zurückdrängt, d.h. das eigentliche Material wird entmaterialisiert. Bringen Sie dieseEmpfindungen in einen entsprechenden Umraum und dann in den Sakralraum, kann dieseSkulptur in einen sprituellen Wirkungszusammenhang kommen. Je nachdem wo wir sind,trägt uns etwas mit oder behindert uns in diesem Beflügeltsein. Sie erwähnen ja richtigerweise,dass Skulpturen früher gefasst waren; so ließe sich über die Verkündigungsszenenhinaus lange über die Bedeutungsebenen von Farbe reden. Wir wissen, dass Weiß in anderenKulturkreisen eine Farbe der Trauer ist. Ein Kalkweiß, das ich seit Jahren vermehrt verwende,intensiviert einerseits die Strukturen, aber entmaterialisiert anderseits. Es entstehenWirkungen, die sich im Kirchenraum steigern und den Sakralräumen zu entsprechen scheinen.– Ich denke auch an die Werkphase, in der ich in vielen Schichten Pigmente ohne Bindemittelauftrug und tiefgründige Farbigkeiten erreichte. Manche Werke sahen aus, alsseien sie aus Stein. Diese sehr stillen Arbeiten lösten die farbig heftigeren von 1983-85 ab.Meine damalige Konzeption hatte die Arbeiten in ein informelles Wirkungsfeld geführt,denn es ging darum, die Farbe so einzusetzen, dass die zuvor bildhauerisch erarbeitetenFormen durch die Bemalung nivelliert wurden; darüber haben wir ja bereits geredet.60Manche Holzplastiken lassen Sie in Bronze gießen. Dennoch ‚erkennt‘ man sie an derStruktur als Holzplastiken. Was verändert sich da für Sie? Warum lassen Sie Holzplastikenin Bronze gießen? Geht es um Reproduzierbarkeit?Die Reproduzierbarkeit ist sicher nicht nur ein Nebenprodukt, aber manchmal auchangestrebt. Sie haben die Möglichkeit der Multiplizierung, die der Markt dann in irgendeinerWeise limitiert. Das ist das eine. Das andere, was mir von der Sache her wesentlicherzu benennen ist: Sie haben einen Wechsel des Werkstoffs. Dieser Werkstoff fühlt sichanders an und löst über das gewichtige Material andere Empfindungen aus.Im Gästeflur Ihres Hauses hängt ein Wandbild, eine Assemblage auf farbig bemalterDachpappe. Die Verbindung zwischen Malerei und Skulptur, führt sie zu Ihren Arbeitenauf Papier? Dort findet man die gleichen Themen. In welcher Beziehung stehen diePapierarbeiten zu den Skulpturen? Sind es ‚freie’ Zeichnungen, Skizzen für Objekte?Welchen Stellenwert haben diese Arbeiten?Wir sollten uns erst noch über meine Reliefs unterhalten. Es gibt neben den dreidimensionalenSkulpturen über alle Arbeitsphasen hinweg die Beschäftigung mit dem Relief.Und gerade beim Relief kommt die Lust, mit Farbe umzugehen zum Ausdruck. Mit dengleichen Mitteln wie bei den Vollplastiken. Dann gibt es Beispiele, drei großformatige bemalteReliefs aus Eisen. Auf diesen bemalten Eisenflächen sind Eisenelemente in Verknüpfungmit Holz reliefartig entwickelt. Das sind Arbeiten von 80/81, an der Nahtstelle imÜbergang von Eisen zum Holz. Und sie zeitigen mein grundsätzliches Interesse an Farbe.Ich habe mich immer für Maler interessiert, nicht nur wertschätzend, sondern auch sammelnd.Und seit der Ortsfindung des zweiten Wohnsitzes in Italien, in Acquaviva, 1986,mache ich systematisch, ohne eigentliches System Papierarbeiten.Orangen für Hans von Marées, 2001Papier geschnitten und herausgelöstPigment, Leinöl, 100 x 70 cmentstanden in Acquaviva PicenaIhre Papierarbeiten entstehen ausschließlich dort.Ja, alle Arbeiten auf Papier werden in Italien gemacht. Sie sind in Werkgruppen gegliedertund haben bestimmte Gestaltungsabsichten, bis ich die einigermaßen löse und zudem Punkt komme, wo sie mich langweilen, oft sechs bis zehn Blätter, manchmal bis zuvierzig. Und dann kommt irgendwann, wenn ich wieder dort bin, ein neues Anliegen. Icharbeite nicht systematisch, sondern ich lasse es geschehen. Wenn ich eine neue Ideehabe, folge ich der, mit dem Ergebnis, dass rückblickend über 17 Jahre sich die fast 3.000Arbeiten wunderbar, wellenförmig und diese wieder divergierend einordnen lassen, dassGestaltungslust und Ideen auftauchen und wieder wegtauchen. Und diese Arbeiten sindüberwiegend autonom. Es gibt aber auch welche, vor allem frühere, die einen Bezug zurSkulptur aufzeigen, aber es gibt keine einzige Arbeit, die gemacht ist wie ein Vorläuferoder als Findung für eine Skulptur. Viele äußern, dass die Papierarbeiten sehr malerischsind, insofern auch völlig autonom. Andererseits sind sie von einem Bildhauer und stehenin einem anderen Verhältnis zu den suggerierten Räumlichkeiten auf einer Ebene. VomMachen her kann man verallgemeinernd sagen: Es gibt keine einzige Arbeit, die mit demPinsel gemacht ist. Es gibt alle möglichen Mittel, vor allen Dingen das Schwenken derFarbmittel, dann das Auftragen mit Walztechniken wie das Ablöschen, dann die Entscheidungfür Terpentin, Terpentin-Leinöl und Pigment. Und es gibt zusätzliche Eingriffe aufdiese gefundenen Malflächen, sei es im Nachhinein oder im Prozess, mit Messern, mitallen möglichen Werkzeugen, die die erzeugte malerische tiefgründige Oberfläche wiedereingreifend verändern.Was sind Titel für Sie? Manche sind eindeutig, Kopf, Angelehnte, Liegende, Stehende.Wir haben über »Vielleicht ein Baum« gesprochen. Warum sind Ihnen Titel wichtig?
Die erwähnten Titel sind doch ziemlich vage. Wenn ich sage »Stehende« oder »Liegende«,ist das doch eine sehr neutrale Zustandsbeschreibung. Denn ich sage ja nicht:Der liegt so und so. Oder es ist ein Zeichen für... Auch wenn ich sage »Kopf«, ist daseigentlich eine Arbeitsbeschreibung, es beschreibt eine Möglichkeit. Ich kann Ihnen nursagen, wenn ich in einer Arbeit »Kopf« auf assoziativem Wege eine Nase entdecke,kommt sie weg, weil ich darin im Sinne meines Gestaltungsinteresses eine Ablenkungsehen würde. Im Unterschied dazu lebten die Arbeiten in der Zeit, wo ich sogenanntepolitische Arbeiten gemacht habe, in hohem Maße von den Titeln als Inhaltsangabe.Man spricht von der Einsamkeit des Künstlers, die auch notwendig ist. Gerade Ihr Künstlerdaseinjedoch zeigt, dass Sie immer wieder den Austausch mit anderen suchen. In IhreProjekte, wie im Tal, beziehen Sie Künstlerkollegen ein. Sie haben deutlich den Weg in dieÖffentlichkeit gewählt. In welchem Verhältnis stehen Ihr Bedürfnis nach Rückzug und derAustausch mit anderen Künstlern?Ich glaube, man kann verallgemeinernd sagen, dass es in jedem von uns ein Grundbedürfnisgibt, alleine zu sein. Und nicht, wie es das zoon politikon zum Ausdruck bringt,mit dem Postulat als Frage: In welcher Weise wirkt der Einzelne in seiner Privatheit in denöffentlichen Raum? Und oft gilt, dass der, der in der größten Öffentlichkeit unentwegtpräsent ist, vielleicht der einsamste Mensch ist. Und um diese Einsamkeit auszuhalten,braucht er wiederum diese Öffentlichkeit. Wenn Sie mich so direkt fragen, ich bilde mirein, dass ich in hohem Maße alleinig bin, mit dem Glück, eine Familie zu haben, die immergrößer wird, wobei wir aber Wert darauf gelegt haben, dass in dieser Gemeinsamkeit,ähnlich wie in den sich addierenden Werkgruppen, ein jeder in der Familie seineAutonomie leben kann.In seinem geschützten Raum. Man fühlt in Ihrer Familie, in Ihrem Haus, dass es diesegeschützten Räume gibt und sich jeder auf seine Weise entfalten kann.Ja, sich zurückziehen kann. Wenn man lebenslänglich mit Künstlerkollegen zu tunhat, gibt es erfreulicherweise die unterschiedlichsten Menschen mit den unterschiedlichstenAntworten auf dieses Grundproblem. Und wenn es in meiner Biographie immerwieder Beispiele gibt, dass ich mich mit Kollegen umgebe oder mich achtend mit demWerk anderer auseinandersetze, entspricht das einem Grundbedürfnis in mir. Mich interessierenin einem größeren Zusammenhang, sagen wir Gesellschaft, die Summe von Einzelwesen,einzelnen Autonomien, mit denen etwas entsteht, was sonst nicht entstehenwürde. In der Anlage im Tal tragen alle dazu bei, dass da etwas entsteht, das vielleichtan meinen Namen gebunden ist, sich aber neutralisiert. Schließlich bin ich einer der38 Künstler, der sich ins Verhältnis zur Natur setzt. Auf einen Aspekt will ich hinweisen,der mir insbesondere durch den schon erwähnten Vetter stärker bewusst wurde. DieserVetter aus der mütterlichen Linie ist nicht nur der größte Fleischfilialist in Deutschland,sondern auch ein bedeutender Taubenzüchter (vgl. »Tauben im Tal« 22 ). Er meinte, alsich von der Gleichzeitigkeit sprach, 1986 die Anlage im Tal begonnen und AcquavivaPicena entdeckt zu haben, das sei wie bei den Tauben. Sie seien die sesshaftesten Tiere,kämen am schnellsten in ihren Schlag zurück. Nähe und Ferne ist auch im Tal ein wesentlicherAspekt.Altes Schulhaus, Atelier, 1984Landschaft von HasselbachWie kann man sich Ihr Künstlerleben vorstellen? Bei der Fülle Ihrer Tätigkeiten müssenSie eine große Disziplin haben. Sie müssen Ihre Zeit sehr strukturieren, um zu bewältigen,was Sie bewältigen.Jeder Mensch braucht eine Disziplin, damit er möglichst viele Freiheiten hat.Wie sieht Ihr Tagesablauf aus?Bei mir gibt es keine Unterscheidung zwischen Freizeit und Arbeitszeit. Weil ich michjederzeit mir sehr nahe fühle. So fahre ich auch nicht nach Italien in Urlaub, sondern ichwechsele den Standort. Und weil ich dort die Möglichkeit habe, in einem hohen Maßeanders zu leben, gibt es sicherlich auch einen Erholungswert im Sinne einer Freizeit. Aberich arbeite dort.Wohnhaus des Künstlers (altes Schulhaus)und Haus für die Kunst (Architekt: Georg A.Schütz), Hasselbach, 12. Oktober 2003Was bedeuten Ihnen diese beiden Lebensorte, Hasselbach, wo Sie seit 1975 in einemalten Schulhaus leben, und Acquaviva Picena, seit 1986? Was macht den 'Standortwechsel'so wichtig? Über die Tatsache hinaus, dass Skulpturen in Hasselbach entstehen,Papierarbeiten in Acquaviva Picena.Wir haben das Glück der zwei Orte, an denen wir uns eine Antwort geben könnenauf das, was uns vorgeschwebt hat. Um das in Hasselbach zu erreichen, war der Aufwandimmens, und wir können heute sagen, das ist eine wunderbare Insel, die für alle zugänglichist. Wir haben viel tun müssen, um uns dort hin und wieder zurückzuziehen. Oder:
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Für die Geschwister Scholl, 1994»
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114im Teehaus, 1994Holz350 x 50 x 5
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