25 Jahre Psychiatrie-Enqute - Aktion Psychisch Kranke e.V.
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Vom Objekt zum Subjekt – aus Sicht eines<br />
<strong>Psychiatrie</strong>-Erfahrenen 1<br />
Wolfgang Voelzke<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
das Thema »Vom Objekt zum Subjekt« erläuterte gerade Herr Dr.<br />
Wienberg aus Sicht Professioneller. Herr Prof. Dr. Peukert nimmt die<br />
Beurteilung aus der Sicht von Angehörigen vor. Mein Part ist es heute,<br />
den subjektiven Teil aus Sicht <strong>Psychiatrie</strong>-Erfahrener darzustellen.<br />
Deshalb bekommen Sie auch einen überwiegend subjektiven Beitrag.<br />
Dabei habe ich mich allerdings bemüht, auch Erfahrungen anderer<br />
<strong>Psychiatrie</strong>-Betroffener (intersubjektive Erfahrungen) einzubeziehen.<br />
Als ich meine ersten persönlichen Erfahrungen mit der <strong>Psychiatrie</strong><br />
machte, wurde gerade die <strong>Psychiatrie</strong>-Enquete herausgegeben.<br />
Man schrieb das Jahr 1975. Ich hatte mein Abitur abgeschlossen und<br />
meine Ausbildung zum gehobenen Verwaltungsdienst bei der Stadt<br />
Bielefeld begonnen. Der Übergang von Schule zu Beruf war für mich<br />
als ein einschneidendes Lebensereignis mit außergewöhnlich schwierigen<br />
Anforderungen verbunden. Ich bin nach allen »Regeln der<br />
Kunst« psychisch zusammengebrochen und wurde anschließend Objekt<br />
psychiatrischer Behandlung.<br />
So schaue ich heute auf <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> Erfahrung in und mit der <strong>Psychiatrie</strong><br />
zurück. Deshalb habe ich es gerne übernommen, zu den Auswirkungen<br />
der <strong>Psychiatrie</strong>-Enquete Stellung zu nehmen. Im Folgenden<br />
will ich aus meiner Erfahrung kurz zusammenfassen, was auf<br />
meinem Weg vom Objekt zum Subjekt wichtig war.<br />
1 Erstveröffentlichung unter dem Titel VOELZKE, W.: »Die <strong>Psychiatrie</strong> auf dem<br />
Weg vom Objekt zum Subjekt«, in: WOLLSCHLÄGER, M. (Hrsg.): Sozialpsychiatrie.<br />
Entwicklung – Kontroversen – Perspektiven. DGVT Verlag, Tübingen,<br />
erscheint voraussichtlich August 2001.<br />
Vom Objekt zum Subjekt –<br />
aus Sicht eines <strong>Psychiatrie</strong>-Erfahrenen<br />
1. Fremdbestimmung, Zwang und Gewalt prägten das Bild<br />
der <strong>Psychiatrie</strong><br />
212 213<br />
Während meiner fünf stationären Aufenthalte zwischen drei Wochen<br />
und fünfeinhalb Monaten in psychiatrischen Kliniken habe ich fast<br />
alles erlebt, was da so drin ist – um sich als Objekt psychiatrischer<br />
Maßnahmen zu erfahren.<br />
Erfahrungen mit der <strong>Psychiatrie</strong>:<br />
n <strong>Kranke</strong>nbehandlung<br />
n Hilfe zur Krisenbewältigung<br />
n Fremdbestimmung<br />
n Zwangsunterbringung<br />
n Zwangsbehandlung<br />
n Isolierzimmer (»Stübchen« genannt)<br />
n Fixierung<br />
n Sprung aus den <strong>Kranke</strong>nhausfenster aus Panik<br />
n Klageerhebung wegen nicht kunstgerechter Behandlung/Beaufsichtigung<br />
Die ambulante und vor allem die stationäre <strong>Psychiatrie</strong> hat in unserer<br />
Gesellschaft nicht nur die Funktion der <strong>Kranke</strong>nbehandlung und<br />
Hilfe zur Krisenbewältigung. Nein, der Staat fordert von Menschen,<br />
bei denen eine psychische Erkrankung diagnostiziert wurde und die<br />
aus dem Rahmen fallen, ein gesellschaftliches Opfer (SAAGE &<br />
GÖPPINGER, MARSCHNER & VOLCKART & WAGNER, 1994, S. 8 f.,<br />
26 f., 36 f., 216 ff.). Unter bestimmten rechtlichen Bedingungen<br />
(richterliche Entscheidung wegen Fremd- oder Selbstgefährdung)<br />
müssen sie Zwangsmaßnahmen bei akuten oder schweren Krisen<br />
dulden.<br />
Wenn dann Mitarbeiterinnen gerade in der stationären <strong>Psychiatrie</strong><br />
immer wieder sehr beeinträchtigte Menschen erleben – selbst<br />
wenn diese freiwillig in der Klinik sind –, so ist die Gefahr sehr groß,<br />
dass <strong>Psychiatrie</strong>-Betroffene zu Objekten psychiatrischer Maßnahmen<br />
werden – oder sich im stationären Alltag zumindest so fühlen müssen.