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Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio

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TitelthemaVerfassungsrang 84 <strong>und</strong> wehrt darüber hinaus Beeinträchtigungen ab, die inder Regel nicht das Niveau von Gr<strong>und</strong>rechten erreichen wie beim Übermaßverbot.Daher ist ein Durchgreifen im Kernbereich auch umso bedeutender,wenn nicht die unausweichliche Folge aus der Verfassung. Für das Sozialstaatsprinzipergibt sich dasselbe.Wenn man mit einem sozialstaatlichen Untermaßverbot „Ernst“ machenmöchte, wird man in Hinblick auf das Erforderlichkeitskriterium des Untermaßverbotsformulieren müssen: <strong>Die</strong> Mittel zur Umsetzung eines sozialstaatlichen„Kernbereiches“ sind dann ausreichend, wenn es kein geeigneteres bzw.effektiveres Mittel gibt, das sich bei Abwägung mit betroffenen Gr<strong>und</strong>rechtenals verhältnismäßig darstellt.<strong>Die</strong> Formulierung zeigt bereits, dass auch das Untermaßverbot ein wenighinkt. Hierbei müssen auch – jeweils im Einzelfall – der Gestaltungsspielraumdes Gesetzgebers sowie der „Vorbehalt des Möglichen“ beachtet werden.Will man das Sozialstaatsprinzip allerdings nicht zum bloßen Programmsatzverkommen lassen, so wird man subsidiär ein sozialstaatliches Untermaßverbotheranziehen <strong>und</strong> konkret die Verwirklichung einschlägiger Schutzpflichten<strong>und</strong> Leistungsrechte prüfen müssen. <strong>Die</strong>s kann dann auch theoretisch,wenn auch praktisch wenig denkbar, zur Reduktion des legislativen Gestaltungsermessens„auf Null“ führen 85 . Ob in dem Fall, wenn selbst ein „Mindestmaß“an sozialen Garantien ausbleibt, ein individueller Anspruch, unabhängigvon gesetzgeberischen Maßnahmen, begründet wird, ist weiterhinstrittig 86 , aber ohne praktische Relevanz. <strong>Die</strong> Maßgabe des sozialstaatlichenUntermaßverbotes stellt einen Fortschritt zur ehemalig praktizierten „Evidenzkontrolle“des BVerfG 87 dar, wenn sie auch, wie das BVerfG selbst attestiert88 , nicht alle Probleme lösen kann. Insoweit bleiben Bedenken an der Profilierungdes Untermaßverbotes, wie sie Johannes <strong>Die</strong>tlein bereits anbrachte 89 ,weiterhin bestehen. Einen besseren Weg zur Konkretisierung der verfassungsrechtlichenAnforderungen an den Sozialstaat gibt es aber unseres Erachtensnicht. 9062Alexy, aaO, 459.63Nachweise bei Heintschel von Heinegg/ Haltern, JA 1995, 340 Fn. 101.64Schutzpflichten, 161.65Alexy, aaO, 465f.66So auch Heintschel von Heinegg/ Haltern, JA 1995, 341.67Zippelius/ Würtenberger, aaO, 23.68Vgl. Heintschel von Heinegg/ Haltern, JA 1995, 342.69Dazu Isensee, in: HStR V, 1992, § 111, Rn. 165.70BVerfGE 88, 203 (254); BVerfG, NJW 1995, 2343 – eine abschließendeKlärung steht noch aus.71Manssen, Staatsrecht II, 6. Aufl., Rn. 52.72Vgl. Schnapp, JuS 1998, 874.73Heintschel von Heinegg/ Haltern, ebd.74BVerfGE 82, 60 (80).75Murswiek, aaO, § 112; Schreiber, passim; Bieback, Jura 1987, 234ff.;Denck, MDR 1990, 281; ausführlich Breuer, Gr<strong>und</strong>rechte als Quelle positiverAnsprüche, Jura 1979, 401ff. (404ff.).76BVerwGE 27, 360 (363f).77Vgl. Bieback, aaO, 665.78BVerwGE 1, 159; 52, 346; BVerfGE 43, 13 (19); 82, 60 (80); 87, 153 (169);99, 216 (233); neulich: 115, 25.79Vgl. Krause, aaO, 352.80Ipsen, aaO, Rn. 1005; Badura, DÖV 1989, 493; BVerfGE 22, 180 (204).81Zur Sinnhaftigkeit des Untermaßverbotes: J. <strong>Die</strong>tlein, Das Untermaßverbot,ZG 1995, 131ff. mwN; Hain, DVBl. 1993, 982ff; ders., Das Untermaßverbotin der Kontroverse. Eine Antwort auf <strong>Die</strong>tlein, ZG 1996, 75ff. Ansätzedazu bereits bei J. <strong>Die</strong>tlein, Examinatorium, 21f.; Gröpl, aaO, Rn.581.82Breuer, in: Bachof/ Heigl/ Redeker (Hrsg.), Festgabe aus Anlaß des 25jährigenBestehens des B<strong>und</strong>esverwaltungsgerichts, 1978, 89ff (93ff).83Vgl. Fn. 81; Hain legt wohl mitunter (ZG 1996, 79) andere Maßstäbe andas Verhältnismäßigkeitsprinzip. Was aber bei ihm zunächst befürchtetwurde, nämlich die Einschränkung legislativer Gestaltungsspielräume,führt letztlich mangels klarer Abgrenzungen zu wenig Bindung des Gesetzgebersan das Untermaßverbot.84J. <strong>Die</strong>tlein, ZG 1995, 136: „eine das konkrete Gesetz transzendierende,von dessen Zielkonzeption gr<strong>und</strong>sätzlich unbeeinflußte <strong>und</strong> unmittelbarauf das Verfassungsrecht bezogene Größe“.85Vgl. Scherzberg, DVBl. 1989, 1128 (1134); J. <strong>Die</strong>tlein, ZG 1995, 140.86So wohl BVerwG, DÖV 1978, 616: „möglicherweise (...) ein verfolgbarerAnspruch“; ähnlich BVerfGE 1, 105: „möglicherweise dem Einzelnen hierausein mit der Verfassungsbeschwerde verfolgbarer Anspruch erwachsen“.Vgl. auch Heinig, Sozialstaat, 591: „In den einzelnen Gr<strong>und</strong>rechten i. V. m.Art. 20 Abs. 1 GG verankerte Ansprüche auf freiheitsfunktionale sozialeMinima bilden deshalb primär Ansprüche auf gesetzgeberisches Tätigwerden.Nur im äußersten Notfall, d. h. wenn effektiver Rechtsschutz andersnicht zu erlangen ist, ist die dritte Gewalt funktionalrechtlich befugt, demeinzelnen im Durchgriff auf die Verfassung das Recht auf eine konkreteLeistung zuzusprechen.“87BVerfG, NJW 1988, 1651 (1653); dazu J. <strong>Die</strong>tlein, Schutzpflichten, 111ff.88Vgl. BVerfG, NJW 1995, 2343.89J. <strong>Die</strong>tlein, Untermaßverbot, 141; ders., Schutzpflichten, III.90Auch die neuere Untersuchung von Heinig kommt zu keinem neuenKonkretisierungsvorschlag.<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010137

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