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Ausgabe 1/2004 - Lagergemeinschaft Auschwitz

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<strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>er 13Thomas Henne zur juristischen Aufarbeitung des HolocaustGegen den Konsens des SchweigensDer Schock von 1945 und die Fragenach der Schuld führten zum Strafrichter,nicht etwa zur „Wahrheitskommission“.Doch die NürnbergerProzesse galten den Deutschen weithinals Siegerjustiz, und bei den Nachfolgeprozessenversandete das Interesseschnell. Die formalistischenEntnazifizierungsverfahren erzeugteneine „Mitläuferfabrik“ - eine Flut von„Persilscheinen“ schuf Entschuldigungenund hielt die Justiz außen vor.Zwar gab es bis 1949 knapp 4500Verurteilungen wegen Taten im „DrittenReich“, doch meist ohne Bezugzum Holocaust. Nach dem Rückzugder Alliierten aus den Prozessen schienes für viele an der Zeit,„den Mantel desVergessens über das Dunkel der hinteruns liegenden Zeit zu breiten“, wie derRechtsprofessor Herbert Kraus 1950forderte. Eine „Gnadenlobby“ konnteeine Begnadigungswelle erreichen.Die 50er Jahre waren vom Konsensdes Schweigens geprägt.Außerhalb dessenstand nur, wer seine Beteiligung amAntisemitismus der NS-Zeit offensivherunterspielte.Dies taten aber nur wenige,wie Veit Harlan. Der NS-Starregisseur(...) wurde 1949 und 1950 angeklagt- und freigesprochen. Wer aber,wie der NS-RassegesetzkommentatorGlobke über seine (Un-)Taten schwieg,konnte führende Ämter übernehmen,ohne sich vor Gericht verantworten zumüssen. Ein bleiernes Schweigen.Erst Ende der 50er rückte der Holocaustins Blickfeld der Strafjustiz.Endlich koordinierte eine Zentralstellein Ludwigsburg die Ermittlungen,und dank der Berichterstattung überden Ulmer Einsatzgruppenprozess(1958) setzte sich die Öffentlichkeiterstmals mit dem Mord an Juden auseinander.Eine durchaus eigennützigeDDR-Kampagne gegen westdeutsche„NS-Blutrichter“ ließ die Fassade vonder im Wesentlichen „sauber“ gebliebenenJustiz bröckeln; (...)Es war Fritz Bauer, der die Initiativezur bislang größten bundesdeutschenSelbstaufklärung ergriff.Mit dem<strong>Auschwitz</strong>-Prozess nahm die Öffentlichkeitdie Schuld von KZ-Tätern erstmalsumfassend wahr. Allerdings musstedie Erweiterung der Perspektive aufMitläufer und Opfer noch warten. Diein den späten 60ern dominierenden Faschismustheorienrückten die konkretenTäter aus dem Blick.Und das Strafrecht,das auf individuelle Schuld, nichtauf arbeitsteilige Massenverbrechenausgerichtet ist, beschränkte die Möglichkeitender juristischen Aufarbeitung.Die „Wahrheit“ des Richters istreduktionistisch, an der Strafprozessordnungorientiert, der Historiker hingegen„sagt seine Meinung und gehtvon dannen“ (Michael Stolleis).Die Debatten über die Verjährungder NS-Mordtaten in den 60er Jahrenwurden nicht zum Auftakt umfassenderstrafrechtlicher Ahndung. (...) 1968 wardas Jahrzehnt der Prozesse vorbei, die„biologische Lösung“ begann: Die Täterblieben mehr und mehr unbehelligtbis an ihr Lebensende (...) So bleibt der<strong>Auschwitz</strong>-Prozess die wichtigste Interventionder Justiz zur Vergangenheitspolitik.aus: Frankfurter Rundschau, 24.3.<strong>2004</strong>

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