an der Hanse Law School ist nach meiner Erfahrung vor allem dieStruktur des Studiums. Man weiß, in welchem Semester man welche Scheine176<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010


Studentischeszu erbringen hat. Außerdem ist das Auslands<strong>stud</strong>ium integriert <strong>und</strong> es wirddarauf in der Studienplanung Rücksicht genommen. Erworbene Scheine ausdem Ausland werden bei der HLS anerkannt.Eine Anerkennung meiner im Ausland erworbenen Scheine fand in Deutschlandnicht statt. Im Gegenteil: obwohl ich vier Scheine erbracht hatte, konnteich diese in keiner Weise für mein Studium in Osnabrück nutzen. Auch mitvorheriger Absprache war es nicht möglich einen Kurs anrechnen zu lassen;gepocht wurde auf die nicht übereinstimmenden Studieninhalte. Aber was istdann Sinn des Auslands<strong>stud</strong>iums- exakt übereinstimmende Studieninhalte?Er soll doch zur Wissensbereicherung <strong>und</strong> zum Wissensaustausch führen. Sojedenfalls verliert man durch das Auslands<strong>stud</strong>ium nur Zeit, da die dort erbrachtenLeistungen nicht honoriert werden. Außerdem führte das bei vielenmeiner Kommilitonen dazu, dass diese nur Mindesterfordernisse erbrachten:einen Leistungsnachweis. Es versprach für sie keinen direkten Nutzen, vieleScheine zu erbringen.<strong>Die</strong> Sprachausbildung ist zudem an der Hanse Law School integriert. Statt zusätzlicherKurse, die man im normalen „St<strong>und</strong>enplan“ unterbringen muss, hatdie Sprache bei der Hanse Law School eine größere Gewichtung. Englisch<strong>und</strong> Niederländisch ist Pflicht, die Sprachen werden in den St<strong>und</strong>enplan eingefügt<strong>und</strong> mit Leistungspunkten honoriert. Wenn man noch andere Sprachenerlernen möchte, ist das möglich. Dabei wird das Fachvokabular vermittelt,ohne dass die Anforderungen der Sprachkurse so hoch sind, dass sie dasNiveau der anderen Vorlesungen übertreffen. Denn bei der korrekten Fachsprachegeht es zunächst um Vokabular, nicht nur um Inhalte. Der Inhalt bezüglichrechtsvergleichender Aspekte wird bei der HLS auch während der juristischenVorlesungen vermittelt. Ohnehin hat die Rechtsvergleichung indiesem Studium eine starke Gewichtung. Sie ist schließlich ein großer Teil derRechts- „Wissenschaft“, welcher erheblich zur Fortentwicklung von Recht<strong>und</strong> Gesetz beiträgt. Wählt man im normalen rechtswissenschaftlichen Studiumnicht einen entsprechenden Schwerpunkt, so bleibt dem Durchschnitts<strong>stud</strong>entendie „vergleichende Rechtswissenschaft“ verborgen.Nun fragt man sich letztendlich welche Berufsaussichten habe ich nach einemsolchen Studium?Staatsexamen mit anschließendem Referendariat ist auch möglich, natürlichauch ohne Effectus Civilis.Doch auch Eigenengagement im Studium zahlt sich aus: Durch das 14-wöchigenPflichtpraktikums kann man einen ersten Einstieg in eine Organisationoder einem Unternehmen finden. Auch ehrenamtliche Tätigkeiten oder sonstigeTätigkeiten, die HLS Studenten häufig wahrnehmen, qualifizieren dieStudenten in den unterschiedlichsten Berufsfeldern, die nicht nur juristischeTätigkeiten umfassen. Beispielsweise kann man sich bei der Redaktion der<strong>Zeitschrift</strong> „Hanse Law Review“ beteiligen. Man kann sich auch freiwillig fürweitere Praktika bewerben.<strong>Die</strong> Berufsaussichten sind also breit gefächert. Sie haben natürlich auch mitdem Eigenengagement zu tun - wie auch bei einem „normalen“ rechtswissenschaftlichenStudium.Resümierend kann ich daher sagen: Ein Studium kann nie nur einen einzigenWeg für einen Studenten vorgeben, vieles hängt von diesem selbst ab. EinePluralität in der <strong>Juristen</strong>ausbildung zahlt sich aus: das heißt verschieden spezialisierteStudiengänge können den Studenten auf seinem Weg unterstützen.Wenn man juristische Berufe wie Richter oder Staatsanwalt ergreifen will oderin der höheren Verwaltung eine Stelle finden möchte, muss man nach wie vordas Studienfach Rechtswissenschaft anstreben. Interessiert man sich zum Beispielbesonders für Strafrecht <strong>und</strong> den Beruf des Staatsanwalts, ist die HLSnoch nicht die richtige Alternative 4 .Für denjenigen, der eventuell später im Wirtschaftsleben, zum Beispiel in Unternehmensberatungen<strong>und</strong> nicht nur in den klassischen deutschen juristischenBerufen arbeiten möchten, eignet sich das Studium an der Hanse LawSchool. Aber die juristische Karriere steht ebenfalls offen: Zum Beispiel in denNiederlanden, aber auch in England; je nachdem, wie intensiv man sich diejeweilige Fachsprache <strong>und</strong> das Fachwissen aneignen kann. Ebenso geeignet istder Studiengang für Berufe im Wissenschaftsbereich im In- <strong>und</strong> Ausland.Zudem sei nochmals angemerkt, ein Studium an der Hanse Law School einspäteres Staatsexamen nicht ausschließt.Mit dem LL.B. qualifiziert man sich für Berufe in nationalen, internationalen<strong>und</strong> europäischen Organisationen <strong>und</strong> Unternehmen. Im Wirtschaftslebenergeben sich Berufe in der Beratung, bei Versicherungen oder in Rechtsanwaltskanzleien.Durch den LL.M. kann man die Kenntnisse des LL.B. vertiefen <strong>und</strong> sich auchin der Forschung <strong>und</strong> Lehre einen Platz finden. Auch Rechtsanwalt zu werdenist möglich: Erwirbt man während des Auslandsaufenthalts im Bachelor<strong>stud</strong>iumdie Gr<strong>und</strong>lagenfächer des niederländischen Rechts <strong>und</strong> erreicht denMaster mit dem so genannten „Effectus Civilis“, so kann man nach einer weiterendreijährigen bezahlten Tätigkeit als eine Art Referendar die Rechtsanwaltszulassungin den Niederlanden erreichen. In Deutschland kann man mitdieser Rechtsanwaltszulassung Anträge stellen <strong>und</strong> vor Gericht auftreten. DerWeg zur Anwaltschaft in Deutschland steht durch eine Gleichwertigkeitsprüfungoder die Zulassung über das EuRAG offen, wenn man die berufspraktischeAusbildung in den Niederlanden absolviert. Der Weg in über das erste1Berenice Schillingmann ist ehemalige Studentin der Universität Osnabrück<strong>und</strong> Leiden (NL) <strong>und</strong> <strong>stud</strong>iert nun an der Hanse Law School (UniversitätBremen, Oldenburg <strong>und</strong> Groningen)2http://www.fk2.uni-oldenburg.de/InstRW/eurowr/6126.html3(Anm. der Verfasserin: Das ist natürlich nicht Sinn des Gutachtens.).4Anm. der Verf.: Auf ausführliche Darstellungen zu „Bologna“ sei andieser Stelle verzichtet.<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010177


RechtsprechungStudentischesAusbildungsrelevante Entscheidungenseit dem 15.05.2010GerichtArt derEntscheidungDatum Aktenzeichen Themenstichworte RechtsgebietBGH Urteil 13/07/10VIII ZR 129/09 u.VIII ZR 291/09Sonnabend bei Frist zur Zahlung der Miete kein WerktagZivilrechtBGH Urteil 22.07.2010 VII ZR 176/09Rechtsprechungsänderung bei Berechnung des Schadensersatzanspruchswegen BaumangelsZivilrechtBVerfG Beschluss 23.06.20102 BvR 2559/08, 2BvR 105/09, 2BvR 491/09Bestimmtheitsgebot (Art. 103 II GG), hinreichende Konkretisierungvon an sich gegen das Bestimmtheitsgebot verstoßendenVorschriften durch die Rechtsprechung, Untreue (§ 266StGB), Verfassungsmäßigkeit des „Rechtsinstituts“ des GefährdungsschadensStrafrecht/Öffentliches RechtBGH Urteil 23.06.2010 VIII ZR 256/09 Mietminderung bei Wohnflächenunterschreitung ZivilrechtBGH Urteil 26. 5. 2010 Xa ZR 124/09BGH Urteil 06/07/10 5 StR 386/09Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeitfür Mitreisende<strong>Die</strong> nach extrakorporaler Befruchtung beabsichtigtePräimplantationsdiagnostik mittels Blastozystenbiopsie <strong>und</strong>anschließender Untersuchung der entnommenen pluripotentenTrophoblastzellen auf schwere genetische Schäden hin begründetkeine Strafbarkeit nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG.ZivilrechtStrafrechtOVG BerlinBrandenburgUrteil 27.05.2010 OVG 3 B 29/09Auf Islamisches Gebet in der Schule wegen verfassungsimmanenterSchranken des Art. 4 GG kein AnspruchÖffentliches Recht/VerfassungsrechtBVerwG Beschluss 23.07.2010 BVerwG 20 F 8.10Beobachtung eines Abgeordneten des deutschenB<strong>und</strong>estages durch das B<strong>und</strong>esamt für Verfassungsschutzist rechtmäßig.Öffentliches RechtBGH Urteil 09/06/10 VIII ZR 294/09 Unwirksame AGBs bezügliche Schönheitsreparaturen ZivilrechtBGH Beschluss 10/06/10 V ZB 192/09BGH Urteil 23/7/2010 V ZR 142/09Rechtsmissbrauch bei Ablösung nur eines von mehrerenGr<strong>und</strong>pfandrechten durch Dritten§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB gewährt keinen Anspruch aufSchmerzensgeldZivilrechtZivilrechtEuGHSchlussanträgedes Generalanwaltes18.05.2010 C-65/09Erweiterung des Bodenfliesen-Falls: Leistungsverweigerungsrechtwegen absoluter Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllungskostengilt auch bei VerbrauchsgüterkaufZivilrechtBGH Urteil 25.06.2010 2 StR 454/09BGH Urteil 25.06.2010 V ZR 151/09BVerfG Beschluss 02/08/10 1 BvR 1746/10BGH Beschluss 06/07/10 4 StR 555/09BGH Urteil 07/07/10 VIII ZR 268/07BVerfG Beschluss 21.07.2010 1 BvR 420/09BGH Urteil 21.07.2010 X II ZR 104 /08Keine Strafbarkeit aufgr<strong>und</strong> eines Anratens zum Abbruchlebenserhaltender Behandlung auf Gr<strong>und</strong>lage des PatientenwillensIm Falle eines Rücktritts vom Kaufvertrag besteht kein Gr<strong>und</strong>buchberichtigungsanspruchgegen eingetragenenEigentümerBayrisches striktes Rauchverbot verletzt weder Rauchernoch Gaststättenbesitzer in ihren Gr<strong>und</strong>rechtenBloßes Auslesen der auf dem Magnetstreifen einer Zahlungskartemit Garantiefunktion gespeicherten Daten, zumZwecke der Herstellung von Kartendubletten erfüllt nicht denTatbestand des § 202 a Abs. 1 StGB.Verkäufer muss die Kosten für die Hinsendung der Wareim Falle eines Widerrufs eines Verbrauchers beim Fernabsatzvertragtragen§§ 1626a Abs. 1 Nr. 1 <strong>und</strong> 1672 Abs. 1 BGB mit Art. 6 Abs. 2GG im Hinblick auf Elternrecht des Vaters unvereinbarZur Ausgleichspflicht eines Ehegatten für ein vom anderenEhepartner allein aufgenommenes DarlehenStrafrechtZivilrechtÖffentliches RechtStrafrechtZivilrechtZivilrecht/Öffentliches RechtZivilrecht178<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 32 / 2010


Offenheit.Schlagen Sie ein neues Kapitel auf.ReferendarAcademyBesondere Talente verdienen besondere Förderung. Für diesenAnspruch steht unsere ReferendarAcademy. Mit IhremRe ferendariat machen Sie die ersten Schritte im praktischenBerufsalltag. Für den Erfolg im Assessorexamen <strong>und</strong> späterals Anwalt genügt reine Praxiserfahrung jedoch nicht. Hinzukommen müssen u.a. vertieftes juristisches Fachwissen sowieFähig keiten <strong>und</strong> Kenntnisse, die für eine spätere Beraterpersönlichkeitentscheidend sind. Dafür legt die Referendar-Academy den Gr<strong>und</strong>stein. In Zusammenarbeit mit der BuceriusLaw School <strong>und</strong> dem Repetitorium „Kaiserseminare“ bietenwir un seren Referendaren eine Reihe von Vorbereitungskursenfür das schriftliche Examen. Ergänzend hinzu tritt ein Kurszum „Aktenvortrag“, der auf die mündliche Prüfung mit Hilfevon Videoanalysen vorbe reitet <strong>und</strong> unter kompetenter Anleitungrhetorische Fähig keiten verbessert. Darüber hinausbieten wir Seminare zu „Business Skills“ wie Rechtsenglisch,Präsentationstech niken <strong>und</strong> Verhand lungsführung an. Ein führungskursein verschiedene Rechtsbereiche vermitteln zudemeinen Über blick über die Palette unserer Bera tungs leistung en<strong>und</strong> damit über die Vielfalt Ihrer Spezialisie rungs möglichkeiten.Unser Anspruch: Wir bieten unseren Referen daren einequalitativ hochwertige praktische Aus bildung <strong>und</strong> machen siefit für das Examen – auch in der Theorie. Möch ten Sie davonprofi tieren? Richten Sie bitte Ihre Bewer bung an: Thomas Burmeister(Düsseldorf), 0211 4355-5268, thomas.burmeister@cliffordchance.com / Ni cole Engesser Means (Frankfurt am Main),069 7199-4280, nicole.engessermeans@cliffordchance.com /Dr. Stefanie Tetz (Mün chen), 089 21632-8454, stefanie.tetz@cliffordchance.com.Career starts with CInformationen zu uns <strong>und</strong> der ReferendarAcademy finden Sie unter:www.cliffordchance.com/karriere


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