Erwin Wortelkamp als Internatsschüler imKloster Marienstatt, 1950-1956Klassenfoto der Internatsschülermit Pater Dr. Dr. Bernhard Bochtler (Piccolo)Das Kloster war lange Zeit der einzige Ort, wo man Spiritualität leben konnte. – Wie habenSie die Mönche, dieses mönchische Leben erlebt? Abgesehen von dieser Spannweite vonGut und Böse. Haben Sie näheren Einblick in dieses mönchische Leben gewonnen? Washaben Sie von diesem Leben »Ora et labora« in Ihr Leben mitgenommen?Wir wurden damals wesentlich von den Mönchen unterrichtet. Das damalige Progymnasiumendete mit der Mittleren Reife und fast alle Klassenkameraden gingen in das ZisterzienserklosterMehrerau am Bodensee, ich wechselte nach Montabaur in das bischöfliche Konvikt.Manche haben als Novizen das Abitur gemacht oder waren beim Abitur schon Fratres, so wieder jetzige Abt. – »Ora et labora« beschreibt ja den Tagesablauf, den Wechsel zwischen demgeistigen und körperlichen Arbeiten und Beten und es beinhaltet, dass es Rekreationsphasengibt, im Wissen, dass man nicht dauernd arbeiten kann. Und es beinhaltet gleichermaßen, denOrdensregeln entsprechend, dass man irgendwann lernt, mit dem Alleinsein umzugehen, wasbekanntlich nicht so einfach ist. Den Mönchen hilft die mehr oder weniger geliebte Lebensgemeinschaft,die in den Menschen manches freisetzt. Außerdem ist es leider so, dass auch in einemKloster die Mehrheit der Mönche, im Haus und darüber hinaus, nicht das verkörpert oderausstrahlt, was sich mit dem hohen Anspruch einer Spiritualität verbindet. Vielleicht ist, ausgehendvom Habit, wie der Kukulle, der Klosterstalle, den Gebäuden, alles nur eine andere Formdes Zwiebelschalenbildes. Die Verehrung der Maria, die stete Orientierung am Jenseitigen istfür die Mönche, auch wenn nicht manuell greifbar, die Hülle, die Form, sich Schutz zu geben.– Nicht unerwähnt lassen will ich, wie gerne mein Sohn und ich die Entwürfe für die Gnadenkapelleausgeführt hätten. So bleibt die »Krankenhauskapelle« aus den 50er Jahren, hineingepasstin die historische Basilika und den Zwischenraum zum angrenzenden Klostergebäude.Erst kürzlich muss sie eine Veränderung erfahren haben, die fern aller Erinnerungen an die vorbildlichenArchitekturleistungen des Zisterzienser sein muss, so sagten mir vor wenigen Tagendie TAL-Künstler Bogomir Ecker und Norbert Redermacher. Ansonsten habe ich mich zur Architektur,dem Chorgestühl, den Klosterstallen in einem Interview 12 vor einigen Jahren geäußert.Gibt es Werke, die in Beziehung zum Chorgestühl entstanden sind?Ja, es gibt die fünfteilige Arbeit, die zweite, die ich Giacometti 1978 gewidmet habe.In manche der Arbeiten kann man sich hineinstellen.Dieses Gehalten-Werden, steht da die Idee der Misericordien dahinter?Die Misericordien ermöglichen eher das Anlehnen beim längeren Stehen im Chorgestühl.Und das hat natürlich was mit meinen Angelehnten im Stützwerk der Architekturen zutun. Während mich bei der erwähnten Gruppe eher das Stehen im Gegenüber, wie dasfreiere Stehen im Gehaltensein der Mantelform interessiert.Und dieses Aufgehobensein, Gehaltensein.Ja, das Umhüllen. So wie ein Kleid, ein Gewand oder eine Kukulle. Eigentlich gilt meinInteresse, Formen zu finden, die Patriarchalisches und Matriarchalisches in einem verkörpern.Wie auch die Klosterstalle in wunderbarer Weise letztlich Ausdrucksträger einer matriarchalischenForm ist, indem der Mönch sich hineinstellt, sich umgibt mit einer Mantelform, auf die ersonst z.B. im Erleben einer Frau zu verzichten hat. Und diese Kukulle, die die Mönche tragenals Habit, dieses weiße, ganz umhüllende Gewand ist letztlich nichts anderes als ein Umspielendes Körpers im matriarchalischen Sinne. Wie sich eine Frau ‘umwandet’, mit Hüllen, wieeine Zwiebel, begibt sich der Mönch in diese Wandungen hinein, die ihn umgeben. Und dashat natürlich was mit meinen Angelehnten im Stützwerk der Architekturen zu tun. Dererwähnten G.I.A.C.O. [Giacometti-Gruppe] gingen zwei Arbeiten voraus, die seit wenigenWochen im Konventgarten des Klosters stehen. Vor 25 Jahren hatte die Seniorchefin derWurstwarenfirma Redlefsen beide gekauft und sie mir jetzt aus Altersgründen zurückgegeben.Sie fand die Idee gut, im Konventgarten einen so guten Standort für sie zu finden. Sienannte damals die Plastiken »Adam und Eva« und erkannte so in dem Stück »S.O.Cist.«(vgl. Abb. S. 97) wie in dem »Wurzelwerk II« das Patriarchalische und Matriarchalische.Man kann von Ihrer Verwurzelung in zisterziensischen Gebäuden wie auch Haltungenlesen. Wie würden Sie Ihre Beziehung zur Religion oder zu Gott sehen? Halten Sie sich füreinen religiösen Menschen?Es gibt einen Text, den ich zur künstlerischen und architektonischen Gesamtkonzeptionder Kapelle im Elisabeth Krankenhaus in Kirchen/Sieg geschrieben habe. »Von Gott zuGott oder Die Gedanken sind frei. Bilder haben Hintergründe« 13 . Darin geht es um eineVorstellung von Gott, der meines Erachtens hinter den Bildern zu finden ist.Was heißt ‘hinter den Bildern’?Als Ausdruck der Nicht-Greifbarkeit Gottes, der ja für viele Menschen nach wie vor leiblichist, gebunden in der Vorstellungswelt –
... als der alte liebe Mann oder im Alten Testament als der zornige, strafende.Egal wie. Für mich gibt es diese Art der Existenzform nicht. Ich bin auch kein Betender,insofern in diesem Sinne auch kein Glaubender. Aber was mir viele nicht nur nachsagen,sondern auch in den Arbeiten sehen, ist so etwas wie eine religiöse Grundhaltung, die mirvielleicht die Möglichkeit gibt, Arbeiten zu machen oder gemacht zu haben, die sichwohlfühlen in den unterschiedlichsten Sakralräumen, in Kirchen. Dann müssen die ArbeitenJa irgendwas haben, was man auf der höchsten Ebene spirituell nennen kann. Anders gesagt:Mich interessiert eine interkonfessionelle Gläubigkeit, die beinhaltet, dass es Menschengibt, die an den einen Gott glauben oder die an viele Götter glauben, eine Gläubigkeit,die aber letztlich eine Haltung verkörpert, nicht getreu dem Prinzip: Auge um Auge, Zahnum Zahn. Und ich würde gerne, wenn ich die Mittel hätte, einen Sakralraum nach demanderen bauen, wo Menschen sich so wohl fühlen als seien sie in einer Kirche, die aberüberkonfessionelles Erleben ermöglicht. Und die Kapelle, die ich in dem katholischenKrankenhaus [Elisabeth Krankenhaus in Kirchen/Sieg] gemacht habe, hat selbstverständlichauch Widerstände provoziert, weil ich sie immer überkonfessionell gedacht habe. Andererseitshabe ich überhaupt keine Schwierigkeiten mit der historischen und teils zeitgenössischenKunst in Kirchen. Im Gegenteil. Die sehe ich weder als katholisch noch als evangelisch, diesehe ich als Kunst, die die Kraft hat, mich dorthin zu tragen, wo ich vielleicht hin will. Kirchensind Andachtsräume.27Sie sagen, Ihre Arbeiten müssten etwas Spirituelles haben, da sie sich gut in Kircheneinzufügten.Ja. Oder den Atem, den ein guter Innenraum hat, auch wieder abgeben zu können. Esist nicht nur so, dass die Arbeiten dort integriert werden, sondern dass sie sich behauptenwie eben ein historisches Kunstwerk, das ja, das darf man nicht vergessen, für mein Augeeigentlich nie nur die Schilderung eines biblischen Inhaltes war. Mich interessiert an dieserArt der Kunst, was da passiert, wie das gemacht ist, und ob der Inhalt ein Faktor ist. Abermich interessiert nicht die Kreuzigung als Kreuzigung, sondern der Umgang mit demThema. Was macht diese Figur an dem Untergrund oder an dem Balkenwerk, was machtsie im Raum?Sie haben das Motiv der Kreuzigung aufgegriffen.Ja, ich habe ohne Auftrag vier Kreuze gemacht. Die heißen »Kreuze (Ohne Titel)«.Eins hängt im Internat, ein Vetter von mir hat es dort hinein gekauft. Das gibt meineAnschauung wieder, dass ein Kreuz für Menschen eine Bedeutung haben kann als eineMöglichkeit der Schmerzenswiedergabe. Oder des Triumphes. Es gibt ja die unterschiedlichstenAuslegungen, die ich konfessionslos sehe. Wenn ich diese Kreuze gemacht habe,entsprechen sie meinem damaligen Gestaltungsinteresse, Formen so mit der Farbe zuverknüpfen, dass die Farbe die Form aufhebt und umgekehrt. Also ein Dialog zwischenForm und Farbe, die sich gegenseitig streiten, wohlfühlen usw. Ich habe die Farben soeingesetzt, dass sie die Form nivellieren oder innerhalb des Ganzen einen Raum suggerieren,den es nicht gibt oder einen Raum intensivieren. Anders gesagt: mit und gegen die Form.Diese Art der Kreuze – wenn Sie sich darauf einlassen, können Sie feststellen, dass dieserKorpus, der ja sonst in einer formalen Fixierung dort hängt, in erkennbarer Formgebungerscheint als sei er in Bewegung, als ginge es um eine Beschreibung verschiedener Zustände.Anders ausgedrückt: Die Farbe trägt dazu bei, die Bewegungen zu unterstreichen, nichtnur ein Verharren. Und das ist letztlich auch ein Hinweis darauf, dass es keine Festschreibungeines Zustandes wie z. B. Freude gibt.Sie haben Ihre Skulpturen in Kirchen beschrieben. Und Sie haben von Achtung gesprochen.Empfinden Sie Demut, wenn Sie Ihre Arbeiten in Kirchenräume stellen?Wie ich in meinen Erziehungsaufgaben immer formuliert habe, meine ich mir zuwünschen: Bescheidenheit mit Anspruch. Das ist das Gegenteil von Demut. Und in einerKirche interessiert mich der Behauptungswille, von einer Bescheidenheit getragen, der dasUmfeld achtet. Ich will da keine anderen Bilder erzeugen, sondern lediglich ein Bild hineinstellen,von dem ich meine, das ist in so einem Raum tauglich und auch vielleicht damit verknüpfen,dass man insgesamt in der Kirche darüber nachdenken sollte, welche Kunst heute denGläubigen zugemutet wird. Ich plädiere auch dafür, keine neuen Attribute in Kirchen hineinzu geben, die sich den Gestaltungsmitteln der Romanik verschreiben. Also nachgemachteRomanik, nachgemachte Gotik, nachgemachter Barock, sondern Ausdrucksmittel derheutigen Zeit, damit sich auch das, was zeitlos ist, fortsetzt. Und die wunderbaren historischenWerke, die für die meisten Menschen überhaupt nicht mehr lesbar sind, treten in einenDialog. Wer kennt die Bibel noch so, dass er die Figuren, die er als gegenständlich dort sehen,empfinden und wahrnehmen kann, wer weiß, was dort abgebildet ist, welchen Inhalt sie erzählen?Außer den paar Geschichten, die man vielleicht aus dem Kommunions- oderKreuze (Ohne Titel), 1984Holz und Farbe, 315 x 110 x 16 cmAtelieraufnahmeXXXIV, 1986Holz, Pigment, Kalk, 275 x 37 x 40 cmKoblenz, St. Florin 1991
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Synagogen-Mahnmal, 1978Eisen180 x 1
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104Paar, 1987Holz455 x 62 x 69 cm37
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106Architektonische Gesamtkonzeptio
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Für die Geschwister Scholl, 1994»
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114im Teehaus, 1994Holz350 x 50 x 5
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