FallbearbeitungANFÄNGER IM STRAFRECHT: „Freibier“von Dipl.- <strong>iur</strong>. Hanna Furlkröger (Bonn)I. EINLEITUNG<strong>Die</strong> vielen verschiedenen Probleme, die mit dem <strong>Die</strong>bstahlstatbestand zusammenhängen,sind häufig Gegenstand der Anfängerklausuren <strong>und</strong> kleinenÜbungen. <strong>Die</strong>ser Fall zeigt die Abgrenzung des <strong>Die</strong>bstahls zu anderen Tatbeständendes StGB, wie Betrug <strong>und</strong> Unterschlagung <strong>und</strong> behandelt mit der„Tankstellenproblematik“ im zweiten Fallabschnitt einen Klassiker, der zeigt,worauf es gerade in den Anfängerklausuren ankommt. Für Anfänger im Strafrechtist es wichtig, zu üben, einen Sachverhalt in Tatkomplexe <strong>und</strong> Tatbeständeeinzuteilen <strong>und</strong> dabei durch Arbeit mit dem Gesetz die Schwerpunkteeiner Klausur aufzuspüren <strong>und</strong> zu gewichten. Unerlässlich ist neben derKenntnis der wichtigsten Meinungsstreitigkeiten auch die Argumentationmithilfe der Auslegung des Gesetzes <strong>und</strong> des Sachverhalts.II. SACHVERHALT<strong>Die</strong> in Göttingen ansässige Kleinbrauerei B vertreibt ihr Bier an die lokaleGastwirtschaft in ihrem Umkreis. Zur wöchentlichen Auslieferung bedientsie sich des Fahrers F. Eines Freitagmorgens entdeckt F bei Überprüfung derFracht vor Antritt der Fahrt, dass irrtümlicherweise zwei Kästen zuviel aufgeladenwurden. <strong>Die</strong>s kommt ihm sehr gelegen, da er für den nächsten TagFre<strong>und</strong>e zum gemeinsamen Fußballschauen eingeladen hat, aber noch nichtfür ausreichend Getränke gesorgt hatte. Daher meldet er diesen Fehler nicht,sondern fährt - bevor er zu seiner Lieferfahrt an die Kneipen in Göttingen <strong>und</strong>dem umliegenden Dörfern aufbricht - zu seinem Haus, das etwa 20 Minutenaußerhalb der von ihm geplanten Lieferroute liegt. Dort bringt er die beidenüberzähligen Kästen in den Keller <strong>und</strong> bricht dann zu seiner Lieferfahrt auf.Nachdem F seine Tour beendet hat, fährt er mit seinem privaten Pkw nachHause. Nach etwa 5 Minuten leuchtet seine Tankanzeige <strong>und</strong> F beschließt, ander nächsten Tankstelle zu halten. Als er an der Zapfsäule vorfährt, bemerkter, dass der Tankwart T gerade seinen Platz für eine Zigarettenpause verlässt<strong>und</strong> beschließt spontan, zu tanken ohne zu bezahlen. Nachdem er für 30 € getankthat, fährt er vor der Rückkehr des T davon.Hat sich F nach dem StGB strafbar gemacht? Alle eventuell erforderlichenStrafanträge sind gestellt.III. GLIEDERUNG1. Tatkomplex: <strong>Die</strong> LieferfahrtA. Strafbarkeit gem. § 242 Abs. 1 StGB (<strong>Die</strong>bstahl der Kästen)I. Tatbestand1. objektiver Tatbestanda. Tatobjekt: fremde bewegliche Sache, § 90 BGBb. Tathandlung: Wegnahmeaa. Alleingewahrsam des F?bb. StellungnahmeB. Strafbarkeit gem. § 246 Abs. 1, 2 StGB (Unterschlagung der Kästen)I. Tatbestand1. objektiver Tatbestanda. Tatobjekt: fremde bewegliche Sache, § 90 BGBb. Tathandlung: Selbst- oder Drittzueignungaa. Subjektives Element (Zueignungswille), d.h.- Wille zur dauernden Enteignung- Wille zur wenigstens vorübergehenden Aneignungbb. Objektives Element (Manifestation des Zueignungswillens)cc. Objektives Merkmal der Rechtswidrigkeit der Zueignungc. Veruntreuung nach § 246 Abs. 2 StGB (Qualifikation zu § 246 Abs. 1)2. subjektiver Tatbestand: VorsatzII. RechtswidrigkeitIII. SchuldC. Strafbarkeit gem. § 248b Abs. 1 StGB (bzgl. des Umweges)I. 1. a. vorübergehende Ingebrauchnahme eines Kfzb. unbefugte Ingebrauchnahme (Figur des „nicht-so-Berechtigten“)(1) unbefugt, wenn inhaltliche oder zeitliche Grenzen überschritten(2) nur unbefugt, wenn von Beginn an ohne Befugnis(3) Stellungnahme2. VorsatzII. Rechtswidrigkeit / III. SchuldD. Strafbarkeit gem. § 242 Abs. 1 StGB (<strong>Die</strong>bstahl des Kraftstoffes)I. 1. a. fremde, bewegliche Sacheb. WegnahmeE. Strafbarkeit gem. § 246 Abs. 1 StGB (Unterschlagung des Kraftstoffs)I. 1 a. fremde, bewegliche Sacheb. Zueignung2. Tatkomplex: Geschehen an der TankstelleA. Strafbarkeit gem. § 263 Abs. 1 StGB (Betrug ggü. dem Tankwart T z. Ln.des Tankstelleninhabers)I. 1. a. TäuschungB. Strafbarkeit gem. § 242 Abs. 1 StGB (<strong>Die</strong>bstahl des Benzins)I. 1 a. fremde, bewegliche Sache(1) bereits mit Einfüllen Übereignung des Benzins an den K<strong>und</strong>en(2) Übereignung des Eigentums erst mit Zahlung des Kaufpreises(3) Stellungnahmeb. Wegnahme(1) „Gewahrsamsbruch“ auch ohne Willen des abwesenden T(2) Einverständnis von der Bedingung der Zahlungsbereitschaftabhängig(3) Generelles Einverständnis mit Gewahrsamsübertragung(4) StellungnahmeC. Strafbarkeit gem. § 246 Abs. 1 StGB (Unterschlagung des Benzins)I.1. a. Tatobjekt: fremde bewegliche Sache, § 90 BGBb. Tathandlung: Selbst- oder Drittzueignungaa. Zueignungswillebb. Manifestation des Zueignungswillenscc. Rechtswidrigkeit der Zueignung2. VorsatzII. Rechtswidrigkeit/ III. SchuldIV. Strafantrag, § 248a StGB152<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010
FallbearbeitungIV. LÖSUNG1. TATKOMPLEX: DIE LIEFERFAHRTA. Strafbarkeit gem. § 242 Abs. 1 StGBZunächst könnte sich F wegen <strong>Die</strong>bstahls an den zwei überzähligen KästenBier gem. § 242 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er die beiden Kästenvom Lkw der B in den Keller seines Hauses bringt.I. Tatbestand1. objektiver Tatbestand:a. Bei den Kästen müsste es sich um eine fremde bewegliche Sache handeln.Sachen sind nach § 90 BGB körperliche Gegenstände. Sie sind beweglich,wenn sie tatsächlich fortbewegt werden können <strong>und</strong> fremd, wenn sie nicht imAlleineigentum des Täters stehen 1 .<strong>Die</strong> beiden Kästen sind bewegliche Sachen im Sinne des § 90 BGB, ferner sindsie auch fremd, da die Kästen im Alleineigentum der B stehen.b. Weiter müsste der F die Kästen auch weggenommen haben.aa) Wegnahme ist der Bruch fremden <strong>und</strong> die Begründung neuen, nicht notwendigerweisetätereigenen Gewahrsams. 2 Gewahrsam ist dabei die vomHerrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft, beurteilt nach derAnschauung des täglichen Lebens, 3 oder der sozial normativen Zuordnung einerSache zu einer Person. 4 <strong>Die</strong> beiden Kästen haben sich während der Fahrtunstreitig im Gewahrsam des F bef<strong>und</strong>en, es ist aber fraglich, ob F Alleingewahrsam,oder die B gleichrangigen Mitgewahrsam hatte. Nur dann, wenndie B mindestens gleichrangigen Mitgewahrsam hätte, läge ein Gewahrsamsbruchvor. Haben mehrere Personen gleichrangigen Mitgewahrsam an einerSache (vgl. § 866 BGB), so kann jeder von ihnen den Gewahrsam des anderenbrechen. 5bb) <strong>Die</strong> Beurteilung dieser Frage hängt davon ab, ob man die Kästen nach dengenannten Kriterien der allgemeinen Lebensanschauung oder der sozialnormativenZuordnung dem Fahrer oder dem Unternehmen zuordnet.Gegen einen Alleingewahrsam des F spricht, dass er sich in räumlicher Nähezur B aufhält, er fährt lediglich Kneipen in Göttingen <strong>und</strong> Umgebung an, unternimmtaber keine eigenverantwortlichen Fernfahrten. Dafür, dass F währendseiner Transportfahrten Alleingewahrsam innehat, spricht jedoch, dassdie Fahrt nicht beaufsichtigt wird. 6 F hat nur den Auftrag erhalten, die Kästenbei den K<strong>und</strong>en abzuliefern, Vorkehrungen zur Ausübung einer tatsächlichenSachherrschaft durch die B sind nicht ersichtlich. Zudem plant er seinen Streckenverlaufselbst, was gegen eine übergeordnete Planungshoheit der Bspricht. Daher ist vom Alleingewahrsam des F auszugehen <strong>und</strong> folglich Wegnahmezu verneinen.Bearbeiterhinweis: An dieser Stelle ist es wichtig, den Tatbestand Schritt fürSchritt abzuprüfen, damit dieses Problem nicht übersehen wird. Schließlichkommt es darauf an, gute Argumente für <strong>und</strong> wider im Sachverhalt zu sammeln<strong>und</strong> zu gewichten.Zwischenergebnis: F hat sich nicht nach § 242 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.B. Strafbarkeit gem. § 246 Abs. 1, 2 StGBJedoch könnte sich F durch dieselbe Handlung gem. § 246 Abs. 1, 2 StGB derUnterschlagung an den Kästen strafbar gemacht haben.I. Tatbestand1. objektiver Tatbestanda. Bei den Kästen handelt es sich um eine fremde bewegliche Sache (s.o.).b. Darüber hinaus müsste F die Kästen sich selbst oder einem Dritten zugeeignethaben.aa) Zueignung setzt das subjektive Element des Zueignungswillens, d.h. desWillens zur dauernden Enteignung <strong>und</strong> des Willens zur wenigstens vorübergehendenAneignung voraus sowie das objektive Element der Manifestationdes Zueignungswillens.bb) Nach der Manifestationstheorie muss der Täter aus der Sicht eines allwissendenBeobachters durch ein nach außen erkennbares Verhalten verlässlichzum Ausdruck bringen, dass er die Sache behalten will. 7 F entnimmt die Kästendem Laderaum <strong>und</strong> schafft diese in seinen Keller. Objektiv hat er damitsowohl die Aneignung als auch die Enteignung vollzogen <strong>und</strong> seinen Zueignungswillenhinreichend manifestiert.cc) <strong>Die</strong> Zueignung ist mangels Eigentümerstellung des F objektiv rechtswidrig.c. Zudem könnte F die Qualifikation des § 246 Abs. 2 StGB verwirklicht haben,d.h. die Kästen veruntreut haben, sofern sie ihm anvertraut wurden. Anvertrautist eine Sache, wenn sie dem Täter mit der Maßgabe überlassenwurde, mit ihr im Interesse oder nach Weisung des Eigentümers zu verfahren.8 Dem F wurden die Kästen in dem Vertrauen überlassen, dass er impflichtgemäßen Interesse der B damit verfahren <strong>und</strong> mit diesen ordnungsgemäßumgehen würde. Sie wurden dem F also anvertraut. Damit erfüllt F dieobjektiven Voraussetzungen der veruntreuenden Unterschlagung.2. subjektiver TatbestandF müsste bezüglich der objektiven Tatbestandsmerkmale vorsätzlich gehandelthaben. Vorsatz ist die Verwirklichung eines Straftatbestandes in Kenntnisaller seiner objektiven Tatumstände. 9 F hat den objektiven Tatbestand vorsätzlicherfüllt.II./III. Rechtswidrigkeit/ SchuldEbenfalls hat F rechtswidrig <strong>und</strong> schuldhaft gehandelt.Zwischenergebnis: Indem er die Kästen in den Keller seines Hauses brachte,hat sich F der veruntreuenden Unterschlagung gem. § 246 StGB Abs. 1, 2StGB strafbar gemacht.C. Strafbarkeit gem. § 248b Abs. 1 StGBBearbeiterhinweis: § 248b StGB gehört wie §§ 242, 246 StGB zu den Eigentumsdelikten<strong>und</strong> schützt den berechtigten Gebrauch. Es handelt sich um ei-1Joecks, § 242 Rn. 9.2Tröndle/Fischer, § 242 Rn. 16, Joecks § 242 Rn. 10.3BGHSt 8, 273, 275; 22, 180, 182.4SK-Hoyer, § 242 Rn. 27.5BGHSt 8, 273, 275; OLG Köln VRS 107, 366, 368; Wessels/Hillenkamp,BT 2, Rn. 84.6BGH StV 2001, 13; OLG Köln VRS 107, 366, 368.7BGHSt 14, 38, 41; Schönke/Schröder-Eser, § 246 Rn. 10; Joecks § 246 Rn.15; Wessels/Hillenkamp BT 2 Rdn. 280; Kindhäuser BT 2 § 6 Rn. 13. Bearbeiterhinweis:Hier ist ausreichend, die Definition der in der Literatur <strong>und</strong>Rechtsprechung herrschende Manifestationstheorie zu nennen, keineswegssind einzelne Abstufungen gefragt.8BGHSt 16, 280, 282; Kindhäuser BT 2, § 6 Rn. 43; Samson JA 1990, 10.9Kürzer, aber völlig ausreichend: Vorsatz ist das Wissen <strong>und</strong> Wollen derTatbestandsverwirklichung. MüKo-Joecks § 16 Rn. 1 ff., Wessels/BeulkeAT Rn. 203.<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010153