- 36 -Gesetzesbegründung somit eine grundlegend neue Konzeption gegenüber demBSHG, welches gemäß §§ 3, 22 Abs. 1 Satz 2 BSHG demIndividualisierungsgrundsatz als tragendem Grundsatz verpflichtet war und stets dieindividuelle Bedarfsprüfung mit der Konsequenz der detaillierten justitiellenÜberprüfung mit entsprechenden materiellen Entscheidungsspielräumen imInstanzenweg ermöglichte (vgl. z. B. BVerwGE 107, 234, 236 - Waschmaschine; 106,99, 104 f. - Fernseher; 92, 6, 7 - Schultüte; 92, 109, 111 -Tauffeier). Das ist unter derGeltung des SGB II bis auf eng begrenzte Ausnahmefälle nun nicht mehr möglich(dazu vgl. BSG vom 7. November 2006 - B 7b AS 14/06 R). Die Frage, ob im Einzelfalldas Exstenzminimum gewährleistet ist, verlangt nun unmittelbar die Prüfung desGesetzes selbst. Dabei gilt: Je mehr Raum für eine Individualisierung eröffnet ist, destogrößere Freiheit hat der Gesetzgeber im Hinblick auf eine Pauschalierung; jeumfassender aber die Pauschalierung ist, desto höher sind die Anforderungen an diese(so zu Recht Wallerath, JZ 2008, S. 167). Nach Ansicht des Senats reicht deshalb dieBezugnahme auf den früheren Rechtszustand für eine dogmatisch und systematischschlüssige Begründung der Behauptung einer nur eingeschränkten Überprüfbarkeit derRegelleistungsfestsetzung nicht aus, zumal das BVerfG in anderen Rechtsgebietenmehrfach der Rücknahme der gerichtlichen Kontrolldichte durch dieVerwaltungsgerichte - gestützt auf die Annahme eines Beurteilungsspielraums -widersprochen hat (vgl. Sartorius, aaO , S. 56 zu Fn. 12; ders, aaO ,S. 110 ff., hält die auf die Einschätzungsprärogative und den weitenBeurteilungsspielraum gestützte beschränkte Kontrolldichte der Rechtsprechung desBVerwG für verfassungswidrig). Tatsächlich hat das BVerfG - entgegen der Auffassungdes BSG - zudem die Bestimmung des existenzminimalen Bedarfs von Kindern imBSHG auch bereits als defizitär bezeichnet (Beschluss vom 10. November 1998 -1 BvR 1057 et al. - BVerfGE 99, 216, juris-Rdnr. 88 ff.).4. Der Senat vermag dem BSG ferner nicht zu folgen, als dieses aus der Tatsacheuneinheitlicher Definitionen des Existenzminimums in verschiedenen Rechtsbereichenfeststellt, dies sei eine Konsequenz der sich ständig ändernden gesellschaftlichen undwirtschaftlichen Verhältnisse und Entwicklungen (B 11 b AS 1/06 R - Juris-Rdnr. 47);denn für alle synchronen Sachverhalte, die in den jeweiligen Rechtsbereichengleichwohl jeweils verschiedene Regelungen erfahren, trifft dies gerade nicht zu.Umgekehrt erlaubt die Tatsache, dass der Gesetzgeber Regelungen, die der Sachenach die Definition eines soziokulturellen Existenzminimums beinhalten oder hieraufabstellen - z.B. bei den Einkommensgrenzen der Prozesskostenhilfe, der Gesetzlichen- 37 -
- 37 -Krankenversicherung, des Wohngeldes, des BaföG oder den Pfändungsfreigrenzen -,für denselben Regelungszeitraum bei identischen gesellschaftlichen undwirtschaftlichen Verhältnissen in höchst unterschiedlicher, dabei teils sogar aufBruttoeinkommen bezogene Weise trifft (dazu vgl. Hessische Staatskanzlei ,Die Familienpolitik muss neue Wege gehen!, Wiesbaden 2003, S. 98 f.), für denerkennenden Senat die Schlussfolgerung, dass ein konsistentes und überzeugendesKonzept eines soziokulturellen Existenzminimums schlicht fehlt und dies eine Fülle vonUngereimtheiten und Abstimmungsproblemen zur Folge hat (vgl. dazu auch BVerfG,Beschluss vom 26. April 1988 - 1 BvL 84/86 - Gefährdung des Existenzminimumsdurch Kostenbeteiligung bei der Prozesskostenhilfe). Für den erkennenden Senatbegründen die in den verschiedenen Rechtsbereichen zu beobachtenden, teilserheblich voneinander abweichenden Niveaus solcher Bedürftigkeitsgrenzen jedenfallsZweifel an der Rationalität von deren Ermittlung und Definition. Gleiches gilt für denSenat im Hinblick auf die Bezifferung der Existenzminima in den alle zwei Jahre zuerstellenden Existenzminimum-Berichten, deren Ergebnisse und Begründungen fürden Senat insbesondere hinsichtlich der „Punktlandungen“ der Kinderexistenzminimain den Zeiträumen 1997 bis 2001 (= 3534 Euro) und 2003 bis 2008 (= 3648 Euro) nichtplausibel sind (vgl. die nachfolgende Tabelle).DatumBerichts-ErwachseneKinderjahrExistenzminiGrund-ExistenzminiKinderfreibetmumfreibetragmumrag02.02.1995 1996 6.071 6.184 3.215 3.20317.12.1997 1999 6.455 6.681 3.424 3.53404.01.2000 2001 6.547 7.206 3.460 3.53404.12.2001 2003 6.948 7.235 3.636 3.53405.02.2004 2005 7.356 7.664 3.648 3.64802.11.2006 2008 7.140 7.664 3.648 3.648Quelle: Existenzminimum-Berichte BT-Drucks. 13/381; 13/9561; 14/1926; 14/2770; 14/7765(neu); 15/2462; 16/3265; vgl. dazu auch BT-Drucks. 16/9999 v. 16.7.2008- 38 -