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Die mit der<br />
Zeit tanzen<br />
Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft VER.di<br />
Eine gesetzliche Definition von Schichtarbeit<br />
gibt es nicht. Allerdings liegt Schichtarbeit<br />
einem Urteilsspruch des Bundesarbeitsgerichtes<br />
aus dem Jahre 1990 zufolge vor, wenn<br />
eine Arbeitsaufgabe über einen längeren<br />
Zeitraum als die wirkliche Arbeitszeit eines<br />
Arbeitnehmers hinaus erfüllt wird und daher<br />
von mehreren in einer geregelten zeitlichen<br />
Reihenfolge, teilweise aus außerhalb der allgemein<br />
üblichen Arbeitszeit erbracht wird<br />
(Bundesarbeitsgericht – BAG – Urteil vom 20.<br />
Juni 1990 4 AZR 5/90).<br />
Schichtarbeit ist eher ein starres Arbeitszeitsystem,<br />
dass sich jedoch mit flexiblen Arbeitszeitmodellen<br />
durchaus verbinden lässt. Auch<br />
wenn Schichtarbeit nicht definiert ist, gibt es<br />
gesetzliche Regelungen, die auf Schichtarbeit<br />
abgestellt sind. Hierzu gehören das Arbeitszeitgesetz<br />
(§6), das Mutterschutzgesetz (§8)<br />
und das Jugendarbeitsschutzgesetz (u.a. §§<br />
12 , 14, 15, 16 und 17).<br />
Keine Schichtarbeit ist<br />
besser als eine<br />
gut gestaltete<br />
Im Organisationsbereich von ver.di wird in<br />
vielen Branchen, besonders im Bereich der<br />
Daseinsvorsorge im Vollzeit-Schichtsystem<br />
gearbeitet. In den meisten dieser Branchen<br />
ist Schichtarbeit unabwendbar. Dort existieren<br />
daher die vielfältigsten Schichtarbeitsmodelle.<br />
Bei den Beschäftigten sind diese<br />
Arbeitszeitformen jedoch meist ausgesprochen<br />
unbeliebt.<br />
Nacht- und Schichtarbeit ist mit erheblichen<br />
gesundheitlichen Risiken verbunden. Die<br />
Leistungsfähigkeit der Menschen schwankt<br />
erheblich im Tagesverlauf. Die je nach Tageszeit<br />
unterschiedliche Leistungsfähigkeit ist<br />
von Bewusstsein, Motivation, Dauer, Schwere<br />
und Intensität der Arbeit unabhängig. Menschen<br />
haben eine feste biologische Programmierung.<br />
Zwar unterscheidet sich der<br />
biologische Rhythmus verschiedener Menschen<br />
in gewissen Graden und verfügt darü-<br />
ber hinaus auch über individuelle Toleranzrahmen<br />
– umkehrbar ist die innere Uhr des<br />
Menschen jedoch nicht. Die Belastungen der<br />
Menschen durch Nacht- und Schichtarbeit<br />
hängen zusammen mit der Circadianrhythmik<br />
physiologischer Systeme. Damit sind die<br />
kurvenartigen Verläufe von körperlichen<br />
Funktionen innerhalb von ca. 24 Stunden gemeint.<br />
Alle Körperfunktionen des Menschen<br />
unterliegen einer solchen Tages- und Nachtperiodik.<br />
Der menschliche Organismus ist tagsüber auf<br />
Leistungsbereitschaft und nachts auf Erholung<br />
eingestellt. Die wichtigsten und für die<br />
Arbeit entscheidenden Funktionen des Organismus<br />
(z.B.: Kreislauf, Verdauung, Atmung,<br />
Stoffwechsel, Muskelkraft und Wahrnehmung)<br />
folgen diesem Rhythmus. So sinkt die<br />
Körpertemperatur des Menschen in der<br />
Nacht zwischen 3 und 6 Uhr auf den Tiefpunkt,<br />
das Herz schlägt langsamer und auch<br />
die Atmungsfrequenz verringert sich. Der Körper<br />
wird mit weniger Sauerstoff versorgt und<br />
ist auf Ruhe eingestellt.<br />
Hier liegt eine der Hauptursachen für gesundheitliche<br />
Gefährdungen durch Schicht- und<br />
Nachtschichtarbeit. Im nächtlichen Leistungstief<br />
kann eine tagsüber normale Arbeitsanforderung<br />
erst durch die Mobilisierung<br />
zusätzlicher Energiereserven erfüllt werden.<br />
Die daraus resultierende Überlastung und Er-<br />
Titelthema - Betriebliche Gesundheitsvorsorge<br />
schöpfung kann während der Erholungszeit<br />
am folgenden Tag nicht vollständig ausgeglichen<br />
werden. Das Zusammentreffen von langen<br />
Arbeitszeiten und Nachtschichten<br />
vergrößert das Problem von Überlastung und<br />
Mangel an Erholung. Hinzu kommt, dass die<br />
Widerstandsfähigkeit gegen schädliche Umgebungseinflüsse<br />
(z.B.: Gefahrstoffe, Lärm,<br />
verschmutzte Luft, Hitze, Kälte) im nächtlichen<br />
Leistungstief ebenfalls herabgesetzt ist<br />
– der menschliche Organismus ist „verwundbarer“.<br />
Beschäftigte, die in Schicht arbeiten, weisen<br />
einen Schlafmangel gegenüber Erwerbstätigten<br />
mit Normalarbeitszeiten auf. Einer Studie<br />
der Universität Marburg zufolge ist die<br />
Schlafdauer von Schichtarbeitenden von zwei<br />
bis vier Stunden kürzer. Schlafdefizite, die sich<br />
so aufbauen und anhäufen, ziehen gesundheitliche<br />
Beeinträchtigungen und Probleme<br />
nach sich.<br />
Bei einer Beurteilung der Belastungswirkungen<br />
von Nacht- und Schichtarbeit ist der körperliche<br />
Biorhythmus von entscheidender<br />
Bedeutung. Über- und Fehlbelastungen treten<br />
auf, weil die Beschäftigten gegen ihre<br />
„innere Uhr“ arbeiten müssen – auch wenn<br />
eine zeitweilige psychische Gewöhnung an<br />
diese Arbeitszeiten auftreten kann. Es kommt<br />
so zu „Auseinandersetzungen“ und „Anpassungsversuchen“<br />
im Körper des Menschen,<br />
um wieder zu einer Übereinstimmung zwischen<br />
der neuen Lebensweise und dem Biorhythmus<br />
zu kommen.<br />
Diese Störungen der Circadianrhythmen sind<br />
Ursache für die unterschiedliche Beanspruchung<br />
der in Schicht arbeitenden Beschäftigten.<br />
Sie beeinträchtigen damit Arbeitsleistung,<br />
Gesundheit und Wohlbefinden<br />
sowie das familiäre und soziale Leben der<br />
Betroffenen.<br />
Das Ausmaß dieser Beanspruchung hängt<br />
von einer Vielzahl von Einflussfaktoren ab.<br />
Hierzu gehören u.a. die individuellen Eigenschaften<br />
der Betroffenen wie Alter, Persön-<br />
DAS BEHÖRDEN<strong>MAGAZIN</strong> Juni/2012 17