EXIT-INTERN15 Frauen und Männer arbeiten bei EXIT Zürich,die Jüngste ist Mitte 20, der Älteste ist derLeiter der Geschäftsstelle, Hans Muralt.Während sich die einen mit der Beratung derMitglieder befassen, kümmern sich die übrigenum die Verwaltung der rund 65 000 Mitgliederunseres Vereins.Der Arbeitstag startet meistens mit einem grossen BergPost, der von einer der Administrativkräfte geöffnet undverteilt wird, ebenso arbeitet sich diese Mitarbeiterindurch einen vollen, elektronischen Briefkasten und sorgtdafür, dass alle Anfragen an die richtigen Adressaten imdreigeschossigen Haus in Zürich-Albisrieden gelangen.Der Kontakt mit Mitgliedern und Interessierten geschiehtüber Briefpost, Telefon, Mail, Fax und in persönlichenGesprächen. Insbesondere der telefonische Kontaktverlangt einerseits ein grosses Sachwissen undandererseits häufig Einfühlungsvermögen für Personenin schwierigen Situationen. Oft beginnen Telefonatemit Fragen nach Administrativem, etwa der Höhe desMitgliederbeitrags und enden in der Schilderung einertragischen Lebensgeschichte oder dem Äussern einesSterbewunsches, für welchen der Anrufende vielleichtnicht auf Anhieb den Mut oder die richtigen Worte gefundenhat.Mit dem kontinuierlichen Wachstum des Vereinswächst auch das Arbeitspensum, das auf der Geschäftsstellezu bewältigen ist. Täglich verlassen biszu 50 Informationsbroschüren, Anmeldeformulare,Mitgliedschaftsunterlagen und Patientenverfügungendas Haus. Auch die Anträge auf Freitodbegleitungnehmen zu. Hans Muralt (62), Leiter der Geschäftsstelle,hat 2002 den Auftrag erhalten, die administrativeArbeit von EXIT zu professionalisieren. Denmassiven Zuwachs und Erfolg von EXIT erklärt er mitder zunehmenden Präsenz und Akzeptanz des ThemasSterbehilfe in der Bevölkerung. Vor zehn Jahrenhabe er als Vorgesetzter aus einem grossen Unternehmenzu EXIT gewechselt, weil er wieder einen überschaubarerenBetrieb leiten wollte; nun ist auch EXITgrös ser geworden. Seine Motivation ist aber auch heuteungebrochen, er habe immer noch täglich mit MitgliedernKontakt, was er sehr schätze. Sehr oft spüreer die Anerkennung und bekomme positive Rückmeldungen.Ob er auch weniger schöne Erlebnisse gehabthabe, sich geärgert habe in all diesen Jahren, frageich ihn. Natürlich, er habe sich oft geärgert, aber dasgehöre nicht ins Vereins organ, sagt er und lacht herzlich.Zwischendurch sei er jedoch tatsächlich an dieGrenzen seiner Belastbarkeit gestos sen und habe lernenmüssen, dass nicht alles machbar sei, auch wennman sich noch so sehr engagieren wolle. Und dannleitet er direkt über zu seinem Team, von welchem ernur Gutes zu sagen hat: Das Engagement der einzelnenMitarbeitenden der Geschäftsstelle sei überdurchschnittlich.Der dienstälteste Mitarbeiter im Betrieb ist DinoPigoni (59), zuständig für die administrative Bearbeitungvon Anträgen auf Freitodbegleitungen. Vor 15Jahren seien sie noch zu dritt gewesen, alles sei vielkleiner und «handgestrickter» gewesen. Heute sei derDruck enorm gestiegen, innert kürzester Zeit Anträgezu bearbeiten. Manchmal wünsche er sich die Zeitenzurück, in denen es eine Dreimonatsfrist gegeben habe,welche zwischen Kontaktaufnahme und Freitodbegleitunghabe liegen müssen. Dennoch schätzt auch er dentelefonischen Kontakt mit den Menschen, die sich andie Geschäftsstelle wenden. Sicher habe er mehr Tragischesund Trauriges als Lustiges gehört. Man merktDino Pigoni an, dass er sich berühren lassen kann. Ererzählt von einem Telefonat mit einer schwer krankenFrau, mit der er mehrfach telefonischen Kontakt gehabthatte im Vorfeld ihrer Freitodbegleitung. Am Tag ihrerEin Tag aufHans MuraltBegleitung habe die Frau sich nochmals bei ihm gemeldetund habe ihn «durchs Telefon umarmt». Das seifür ihn sehr bewegend gewesen und sei es noch heute,wenn er daran denke. Er halte es für wichtig, dass manan diesem Arbeitsort etwas aushalten könne, belastbarsei, Ruhe bewahren könne. Das gelinge nicht immerund allen, aber er sei einer, der es gerne gut habe mitallen und versuche, sich entsprechend zu verhalten.Ab 9 Uhr klingelt das Telefon beinahe ununterbrochen.Seit kurzem verfügt die Geschäftsstelle überein modernes Verteilsystem, welches die Anrufendenmöglichst direkt mit einer für ihr Anliegen zuständigenPerson verbindet. Anja Kettiger (32) arbeitet seitrund einem Jahr auf der Geschäftsstelle, zum einen inder Mitgliederadministration und zum anderen bearbeitetsie wie Dino Pigoni und drei weitere MitarbeiterinnenAnträge auf Freitodbegleitungen. Ab 2013 wirdsie vollumfänglich zum Team der Freitodbegleitungs-Dino Pigoni20 EXIT-INFO 4.2012
EXIT-INTERNAdministration gehören. Sie schätze die Kombinationaus Büroarbeit und teilweise anspruchsvollen Gesprächenmit den Anrufenden sehr. Sie habe nach Abschlussihres Psychologiestudiums einen Bürojob gesucht,um Geld zu verdienen, nun könne sie auf idealeWeise die exakte administrative Arbeit mit ihrem Fachwissenvereinen. Sie möge es, genau zu arbeiten, Aktenzusammenzustellen, alle notwendigen Unterlagen füreine Freitodbegleitung vorzubereiten. Gleichzeitig seiihr die Beratung der Mitglieder und deren Angehörigenam Telefon sehr wichtig. Oft spüre sie, dass Angehörigeenorm mit der sterbewilligen Person befasst seien unddabei vergässen, sich selbst Sorge zu tragen. Sie sehees als wichtige Aufgabe an, auch bei diesen Personennachzufragen, wie es ihnen gehe und höre lieber einmalfünf Minuten länger zu – wenn auch eine pendenteAdressänderung warten müsse. Bei sehr schwierigenmanchmal von den Anrufenden etwas mehr Geduld –diesen sei wohl oft nicht bewusst, wie wenige Leuteauf der Geschäftsstelle einer sehr grossen Anzahl anMitgliedern gegenüberstehe.Diana Schütz (33) ist seit diesem Sommer als administrativeAushilfskraft bei EXIT angestellt. Sie habeeinen grossen Sprung gewagt. Zuvor habe sie acht Jahreals Pflegende in einem Alters- und Pflegeheim gearbeitet.Während ihrer Tätigkeit im Heim habe sie abund zu Situationen erlebt, in welchen die BewohnerInnenvom Sterben sprachen und auch sterben wollten.Die Patientenverfügungen habe sie dort aber leider alsunnütz erlebt. Die Bewohner hätten meist eine vomHeim vorabgefasste Verfügung ausgefüllt, welche zuviel Interpretationsspielraum zugelassen habe. Wenneine Bewohnerin von EXIT gesprochen habe, sei diesesAnliegen meist nicht ernst genommen worden.der GeschäftsstelleAnja KettigerGesprächen profitiere sie von ihrer Arbeitserfahrung inPsychiatrischen Kliniken. Dort habe sie auch gelernt,sich abzugrenzen. Ob es etwas gebe in ihrem Arbeitsbereich,das sie nicht so gerne tue. «Ja, allerdings!»,sagt sie und lächelt etwas schief, da sie diese Aufgabevon mir übernommen hat: Sie bearbeite unter vielemanderem auch so genannte Austritte durch Dritte. Erstenssei die Ausgangslage unangenehm, wenn mandavon ausgehe, dass jemand selbstbestimmt und vorsorgendeine Mitgliedschaft bei EXIT abgeschlossenhabe und eine Patientenverfügung hinterlegt habe,womöglich genau für die Situation, in der er oder sienun sei; und dann beschliesse ein Angehöriger oder einBeistand stellvertretend, dass diese Mitgliedschaft nunüberflüssig geworden sei. Diese Personen zu erreichenund anzurufen und ihnen die Wichtigkeit der Patientenverfügungzu erklären, koste sie manchmal schonetwas Nerven, gibt sie zu. Ausserdem wünschte sie sichZweimal habe sie auch unbegleitete Suizide erlebt. Siewünsche sich, dass die Menschen wieder mehr überden Tod nachdächten, diesen von Beginn an als zumLeben dazugehörig ansähen. Sie selber sei jung, dennochwisse sie ganz genau, dass ihr Leben jeden Tag zuEnde sein könnte und das sie sicher nicht «als Pflegefalldahin vegetieren will». Sie hält EXIT darum für einegute Sache, weil es die Menschen dazu bringe, über ihrLeben und Sterben nachzudenken.Nachdem die Telefonleitungen um 16 Uhr schliessen,kehrt akustisch zwar etwas Ruhe ein im Haus, zu tungibt es aber für alle immer noch mehr als genug. Und sokann es passieren, dass auch noch um 19 Uhr im einenoder anderen Büro Licht brennt – Hans Muralt hat alsoRecht, das Arbeitsvolumen auf der Geschäftsstelle istgross, das Engagement der Mitarbeitenden auch.MELANIE KUHNDiana SchützEXIT-INFO 4.2012 21