gesellschaftlichen Umraum sichtbar zu machen. Wir überschätzten das Zufallspublikum, z.B.bei Aktionen, aber wesentlicher noch die Komplexität der Wahrnehmungsprozesse. DieGrundlage für unser damaliges Kunstverständnis war sicherlich, die Gesellschaft ändernzu wollen und der Glaube daran, es zu können. Vieles war missionarisch und weltverbesserisch.Heute weiß ich hinreichend, dass es zunächst schon schwer genug ist, eine gute Arbeitzu machen. Wenn es dann gelingt, dass die Menschen daran nicht vorbei gehen, ist es schön,wenn sie es nicht tun, ist es mir egal geworden.Zum Ordnungsprinzip des rechten Winkelsoder Wie mache ich mir meine Grenzen klar1973/74Eisen, 212 x 32 x 32 cmje nach Raumhöhe verstellbarSie sprachen in anderem Zusammenhang von einem alten Park und von dem Fürsten –Kriegsherr, Anarchist und Künstler, der gegen die überkommenen Formen opponierte.Sie sagten, Sie fänden sich darin wieder. Ist das Ihr Verständnis vom Künstler? Sind Sieein Mensch, der die Haltung der Opposition einnimmt?In den 70er Jahren habe ich meine erste »Angelehnte« gemacht. Diese erste Angelehnteist ein Winkeleisen, an das aufgeschweißt war: Beitrag zum rechten Winkel,gegen das Ordnungsprinzip des rechten Winkels. Ich erwähne das Beispiel, weil ichim Herbst zum dritten Mal in der wunderbaren frühen Gartenanlage des FürstenOrsini in Bomarzo bei Viterbo gewesen bin. Da gibt es eine wunderbare kleine Architektur.Der Grundriss wird vielleicht vier mal vier Meter sein. Und das ist ganz aus demLot heraus genommen und droht jeden Moment zu kippen. Anders gesagt: Es folgtnicht dem Ordnungsprinzip des rechten Winkels und irritiert nicht nur von außen undlässt vielleicht Erdbeben assoziieren. Tritt man hinein, stellt man fest, dass diesesmehrgeschossige Gebäude in allen Ebenen in sich senkrecht ist, aber durch die Neigungschief ist, man befindet sich auf einer schiefen Ebene und ist sehr bald daran interessiert,wieder aus diesem Haus heraus zu kommen. Sie sind in Ihrer eigenen Haltungderart irritiert, so dass manchen schwindlig wird. Der rechte Winkel, ob man ihmironisch oder blasphemisch begegnet, gehört zu uns, man redet ja nicht ohne Grundvom aufrechten Gang und verbindet damit unbewusst die Senkrechte, die sich aufeiner Horizontalen befindet und lädt das Verhalten des Menschen damit auf, was wirvon Bäumen kennen. Dieses schiefe Gebäude ist letztlich das I-Tüpfelchen für dieMöglichkeit, den rechten Winkel verlassen zu müssen, zu können oder zu sollen. Insofernist es ein Verhalten, das sich ausdrückt gegen eine andersgültige Ordnung, unddamit Opposition.Sie sprachen vom Bedürfnis des Menschen, Ausdrucksformen zu finden. Es gibt ja nuneine Reihe von Menschen, die sich nicht artikulieren können, in welcher Weise auch immer.Ich habe Ihre Gedanken aus dem Interview mit Ortheil zitiert, »Kunst ist ein vom Künstlerangehaltener gestoppter Prozeß, ein Bild-Ganzes, das es sonst so nicht gibt. Diesem Bild-Ganzen können wir begegnen, gestützt auf unsere entwickelte Wahrnehmungsfähigkeit.«Glauben Sie, dass Kunst helfen kann, einen Menschen zu sich selber zu führen?Ihre Frage verbindet sich mit einem hohen Anspruch, sie kann fast eine Glaubensfragesein. Ich zweifle daran, dass Kunst helfen kann. Ich glaube aber, dass sie immerdann eine Wirkung hat, wenn sie über ihre Form und ihren Inhalt an die Erinnerungenderer anzuknüpfen weiß, die der Kunst begegnen. Die Erinnerungen sind an Wahrnehmungengebunden, die sind verschieden und spezialisieren sich immer mehr.So ist auch Kunst ein Spezialgebiet geworden, bei dem es immer schwieriger wirdzu erkennen, was sie eigentlich ausmacht. Dennoch gelingt es, dass Kunst oft überGenerationen hinweg lesbar erscheint, also eine Bedeutung hat, weil wir Bildweltenbegegnen, die letztlich immer die gleichen Themen von Leben und Sterben, vonTrauer und Freude in immer anderen Erscheinungsbildern zeitigen. Ich bleibe dabei,dass Kunst ein gestoppter Prozess ist. Und wenn das im Prozess Entstandene lesbarsein soll, trifft es auf jemanden, der vergleichbare Wahrnehmungspotenzen hat. DieseWahrnehmungspotenzen resultieren z.B. aus den Wechselbeziehungen räumlicher Zusammenhänge,über die wir gesprochen haben oder ganz allgemein und was sich ausdem Denken und Fühlen eines jeden ergibt. So kann man auch sagen, dass ein jeglichesSehen, Riechen, Schmecken bewusst und unbewusst geschieht. Und die schon angesprocheneKomplexität der Wahrnehmungen bedeutet für den Künstler, dass er seltenden gleichen Blick auf seine Arbeiten hat und oft unzufrieden ist und es ihn so voneinem Werk zum anderen treibt. Alles wird zwangsläufig ein perpetuo mobile wird.So entstehen bei mir Werkgruppen, die dann abgeschlossen werden, wenn die Ideenausgereizt sind.Seite 8/9Skulptur – Architektur, 2000/01Eiche, gekalkt, 80 x 60 x 720 cmStiftung DKM, Duisburg InnenhafenIhr künstlerischer Ansatz war vor 30 Jahren zeitgebunden und zeitkritisch. Die Zeitlosigkeitder Kunst – streben Sie die an?Sicherlich gibt es auch in mir den Wunsch, irgendwann etwas gemacht zu haben, dasdie Zeit überdauert.
Wir sprachen über die Verantwortung des Künstlers. Worin sehen Sie die Aufgabe derKunst, Ihrer Kunst?Ihre Frage könnte wiederum zu einem historischen Streifzug verführen, ich lenke aberden Blick nur zusammenfassend auf verschiedene Epochen und frage: Welche Rolle habenKünstler jeweils erfüllt? Waren sie beauftragt oder sahen sie in sich selbst Veranlassunggenug, arbeiten zu wollen? Rückblickend müssen wir sagen, der Künstler beginntsich zunehmend selbst zu entdecken, als er in der Renaissance eine Bedeutung bekam. Erwurde beauftragt und er versuchte zunehmend Wege zu finden, die letztlich seine Handschriftwurden. Wir legen seither Wert auf die Signatur eines Kunstwerkes. Gesellschaftspolitischheißt das, dass der Künstler als Einzelner eine Rolle spielt. Das impliziert aber auchdie Frage: Wer verhilft ihm zu dieser Rolle? Das bedeutet ganz einfach: Wer will von demKünstler etwas? Das sind zunehmend Einzelne, nachdem die Kirche als öffentlicher Auftraggeberin den Hintergrund getreten ist und die sogenannte öffentliche Hand in Formvon Kunst im öffentlichen Raum unseren Umraum mehr möbliert als dialogfähige Kunst zu ermöglichen.Museen als öffentliche Foren haben immer geringere Etats, Sammler, eigentlichdie einzigen obsessiven Menschen, die helfen Kunst zu ermöglichen, geben oft viel zu früh ihreSammlungsstücke in die Museen. Und der Künstler bewegt sich zwischen den Stationen, dieich genannt habe, überwiegend auftragslos, mittellos. Der Blick auf seine Arbeit erscheintden meisten zwecklos, weil sie keinen Sinn darin sehen, zwecklos, weil sie für nurWenige sinnvoll erscheint. Und da sind wir wieder bei der Wahrnehmung – oder andersgesagt: Jeder sieht nur das, was er weiß. – Meine Ausstellungen heißen – und ichmache jetzt einen Satz daraus: Im Gegenüber und Dazwischen suchen und finden Skulpturenihren Ort. Orte zu bilden ist für mich selbst eine der reizvollsten Aufgaben. So istz.B. die Anlage im Tal, auf die wir sicher noch zu sprechen kommen, eine selbst gestellteAufgabe. Sie ist eine Großskulptur, bei der mir viele Kollegen geholfen haben. Sie ist auchAusdruck eines allgemeinen Wünschens und Wollens von Künstlern, sich engagieren zukönnen. Für uns Künstler gilt sicherlich verallgemeinernd gesagt, dass wir für ganz wenigeMenschen eine Rolle spielen. Es sind die Menschen, die uns auch anstiften, gemeinsamweiter zu arbeiten. Alles ganz anders: Solange der Drang des Künstlers stark genug ist,sich äußern zu wollen, wird es Kunst geben, unabhängig von Auftraggebern, somit stellter sich selbst die Aufgaben und verantwortet sie.Beitrag zum rechten WinkelAusstellung im Edwin Scharff Haus,Neu-Ulm, 2000Ihrem Werk geht eine lebenslange Suche, kohärentes Arbeiten voraus, um zu diesem‚Konzentrat’ zu kommen. Die Bereitschaft des Betrachters ist ja leider eher selten gegeben,sich wirklich auf eine solche Kunst in ihrer ganzen Dichte einzulassen. Wenn die Aufgabeder Kunst für Sie kaum zu beantworten ist – jedem Menschen und jedem Bereich in derGesellschaft kommt eine Aufgabe zu, ich denke auch an Klöster, Mönche – worin sehenSie die Aufgabe des Künstlers? Auf dem Weg zum Kloster Marienstatt sprachen Sie vonder »Wirksamkeit der Mönche«. Die Wirksamkeit des Künstlers –Wenn Sie von Mönchen reden, sollte man nicht unterschätzen, dass die Menschen,die ins Kloster gehen, diese Umgebung suchen, um sich auch selbst zu helfen. Die Mönchebilden eine Gemeinschaft, in einer Lebensform, die in der Gesellschaft eine Lebensideeverkörpert. Und wenn heute einer Kunst macht, wie ich es verstehe und immer eigentlichverstanden habe, ist das eine vergleichbare Entscheidung, das zu leben, was ich gernemöchte, also einer Lebensidee zu folgen.Ein Autor, Heiner Protzmann, hat Sie »Kunstpolitiker« genannt. Dieses Wort drängt sichauf, wenn man Ihre frühen Aktionen sieht. Soll Kunst politisch sein oder wirken? Ist IhreKunst politisch gedacht?In der Kunst der 70er Jahre gab es die Meinung, wie bereits erwähnt, man könneetwas verändern. Das geht nicht. Ich halte bis zum heutigen Tage im Sinne von HerbertMarcuse die Kunst grundsätzlich für politisch. Und deshalb muss es nicht eine ausgesprochenpolitische Kunst geben, die agitierend vorgeht, weil die Agitation viel zu sehr der Doktrinationunterliegt und in Ideologienähe gerät. Ich kann ja nur auf meine wenigen Dekadenzurückschauen und ins Verhältnis setzen, dass es vor 30 Jahren Begriffe gab wie Kunstund Politik, die bereits mit dieser polarisierenden Titelgebung vergessen hat, dass Kunsteigentlich immer politisch war. Weil alles, was im sozialen Raum stattfindet, eine politischeWirkung hat. Egal, was einer macht, das geschieht ja in einem gesellschaftlichen Raum. –Ich glaube, dass man sich zunächst darüber unterhalten müsste: Was wollen wir eigentlichgemeinsam unter politisch verstehen? Wenn Sie es so meinen, dass wir alle ein zoonpolitikon sind, beinhaltet dies, dass wir eine Existenzform gefunden haben, die in einemgesellschaftlichen Umfeld bestehen kann, so dass es eigentlich nichts gibt, was außerhalbdieses Raumes geschieht. Insofern ist dann in diesem Umfeld die Tätigkeit desKünstlers eine spezielle. Und dann kommt es auf das Ausdrucksvermögen an, das man hatund auf welche Membranen das trifft. Und daraus resultieren Anerkennungen oder
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Synagogen-Mahnmal, 1978Eisen180 x 1
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100G.I.A.C.O. für Giacometti II, 1
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102Fleiner Tor, 1980-83zweiteiligCo
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104Paar, 1987Holz455 x 62 x 69 cm37
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106Architektonische Gesamtkonzeptio
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Für die Geschwister Scholl, 1994»
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114im Teehaus, 1994Holz350 x 50 x 5
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