IndienMit Geld und guten WortenIn Tirupur wächst die Hoffnung auf ein Ende der <strong>Kinderarbeit</strong>8Ein kleines Haus am Wegesrand, es ist gerade dunkelgeworden, durch die Tür fällt Licht nach draußen.Maschinenlärm dröhnt. Innen hängen überall Elektrokabelvon der niedrigen Decke, es ist heiß undstaubig, <strong>kein</strong>e Fenster. Links an einem Tisch stehenzwei Mädchen und falten Unterhosen, rechts sitzenKinder und einige sehr junge Frauen an Industrienähmaschinen.Alle lächeln uns freundlich an, derChef eilt herbei. Die Unterhosen gehen an ein Kaufhausin Neu Delhi, dies ist ein Betrieb, der für denRadio, Medizin, wenn jemand krank ist. Die Chancenstehen gut, denn die Verdienste in der Textilindustrie– aus europäischer Sicht Hungerlöhne – sind gut.Deshalb kommen viele aus dem ganzen Land nachTirupur, und alle packen an, auch die Kinder. 20.000Kinder unter 14 Jahren schuften in der Textilindustrie,meistens in kleinen Betrieben,die für den indischen Markt produzieren oder Zulieferersind für die großen Exportbetriebe. Insgesamtgibt es etwa 200.000 Textil-Arbeitsplätze.Abendschule nachder Arbeit und dieHoffnung auf eineAusbildungFoto: Jörg Böthling/agendaindischen Markt produziert. Wir müssen Nähtebegutachten, die Stoffqualität prüfen – der Chefhält uns für Einkäufer. Bereitwillig stellt er uns dieArbeiterinnen vor. Die beide Mädchen am Tischsind zwölf Jahre alt, an den Nähmaschinen sind sie13, 14 und 16. Alle sind einmal zur Schule gegangen,ja und dann war Hochsaison und der Chef hatLeute gesucht. Jetzt verdienen sie zwischen 40 und60 Rupien am Tag (0,61 bis 1,12 Euro). Sie arbeitenhier jeden Tag von halb neun morgens bis neun Uhrabends. Der Chef ist sehr stolz, selbst noch jung,dies sei nur seine erste Firma. Eines Tages werde erein ganz Großer sein in Tirupur. Die Kinder hierhätten mit ihm eine Chance, er sei stolz auf sie.Das ist der Traum von Tirupur: Es endlich schaffen.Ein großer Fabrikant werden oder als Arbeitergenug verdienen für die Familie. Ein Fahrrad, ein»Hier gibt es <strong>kein</strong>e Schule«Ich bin unterwegs mit Herrn Nambi, Gründer derInitiative CSED. Seit 1997 unterstützt <strong>terre</strong> <strong>des</strong><strong>hommes</strong> die Programme von CSED: Abendschulenfür <strong>Kinderarbeit</strong>er. Das Konzept geht auf: 32 Dörferhaben es bereits geschafft. Die <strong>Kinderarbeit</strong>er gehenin Abendschulen, viele Eltern haben ebenfalls lesenund schreiben gelernt, die Dorfräte haben sich engagiert,alle hatten ein gemeinsames Ziel. Die Mütterhaben inzwischen durch Vermittlung von CSEDKleinstkredite aus einem Regierungsprogramm erhaltenund betreiben kleine Geschäfte. Alle Kindergehen zur Schule.Jetzt sind die nächsten 50 Dörfer dran. Wir sindzu Gast in einem Dorf. Hier ist heute zum erstenMal Schule. Unter einem Baum sitzen 25 Kinder,eine Petroleumlampe beleuchtet eine Tafel, die an
Indieneinen Stuhl gelehnt ist. Die neue Lehrerin ist auchda. Rund um die Kinder stehen die Erwachsenen,natürlich ist das ein großes Ereignis! Wir werdendurch das Dörfchen geführt und stolz zeigt uns einMann sein gerade neu gebautes Haus. Es ist sehr,sehr niedrig und sehr, sehr klein, aber die Wän<strong>des</strong>ind aus Ziegelsteinen, und nebenan gibt es nocheinen kleinen Verschlag mit einer alten Blechdose:»Mein neues Badezimmer«, sagt der Mann stolz.Es ist bei weitem das beste Haus hier.Ich frage, wer von den Kindern arbeitet. Alle zeigenauf, niemand geht hier zur Schule. Sofort fangendie Frauen an zu erklären: »Sieh doch, wie arm wirsind.« »Die Schule, die Schule«, ruft eine junge Frau,»hier gibt es <strong>kein</strong>e Schule!« Ob von den Erwachsenenjemand lesen und schreiben kann? Da fangen dieFrauen alle an zu kichern und zu lachen und haltensich die Hände vor die Augen: Nein sowas! Wie solltedas wohl gehen? Dies ist die Stunde von HerrnNambi. Er stellt Fragen, erntet Gelächter und danngespanntes Schweigen, ein »Ahh« geht durch dieMenge, viele wackeln mit dem Kopf – in Indien eineGeste der Zustimmung. Und dann lacht das ganzeDorf. Die Lehrerin fragt die Kinder, wer lesen lernenwill und die Zeigefinger schießen nach oben.Nambi hat erklärt, dass ab heute jeden AbendSchule sei, dass die Mütter sich morgen mit derLehrerin treffen und dass wir hoffen, dass nächstesJahr hier alle die Zeitung lesen können. Da habensie sehr gelacht. Er hat auch gesagt, nur weil manarm sei, braucht man noch lange nicht die Kinderzur Arbeit zu schicken und das werde er ihnenzeigen. Und wenn sie es nicht glauben wollten,sollten sie bitte die Leute im Nachbardorf fragen,da wären die Kinder jetzt auch alle in der Schule.Mit zehn Jahren in die FabrikAm nächsten Morgen sind wir im neuen Berufsschulzentrumvon Tirupur. 80 Jugendliche, die jahrelangin der Textilindustrie gearbeitet haben, werden hierjeweils ein halbes Jahr lang ausgebildet. Die Mädchenwollen Schneiderin werden, denn das sind die begehrtestenJobs mit gutem Verdienst, über 100 Rupienam Tag (circa zwei Euro). Die Jungen lernen Elektriker,Tischler und Nähmaschinenmechaniker. Nacheinem halben Jahr bekommen sie ein Abschlusszeugnisund die Schule hilft, eine gute Arbeit zu finden.Ich frage die Jugendlichen, wie lange sie gearbeitethaben und wie alt sie sind: Alle haben die Schuleabgebrochen, meist mit zehn Jahren, und sind in dieTextilindustrie gegangen, einige haben auch in Hotelsund Restaurants geschuftet. Die Jüngste ist 13, derÄlteste 18 Jahre alt. Pater John vom Orden der Salesianer/DonBosco leitet die Berufsschule. Er berichtetvon den Anfangsschwierigkeiten der Schule:<strong>Kinderarbeit</strong> in IndienDie indische Kampagne gegen ausbeuterische <strong>Kinderarbeit</strong>(Campaign Against Child Labour, CACL)schätzt die Zahl der <strong>Kinderarbeit</strong>er auf min<strong>des</strong>tens70 Millionen, davon 40 Millionen Mädchen. DieseKinder gehen nicht zur Schule. 40 Prozent der eingeschultenKinder verlassen die Schule vor demfünften Schuljahr. Das in der Verfassung verankerteRecht auf Grundbildung, ist bis heute nicht umgesetzt.Laut UNESCO fehlen 100.000 Grundschulen. 48 Prozent der Bevölkerungsind Analphabeten, ein Viertel der Menschen hat <strong>kein</strong>enZugang zu sauberem Wasser. 35 Prozent der Kinder sind unterernährt.CACL setzt sich für das Ende der Ausbeutung von Kindern und fürdie sofortige Umsetzung der Schulpflicht für alle Kinder ein.»Wir Salesianer machen viel Arbeit für Straßenkinder.Da eröffnet man ein Schutzzentrum und die Kinderkommen. Als wir die Schule eröffnet haben, kam niemand.Die Kinder und ihre Familien waren sehr skeptisch:Wieso soll man ein halbes Jahr lang auf dasEinkommen der Kinder verzichten? Wer weiß, ob siein der Schule etwas Nützliches lernen?« Die Salesianerhaben begonnen, in den Dörfern für die Schulezu werben. Die Schüler bekommen ein kleines Stipendium,40 Cent am Tag. Bald schon hat man sich mitHerrn Nambi getroffen, jetzt lernen auch einige ältereKinder aus den Abendschulen im Zentrum weiter.Handel macht DruckDie Berufsschule kann <strong>terre</strong> <strong>des</strong> <strong>hommes</strong> dank derSpenden von C&A Mode <strong>Deutschland</strong> unterhalten.Die Abendschulen von CSED werden von Hennes &Mauritz finanziert. Beide Unternehmen haben Verhaltenskodicesund überprüfen deren Einhaltung bei denZulieferern. Nach Aussage beider Unternehmen undbestätigt durch CSED ist die <strong>Kinderarbeit</strong> in großenExportunternehmen in Tirupur heute die Ausnahme.Allerdings, so Herr Nambi, beliefern kleine Betriebe,in denen Kinder arbeiten, die großen Exporteure.160 <strong>Kinderarbeit</strong>er pro Jahr bekommen eine Berufsausbildung,in 50 Dörfern werden bald alle Kinderzur Schule gehen. <strong>terre</strong> <strong>des</strong> <strong>hommes</strong> wird die Entwicklungweiterhin begleiten und unterstützen: Denn auchwenn die Exportproduktion inzwischen ohne die Ausbeutungvon Kindern läuft, ist es noch ein langer Weg,bis in Tirupur alle Kinder zur Schule gehen können.Barbara Küppers<strong>terre</strong> <strong>des</strong> <strong>hommes</strong> unterstützt das Berufsschulzentrummit 100.000 Euro und CSED mit 51.000 Euroim Jahr. Dies ist dank der Spenden von C&A undH&M möglich.9