gute besserung 2011/1
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24 Medizin & Gesundheit<br />
Wenn Eltern überfordert sind<br />
Seelische Tiefs, Stress bei der Alltagsbewältigung oder gar eine psychische Erkrankung:<br />
Viele Eltern fühlen sich nach der Geburt eines Kindes überfordert.<br />
In Hamburg bieten zahlreiche Anlaufstellen kompetente Unterstützung.<br />
VON REBECCA BERNSTEIN<br />
Babyblues nennen Experten die Phase kurz nach<br />
der Geburt, in der jungen Müttern nur noch<br />
zum Heulen zumute ist. Sie ist meist nach wenigen<br />
Tagen vorbei, wenn die Hormonumstellungen im<br />
Körper der Frau überstanden sind. Doch was, wenn<br />
sich die Liebe zum Baby einfach nicht einstellen will?<br />
Heinrich Sengelmann Krankenhaus, Station D. An den<br />
Wänden Bilder, die Zimmer geräumig und hell. Aus einem<br />
Zimmer dringen Babylaute, auf dem Flur ein Kinderwagen.<br />
Nichts außergewöhnliches in der Klinik für Psychiatrie,<br />
Psychotherapie und Psychosomatik. Die Lütten sind hier<br />
willkommen. „Ein Kind verändert nicht nur junge Eltern,<br />
sondern auch die Atmosphäre auf der Station“, sagt Prof.<br />
Matthias R. Lemke. Seit drei Jahren ist er Ärztlicher Direktor<br />
der Klinik in Bargfeld-Stegen, das Mutter-Kind-Angebot<br />
existiert schon länger. Es bietet Müttern die Möglichkeit<br />
zur stationären Therapie gemeinsam mit ihren Kindern.<br />
Prof. Lemke: „Wir behandeln Frauen mit Depressionen<br />
und Psychosen nach der Geburt ihres Kindes.“<br />
Um eine emotionale Bindung zwischen Mutter und<br />
Kind herzustellen, lernen Mütter die Pfl ege und Versorgung<br />
ihrer Kinder selbst zu übernehmen, nur während<br />
der Therapiezeiten kümmert sich das Klinik-Team<br />
um die Kleinen. „In der Regel haben wir ein bis zwei<br />
Mütter mit ihren Kindern auf der Station“, so Matthias<br />
Viele Frauen<br />
erleben nach<br />
der Geburt<br />
ein seelisches<br />
Tief. Manchmal<br />
wird daraus<br />
aber auch<br />
eine schwere<br />
Depression<br />
Lemke. „Häufi g sind die Babys der Mittelpunkt der Station<br />
und haben einen positiven Einfl uss auf alle – Pfl eger, Ärzte<br />
und Mitpatientinnen.“ Nicht immer können Eltern sich jedoch<br />
eingestehen, dass sie der Herausforderung mit einem<br />
Säugling nicht gewachsen sind.<br />
Den Alltag meistern<br />
Hilfe für überforderte Eltern bieten auch die Babylotsen<br />
– ein Präventionsprojekt der Stiftung des Kinderkrankenhauses<br />
Wilhelmstift. Kinderarzt Dr. Sönke Siefert und sein<br />
Team haben bereits vor der Geburt den potenziellen Hilfebedarf<br />
der werdenden Mütter auf der Wöchnerinnenstation<br />
des Marienkrankenhauses Hamburg identifi ziert. Dazu zählen<br />
vor allem Eltern von Frühgeburten, sehr junge Mütter<br />
und Eltern mit psychischen Problemen. Jetzt sind die Babylotsen<br />
auf der Station unterwegs. Sie suchen das Gespräch<br />
mit den Frauen, trösten, geben Tipps und Ratschläge. Auch<br />
der gemeinsame Weg ins Familienzentrum oder die Vermittlung<br />
sozialpädagogischer Betreuung gehört zu ihren<br />
Aufgaben. Bis zum ersten Geburtstag des Kindes können<br />
Eltern auf die Unterstützung zurückgreifen. „Frühe<br />
Hilfe greift am besten“, so Siefert. Vor allem<br />
die Gesundheit und die Entwicklung des Kindes<br />
profi tiere davon.<br />
Aber auch das seelische Wohl der Erwachsenen<br />
hängt eng mit dem ihrer Kinder zusammen.<br />
Immer wieder musste Dr. Christian Fricke beobachten,<br />
dass Eltern, deren Kinder in seinem<br />
Institut behandelt wurden, eigenen Therapiebedarf<br />
hatten. So entstand beim Ärztlichen Leiter<br />
des Werner Otto Instituts in Alsterdorf die Idee<br />
zum Eltern-Kind-Angebot. Weil sich oft herausstellte,<br />
dass auch Mütter oder Väter psychisch<br />
krank sind, entwickelte Dr. Fricke in Zusammenarbeit<br />
mit der Abteilung für Psychiatrie<br />
und Psychotherapie im Ev. Krankenhaus Alsterdorf<br />
das Eltern-Kind-Projekt. „Während wir früher Eltern<br />
und Kinder nacheinander behandeln mussten, können wir<br />
das jetzt in einem integrierten Gesamtkonzept anbieten.“<br />
Dabei geht es nicht nur um die individuelle Therapie für die<br />
erkrankten Eltern und Kinder, sondern auch darum, intensive<br />
Anleitung und Unterstützung im Miteinander zu geben. •<br />
Ambulante Adressen<br />
Projekt Babylotse im Kath.<br />
Marienkrankenhaus:<br />
www.babylotse.de<br />
Unterstützung für suchtbelastete<br />
schwangere Frauen:<br />
www.lina-net.de<br />
Hilfsangebote für kleine<br />
Hanseaten: www.kinderschutzbund-hamburg.de<br />
Nationales Zentrum Frühe<br />
Hilfen, auch in Hamburg:<br />
www.fruehehilfen.de<br />
Medizin & Gesundheit 25<br />
„Dramatische<br />
Veränderungen“<br />
Depressionen nach der<br />
Geburt? Prof. Matthias R.<br />
Lemke aus dem Heinrich<br />
Sengelmann Krankenhaus rät Betroffenen,<br />
sich in professionelle Hände zu<br />
begeben.<br />
Kinder gelten als großes Glück. Dennoch<br />
erkranken 10-15 Prozent der Frauen nach der<br />
Geburt an Depressionen. Warum?<br />
Die Geburt eines Kindes ist für Frauen mit<br />
dramatischen Veränderungen auf allen Ebenen<br />
verbunden. In biologischer Hinsicht durch die<br />
Hormonumstellung, auf psychologischer Ebene<br />
durch die ganz neue Verantwortung für das Baby<br />
und psychosozial durch eine extreme Umstellung<br />
im Schlaf-Wach-Rhythmus. Wenn sich die jungen<br />
Mütter dann überfordert fühlen, gesellen sich<br />
Minderwertigkeits- und Schuldgefühle dazu. Und<br />
wer ohnehin schon eine Veranlagung für depressive<br />
Erkrankungen hat, ist in dieser Situation<br />
natürlich besonders gefährdet.<br />
60 Prozent aller Mütter, so das Ergebnis einer<br />
Umfrage, fühlen sich in den ersten Wochen<br />
nach der Geburt überfordert. Sind übertrieben<br />
hohe Ansprüche und fehlende Unterstützung<br />
ebenfalls Auslöser einer Depression?<br />
Das kann auch ein Faktor sein, der mit eine Rolle<br />
spielt. Aber insgesamt sind<br />
Frauen heute aufgeklärter<br />
und kennen sich besser mit<br />
dem Krankheitsbild aus. Sie<br />
begeben sich deshalb früher<br />
in eine Therapie. Das ist für<br />
den Erfolg entscheidend. Die<br />
Postnatale Depression ist gut<br />
behandelbar, die Heilungschancen<br />
sind sehr hoch.<br />
Wie sieht die Therapie in<br />
Ihrer Klinik aus?<br />
Die Mütter stillen ja teilweise<br />
noch. Deshalb sind wir vorsich-<br />
tig mit einer medikamentösen<br />
Antidepressions-Behandlung, die<br />
jedoch auch eine wichtige Säule der Therapie sein<br />
kann. Psychotherapien in Verbindung mit Körpertherapien<br />
spielen nach unseren Erfahrungen eine<br />
große Rolle im therapeutischen Prozess.