25 Jahre Psychiatrie-Enqute - Aktion Psychisch Kranke e.V.
25 Jahre Psychiatrie-Enqute - Aktion Psychisch Kranke e.V.
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Bilanz und Perspektiven der <strong>Psychiatrie</strong>-Reform<br />
Andrea Fischer<br />
Sehr geehrte Frau Schmidt-Zadel, sehr geehrter Herr Rutz, sehr geehrter<br />
Herr Jagoda, sehr geehrter Herr Prof. Kulenkampff, sehr geehrter Herr<br />
Pörksen, meine sehr geehrten Damen und Herren,<br />
mit dem heutigen Festakt wollen wir gemeinsam an den <strong>Jahre</strong>stag<br />
der Übergabe des Berichtes der <strong>Psychiatrie</strong>-Enquete vor <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n<br />
erinnern. Viele derjenigen, die damals an diesem Aufbruch in der<br />
<strong>Psychiatrie</strong> beteiligt waren und die ihn seither vorangetrieben haben,<br />
sind heute hier versammelt. Ihnen allen gilt zunächst mein Dank<br />
für Ihr Engagement. Einzelne Namen hervorzuheben birgt immer<br />
die Gefahr, andere zu vergessen. Deshalb will ich dies hier gar nicht<br />
erst versuchen. Mein Dank gilt heute all denen, die an der <strong>Psychiatrie</strong>-Enquete<br />
mitgewirkt haben, ebenso wie all denen, die sich seither<br />
politisch und in der Praxis für die Belange der Menschen mit<br />
psychischen Erkrankungen eingesetzt haben.<br />
Die <strong>Psychiatrie</strong>-Enquete vor nunmehr <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n war ein Meilenstein<br />
in der Geschichte der Reformbewegung der psychiatrischen<br />
Versorgung. Seither hat die <strong>Psychiatrie</strong> durchgreifende Veränderungen<br />
erlebt. Dies war notwendig, weil in der <strong>Psychiatrie</strong> ein Vierteljahrhundert<br />
nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs immer noch<br />
Bedingungen vorhanden waren, wie sie in keinem anderen medizinischen<br />
Bereich anzutreffen waren. In der <strong>Psychiatrie</strong>-Enquete<br />
wurde zur Beschreibung der damaligen Verhältnisse das Wort von den<br />
»Brutalen Realitäten« bewusst gewählt. Es waren tatsächlich brutale<br />
Zustände, in denen viele <strong>Kranke</strong> z.T. lebenslang und isoliert in weit<br />
abgelegenen Einrichtungen ohne ein Minimum an privater Sphäre<br />
weggesperrt wurden. Wie konnten sich solche Verhältnisse – und das<br />
mit therapeutischen Begründungen – entwickeln und von der Gesellschaft<br />
aktiv und passiv so lange mitgetragen werden? Warum<br />
bietet gerade die <strong>Psychiatrie</strong> ein Feld, auf dem Menschen ihre ideologischen<br />
Vorstellungen so leicht ausleben können und ungestraft<br />
an anderen Menschen Zwang, Gewalt und Repressalien ausüben<br />
können? Antworten auf diese Fragen zu finden, ist nicht leicht. Sicher<br />
ist ein Grund, dass psychische Erkrankung häufig mit einem<br />
Verhalten einhergeht, das von der Norm des Üblichen abweicht. Dies<br />
Bilanz und Perspektiven der <strong>Psychiatrie</strong>-Reform<br />
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irritiert uns und wir begegnen Menschen mit psychischen Erkrankungen<br />
deshalb mit einer Mischung aus Unverständnis, Furcht,<br />
Abwehr und Ausgrenzung. Ein Versuch, mit unserer Angst fertig zu<br />
werden, ist das Verdrängen des Problems und das Ausgrenzen der<br />
Betroffenen.<br />
Geschichte der <strong>Psychiatrie</strong><br />
Das Thema Ausgrenzung zieht sich durch die Geschichte der <strong>Psychiatrie</strong>.<br />
Menschen wurden verwahrt, isoliert und in Anstalten mit<br />
Zwangsmaßnahmen interniert. Viel zu häufig waren sie gewalttätigen<br />
Übergriffen ausgesetzt. Zusammen mit zahlreichen anderen Außenseitern<br />
der Gesellschaft wurden psychisch <strong>Kranke</strong> im Laufe des<br />
17. Jahrhunderts in Zucht-, Armen-, Arbeits- und Tollhäusern kaserniert<br />
und auf Jahrmärkten vorgeführt. Mit der französischen Revolution<br />
hielten die Ideen des Liberalismus und der Aufklärung Einzug<br />
in Europa. Dies hatte auch Auswirkungen auf die Medizin und<br />
die Versorgung psychisch <strong>Kranke</strong>r. Allmählich gingen die größten<br />
Misshandlungen zurück, was am Ende jedoch nur zu anderen subtileren<br />
Formen des psychischen und moralischen Zwanges führte.<br />
Behandlung und Pflege der psychisch <strong>Kranke</strong>n nahmen etwas humanere<br />
Formen an, das Wegsperren und Ausgrenzen jedoch blieb.<br />
Schließlich wurden neue Ansätze entwickelt. Der Psychiater<br />
Griesinger, in dem viele den Vater einer modernen <strong>Psychiatrie</strong> in<br />
Deutschland sehen, entwickelte 1864 in Berlin bahnbrechende Reformkonzepte<br />
für eine Umstrukturierung der psychiatrischen Versorgung,<br />
die konsequent auf mechanische Zwangsmaßnahmen und<br />
moralische Repressalien verzichten sollten. Griesinger stellte bereits<br />
damals die Einbettung psychisch <strong>Kranke</strong>r in soziale Strukturen wie<br />
Familie und Freunde als einen wesentlichen therapeutischen Faktor<br />
dar. Er forderte die Integration der <strong>Kranke</strong>n in die Gesellschaft,<br />
da sie gewährt, was die prachtvollste und bestgeleitete Anstalt der<br />
Welt niemals gewähren kann, die volle Existenz unter Gesunden, die<br />
Rückkehr aus einem künstlichen und monotonen in ein natürliches<br />
und soziales Medium, die Wohltat des Familienlebens. Allerdings<br />
vertrat Griesinger entschieden ein naturwissenschaftlich ausgerichtetes<br />
Verständnis von Geisteskrankheiten als Gehirnkrankheiten und<br />
führte eine scharfe Kontroverse mit der eher idealistisch moralisierenden<br />
Anstalts-<strong>Psychiatrie</strong>.