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ante Srebrenica - Genese eines Genozids

Diese Abhandlung befasst sich mit der Suche nach den initiierenden Umständen von Genoziden und zeigt wie das Zusammenspiel von sozialen, ökonomischen, historischen und psychologischen Komponenten zu einem Ausbruch der Gewalt führt, der äußerst pointiert als „crime of crimes“ betitelt wird. Insbesondere in der Vergangenheit erlittene Gewaltexzesse, wie Genozide, die sich im kollektiven Gedächtnis eingebrannt haben, ergeben einen mächtigen Pool an Hasspotential für nationalistische Demagogen um eine pluralistische Gesellschaft in einer allgemeinen Schwächephase zu spalten. Nationale Führungsriegen konstruieren eine imaginäre Bedrohungssituation durch die andere Gruppe und lassen gewöhnliche Menschen aus ihrer Opferrolle heraus legitimiert Menschen massenhaft ermorden. Um einen derartigen Prozess adäquat veranschaulichen zu können, werden in dieser Arbeit die Entwicklungen am Vorabend des Massakers von Srebrenica herangezogen.

Diese Abhandlung befasst sich mit der Suche nach den initiierenden Umständen von Genoziden und zeigt wie das Zusammenspiel von sozialen, ökonomischen, historischen und psychologischen Komponenten zu einem Ausbruch der Gewalt führt, der äußerst pointiert als „crime of crimes“ betitelt wird. Insbesondere in der Vergangenheit erlittene Gewaltexzesse, wie Genozide, die sich im kollektiven Gedächtnis eingebrannt haben, ergeben einen mächtigen Pool an Hasspotential für nationalistische Demagogen um eine pluralistische Gesellschaft in einer allgemeinen Schwächephase zu spalten. Nationale Führungsriegen konstruieren eine imaginäre Bedrohungssituation durch die andere Gruppe und lassen gewöhnliche Menschen aus ihrer Opferrolle heraus legitimiert Menschen massenhaft ermorden. Um einen derartigen Prozess adäquat veranschaulichen zu können, werden in dieser Arbeit die Entwicklungen am Vorabend des Massakers von Srebrenica herangezogen.

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<strong>ante</strong> <strong>Srebrenica</strong> – <strong>Genese</strong> <strong>eines</strong> <strong>Genozids</strong><br />

Diese/r steht laut Canetti selbst unter einer „Todesdrohung“ der er/sie nur entgehen kann,<br />

wenn er/sie seinen/ihren Befehlen gehorcht und selbst tötet, wobei die Tötungshandlung von<br />

seinen/ihren BefehlshaberInnen legitimiert wird und er/sie sich selbst als bloßes Werkzeug<br />

der BefehlshaberInnen sieht. 125<br />

Durch die bereits genannte neue Moralregel des Hasses in Verbindung mit der<br />

Berechtigung die „Anderen“ töten zu dürfen, treten nun auch „die latenten sadistischen<br />

Potenziale <strong>eines</strong> erheblichen Teils der Normalbevölkerung“ ans Tageslicht. Dieser Sadismus,<br />

den der Psychiater Eberhard Schorsch „sexualisierte Destruktivität“ nennt, oder auch als<br />

„Zerstörungslust“ definiert werden kann, wohnt laut Schorsch nahezu allen Menschen inne,<br />

da er seine Wurzeln in Erziehungsfehler während der Frühphase der kindlichen Entwicklung<br />

hat, die ganz „in der Natur der Unvollkommenheit des Menschen“ liegen. Der Sadismus<br />

speist sich aus seiner Suche nach Beherrschung der „Anderen“. Seine Destruktivität schöpft er<br />

aus der Eigenschaft, die Autonomie seiner Opfer zerbrechen zu wollen und sie so<br />

beherrschbar zu machen. Aufgrund dieses Ziels der psychischen Verwüstung s<strong>eines</strong> Opfers<br />

bedient sich ein sadistischer Mensch seiner ganzen Kreativität um stets neue „Methoden des<br />

Quälens und Entwürdigens“ zu entwickeln. Dies ist es auch, was Völkermorde zum<br />

Kabinettstück im schauderhaften Kaleidoskop der Entmenschlichung macht. Die<br />

Ausführenden dieser Kriegsverbrechen gelten jedoch meist als „Sadisten auf Zeit“, so dass es<br />

ihnen nach ihren Verbrechen wieder möglich ist, ohne große psychische Folgeschäden ein<br />

ganz und gar gewöhnliches Leben zu führen. 126<br />

Auch in punkto „Appell an den Überlebensinstinkt“ tat die Serbische Denkschrift von<br />

1986 ihr Übriges bei. So klagte sie die albanischen MuslimInnen mit exorbit<strong>ante</strong>r<br />

Schuldzuweisung an, für den Völkermord an den SerbInnen im Kosovo verantwortlich zu<br />

sein. Zu Beginn des Bosnienkrieges erinnerte der bosnisch-serbische General Ratko Mladić<br />

erneut daran und gab zu bedenken, dass es die SerbInnen seien, „die von einer Ausrottung<br />

bedroht seien, und zu den Zielen der […] KroatInnen und MuslimInnen gehöre unter anderem<br />

‚die vollständige Vernichtung des serbischen Volkes„“. Die SerbInnen würden daher aus<br />

reiner Notwehr agieren. 127 Die serbische Propaganda nutzte außerdem die Gräueltaten die<br />

KroatInnen an SerbInnen im kroatischen Unabhängigkeitskrieg verübten (die jedoch im<br />

selben Ausmaß auch von SerbInnen an KroatInnen begangen worden waren) um den<br />

bosnischen SerbInnen einzubläuen, dass dies auch ihr Schicksal sein werde, wenn Bosnien<br />

125 Vgl. Canetti, Masse, 390f.<br />

126 Vgl. Frank, Menschen, 210–213.<br />

127 Vgl. Kiernan, Erde, 759.<br />

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