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SCHICKSALClaudia sieht zwei Säckchen an seiner Seite, gelbeFlüssigkeit darin.Jetzt bin ich der, der ich nie werden wollte, flüstertKonietzka, der einst Fussballer war, Schütze des allererstenTors in der deutschen Bundesliga, dann Trainer,der erfolgreichste, der in der Schweiz je tätig war.Er sagt: Du riechst wunderbar.27. Februar 2012, wieder eine PTCD, perkutane transhepatischeCholangiodrainage, Bilirubin unverändert.Diese gottverdammten Säcke da, links und rechts.Konietzka schmerzt der Bauch, die Haut juckt.Endlich Morphium.Es ist Montag, 5. März 2012, Konietzka ruft Claudiaan, sie versteht ihn kaum: Bitte hol mich nach Hause.Er reicht den Ärzten die Hand, dann steigt er in ClaudiasWagen, die Säckchen auf dem Schoss, sie will nichtweinen.Dortmund liegt bereits sechs Punkte vor Bayern,sagt sie.Sieben, sagt er.Sie hilft ihm aus dem Auto, dann gehen sie hinauf inihre Wohnung, Hand in Hand.Sag mir, was dir gut tut, sagt Claudia.Am Nachmittag steht der Hausarzt am Bett, er prüftdie Drainagen, die Säckchen, und lehrt Claudia, eineSpritze zu füllen, Morphium in Konietzkas Bein zudrücken.Sie gehen früh schlafen, er hält ihre Hand, sie hörtihn atmen, irgendwann, als kein Licht mehr durchsFenster fällt, sagt er: Claudia, ich will sterben.Ja, sagt sie.Sie weiss nicht, was sie sagen soll.Dann rufen wir morgen EXIT an, sagt Claudia.Donnerstag, 8. März 2012, Claudia Konietzka sitztim Wohnzimmer am runden Tisch, darauf die Hüte auseiner anderen Zeit, und wartet, bis es neun Uhr ist.043 343 38 38Jemand fragt: Ist es sehr dringend?Eine halbe Stunde später ruft ein Mann zurück, er seiFreitodbegleiter von EXIT, er könnte, wenn gewünscht,heute Nachmittag nach Brunnen kommen, Ankunft amBahnhof um 14 Uhr 03.Eine schwarze Mappe werde er tragen, erklärt derMann, und er möchte sie bitten, vom Arzt ihres Manneseine Bestätigung zu verlangen, dass er, ihr Mann, urteilsfähigsei – und vom Spital eine Diagnose, am besteneinen Austrittsbericht.Herr Konietzka, wo möchten Sie sterben?In meinem Bett.Darf ich Ihr Schlafzimmer sehen?Gibt es einen Raum, wo ich das Sterbemittel in Wasserauflösen kann, fünfzehn Gramm NaP, Natriumpentobarbital?Das Sterbemittel müssen Sie, Herr Konietzka, zwingendaus eigener Kraft zu sich nehmen, danach werdenSie müde sein, schläfrig, Sie werden das Bewusstseinverlieren und nach wenigen Minuten in einen komaähnlichenTiefschlaf fallen, dann setzt irgendwann IhreAtmung aus, Ihr Herz.Das Sterbemittel wird sehr bitter sein, deshalb rateich, vielleicht zwanzig Minuten davor ein Magenberuhigungsmitteleinzunehmen, das Sie von mir bekommen,ein Mittel gegen Erbrechen, Paspertin.Und essen Sie vor dem Sterben nicht zu üppig,trinken Sie keinen Schwarztee, keinen Kaffee, keinenFruchtsaft.Aber Champagner?, fragt Konietzka.Dann rattert das Faxgerät, 15 Uhr 51, der Austrittsberichtder Klinik Im Park, zehn Seiten: Bei Herrn Konietzkaliegt leider ein sehr fortgeschrittener Klatskintumorvom Typ IV mit Infiltration praktisch sämtlicher Ostiender Segmentgallengänge in beiden Leberlappen vor.Wann möchten Sie sterben?Möglichst bald.Er werde, sagt der Fremde, das Sterbemittel bei einerApotheke sofort bestellen, aber es vielleicht am Montagerst bekommen.Nach reiflicher Überlegung mache ich heute vonmeinem Recht Gebrauch, selbst über die Beendigungmeines Lebens zu bestimmen, Brunnen, 8. März 2012,Timo Konietzka.Nachts liegen sie wach, sie neben ihm, seine Handist heiss, Claudia hört ihn atmen, Timo kratzt sich anHals und Kopf.Ich lege mich aufs Sofa, sagt sie, dann kannst duschlafen.Er folgt ihr ins Wohnzimmer, sie fragt: Ein Bierchen?Claudia holt zwei Flaschen, sie trinken und schweigen.Die zwanzig Jahre mit dir waren meine besten, sagtTimo.Die zwanzig Jahre mit dir waren auch meine besten.Dann sind wir uns ja einig, macht er.Timo, falls du dann zu zucken oder zu röcheln beginnst,ich glaube, ich halte das nicht aus.Dann geh raus, geh eins rauchen.Sie küsst ihn auf den Mund.Ich will keine Feier, keine Lieder, kein Geheule, keinGrab, gar nichts.Sie lehnt ihren Kopf an seine Schulter, er sagt, eigentlichbereue er in seinem Leben zwei Dinge. Dass erdamals, am achten Spieltag der Saison 1966/67, 1860München gegen Dortmund, den Schiedsrichter insSchienbein trat und ihm die Pfeife stahl. Und dass erden Bundestrainer erpresste, er, Konietzka, spiele in derNationalmannschaft nur, wenn auch sein Freund dortspiele. Worauf man ihn nicht zur Weltmeisterschaftnach England mitnahm.Sonst nichts?, fragt sie.Dass ich dir nie sagte, wie unendlich schön du bist.Es ist nie zu spät, sagt Claudia.9. März 2012, Freitag, der Freitodbegleiter ruft an,er komme am Montag wieder, früher Nachmittag, bisdann sei alles Nötige beisammen.8 EXIT-INFO 4.2012

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