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ante Srebrenica - Genese eines Genozids

Diese Abhandlung befasst sich mit der Suche nach den initiierenden Umständen von Genoziden und zeigt wie das Zusammenspiel von sozialen, ökonomischen, historischen und psychologischen Komponenten zu einem Ausbruch der Gewalt führt, der äußerst pointiert als „crime of crimes“ betitelt wird. Insbesondere in der Vergangenheit erlittene Gewaltexzesse, wie Genozide, die sich im kollektiven Gedächtnis eingebrannt haben, ergeben einen mächtigen Pool an Hasspotential für nationalistische Demagogen um eine pluralistische Gesellschaft in einer allgemeinen Schwächephase zu spalten. Nationale Führungsriegen konstruieren eine imaginäre Bedrohungssituation durch die andere Gruppe und lassen gewöhnliche Menschen aus ihrer Opferrolle heraus legitimiert Menschen massenhaft ermorden. Um einen derartigen Prozess adäquat veranschaulichen zu können, werden in dieser Arbeit die Entwicklungen am Vorabend des Massakers von Srebrenica herangezogen.

Diese Abhandlung befasst sich mit der Suche nach den initiierenden Umständen von Genoziden und zeigt wie das Zusammenspiel von sozialen, ökonomischen, historischen und psychologischen Komponenten zu einem Ausbruch der Gewalt führt, der äußerst pointiert als „crime of crimes“ betitelt wird. Insbesondere in der Vergangenheit erlittene Gewaltexzesse, wie Genozide, die sich im kollektiven Gedächtnis eingebrannt haben, ergeben einen mächtigen Pool an Hasspotential für nationalistische Demagogen um eine pluralistische Gesellschaft in einer allgemeinen Schwächephase zu spalten. Nationale Führungsriegen konstruieren eine imaginäre Bedrohungssituation durch die andere Gruppe und lassen gewöhnliche Menschen aus ihrer Opferrolle heraus legitimiert Menschen massenhaft ermorden. Um einen derartigen Prozess adäquat veranschaulichen zu können, werden in dieser Arbeit die Entwicklungen am Vorabend des Massakers von Srebrenica herangezogen.

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<strong>ante</strong> <strong>Srebrenica</strong> – <strong>Genese</strong> <strong>eines</strong> <strong>Genozids</strong><br />

In Titos Jugoslawien war die freie Religionsausübung theoretisch garantiert, diese<br />

wurde in der Praxis jedoch durch das kommunistische Regime unterdrückt 87 und so diente die<br />

serbokroatische Sprache als Einheitsstiftung für die Bevölkerung. Als der kommunistische<br />

Staat auseinanderzubrechen begann, war es notwendig, neue regionale Identitäten zu<br />

erschaffen, da die jugoslawische Identität ausgedient hatte. So ließ sich eine zunehmende<br />

Sprachendifferenzierung erkennen. Jedoch waren die Dialektunterschiede im<br />

serbokroatischen Sprachraum nicht ausreichend, um unterschiedliche Identitäten zu<br />

zementieren und damit musste die Religion als zentrales Kennzeichen der<br />

Abstammungsunterscheidung herhalten. Von nun an galten alle KatholikInnen als<br />

KroatInnen, alle Orthodoxen als SerbInnen und alle MuslimInnen als BosnierInnen. 88<br />

Verwandtschaftsverhältnisse spielen historisch gesehen nahezu immer eine besondere Rolle<br />

bei der Verteilung der zur Verfügung stehenden Ressourcen, so auch staatliche Ressourcen,<br />

was zu einem Verwandtschaftsklientelismus innerhalb des Staatsapparates führt. In modernen<br />

Staaten wurde dieser aus quantitativen Gründen jedoch durch einen ethnischen Klientelismus<br />

ersetzt, da auf der staatlichen Makroebene ein größerer Menschenpool erforderlich ist um die<br />

große Anzahl an zu vergebenden Positionen besetzen zu können. Ethnische Gruppen sind als<br />

Substitut für Verwandtschaften hierfür am besten geeignet, da eine gemeinsame ethnische<br />

Basis aufgrund gemeinsamer Sprache und Werteverständnis die Kommunikation zwischen<br />

den AkteurInnen verbessert und eine funktionsfähige Verwaltung gewährleistet. Andererseits<br />

bewirkt sie jedoch auch „Privilegierung und Diskriminierung [anderer] ethnischer Gruppen<br />

im Staat“, was mit ein wichtiger Grund für ethnische Konflikte ist, die wiederum als Mittel<br />

der Massenmobilisierung fungieren und Vorboten <strong>eines</strong> Völkermordes sind. 89<br />

3. Nationalismus und Propaganda<br />

Auch kollektive Gewalt ist eine Form kollektiven Handelns und unterliegt damit auch<br />

denselben Gesetzmäßigkeiten. So können auch Genozide nicht einfach spontan auftreten,<br />

sondern benötigen im Vorhinein ein gewisses Maß an Organisation und<br />

Massenmobilisierung. 90 So sieht auch Dorothee Frank Genozide nicht als „‚naturhafte„<br />

Eruptionen übermächtig gewordenen Hasses“ der Bevölkerung, sondern identifiziert nationale<br />

Führungsriegen als Drahtzieher und Organisatoren dieser exzessiven Gewalt. Sie wärmen<br />

87 Vgl. Niko Ikic, Der Gesellschaftsbezug des Katholizismus in Bosnien und Kroatien, in: Hans-Dieter Döpmann<br />

(Hg.), Religion und Gesellschaft in Südosteuropa, Südosteuropa-Jahrbuch 28, München 1997, 235–251, hier<br />

246.<br />

88 Vgl. Bertallo, Ethnisierung, 67f.<br />

89 Vgl. Ebda. 69–71.<br />

90 Vgl. Ebda. 70f.<br />

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