Geschäftsbericht 2010 [pdf 2 MB] - ITI
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Marthaler, Viebrock, Beilharz (c) Lutz Strathmann<br />
Preis des <strong>ITI</strong> zum Welttheatertag<br />
Preisverleihung an Christoph Marthaler<br />
und Anna Viebrock<br />
Das Zentrum Bundesrepublik Deutschland<br />
des Internationalen Theaterinstituts e.V.<br />
(<strong>ITI</strong>) verlieh seinen Preis zum Welttheatertag<br />
<strong>2010</strong> an Christoph Marthaler und Anna<br />
Viebrock. Die feierliche Verleihung fand am<br />
27. März <strong>2010</strong> in Wuppertal statt, die Laudatio<br />
hielt Dr. Manfred Beilharz, Präsident<br />
des <strong>ITI</strong> Deutschland.<br />
Das Internationale Theaterinstitut ehrt mit<br />
dem Regisseur Marthaler und der Bühnenbildnerin<br />
Viebrock zwei Ensemble stiftende<br />
Künstler von internationalem Rang. In ihren<br />
Arbeiten für Theater- und Opernhäuser, für<br />
Festivals und Festspiele haben sie die Türen<br />
der Ästhetik, der Spiel-, Sing- und Betrachtungsweisen<br />
im Schauspiel und Musiktheater<br />
die Türen in das 21. Jahrhundert aufgestoßen.<br />
Christoph Marthaler, 1951 in Erlenbach<br />
bei Zürich geboren, besuchte die Theaterschule<br />
von Jacques Lecoq in Paris, wo<br />
er von der französischen Studentenrevolte<br />
aber auch von der radikalen Langsamkeit<br />
im Theater Robert Wilsons geprägt wurde.<br />
Er schrieb Bühnenmusiken für fast alle größeren<br />
deutschsprachigen Theater, so das<br />
Schauspielhaus Hamburg, die Volksbühne<br />
am Rosa-Luxemburg-Platz und das Zürcher<br />
Schauspielhaus, das er von 2000 bis 2004<br />
leitete.<br />
Die szenischen Kompositionen von Christoph<br />
Marthaler nehmen den Betrachter<br />
mit auf ihre Reise durch verstörende Welten.<br />
Die Atmosphäre wird geschaffen durch<br />
fremd-vertraute Schauspieler und Sänger<br />
und großartig zum Schwingen gebracht in<br />
den Bühnenräumen der Anna Viebrock.<br />
Anna Viebrock, 1951 in Köln geboren, studierte<br />
Bühnenbild an der Kunstakademie<br />
Düsseldorf und arbeitete dann als Bühnenbild-<br />
und Kostümbild-Assistentin am<br />
Schauspiel Frankfurt. Ende der 1980er, Anfang<br />
der 1990er Jahre entwickelte sie in der<br />
Zusammenarbeit mit den Regisseuren Jossi<br />
Wieler und Christoph Marthaler ihren unverwechselbaren<br />
Stil.<br />
Ihre Bühnenbilder entwickelt sie oft nach<br />
realen Vorbildern, die sie auf Recherche-<br />
Reisen entdeckt. Ihr Markenzeichen sind<br />
Räume, in denen das Leben Spuren hinterlassen<br />
hat; immer sind es Innenräume,<br />
meist klaustrophobisch abgeschlossen.<br />
Die ständige Zusammenarbeit dieser beiden<br />
herausragenden Künstler von 2001 bis<br />
2004 am Zürcher Schauspielhaus als künstlerischer<br />
Direktor bzw. als Bühnenbildnerin<br />
und Regisseurin brachte dem Haus den von<br />
theater heute verliehenen Preis Theater des<br />
Jahres ein. Zusammen wurden sie auch mit<br />
dem Theaterpreis Berlin 2004 ausgezeichnet<br />
und eröffneten <strong>2010</strong> die 64. Ausgabe<br />
des Festivals d‘Avignon im Ehrenhof des<br />
Papstpalasts mit der Uraufführung ihres<br />
neuen Stücks „Papperlapapp“.<br />
Aus der Laudatio<br />
Eine Marthaler-Inszenierung beginnt<br />
fast immer mit einem Raum von Anna<br />
Viebrock. Seltsam vertraut sind uns<br />
diese Räume inzwischen, so vertraut<br />
wie die unbehausten Figuren darin. Mit<br />
freundlicher Beharrlichkeit begegnet<br />
uns hier ein klares Bekenntnis gegen die<br />
allgegenwärtige Beschleunigung, denn es<br />
zeigt uns den „Zustand danach“ wie eine<br />
Erinnerung an die Zukunft: Orte, durch die<br />
Geschichte hindurch gegangen ist. Mit der<br />
Geste leichten Staunens wird unser Blick<br />
gelenkt auf schier unglaubliche Auswüchse<br />
gebauter Hässlichkeit, eine Hässlichkeit,<br />
wie sie uns allerorten begegnen kann und<br />
doch nur durch den aufmerksamen Blick<br />
der Anna Viebrock so unnachahmlich<br />
in ihrer barbarischen Wucht als Teile<br />
unserer eigenen Seelenlandschaft sichtbar<br />
wird. Dieser fotografisch geschulte<br />
Alltagsrealismus geht so viel tiefer als jede<br />
gutgemeinte Misere-Beschreibung, denn<br />
dieser Blick denunziert nicht. In diesen<br />
trostlosen Hallen, von der Geschichte<br />
vergessen, entfaltet sich behutsam die<br />
Gegenwart der Figuren.<br />
Manfred Beilharz<br />
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