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<strong>WiYou</strong>Logie<br />
<strong>WiYou</strong>Logie<br />
Wie entsteht eigentlich …<br />
ein neues Gesetz in <strong>Thüringen</strong>?<br />
„Lex specialis derogat legi generali“; so lautet eine der vielen juristischen Formeln, mit denen sich Anwälte auf der ganzen Welt<br />
tagtäglich beschäftigen. Übersetzt bedeutet die lateinische Regel, dass ein spezielles Gesetz der allgemeinen Rechtssprechung vorgeht.<br />
Ein anschauliches Beispiel dafür ist Artikel 2 Satz 1 des Grundgesetzes<br />
in dem es heißt: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner<br />
Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen<br />
die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt“.<br />
Diese verfassungsmäßige Ordnung ist in Deutschland durch mehr als<br />
2.200 Bundesgesetze geregelt, die weit über 45.000 Einzel paragrafen<br />
haben. Dazu kommen weitere 3.000 Bundesrechtsverordnungen und<br />
die Gesetze der 16 Bundesländer.<br />
Es kommt also ganz ordentlich etwas zusammen, im deutschen Par a -<br />
grafendschungel. Und ständig erblicken neue Gesetze das Licht der<br />
Juristenwelt. Am Anfang jedes Gesetzes steht ein Problem, das sich im<br />
Alltag auftut und von der Politik gelöst werden muss. Da die Politik<br />
aber nur nach geltendem Recht regieren darf, muss sie entweder bestehende<br />
Gesetze zum Regieren nutzen, bestehende Gesetze ändern<br />
(novellieren) oder ein neues Gesetz schaffen.<br />
Ein neues Gesetz wird geboren - Variante 1<br />
Häufig bringt die jeweilige Regierung, ganz gleich ob Bundes- oder<br />
Landesregierung, einen Vorschlag ins Parlament ein. Diese sogenannte<br />
Regierungsvorlage wurde meist schon umfassend geprüft, bevor sie<br />
dem Parlament vorgestellt wird. Die Abgeordneten haben dann sowohl<br />
den Gesetzentwurf, der nun als Landtagsdrucksache behandelt wird,<br />
als auch eine Vielzahl von Bewertungen und Gutachten vorliegen. Sie<br />
müssen nun prüfen, ob dieses Gesetz ihre Zustimmung bekommen wird.<br />
Da aber nicht jeder Abgeordnete Spezialist auf jedem Gebiet der Politik<br />
ist, wird in der ersten Beratung (Lesung) darüber entschieden, welcher<br />
Ausschuss des Landtages sich des Gesetzes annimmt. Für jedes Minis -<br />
terium gibt es im Landtag mehrere Ausschüsse, die sich mit Bildung,<br />
Wirtschaftsförderung, Sport oder Kultur beschäftigen.<br />
Nun wird also der Entwurf an einen oder mehrere zuständige Aus -<br />
schüsse überwiesen und die Abgeordneten prüfen, ob das Gesetz im<br />
Sinne des Landes, der Bürger und der Landesverfassung ist. Es sollte<br />
auch nicht im Widerspruch zu anderen Gesetzen stehen oder aufgrund<br />
einer unpassenden Formulierung seine Wirkung verfehlen. Dazu können<br />
sie sich von Experten beraten lassen oder informieren sich, so sie<br />
diesen Fleiß an den Tag legen wollen, höchst selbst. Ist das neue Gesetz<br />
nach Meinung der Ausschussmitglieder „rund“, geht es erneut ins<br />
Parlament. In dieser zweiten Lesung stimmen die Abgeordneten nun<br />
über das Gesetz ab. Findet es hier keine Mehrheit, geht es zurück in die<br />
Ausschüsse und wird noch einmal überarbeitet. Reicht die Mehrheit in<br />
der Abstimmung aus, wird das Gesetz dem Präsidenten des Par -<br />
lamentes vorgelegt. In <strong>Thüringen</strong> ist dies Präsidentin Prof. Dr. Dagmar<br />
Schi panski, die das Gesetz ausfertigt und im Gesetz- und Verordnungs -<br />
blatt des Landtages verkündet. Nun tritt das Gesetz in Kraft.<br />
Ein neues Gesetz wird geboren - Variante 2<br />
Es muss jedoch nicht die Landesregierung sein, die ein neues Gesetz<br />
schaffen will. Jede Fraktion des Landtages, oder aber mindestens zehn<br />
Abgeordnete, können ebenfalls einen Gesetzentwurf einreichen. Der<br />
Weg bleibt dann der gleiche.<br />
Ein neues Gesetz wird geboren - Variante 3<br />
Die dritte Möglichkeit, die aber eher selten genutzt wird, ist ein<br />
Volksbegehren, bei dem sich mindestens zehn Prozent der Bevölkerung<br />
dafür aussprechen, einen Entwurf ins Parlament zu bringen. Auch hierbei<br />
heißt es wieder: erste Lesung, Beratung in den Ausschüssen, zweite<br />
Lesung, Abstimmung und dann auf den Schreibtisch der Landtags -<br />
präsidentin. Experten sehen aber bei zu vielen Volksabstimmungen eine<br />
Schwächung der Verantwortung der gewählten Volksvertreter.<br />
Außerdem haben Außenstehende gar nicht die Möglichkeiten der<br />
Parlamentarier, sich umfassend beraten zu lassen. Oft werden die<br />
Details stark vereinfacht, dass sie von Demagogen genutzt werden können,<br />
die dann die Meinung der Bürger manipulieren. Außerdem haben<br />
die Erfahrungen am Beispiel der Schweiz gezeigt, dass bei zu vielen<br />
Abstimmungen nur noch diejenigen zur Abstimmung gehen, die strikt<br />
dagegen sind. Die Ergebnisse entsprechen dann nicht der Meinung der<br />
ganzen Bevölkerung.<br />
Natürlich ist das nur der grob umrissene Weg einer Gesetzesgeburt. In<br />
der Realität spielen immer wieder auch parteipolitische Fragen eine<br />
Rolle. Oft wird an Gesetzen so lange herumgenörgelt, dass am Ende<br />
nur ein magerer Kompromiss ins Gesetzbuch kommt, der seine eigentliche<br />
Wirkung nicht mehr entfalten kann. Dafür entstehen dann wieder<br />
neue Gesetze, Ergänzungen und Novellierungen. So funktioniert<br />
eben Demokratie und die ist in den letzten 60 Jahren der Bundes -<br />
republik und ihrer 16 Bundesländer nicht schlecht bekommen. (su)<br />
<strong>04</strong>/<strong>2009</strong> · <strong>WiYou</strong>: Wirtschaft und Du<br />
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