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25 Jahre Psychiatrie-Enqute - Aktion Psychisch Kranke e.V.

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Rainer Hölzke<br />

n Gesundheitsbericht für Deutschland/Statistisches Bundesamt/<br />

1998: »Es hat sich eingebürgert, dass rehabilitative Leistungen<br />

in der Regel durch die Sozialhilfe finanziert werden. Diese Regelung<br />

führt dazu, dass die Betroffenen und ihre direkten Angehörigen<br />

in weitaus größerem Maße zu finanziellen Eigenleistungen<br />

verpflichtet sind als bei der Zuständigkeit von anderen<br />

Leistungsträgern. Betroffene und Angehörige gelangen dadurch<br />

nicht selten bis an die Armutsgrenze. Eine Veränderung dieser<br />

Benachteiligung chronisch psychisch <strong>Kranke</strong>r wird von vielen<br />

Verantwortlichen angestrebt.« (Seite 218)<br />

n Das schon erwähnte Sozialgericht Düsseldorf stellte im selben Urteil<br />

fest: »Allerdings soll nach § 27, 3 SGB V insbesondere bei der<br />

medizinischen Rehabilitation den besonderen Bedürfnissen psychisch<br />

<strong>Kranke</strong>r Rechnung getragen werden. Mit dieser Vorschrift<br />

wird aber lediglich abstrakt dem Gebot der Gleichstellung von<br />

psychisch und somatisch <strong>Kranke</strong>n Rechnung getragen. Die Vorschrift<br />

hat lediglich Hinweisfunktion, ohne dass damit grundsätzlich<br />

das Leistungsspektrum der <strong>Kranke</strong>nkassen erweitert werden sollte.«<br />

n Rössler schrieb 1994 in der Zeitschrift »Die Rehabilitation«: »...<br />

Die Schwierigkeiten der heutigen psychiatrischen Rehabilitation<br />

resultieren weniger aus dem Mangel an wissenschaftlich begründeten<br />

und überprüften Rehabilitationsverfahren, sondern<br />

gründen vor allem in der Anwendungspraxis des Sozialrechts.«<br />

Mit dem Regulierungsaspekt meine ich die Tatsache, dass gesetzgeberische<br />

Politik auf Bundesebene in den letzten <strong>Jahre</strong>n im Rahmen<br />

der Selbstverwaltungslösung wichtige Gestaltungsspielräume abgegeben<br />

hat in der Hoffnung, die Versicherungsträger werden es schon<br />

richten. Dabei wurden allerdings die Spielräume hinsichtlich psychisch<br />

kranker Menschen insbesondere für die <strong>Kranke</strong>nkassen im<br />

Sinne einer irritierenden »Doppelbotschaft« formuliert. Es soll zwar<br />

auf die Vorgabe des SGB V, »den besonderen Belangen psychisch<br />

kranker Menschen ist Rechnung zu tragen« eingegangen werden,<br />

aber das Ganze solle auf keinen Fall mehr Geld kosten (die Versicherungsbeiträge<br />

dürfen nicht erhöht werden, die Lohnnebenkosten<br />

müssten sinken).<br />

Diese Situation bildet günstige Bedingungen, die Interessen<br />

seelisch behinderter Menschen in einem Bermuda-Dreieck verschwinden<br />

zu lassen, das folgendermaßen entsteht:<br />

Von vertrauten Hemmnissen zu neuen Chancen und Risiken<br />

Aspekte der sozialrechtlichen Gleichstellung psychisch <strong>Kranke</strong>r<br />

284 285<br />

n die Legislative hat alles getan, des Weiteren hat sie Gestaltungsspielräume<br />

abgegeben, hat keinen klaren Gestaltungsrahmen<br />

vorgegeben und hat auch keinen Regulierungsvorbehalt festgelegt,<br />

n die vorrangigen Leistungsträger dürfen/wollen auf keinen Fall<br />

mehr Geld ausgeben und ihnen wird mindestens unter der Hand<br />

mitgeteilt, dass dies auch nicht so schlimm sei, wenn sie in Richtung<br />

psychisch kranker Menschen nicht tätig werden,<br />

n Sozialgerichte greifen nicht regulierend ein – abgesehen von Entscheidungen<br />

bzgl. der Kostenübernahme von Rehabilitationsmaßnahmen<br />

durch den Rentenversicherungsträger in Übergangseinrichtungen,<br />

n für psychisch kranke Menschen und deren Angehörige ist es äußerst<br />

schwierig bis unmöglich, sozialgerichtliche Auseinandersetzungen<br />

zu führen,<br />

n Verbände, welcher Art auch immer, haben bislang keine entsprechende<br />

Schlagkraft entwickelt,<br />

n viel Druck wird genommen, da der Sozialhilfeträger – in dem<br />

Umfang systemwidrig – in die Bresche gesprungen ist und das<br />

Ausmaß der sozialrechtlichen Problematik so nicht deutlich<br />

wird.<br />

Schließlich gehört es – um auf den dritten Aspekt zu kommen – zum<br />

Wesen psychischer Erkrankungen, dass es sich bei ihnen, insbesondere<br />

bei einem chronischen Verlauf, um ein komplexes Geschehen<br />

handelt, bei dem stabilisierende oder belastende Situationen in den<br />

verschiedenen Lebensbereichen durch Rückkoppelungseffekte miteinander<br />

verbunden sind.<br />

Die Ermittlung des Hilfebedarfes erfordert daher eine genaue<br />

Kenntnis der Person des hilfebedürftigen Menschen, der vorhandenen<br />

und der beeinträchtigten Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie<br />

des sozialen Umfeldes mit den vielfältigen Wechselwirkungen.<br />

Es ist also viel zu kurz gedacht, wie es häufig geschieht, ausschließlich<br />

das äußere Erscheinungsbild der zugrunde liegenden<br />

»Krankheit« zu betrachten. Der Verlust einer psychischen Funktion,<br />

wie z.B. der Aufmerksamkeit, kann im Wesentlichen nicht kontextunabhängig<br />

therapiert oder ausgeglichen werden, denn langfristige<br />

Effekte und Erfolge sind nur dann zu erzielen, wenn die Störung<br />

der Aufmerksamkeit hinsichtlich ihrer Folgen, z.B. bei der Wahrneh-

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