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25 Jahre Psychiatrie-Enqute - Aktion Psychisch Kranke e.V.

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Grußwort des Vorsitzenden der ehemaligen<br />

Enquete-Kommission<br />

Caspar Kulenkampff<br />

Heute, vor etwas mehr als 29 <strong>Jahre</strong>n, am 31. August 1971 versammelten<br />

sich im Bundesministerium für Jugend Familie und Gesundheit,<br />

die von der damaligen Gesundheitsministerin Käthe Strobel<br />

berufenen l9 Mitglieder der Enquete-Kommission unter dem Vorsitz<br />

von Staatssekretär v. Manger-König. Viele kannten sich aus beruflichen<br />

Verbindungen. Einige waren schon spätestens seit dem Beginn<br />

der sechziger <strong>Jahre</strong> von den Vorstellungen umgetrieben, dass<br />

eine Reform der psychiatrischen Versorgung in unserem Lande unumgänglich<br />

sei. Man hatte die vorangehenden reformatorischen Entwicklungen<br />

im Ausland studiert. So in den USA, in England, den<br />

skandinavischen Ländern, den Niederlanden und Frankreich. Nicht<br />

zuletzt hiervon angeregt, entstanden vor allem in den Köpfen der<br />

Universitätskliniker Konzepte. Es wurde diskutiert, Vorträge wurden<br />

gehalten, in der Fachliteratur prangerte man die katastrophalen<br />

Verhältnisse in der Anstaltspsychiatrie an. Vereinzelt wurde mit institutionellen<br />

Veränderungen in den Kliniken sozialpsychiatrisch experimentiert.<br />

Freilich dies alles ohne wesentliche Resonanz zu erzielen.<br />

Wohl erst im Zusammenhang mit der sog. Studentenrevolte<br />

setzte sich das Thema in der psychiatrischen und dann auch in der<br />

allgemeinen Öffentlichkeit durch. Symptomatisch hierfür mag jene<br />

schon legendäre Tagung der evangelischen Akademie in Loccum im<br />

Herbst 1970 gelten, auf der sich die ans Licht drängenden Reformideen<br />

eine Plattform verschafften: Spontan wurden von den Beteiligten<br />

Leitlinien einer zukünftigen psychiatrischen Versorgung verfasst,<br />

niedergeschrieben und verabschiedet. In den wesentlichen<br />

Punkten entsprechen sie dem, was später die Enquete gefordert hat.<br />

Aber es bleibt zweifelsfrei das Verdienst des jüngst verstorbenen Bundestagsabgeordneten<br />

Walter Picard, die Reform aus der Sphäre akademischen<br />

Diskutierens auf eine gesundheitspolitisch relevante<br />

Ebene gehoben zu haben. Deswegen nenne ich ausdrücklich diesen<br />

Namen und meine, dass wir seiner zu gedenken hätten. Fachlich von<br />

Herrn Häfner und mir beraten, brachte Picard zusammen mit Kolleginnen<br />

und Kollegen am 5.3.1970 den Antrag in das Parlament<br />

ein, eine <strong>Psychiatrie</strong>-Enquete erstellen zu lassen. Der Gesundheits-<br />

Grußwort des Vorsitzenden der ehemaligen Enquete-Kommission<br />

38 39<br />

ausschuss gab nach zwei Anhörungen den Auftrag an die Bundesregierung<br />

weiter. Der Bundestag stimmte zu. Und eben mit diesem<br />

Auftrag wurden am 31. August 1971 die 19 Kommissionsmitglieder,<br />

die in Bonn zusammensaßen konfrontiert. Ich erinnere den Druck<br />

der Herausforderung, den wohl alle in der Runde verspürten. Wie<br />

würde man eine so großes vielgestaltiges Gebiet aufarbeiten und die<br />

unterschiedlichsten Positionen zu einem zukunftsträchtigen Konsens<br />

führen können?<br />

Einem modischen Trend folgend wurde die gesamte Kommission<br />

zu einer Klausurtagung vom 26.–28. September 1971 mit dem<br />

Beratungsteam Quickborn in den gleichnamigen Ort bei Hamburg<br />

eingeladen. Hier wurde alles unter reichlicher Verwendung bunter Filzstifte<br />

getan, um den Arbeitsumfang, den Arbeitsablauf, die Arbeitsorganisation<br />

und eine Prioritätenliste logisch zu begründen. Hier wurden<br />

natürlich auch die ersten recht einschneidenden Fehler gemacht.<br />

Im Zusammenhang mit dem Tätigkeitsbeginn der Kommission<br />

und ihrer Arbeitsgruppen, kann zu den Leitlinien, also den<br />

Grundsätzen einer zukünftigen bedarfsgerechten Versorgung, festgestellt<br />

werden: Über Gemeindenähe, Gleichstellung psychisch<br />

<strong>Kranke</strong>r und somatisch <strong>Kranke</strong>r, Reduktion der Bettenzahl in den<br />

bestehenden psychiatrischen <strong>Kranke</strong>nhäusern Trennung der Versorgung<br />

psychisch <strong>Kranke</strong>r von der Versorgung geistig Behinderter,<br />

Kontinuität der Behandlung, Verstärkung des ambulanten Sektors<br />

war gleichsam auf dem Papier relativ einfach Übereinkunft zu erzielen.<br />

Thesen dieser Art waren schon länger vorgedacht worden.<br />

In dem Moment, indem es galt die Leitlinien in die Tat umzusetzen,<br />

das bestehende, vertraute Versorgungssystem also entsprechend<br />

umzubauen, traten große Schwierigkeiten auf.<br />

Zum Beispiel im stationären Sektor: Zur Disposition standen<br />

130 psychiatrische <strong>Kranke</strong>nhäuser mit knapp 100.000 Betten, 80<br />

Prozent der Häuser mit einer Bettenkapazität von 501 bis über 1.000,<br />

überfüllt mit fehlplatzierten geistig Behinderten und nicht krankenhausbedürftigen<br />

chronisch psychisch <strong>Kranke</strong>n, häufig weit abgelegen<br />

und schwer erreichbar mit überdimensionierten festgelegten<br />

Einzugsgebieten, in denen durchschnittlich eine Million Einwohner<br />

leben. Auf der anderen Seite 44 psychiatrische Abteilungen,<br />

ungleichmäßig verteilt – allein die Hälfte in Nordrhein-Westfalen<br />

gelegen – mit neurologischen Fällen durchmischt, durchgängig ohne<br />

festgelegtes Einzugsgebiet, d.h. ohne Versorgungsverpflichtung.

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