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ante Srebrenica - Genese eines Genozids

Diese Abhandlung befasst sich mit der Suche nach den initiierenden Umständen von Genoziden und zeigt wie das Zusammenspiel von sozialen, ökonomischen, historischen und psychologischen Komponenten zu einem Ausbruch der Gewalt führt, der äußerst pointiert als „crime of crimes“ betitelt wird. Insbesondere in der Vergangenheit erlittene Gewaltexzesse, wie Genozide, die sich im kollektiven Gedächtnis eingebrannt haben, ergeben einen mächtigen Pool an Hasspotential für nationalistische Demagogen um eine pluralistische Gesellschaft in einer allgemeinen Schwächephase zu spalten. Nationale Führungsriegen konstruieren eine imaginäre Bedrohungssituation durch die andere Gruppe und lassen gewöhnliche Menschen aus ihrer Opferrolle heraus legitimiert Menschen massenhaft ermorden. Um einen derartigen Prozess adäquat veranschaulichen zu können, werden in dieser Arbeit die Entwicklungen am Vorabend des Massakers von Srebrenica herangezogen.

Diese Abhandlung befasst sich mit der Suche nach den initiierenden Umständen von Genoziden und zeigt wie das Zusammenspiel von sozialen, ökonomischen, historischen und psychologischen Komponenten zu einem Ausbruch der Gewalt führt, der äußerst pointiert als „crime of crimes“ betitelt wird. Insbesondere in der Vergangenheit erlittene Gewaltexzesse, wie Genozide, die sich im kollektiven Gedächtnis eingebrannt haben, ergeben einen mächtigen Pool an Hasspotential für nationalistische Demagogen um eine pluralistische Gesellschaft in einer allgemeinen Schwächephase zu spalten. Nationale Führungsriegen konstruieren eine imaginäre Bedrohungssituation durch die andere Gruppe und lassen gewöhnliche Menschen aus ihrer Opferrolle heraus legitimiert Menschen massenhaft ermorden. Um einen derartigen Prozess adäquat veranschaulichen zu können, werden in dieser Arbeit die Entwicklungen am Vorabend des Massakers von Srebrenica herangezogen.

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<strong>ante</strong> <strong>Srebrenica</strong> – <strong>Genese</strong> <strong>eines</strong> <strong>Genozids</strong><br />

Was war „<strong>ante</strong> <strong>Srebrenica</strong>“? Die Lösung scheint so eindeutig wie erschreckend: der<br />

Genozid. Sowohl in seiner tatsächlichen Gestalt oder als imaginierter Mythos, aber in<br />

beiderlei Ausformung als herumgeisterndes Gespenst im kollektiven Gedächtnis. Mögen die<br />

Verbrechen an den SerbInnen im Zweiten Weltkrieg diesen Terminus verdient haben, so wird<br />

der Begriff für die kollektive Erinnerung an andere Ereignisse, wie der Schlacht auf dem<br />

Amselfeld oder die angeblichen Angriffe auf SerbInnen im Kosovo Anfang der 1980er-Jahre,<br />

missbräuchlich verwendet, um die serbische Bevölkerung aufzuhetzen und auf das<br />

Kommende einzustimmen: eine ethnische „Flurbereinigung“ Jugoslawiens, welche im Juli<br />

1995 schließlich erneut in einem Völkermord gipfelt, der nun eindeutig dieses Prädikat<br />

verdient hat. Das Wort „Genozid“ löste hierbei in den Köpfen der SerbInnen einen Alarm aus,<br />

der sie sich selbst als Opfer <strong>eines</strong> neuerlichen <strong>Genozids</strong> stigmatisieren ließ, den es nun zu<br />

verhindern und zuvorzukommen galt.<br />

Natürlich reicht eine Vergangenheit gepflastert von Gewalt nicht allein aus um einen<br />

Genozid auszulösen. Es ist eine allgemeine Situation von Perspektivlosigkeit notwendig in<br />

der die Bevölkerung empfänglich für nationalistische Hetze ist die ein singuläres<br />

Erklärungsmodell für die Krise etabliert, das einem Teil der Bevölkerung eine Opferrolle<br />

zuweist und bestimmte andere Gruppen als Sündenböcke an den Pranger stellt. Mittels<br />

effektiver soziopsychologischer Mechanismen, die von den Führungsriegen initiiert werden,<br />

werden dann aus gewöhnlichen Menschen Massenmörder. Bei diesen Mechanismen spielt<br />

zum Großteil das kollektive Gedächtnis eine entscheidende Rolle, da aus diesem das Potential<br />

geschöpft wird, mit dem man einen Keil in die pluralistische Bevölkerung treiben kann. Wie<br />

nun diesen Teufelskreis durchbrechen?<br />

Durch Pierre Noras „lieux de mémoire“ wird eine Verbindung zwischen der Schlacht<br />

am Amselfeld und <strong>Srebrenica</strong> als Orte der Erinnerung aufgezeigt. Durch das kollektive<br />

Gedächtnis der SerbInnen, das u.a. an den Kosovo mit dem Erinnerungsort „Schlacht am<br />

Amselfeld“ gebunden ist, wurde der Völkermord für die SerbInnen legitimiert und erschuf<br />

anschließend einen Ort der Erinnerung, der nun Kristallisationspunkt des kollektiven<br />

Gedächtnisses der bosnischen MuslimInnen ist – wo wir wieder bei Maurice Halbwachs<br />

wären. Es zeigt sich jedoch, dass ein Ort nicht von alleine Erinnerungen bewahren kann,<br />

sondern Menschen sich stets darum kümmern müssen, die Verknüpfung des Ereignisses mit<br />

dem Ort aufrechtzuerhalten. 133 Wenn man nun in dieser Hinsicht die tragische Verbindung<br />

zweier Erinnerungsorte, wie dem Amselfeld und <strong>Srebrenica</strong>, heranzieht, ist die Frage<br />

133 Vgl. Aleida Assmann, Das Gedächtnis der Orte, in: Ulrich Borsdorf – Heinrich Theodor Grütter (Hgg.), Orte<br />

der Erinnerung. Denkmal, Gedenkstätte, Museum, Frankfurt am Main/New York 1999, 59–78, hier 74.<br />

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