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10 TITEL AWOmagazin 5/2009 „Arbeit und Sicherheit. Das treibt mich an.“ Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier (SPD) im Interview mit dem AWOmagazin Herr Steinmeier, Sie haben vor kurzem Ihren Deutschland-Plan vorgestellt. Darüber wurde viel geschrieben. Worum geht es? Es geht um die Frage, die sich viele Menschen stellen: Wo soll die Arbeit von morgen herkommen? Das treibt mich an. Was können wir tun, damit mehr Menschen gute Arbeit finden, mit fairen Löhnen, von denen eine Familie auch leben kann? Es geht einfach um ein Stück Sicherheit, die zu viele nicht haben. Und um bessere Chancen für Kinder und Jugendliche, die am Rande der großen Städte oder in schwachen Regionen aufwachsen und sich abgehängt fühlen. Viele kommen aus Einwandererfamilien, aber nicht nur. Klar ist, wir können gerade jetzt nicht einfach die Hände in den Schoß legen. Wenn wir nichts tun, dann driftet unser Land auseinander, dann spaltet es sich in Arm und Reich, in Gewinner und Verlierer, in die da oben und die da unten, in bewachte Stadtviertel, in die keiner mehr darf, und in soziale Brennpunkte, in die sich keiner mehr traut. Ich arbeite
dafür, dass wir Werte und Errungenschaften wieder stärken, die Deutschland immer gut getan haben. Dass die Solidarität und die Toleranz, die Deutschland seit 1945 wie keine andere Nation zu ihren Grundfesten gemacht hat, nicht kaputt gehen. Sie sehen „Wege aus der gespaltenen Gesellschaft“. Welche Wege müssen denn beschritten werden, um die Spaltung zu überwinden? Nur mit neuen Ideen und einem klaren Kompass können wir es schaffen, dass die jetzige Wirtschaftskrise nicht in eine lang anhaltende Schwächephase mit vielen Hunderttausenden zusätzlichen Arbeitslosen mündet. Wenn wir die Dinge einfach treiben lassen, wird der Riss immer tiefer. Die Menschen wollen durch eigene Arbeit und eigenes Einkommen selbstbestimmt leben. Arbeit ist Würde. Sie wollen nicht von Transferleistungen abhängig sein. Arbeitslosigkeit entwertet die Qualifikationen, die Menschen sich erworben haben. Arbeitslosigkeit demoralisiert. Arbeitslosigkeit kann Familien zerstören. Wir dürfen aber nicht vor der Arbeitslosigkeit kapitulieren. Deshalb habe ich in den vergangenen Wochen an einem Konzept für die Arbeit von morgen gearbeitet. Was ich mit dem Deutschland-Plan will, ist der Nachweis, dass wir keinen Grund haben, kleinmütig zu sein. Beschäftigung und Wohlstand auf neuen Grundlagen sind möglich. Weniger Energie- und Rohstoffverbrauch, Umwelt- und Klimaschutz mit einer Industrie, die sich neu orientiert auf die grünen Märkte. Mehr und bessere Dienstleistungen dort, wo Menschen für Menschen da sind, bei Kinderbetreuung, Bildung, Pflege, Gesundheit. Umwelt und Arbeit, soziale Integration und Arbeit, das kann Hand in Hand gehen. So stelle ich mir die Zukunft Deutschlands vor. Ich bin sicher und bekomme im Augenblick sehr viel Zuspruch dafür, dass wir in den kommenden Jahren Millionen neuer Arbeitsplätze schaffen können. Voraussetzung ist allerdings, dass die Politik dabei hilft, die Wege frei zu machen: Langfristig investierenden Unternehmen und nachhaltiges Wachstum gibt es nur, wenn wir die Spekulationsblasen und die Gehaltsexzesse der Finanzwelt eindämmen. Gute Arbeit, zum Beispiel in der Pflege, die gibt es nicht als Billigjob, dafür brauchen wir den Mindestlohn. Bessere Bildung gibt es nur, wenn wir ernst machen, mehr Geld in Bildung investieren und soziale Barrieren abbauen. Gebührenfreie Bildung von der Kita bis zur Uni, das ist mein Ziel. Was kann jeder Einzelne gegen die Spaltung der Gesellschaft tun und für ihren Zusammenhalt leisten? Eine wichtige Frage. Denn seien wir ehrlich, kein Politiker kann es allein schaffen. Damit der Aufbruch zum Besseren wirklich gelingt, braucht Deutschland die vielen Menschen, die in der ganzen Gesellschaft Verantwortung tragen. Ich bin in diesen Wochen sehr viel unterwegs und treffe überall Menschen, die nicht lange fragen, sondern selbst anpacken und mittun. Allerdings sind diese Einzelnen keine Einzelgänger. Sie engagieren sich gemeinsam, im Verein, in politischen und sozialen Organisationen, in Gewerkschaften, im Netzwerk, in der Kommune oder in den Kirchengemeinden. So wird etwas draus. Und ich kann Ihnen sagen, ich ziehe meinen Hut vor diesen Menschen. Es ist ja nicht so, dass nur die Stärksten anderen helfen. Oft treffe ich Menschen, die selbst genug Sorgen haben, aber trotzdem mit viel Herz und Einsatz für andere da sind. Viele Ältere sind dabei, die sich nach der Maxime 'Erfahrung packt an' für die Chancen der Jüngeren engagieren. Und es sind auch nicht nur Sozialverbände, die soziale Verantwortung zeigen. Ich habe Unternehmerinnen und Unternehmer kennen gelernt, die gelebte Sozialpartnerschaft beweisen, die auf Augenhöhe mit ihren Mitarbeitern ein Team schaffen, das dann auch wirtschaftlich erfolgreich ist. So entsteht Zukunft! Ich will, dass die Politik zum Partner dieser Menschen wird. Die AWO ist aus ihrer Historie heraus eng mit der Sozialdemokratie verbunden. Beide teilen die gleichen Grundwerte wie Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Gilt das auch in Zukunft? Als Marie Juchacz 1919 die Arbeiterwohlfahrt in der SPD ins Leben rief, stand das unter dem Leitstern der Selbsthilfe: Wir lassen uns nicht bevormunden, sondern packen selbst an und organisieren uns, um einen Weg aus der Not zu finden. Das ist gelebte Demokratie! Die AWO leistet Hilfe für die Schwachen, aber vor allem hilft sie den Schwachen, stark zu werden. Diese Idee ist brennend aktuell. Und das kann und muss SPD und AWO auch in Zukunft verbinden. Eine Frage zum Schluss: Wo sehen Sie Deutschland am Ende des nächsten Jahrzehnts? Wir brauchen eine Vision über den Tag hinaus und über das allgemeine Krisengerede hinweg. Mein Ziel ist ehrgeizig, aber es ist realistisch. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir bis 2020 die Arbeitslosigkeit nicht nur bekämpfen, sondern auch besiegen können. Wir können sozial und ökologisch nachhaltig investierende Unternehmen haben. Wir können Ausrüster der Welt für Produkte werden, die den Klimawandel zurückdrängen. Wir können eine gerechtere Einkommensverteilung haben, die zugleich mehr Nachfrage im Binnenmarkt schafft und viele neue Dienstleistungen wachsen lässt. Wir können die Gleichberechtigung von Frauen in allen Teilen der Wirtschaft durchsetzen. Und vor allem können wir es erreichen, dass Bildung gebührenfrei wird, dass kein Jugendlicher mehr die Schule ohne Abschluss verlässt und dass der Anteil von Einwandererkindern an den Abiturienten und Uni-Absolventen ihrem Anteil an der Bevölkerung entspricht. Dieser Weg ist möglich. Dafür müssen wir jetzt die Weichen stellen. Darüber wird am 27. September entschieden. Und dafür will ich als Bundeskanzler arbeiten. Interview: kup Foto: SPD-Parteivorstand AWOmagazin 5/2009 11
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