diese Insel hat diese Komplexität, dass man gar kein Bedürfnis hat wegzuwollen, waseinen auch verschont, bauliche 'Sauereien' der Dörfer oder der gebauten Umwelt in verstädtertenUmgebungen wahrzunehmen. In Italien haben wir das Privileg, eine Umgebungzu haben, in die wir keine Mark investieren mussten, weil die historischen Gegebenheitenso waren. – Im Westerwald gibt es sehr schöne Landschaftsbezirke, mit der Möglichkeit,weit zu gucken, sich vielleicht irrtümlich weitsichtig und frei zu fühlen. Ich empfindeeine hohe Lust, mich im Westerwald dem Wetter so auszusetzen, dass ich mich beiRegen, wie überhaupt bei den klimatischen Bedingungen, fühle als würde ich schwimmen.Und in Italien gibt es das Meer, eine besondere Landschaft und beim ‘Schwimmen’andere Empfindungen. Ich rede nicht vom Sonnenbaden. Das Phänomen des Wassers istfür mich ein ganz wichtiges.64Noch eine ganz persönliche Frage: Wie gehen Sie mit Zweifeln um? Die wird es gebenwie im Leben eines jeden Menschen. Man kommt an eine Wand, wo man glaubt,nicht mehr weiter zu können. Gab es Lebens- oder künstlerische Krisen? Eine Krisekann entstehen durch extremes Unverstandensein. Wie sind Sie mit diesen Krisen umgegangen?Klar gibt es Krisen. Und der Zweifel gehört zum Beruf. Es sind Fragen, die Sie jedemMenschen stellen können. Wenn Menschen sich entscheiden, etwas zu tun, das einergrößeren Gemeinschaft nicht alltäglich ist, aber stets darauf achten, wie das bei anderenankommt, wirft es Probleme in ihrem Selbstwertgefühl auf. Es gibt, unabhängig vom Beruf,Gewissheiten in einem, die einen bestärken, auf seinem Weg weiterzumachen. Nurändert sich mit dem Älterwerden, was gebunden sein kann ans mögliche Reiferwerden,wie man allem begegnet. Ich habe ein Riesenrepertoire, wie ich einer jeweiligen Ansprachebegegne. Und ich weiß, dass es schwierig ist, das Fremde nicht nur zu akzeptieren,sondern überhaupt zu erkennen. Je mehr man darüber weiß, entwickelt man Verständnisfür ein Gegenüber, das dies oder jenes nicht versteht. Ich will damit sagen: Je mehr wirüber die Komplexität und Schwierigkeit eines jeweiligen Wahrnehmungsverhaltens undeines daran gebunden unterschiedlichen Erkennens wissen, desto mehr relativiert sich dieMeinung eines jeden.In der Dokumentation über Ihre Galerie »atelier nw 8« Projekt haben Sie ein Wort vonHenry David Thoreau vorangestellt. »Wenn eine Pflanze nicht nach ihrer Art leben kann,so stirbt sie, Menschen geht es ebenso.«Es geht darum, das, was einen am Leben hindert, nicht nur zu erkennen, sondern fürsich so zu ändern, dass man nicht stirbt.Kann Kunst dabei helfen?Na klar.Glauben Sie, dass Ihre Kunst dabei helfen kann?Das weiß ich nicht. Für mich zumindest ist es so. Die Kunst ist mein Leben. – Aber wirmüssen nicht die Kunst nehmen. Wir können sagen: Das ist das Glück, das man immerwieder neu erfährt. Denken Sie an einen Kanalarbeiter, der ewig Kanäle verlegt hat, unddabei eine Lust empfunden hat, wie ein Rohr sich ans andere schließt, mit der Gewissheit,da fließt nachher etwas durch. Das ist zu übertragen auf jeden Beruf. Ich meine damit,wenn der Mensch, bei dem, was er tut, Glück empfindet, hat er die Chance, sein Lebenals lebenswert zu erkennen.Munduk, Bali 1993»Ich habe dieses Stück Straße, das in einNiemandsland führte, benutzt. Und in dasStück Asphalt habe ich die Form eines Ypsilongelegt. Ich erkannte, dass das Ypsilon, freivon theologischen Bedeutungen, die reduziertesteForm einer menschlichen Haltungist...« E. W.Darüber hinaus spielen Reisen eine Rolle, in Ihrem Leben, für Ihre Kunst. Reisen, die in IhrerBiographie zu lesen sind: 1990 Indien, Indonesien, Hongkong, 1992 Hongkong, Jakarta,Bali, 93 Bali, 95 Schweden, Dänemark, 96 Färöer Inseln, Jütland, 2001/02 Island. Warumgerade diese Länder? Was war an den Reisen wichtig? Welche Projekte sind dort entstanden?Welche Veränderung hat das jeweilige Land in Ihrem Leben und Ihrer Kunst erwirkt?Was das Reisen betrifft, habe ich erkannt, dass ich da sehr gespalten bin, mich einerseitssehr ungern wegbewege von hier, andererseits erfahren habe, dass es notwendig ist,sich zu bewegen, weil diese Art von Unterwegssein wichtig ist, um sich von dem geliebtenOrt zu entfernen, um ihm dann wieder näher zu kommen. Und in meinem Beruf ist esin besonderem Maße so, dass man vielleicht das Privileg hat, das ein oder andere anderswahrzunehmen, als es einem durch Publikationen präsent ist. Die für mich wichtigenReisen haben mich von Anfang an interessiert im Hinblick darauf, mir meine Arbeiten inbestimmten landschaftlichen Situationen vorzustellen. Und dies mit keinem Gedanken anÖffentlichkeit, sondern um zu überprüfen, ob die Arbeiten dort standhalten. Eigentlichauch eine Parallelität und letztlich eine Vorwegnahme vieler Aktivitäten, die heißen:Skulpturen suchen ihren Ort, finden ihren Ort.
Ein wichtiger Begriff: Skulpturen suchen ihren Ort. Skulpturen finden ihren Ort.Ein wichtiges Projekt ist in Bali entstanden.Ja. Ich habe von Anfang an versucht, Reisen mit meiner Arbeit zu verknüpfen. Aberam wichtigsten war mir die Begegnung mit einem Tal in Bali. Ich will deshalb gerne ausführlichervon meinem Erleben in Bali erzählen – auch wenn sich manches wiederholen wird.(vgl. S. 30). Dieses Tal hatte eine solche Tiefe und Wandungen in der Breite, dass die Reisbauernkleine Reisfelder an den Hängen hatten, die sie noch mit den Füßen bearbeiten.Das hat mich sehr beeindruckt und ich hatte die Idee, einen Knüppel [Skulptur] von mirdorthin zu stellen, um zu sehen, ob er dieser auratischen Welt standhält. Ich habe dreiJahre benötigt, dieser Idee näher zu kommen. Es wurde mir verboten, in diesem Tal etwaszu machen, weil das ein heiliger Ort sei. In Kooperation mit dem Goethe-Institut vonJakarta, wo sieben Künstler eingeladen wurden, habe auch ich eine Arbeit für die Landschaftgemacht. Aber neben dieser Arbeit habe ich einen ‘Knüppel’ gemacht, der genau inden Jeep passte. Das Kuriose war, ich habe trotz Führer dieses Tal, das Ausgangspunkt füralles war, nicht wieder gefunden. Und nach dem vergeblichen Suchen dieses Tales war ichso wütend (ich bin selbst gefahren, weil der Fahrer mir zu langsam zu fahren schien, und esdunkelte zunehmend), dass ich immer wieder gehalten habe, dem Fahrer meinen Fotoapparatgegeben habe, mir den Knüppel auf die Schulter genommen habe und an alleStellen gegangen bin, die mich beeindruckten, das waren Reisfelder, alle möglichen Situationen.So gibt es eine kleine Serie von Fotos, wo ich mehr oder weniger nur für einenSchnappschuss diese Skulptur implantiert habe. Es war, als ob die Arbeit schon immer dagewesen wäre. Wenn mir später manch einer gesagt hat, viele meiner Arbeiten hättenwas Asiatisches, war mir das eher verständlich. Als Westerwälder kommt man nicht sofortauf diesen Bezug.Nun möchte ich zu der mir sehr bedeutsamen vierteiligen Arbeit kommen. Das war eineeigenartige Situation, weil die Gegend teilweise schon zu zivilisiert ist. An dem Ort, denich fand, war ein Stück Asphalt, wo man wohl eine Straße durchgeführt hat, vielleichthundert Meter mal zwanzig in der Breite. Ich habe dieses Stück Straße, das in ein Niemandslandführte und von einer sonstigen Wegeführung nicht einsehbar war, benutzt.Und in das Stück Asphalt habe ich die Form eines Ypsilon gelegt. Ich erkannte, dass dasYpsilon, frei von theologischen Bedeutungen, die reduzierteste Form einer menschlichenHaltung ist. Gegenüber, in einer Distanz von ungefähr 50 Metern habe ich eine zweiteiligeMiniarchitektur errichten lassen mit einer sieben- oder achtstufigen Treppe, 40 cm breit,die man begehen konnte. Der zweite Teil dieses architektonischen Elementes hatte einenquadratischen Grundriss von etwa einem auf einen Meter, das bis an das Ende der Treppenhöhegeführt wurde. Das war ein Kubus, wiederum mit Ziegeln gemauert, die Ecken–wurden ausgebildet durch je zwei Ziegelsteine von 24 x 24 cm. Die wiederum wurdenauf 2,50 Meter hoch geführt. Wenn man die Treppe bestiegen hatte, stand man aufdiesem Podest, man war umgeben von den Raumgrenzen der Pfeilerelemente und hatteden Blick in jede Himmelsrichtung frei. Der Boden bildete eine Kreuzform, dem quadratischenGrundriss angemessen, so dass man sich auch in einem Zeichen befand, das für einbestimmtes Denken steht, bis hin in die abendländische Kultur. Die Tatsache aber, dassman in alle Himmelsrichtungen gucken konnte, hat die pantheistischen Glaubensvorstellungender Balinesen aufgegriffen, ohne dass ich damit die Religion bezeichnet habenwill. Da stand ein Baum, der noch Blätter hatte, den habe ich durchschnitten wie eineoffene Wundenform, dort konnte man hindurch gucken, und sah in eine unglaublicheWeite, die aber durch Höhenlinien bestimmt war. Dem gegenüber habe ich auf eineEisenplatte, die konkav gebogen war, einen Text von Hölderlin in deutsch und in balinesisch:»Die Linien des Lebens sind verschieden wie Wege sind und wie der Berge Grenzen.«aufgeschweißt. Dieses Stück Eisen kam von einem Schrottplatz, der 80 Kilometer entferntwar. Insgesamt ist das für mich ein auratischer Raum geworden.Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Land gemacht, mit Menschen? Unabhängigdavon, dass Sie ein Tal entdeckt haben, mit der Idee, sich dort einbringen.Ja, ich habe mich auf diese für mich fremde Welt (und das waren drei Jahrehintereinander) eingelassen, in diesem völlig anderen Umfangensein von dem, wasgewachsen ist. Man ist da vielleicht ursprünglicher. Und diese Art der Ursprünglichkeit(mit der ich auch eine Art von Gläubigkeit meine, den Glauben daran, dasswas wächst und vergeht, und die Fragen: Wo kommt was her, wo geht was hin?)war gebunden an meine Arbeit dort. Was ich erzähle, gilt auch für die Kollegen.Mit dem Beginn einer jeden Arbeit begannen Zeremonien, d.h. der Ort wurdefeierlich eingesegnet mit allen möglichen Riten. Und das gleiche geschah bei derBeendigung der Arbeit, bei der ‚Einsegnung’ der Arbeit. Es gibt Fotos, wo ich wieein erwachsener Messdiener knie in meinem Arbeitszeug und die Hände halte zumGebet als äußeres Zeichen, aber ich glaube, man sieht mir an, dass ich voll ‘erwischt’Munduk, Bali 1993»Da stand ein Baum, der noch Blätter hatte,den habe ich durchschnitten wie eine offeneWundenform.« E. W.»Die Linien des Lebens sind verschiedenwie Wege sind und wie der Berge Grenzen.«Text von Friedrich Hölderlin in Balinesischund Deutsch65
- Seite 1:
Erwin Wortelkampinterview 13
- Seite 5 und 6:
VorwortJo EnzweilerDie Vergabe des
- Seite 7 und 8:
Erwin Wortelkampim Gespräch mit Mo
- Seite 9:
von Raum haben, den wir körperlich
- Seite 13 und 14:
Wir sprachen über die Verantwortun
- Seite 15 und 16: Die »Behinderung der Stadt« in Mo
- Seite 18 und 19: Jahren Entscheidungen gefallen, die
- Seite 21 und 22: 19Reihenhäuser, 1972/733-teilig, E
- Seite 23 und 24: Worin sehen Sie die Zeitgenossensch
- Seite 25 und 26: ildhübsch, sondern sehr begehrt. U
- Seite 27 und 28: gerne von der augenblicklichen Wahr
- Seite 29 und 30: ... als der alte liebe Mann oder im
- Seite 31 und 32: G.I.A.C.O. II - Erinnerungen an Gia
- Seite 33 und 34: habe ein Werksemester Keramik gemac
- Seite 35 und 36: egann, mich mit dem Werk August San
- Seite 37: Gymnasien einen Text, der zu Fragen
- Seite 40 und 41: Ihre Kunst, unbeirrt Ihren künstle
- Seite 42: 40Casina Pompeiana, Neapel, 2001Sti
- Seite 45 und 46: Neuem zu führen. Also das Sich-Ein
- Seite 47: und das habe ich ja hinreichend zum
- Seite 51: Versorgungskanal, wie zum Verteiler
- Seite 54 und 55: gedacht und beanspruchen mehr Raum
- Seite 56: GabelungenSeit fünf Jahren nutze i
- Seite 59 und 60: Was bedeutet in dem Zusammenhang da
- Seite 62 und 63: zurückdrängt, d.h. das eigentlich
- Seite 65: Munduk, Bali, 1993vierteilige Arbei
- Seite 69: interessiert mich in der Bildhauere
- Seite 72 und 73: 70Inwiefern lassen Sie sich auf Inh
- Seite 74: 72Wie verhalten sich Skulpturenan v
- Seite 77 und 78: ten im Hof steht und vorne rechts n
- Seite 79 und 80: Wie würden Sie die landschaftliche
- Seite 81 und 82: Neben den Raumachsen gibt es also a
- Seite 83 und 84: ganz intensiv beschäftigt hat. Und
- Seite 85: Auszügen, herausgegeben v. Kunstve
- Seite 89: Einzelausstellungen1972 Galerie Hin
- Seite 94 und 95: 92Paidagogos, 1963Eisen400 x 300 x
- Seite 96 und 97: 94Vielleicht ein Baum VII, 1976Eise
- Seite 98 und 99: 96Vielleicht ein Baum XI, 1977Eisen
- Seite 100 und 101: Synagogen-Mahnmal, 1978Eisen180 x 1
- Seite 102 und 103: 100G.I.A.C.O. für Giacometti II, 1
- Seite 104 und 105: 102Fleiner Tor, 1980-83zweiteiligCo
- Seite 106 und 107: 104Paar, 1987Holz455 x 62 x 69 cm37
- Seite 108 und 109: 106Architektonische Gesamtkonzeptio
- Seite 110 und 111: 108Brücke, 1990-93Beton, Basaltlav
- Seite 112 und 113: 110Vom Anfänglichenzum Bauskelett,
- Seite 114 und 115: Für die Geschwister Scholl, 1994»
- Seite 116 und 117:
114im Teehaus, 1994Holz350 x 50 x 5
- Seite 118 und 119:
116Wittener Angelehnte, 1995Holz855
- Seite 120 und 121:
Kopf für F. W. Raiffeisen, 1983/19
- Seite 122 und 123:
Brunnenplatz am Donauzenteroder ein
- Seite 124 und 125:
Allseitsvon oben nach untenwie umge
- Seite 126 und 127:
124Teil aus einem Ganzen-zu einem G
- Seite 128 und 129:
126Ein Baum wird Skulptur, 2001Holz
- Seite 130:
128Monika BugsStudium der Kunstgesc