Aussteigen in Faro, Aufklären in Kabul TITELTHEMA Seite 04 - KV
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<strong>KV</strong>_02_2006_12 10.<strong>04</strong>.2006 11:14 Uhr <strong>Seite</strong> 12<br />
ANSICHTSSACHE<br />
Weltbürgerkrieg?<br />
Von Wolfgang Löhr<br />
Auf die Unangemessenheit<br />
der Reaktionen der<br />
Muslime, die teilweise<br />
durch Irreführung – es<br />
tauchten Karrikaturen<br />
auf, die nichts mit den -<br />
dänischen zu tun hatten<br />
– und durch politisches<br />
Kalkül – Teheran konnte<br />
von dem Atomstreit ablenken<br />
– aufgeheizt und<br />
gesteuert wurden, wiesen<br />
viele kirchliche Stimmen<br />
h<strong>in</strong>. Sie er<strong>in</strong>nerten<br />
dabei an e<strong>in</strong>en anderen<br />
wichtigen Aspekt:<br />
In Europa haben viele<br />
Menschen das Gefühl<br />
dafür verloren, wodurch<br />
andere <strong>in</strong> ihrer Würde<br />
verletzt werden könnten.<br />
12 AM<br />
Lachen über Religion<br />
aber es bleibt<br />
Seit der amerikanische Politikwissenschaftler Samuel<br />
P. Hunt<strong>in</strong>gton vor dreizehn Jahren e<strong>in</strong>en Aufsatz <strong>in</strong> der Zeitschrift<br />
„Foreign Affairs“ mit dem Titel „The Clash of Civilizations?“<br />
veröffentlichte, ist über diese Me<strong>in</strong>ungsäußerung<br />
viel geredet und geschrieben worden. Vielen „Feuilletonchefs<br />
und Mediengurus“ diente jene „kurze F<strong>in</strong>gerübung<br />
luftiger Begriffe“ als Köder, um sich darüber auszulassen,<br />
ob es zu e<strong>in</strong>em Konflikt zwischen „Islam“ und dem „Westen“<br />
kommen könne, so der Nahostexperte J. Hippler. Fast<br />
e<strong>in</strong>hellig war die Me<strong>in</strong>ung, Hut<strong>in</strong>gtons Formel „The West<br />
aga<strong>in</strong>st the Rest“ sei oberflächig, ebenso wie se<strong>in</strong>e Behauptung,<br />
militärische Stärke sei notwendig, um westliche<br />
Interessen zu sichern. Jetzt plötzlich, seit wenigen Wochen<br />
sche<strong>in</strong>t es so, als ob Hunt<strong>in</strong>gton geradezu prophetisch die<br />
Aufruhr <strong>in</strong> der islamischen Welt vorhergesehen habe. Vermutlich<br />
hat aber auch er nicht daran geglaubt, dass e<strong>in</strong><br />
paar fast schon vergessene, wenig witzige Karrikaturen <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er dänischen Zeitung im September 2005 vier Monate<br />
später <strong>in</strong> vielen islamischen Ländern plötzlich e<strong>in</strong>e Empörung<br />
und „e<strong>in</strong>e bizarre Wucht der Emotionen“ auslösen<br />
würden, die immer gefährlicher wurden. Thomas Assheuer<br />
vermutete <strong>in</strong> der „Zeit“ vom 9. Februar, möglicherweise sei<br />
der „Zauberlehrl<strong>in</strong>g“ Hunt<strong>in</strong>gton sowieso <strong>in</strong>zwischen klüger<br />
geworden als jene, die sich „triumphierend“ auf ihn beriefen,<br />
denn schon beim Irakkrieg hatte Hunt<strong>in</strong>ton gewarnt,<br />
e<strong>in</strong> solcher Angriff könne Geister hervorrufen, die die westliche<br />
Welt sobald nicht mehr los werden würde. E<strong>in</strong>s bleibt<br />
festzuhalten, dass trotz e<strong>in</strong>er Vielzahl von Stimmen, die zur<br />
Mäßigung aufrufen, darunter auch Vertreter der Muslime <strong>in</strong><br />
Deutschland, die Angst vor dem von Hunt<strong>in</strong>gton vorausgesagten<br />
„Weltbürgerkrieg“ wächst und auch geschürt wird.<br />
E<strong>in</strong>e sehr gefährliche Falle, wie Thomas Assheuer <strong>in</strong> der<br />
„Zeit“ me<strong>in</strong>te.<br />
Zurecht hat unser Kartellbruder Hans-Jochen Jaschke, der<br />
<strong>in</strong> der Deutschen Bischofskonferenz für den Dialog mit den<br />
Muslimen zuständig ist, auf Grund der heftigen Reaktionen<br />
gemahnt, man müsse respektieren, „dass andere ihre religiösen<br />
Gefühle verletzt“ sähen „und für sie die Grenze zur<br />
Blasphemie überschritten“ sei. Unter den Muslimen gäbe<br />
es e<strong>in</strong> starkes Gefühl der M<strong>in</strong>derwertigkeit und des Herabgesetztse<strong>in</strong>s.<br />
Die Karrikaturen seien Zündstoff gewesen.<br />
In diesem Zusammenhang wurde darauf h<strong>in</strong>gewiesen, dass<br />
bei uns „Formen des fe<strong>in</strong>s<strong>in</strong>nigen Verständnisses für die<br />
muslimische Empörung“ zu beobachten seien, so Thomas<br />
Schmid <strong>in</strong> der Frankfurter Sonntagszeitung vom 5. Februar.<br />
Er hielt sie für „Fehl am Platz“. Was dem Betrachter zugemutet<br />
werden kann, demonstrierte dann se<strong>in</strong>e Zeitung, de-<br />
ren Tagesausgabe der Pressefreiheit höchsten Rang e<strong>in</strong>geräumt<br />
hatte, durch die Abbildung dreier Karrikaturen, darunter<br />
e<strong>in</strong>e plumpe von Ernst Kahl, und den H<strong>in</strong>weis, der<br />
Surrealist Max Ernst sei wegen se<strong>in</strong>es Bildes „Die Jungfrau<br />
züchtigt das Jesusk<strong>in</strong>d vor drei Zeugen“ 1926 aus der Kirche<br />
ausgeschlossen worden. Besonderen Anstoß nahm<br />
Schmid an e<strong>in</strong>er Äußerung des Kard<strong>in</strong>als Karl Lehmann, der<br />
gesagt hatte, Satiren würden problematisch, wenn sie an<br />
den „Kernbestand e<strong>in</strong>es religiösen Bekenntnisses“ rührten,<br />
wodurch er die Presse- und Me<strong>in</strong>ungsfreiheit sicher nicht <strong>in</strong><br />
Zweifel ziehen wollte. Schmid me<strong>in</strong>te dazu, der Christ dürfe<br />
und solle darauf h<strong>in</strong>wirken, „dass der Überbietungswettbewerb<br />
im Tabubruch, der seit mehr als e<strong>in</strong>em Jahrhundert<br />
e<strong>in</strong> selbstlaufender Motor der modernen <strong>in</strong>tellektuellen<br />
Welt“ sei, „an Schnelligkeit und Unbeirrbarkeit verlieren<br />
möge.“ Hier ist zu fragen, wie dies geschehen soll, etwa<br />
durch grenzenlose Tolerierung? Schmid fuhr fort, der Christ<br />
dürfe „nicht e<strong>in</strong>mal den ger<strong>in</strong>gsten Ansche<strong>in</strong> erwecken, er<br />
schiele auf Verbote und erkenne <strong>in</strong> den armen Seelen marodierender<br />
Muslime Gleichges<strong>in</strong>nte.“ Letzteres hat bisher<br />
niemand getan, und die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit, dass es jemand<br />
noch tun wird, ist eher ger<strong>in</strong>g. Wie sagte doch der<br />
Präsident des Zentralkommitees der Deutschen Katholiken,<br />
Hans Joachim Meyer: „Gäbe es ähnlich verletzende Christus-Karrikaturen,<br />
würden die Christen zwar auch reagieren,<br />
aber sie täten es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Form, wie sie sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er freiheitlichen<br />
Form herausgebildet hat.“ Ob Christen darauf<br />
überhaupt noch reagieren würden, sei übrigens dah<strong>in</strong> gestellt.<br />
Es wird zwar heute noch mit e<strong>in</strong>er Geldstrafe oder<br />
mit e<strong>in</strong>er Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft, wer<br />
öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften „den Inhalt<br />
des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen<br />
Frieden zu stören“ (§ 166 StGB). Und diese Strafandrohung<br />
gilt nicht exklusiv für das Christentum. Doch ist besagter<br />
Paragraph strittig. Aber immerh<strong>in</strong> haben deutsche<br />
Gerichte etwa <strong>in</strong> der Darstellung e<strong>in</strong>es Kruzifixes als Mausefalle<br />
oder <strong>in</strong> der Abbildung e<strong>in</strong>es gekreuzigten Schwe<strong>in</strong>s<br />
auf e<strong>in</strong>em T-Shirt e<strong>in</strong>e Beschimpfung gesehen. Selbst die<br />
Kunstfreiheit, die e<strong>in</strong>en hohen verfassungsrechtlichen Wert<br />
hat, ist nicht grenzenlos. Im E<strong>in</strong>zelfall muss sie „gegen das<br />
für friedliches Zusammenlebern unabd<strong>in</strong>gbare Toleranzangebot<br />
abgewogen werden“, stellte Re<strong>in</strong>hard Müller<br />
ebenfalls <strong>in</strong> der Frankfurter Sonntagszeitung vom 5. Februar<br />
fest und bezog damit e<strong>in</strong>e andere Position als se<strong>in</strong> Kollege.<br />
Er erwähnte dabei ferner, dass der Europäische Gerichtshof<br />
für Menschenrechte 1994 über den Film „Liebeskonzil“ zu<br />
bef<strong>in</strong>den hatte, der 1985 <strong>in</strong> Innsbruck beschlagnahmt worden<br />
war. Als Begründung war vom dortigen Landgericht an-