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Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio

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AusbildungGoogle Street View – Das Leben der Anderenvon Prof. Dr. Rolf Schwartmann (FH Köln)Rolf Schwartmann ist Leiter der Kölner Forschungsstelle fürMedienrecht an der Fachhochschule Köln <strong>und</strong> Mitautor vonDörr/Schwartmann, Medienrecht, 3. Auflage 2010 sowieMitherausgeber der Textsammlungen Schwartmann/Lamprecht-Weißenborn,Datenschutzrecht <strong>und</strong> Schwartmann/Gennen/Völkel, IT- <strong>und</strong> Internetrecht. http://www.medienrecht.fh-koeln.de/.In der Rue Washington in Paris gibt es ein Chinesisch-ThailändischesRestaurant, das Elysees Mandarin. Es hat eine grüne Neonschrift <strong>und</strong> seinenEingang bewachen zwei Löwen mit roten Schleifen um den Hals. Danebenliegt der Takeaway <strong>und</strong> dann kommt vor dem Tabac auf der Ecke ja noch dasCojean Washington. Vor dem Cojean kann man draußen sitzen, wenn einender Verkehr nicht stört. Vor dem Chinesen nicht. Der Chef des ElyseesMandarin empfiehlt gegrillte Langusten. Ich kenne mich dort nicht schlechteraus, als in der Seitenstraße, in der ich lebe. Allerdings war ich noch nie in derRue Washington. Jedenfalls nicht körperlich. Das ist nicht nötig, denn es gibtGoogle Street View, einen <strong>Die</strong>nst, der über Google Maps verfügbar ist <strong>und</strong>jedermann lebensechte Einblicke in die Straßen von 23 Staaten ermöglicht.Bald wird der Besitzer des Elysees Mandarin auch mein Haus kennen lernenkönnen. Google plant die möglichst vollständige <strong>und</strong> ungefragte Ablichtungdeutscher Straßen <strong>und</strong> Häuserfronten. Bis Ende des Jahres will der PanoramadienstAufnahmen von Straßen <strong>und</strong> Häusern aus zunächst 20 deutschenStädten ins Netz stellen, durch die in 360°-Perspektive Einblicke in Straßen,Vorgärten <strong>und</strong> Häuserfronten gewährt werden. <strong>Die</strong> Bilder werden zwar sobearbeitet, dass Gesichter von Passanten <strong>und</strong> Autokennzeichen automatischunkenntlich gemacht werden, <strong>und</strong> wenn diese Anonymisierung mal nichtklappt, sagt Google dem Betroffenen Hilfe zu. Dennoch: Stehe ich auf dembereit gestellten Bild gerade mit meinen Kindern vor dem Haus, werden wirvon dem, der uns kennt, vermutlich auch von dem, der uns kennen lernenwill, wieder erkannt.Aus der Tatsache, dass das Elysees Mandarin direkt von der Ansicht im Netzauf seine Homepage verlinken lässt, kann man schließen, dass sein Besitzerden <strong>Die</strong>nst schätzt. Das kann man aus wirtschaftlicher Sicht verstehen, dennich kenne nun das Lokal <strong>und</strong> werde es vielleicht einmal besuchen, wenn mirdie Lust nach asiatischem Essen steht. Google ist eine große digitaleLitfaßsäule. Zugleich kann sich aber auch jeder über den Zustand desGebäudes informieren <strong>und</strong> wenn er mag, Schlüsse über die Kreditwürdigkeitseines Eigentümers schließen, die er auch an dem vor der Tür parkendenFahrzeug ermessen kann. So mancher potentielle Einbrecher wird vielleichtauch seine künftigen Einsatzorte in Heimarbeit ermitteln.Rechtlich ist Google Street View vor allem aus datenschutzrechtlicher Sichtrelevant. Im Zentrum steht die Frage, ob schützenswerte personenbezogeneDaten verwendet werden, denn diese unterliegen dem Recht auf informationelleSelbstbestimmung, das im Datenschutzgesetz einfach gesetzlichkonkretisiert ist. Personen digital aufzunehmen, ist eine Erhebung personenbezogenerDaten im öffentlichen Raum nach § 3 Abs. 3 BDSG. Das machtGoogle. Denn jeder sieht, wann, wer, wie an welchem Ort war. Hierfürbenötigt man gr<strong>und</strong>sätzlich die Einwilligung des Betroffenen. Es sei denn, diePerson wird – bereits während des Aufnahmevorgangs - wirksam anonymisiert.Für die spätere Einstellung im Internet gilt nichts anderes. Auch nachdem Kunsturhebergesetz dürfen Bildnisse gr<strong>und</strong>sätzlich nur mit Einwilligungdes Abgebildeten verbreitet werden. Ausnahmen gelten dann, wenn diePersonen als Beiwerk neben einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeiterscheinen. Eine wirksame Einwilligung ist wichtig, in der Praxis für Googleschwer einzuholen. Derzeit wird mit einer Widerspruchslösung gearbeitet,bei der bis zum Widerspruch das Einverständnis des Berechtigten unterstelltwird. In der derzeitigen Konzeption des deutschen Datenschutzrechts istdieses bloße „opt-out-Verfahren“ jedenfalls nicht die Regel. Also: Abbildenvon Personen ist bei wirksamer Verschleierung oder Einwilligung zulässig.Auch Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einerbestimmten oder bestimmbaren Person sind personenbezogene Daten (§ 3Abs. 2 BDSG). Dazu gehören Angaben über Eigentum <strong>und</strong> Wohnverhältnisse,die für Google Street View verarbeitet werden. Auch hier bedarf es also einerEinwilligung oder Anonymisierung, bevor es zu einer geschäftsmäßigenDatenverarbeitung zum Zweck der Übermittlung nach § 29 BDSG kommendarf.Google Street View macht ebenso wie Google Earth – bei dem es um ähnlichesgeht, wo aber keine Details von Ansichten zu sehen sind - Spaß, <strong>und</strong> es istnützlich. Es handelt sich um eine kreative gewerbliche Betätigung, vonwirtschaftlichem Nutzen für das Unternehmen <strong>und</strong> für jeden, der auf dieseWeise auf sich aufmerksam machen möchte. Dennoch hat Google Street Viewvor allem in Deutschland wegen der strengen Datenschutzvorgaben mehrWiderstand ausgelöst als in jedem anderen der 23 Länder, für die Google StreetView schon online ist. Nirgendwo wurden so viele Zugeständnisse an dieBehörden gemacht, wie hier. So wurde ein Widerspruchsverfahren eingerichtet,mit dem jeder betroffene Bürger innerhalb einer Frist von vier Wochen derAbbildung seines Hauses durch Google Street View vor der Freischaltung dieses<strong>Die</strong>nstes widersprechen kann; zudem besteht ein zeitlich unbeschränktesWiderspruchsrecht nach der Einführung von Google Street View in Deutschland.Das B<strong>und</strong>eskabinett hat sich im August darauf verständigt, im Herbsteinen Maßnahmenplan vorzulegen, <strong>und</strong> für September ist ein Spitzengesprächder Regierung mit Experten geplant. Eine „Lex Google“ mit schärferen Regelnspeziell für den von Google geplanten <strong>Die</strong>nst soll es aber nicht geben.Dennoch müssen die Anforderungen sein, bei der Sammlung <strong>und</strong> Verwendungvon Daten mit mittelbarem Personenbezug zunächst umfassend zuinformieren <strong>und</strong> für Transparenz zu sorgen. Wie dies angesichts der massenhaftenErhebung <strong>und</strong> Bereitstellung von Daten im Internet gegenüber denBetroffenen funktionieren soll, ist noch nicht klar. Wir dürfen gespannt aufdie weitere Debatte sein <strong>und</strong> verlieren dennoch sicherlich nicht die Lust anvirtuellen Streifzügen, zum Beispiel durch unsere nächsten Reiseziele.138<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010

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