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ante Srebrenica - Genese eines Genozids

Diese Abhandlung befasst sich mit der Suche nach den initiierenden Umständen von Genoziden und zeigt wie das Zusammenspiel von sozialen, ökonomischen, historischen und psychologischen Komponenten zu einem Ausbruch der Gewalt führt, der äußerst pointiert als „crime of crimes“ betitelt wird. Insbesondere in der Vergangenheit erlittene Gewaltexzesse, wie Genozide, die sich im kollektiven Gedächtnis eingebrannt haben, ergeben einen mächtigen Pool an Hasspotential für nationalistische Demagogen um eine pluralistische Gesellschaft in einer allgemeinen Schwächephase zu spalten. Nationale Führungsriegen konstruieren eine imaginäre Bedrohungssituation durch die andere Gruppe und lassen gewöhnliche Menschen aus ihrer Opferrolle heraus legitimiert Menschen massenhaft ermorden. Um einen derartigen Prozess adäquat veranschaulichen zu können, werden in dieser Arbeit die Entwicklungen am Vorabend des Massakers von Srebrenica herangezogen.

Diese Abhandlung befasst sich mit der Suche nach den initiierenden Umständen von Genoziden und zeigt wie das Zusammenspiel von sozialen, ökonomischen, historischen und psychologischen Komponenten zu einem Ausbruch der Gewalt führt, der äußerst pointiert als „crime of crimes“ betitelt wird. Insbesondere in der Vergangenheit erlittene Gewaltexzesse, wie Genozide, die sich im kollektiven Gedächtnis eingebrannt haben, ergeben einen mächtigen Pool an Hasspotential für nationalistische Demagogen um eine pluralistische Gesellschaft in einer allgemeinen Schwächephase zu spalten. Nationale Führungsriegen konstruieren eine imaginäre Bedrohungssituation durch die andere Gruppe und lassen gewöhnliche Menschen aus ihrer Opferrolle heraus legitimiert Menschen massenhaft ermorden. Um einen derartigen Prozess adäquat veranschaulichen zu können, werden in dieser Arbeit die Entwicklungen am Vorabend des Massakers von Srebrenica herangezogen.

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<strong>ante</strong> <strong>Srebrenica</strong> – <strong>Genese</strong> <strong>eines</strong> <strong>Genozids</strong><br />

1986 erschien dann das Memorandum der Serbischen Akademie der Wissenschaften<br />

(auch als „Memorandum SANU“ bekannt 97 ), welches als akademische Rechtfertigung des<br />

AlbanerInnenhasses fungierte, den „Genozid“ an den SerbInnen im Kosovo anprangerte 98<br />

und daher als ideologischer Wegbereiter des folgenden <strong>Genozids</strong> anzusehen ist. Sie forderte<br />

außerdem die nationale Vereinigung aller SerbInnen. 99 Der Erfolg, den das Memorandum<br />

verzeichnete, liegt an verschiedenen Faktoren. Erstens an dem hohen Ansehen der Akademie,<br />

zweitens an der Bereitstellung <strong>eines</strong> einfachen Erklärungsmodells für die Krise der<br />

Achtzigerjahre, drittens an der Reaktivierung „alte[r] Feindbilder, Stereotypen und<br />

Vorurteile“ und viertens daran, dass sich die Politik ab 1988 nicht mehr davon distanzierte. 100<br />

Einer der Urheber des Memorandums war Dobrica Ćosić, Schriftsteller und während der<br />

Jugoslawienkriege erster Präsident der „Bundesrepublik Jugoslawien“. 101<br />

Insbesondere der SerbInnenführer Slobodan Milošević und der kroatische Anführer<br />

Franjo Tuđman nutzten die Medien um einen Keil zwischen die Völker Jugoslawiens zu<br />

treiben, v.a. auch indem sie die unterschiedliche Erinnerung an den Genozid des kroatischen<br />

Ustaša-Regimes der 1940er-Jahre in den Vordergrund stellten. Milošević betonte bei<br />

öffentlichen Reden bewusst die SerbInnen als permanentes „Opfer“ der Geschichte. 102 Die<br />

Berufung auf das eigene Volk wurde von nun an im Alltag immer bedeutender. Aktuelle<br />

Ereignisse wurden „in den Kontext des jahrhundertelangen Kampfes gegen das ‚türkische<br />

Joch„ und/oder in die Opfergeschichten des Zweiten Weltkriegs“ eingebettet. 103 Generell ist<br />

festzustellen, dass sich Ende der 1980er Jahre die transnationale jugoslawische<br />

Erinnerungskultur im Endstadium ihres Auflösungsprozesses befand. Diese spaltete sich in<br />

„eine Vielzahl divergierender, oft widersprüchlicher ‚Erinnerungen„ auf, die jedoch<br />

ausnahmslos oder nahezu ausnahmslos ethnonational kodiert wurden“. 104<br />

Die Medien schlachteten zudem das Auffinden von Massengräbern des Ustaša-<br />

Regimes aus, um die serbische Opferrolle lautstark zu predigen und den gegenseitigen „alten<br />

Hass“ zu reaktivieren, den es als Massenphänomen wie bereits erwähnt jedoch nicht gab.<br />

Genau diesen massenhaften Hass brauchten die nationalistischen DemagogInnen jedoch und<br />

97 Elisabeth von Erdmann-Pandzic, Vordenker des Krieges. Die Geheimschriften der Serbischen Akademie, in:<br />

Tilman Zülch (Hg.), "Ethnische Säuberung"–Völkermord für "Großserbien". Eine Dokumentation der<br />

Gesellschaft für Bedrohte Völker, Flugschrift 5, Frankfurt am Main 2 1993, 18–22, hier 18.<br />

98 Vgl. Sundhausen, Rede, 197–199.<br />

99 Vgl. Kiernan, Erde, 758.<br />

100 Vgl. Sundhausen, Rede, 200f.<br />

101 Vgl. Erdmann-Pandzic, Vordenker, 19.<br />

102 Vgl. Markusen, Genocide, 459.<br />

103 Vgl. Sundhausen, Rede, 202.<br />

104 Vgl. Ebda. 203.<br />

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