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Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio

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SchwerpunkteEuropäische Bestrebungen zur Abschaffung eines umfassendenWerbeverbots für Arzneimittelvon Sabrina Neuendorf (Universität Bremen)Sabrina Neuendorf, Jahrgang 1984, <strong>stud</strong>ierte von 2004 bis2009 an den Universitäten in Frankfurt/Oder <strong>und</strong> Bremen<strong>und</strong> absolvierte ihr 1. Staatsexamen Anfang 2010. Seit2010 ist sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhlvon Prof. Dr. Buchner, Professor für Bürgerliches Recht,Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Medizinrecht, an der Universität Brementätig.A. EINLEITUNGDas Arzneimittel ist „...für den Hersteller ein anspruchsvolles Markterzeugnis,für den Apotheker eine Handelsware..., für den Arzt als Medikament einunerlässliches Attribut seiner Tätigkeit, für den Patienten ein Heilmittel, vondem er Wohlergehen <strong>und</strong> langes Leben erwartet, für den Pharmakologen einechemische Substanz mit spezifischer nützlicher Wirkung <strong>und</strong> für den Toxikologenein Fremdstoff, der potentiell giftig ist.“ 1So unterschiedlich die Ansichten zu Arzneimitteln selbst sind, so verschiedenist auch die Einstellung zur Werbung für verschreibungspflichtige ArzneimittelZum Schutz der Patienten vor übertriebenen, falschen <strong>und</strong> irreführendenInformationen hat sich in jahrzehntelanger Entwicklung unter Einfluss derEU in Deutschland ein strenges Werbeverbot etabliert, das jegliche Äußerungender Pharmafirmen zu verschreibungspflichtigen Medikamenten außerhalbder Beipackzettel verbietet. Doch der Wandel des Bildes des Patienten/Verbrauchers vom schutzwürdigen hin zum aufgeklärten, selbstverantwortlichenIndividuum hat dazu geführt, dass die Europäische Kommission seit2001 eine Initiative vorantreibt, die eine Novellierung des Arzneimittelwerberechtsvorsieht. Sie will das strenge Werbeverbot auflockern. Pharmafirmensollen demnach bei Bestehen bleiben des Werbeverbots die Möglichkeit bekommen,Informationen direkt an Patienten weiterzugeben. Über diese Vorschlägeist eine Diskussion entbrannt, in der Befürworter <strong>und</strong> Kritiker beharrlichihre Standpunkte vertreten.B. ENTSTEHUNG DES WERBEVERBOTSI. ENTWICKLUNG DER RECHTSLAGE- NATIONALZu Beginn des 16. Jahrh<strong>und</strong>erts drängten die ersten chemisch hergestelltenWirkstoffe (sog. Geheimmittel) auf den Markt, der bis dahin den nahezu wettbewerbslosagierenden Apothekern vorbehalten war 2 . Mit fortschreitenderIndustrialisierung nahm die Werbung für diese Geheimmittel zu Beginn des19. Jahrh<strong>und</strong>erts teils marktschreierischen Charakter an <strong>und</strong> ließ die Befürchtungder steigenden Selbstmedikation aufkommen 3 . Vereinzelte Versuche einerRegulierung oder eines Verbots scheiterten, bis 1903 eine erste einheitlicheRegelung in Form einer Verordnung auf Beschluss des B<strong>und</strong>esrates erging,die in Verbotslisten Werbung für einzeln aufgezählte Mittel untersagte.<strong>Die</strong>se Methode war jedoch durch ständig nötige Ergänzungen <strong>und</strong> von vornhereinfehlende Mittel unpraktikabel 4 . Nach unterschiedlichsten Entwicklungendurch die Jahrzehnte, jahrelanger Beratung <strong>und</strong> vielen Änderungen tratam 15.07.1965 das HWG in Kraft 5 . Zur Begründung der Notwendigkeit hießes seinerzeit, dass Vorschriften des Wettbewerbs- <strong>und</strong> des Strafrechts nichtausreichten, da sie den Schutz der Volksges<strong>und</strong>heit nicht vollständig gewährleisteten.Zwar stehe jedem Staatsbürger ein Recht der Selbstmedikation zu,aber der Verbraucher sei als Laie bei vielen Arzneimitteln nicht in der Lage,ihre Güte <strong>und</strong> Wirkung zu beurteilen <strong>und</strong> müsse vor der Verleitung zu unnötigenAnwendungen geschützt werden 6 . Bis 1998 fanden eine Neufassung desHWG im Jahr 1978 <strong>und</strong> zahlreiche Änderungen durch AMG- Novellen statt 7 ,die teilweise auch der Umsetzung europarechtlicher Richtlinien dienten.Heute gilt das HWG in der Fassung von 2006, das den Pharmafirmen jeglicheAngaben, mit Ausnahme der gesetzlich vorgeschriebenen (Beipackzettel, Verpackung),zu ihren Produkten verbietet.II. ENTWICKLUNG DER RECHTSLAGE - EUROPARECHTLICHBereits kurz nach der Errichtung der EG wurde mit der Angleichung derRechtsvorschriften im Bereich des Heilmittel- <strong>und</strong> Arzneiwesens auf derGr<strong>und</strong>lage des Art. 14 EGV (heute Art. 26 AEUV) begonnen 8 . Gemäß Art. 14EGV mussten die durch unterschiedliche nationale Regelungen bestehendenHandelshemmnisse für die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Binnenmarktesabgebaut werden. Auch Arznei- <strong>und</strong> Heilmittel sind Waren innerhalbdieses Binnenmarktes. Am 3.10.1989 erging die Richtlinie 89/552/EWG, die im Rahmen einer Angleichung der Vorschriften über die Ausübungder Fernsehtätigkeit die Fernsehwerbung unter anderem für verschreibungspflichtigeArzneimittel untersagte. <strong>Die</strong>ses Verbot existierte in den meistenMitgliedsstaaten bereits <strong>und</strong> wurde durch die Richtlinie angeglichen 9 . Im Jahr1992 wurde durch die Richtlinie 92/28/EWG mit der Schaffung einheitlicherVorschriften für die Werbung von Arzneimitteln ein EU-weites Verbot derÖffentlichkeitswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel aufgestellt.Um die europäischen Regelungen des Arzneimittelrechts übersichtlicher zugestalten, die Unterschiede in den Mitgliedstaaten weiter zu verringern <strong>und</strong>einen besseren Schutz des Allgemeinwohls zu fördern, wurden im Zuge derRichtlinie 2001/83/EG alle bestehenden Bestimmungen im Gemeinschaftskodexfür Humanarzneimittel zusammengefasst 10 . <strong>Die</strong> werberechtlichen Bestimmungenblieben sowohl hierbei als auch in der letzten Änderung des Gemeinschaftskodexdurch die Richtlinie 2004/27/EG unverändert bestehen.Doch sind die europäischen Bestrebungen zur einheitlichen Regelung desWerbeverbotes für verschreibungspflichtige Arzneimittel nicht beendet.Nachdem sie in jahrelanger Arbeit dazu beigetragen hat, ein einheitliches,umfassendes Werbeverbot in allen Mitgliedsstaaten zu etablieren, stehen dieZeichen jetzt auf einer zumindest teilweisen Aufhebung der bestehendenRechtslage.III. ENTWICKLUNG DES PATIENTENBILDESEin Hauptgr<strong>und</strong> für die Veränderung der Rechtsentwicklung ist die Veränderungder Gesellschaft <strong>und</strong> die damit einhergehenden Veränderungen des Patientenbildes.Bis zum Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts standen Arzt <strong>und</strong> Patient ineiner paternalistischen Beziehung, bei der der Arzt in väterlich fürsorglicherWeise für seine Patienten, notfalls auch gegen deren Willen, entschied, danicht der Patient selbst, sondern in erster Linie das von ihm losgelöste Krank-144<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 3 / 2010

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