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Ausgabe 1/2004 - Lagergemeinschaft Auschwitz

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<strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>er 33großes Geschäft war. Doch das istnicht alles, denn mit Hilfe kleinerEinträge lassen sich Lebensumständerekonstruieren, die den Autor immerwieder ein kleines Stück weiter bringen- wenngleich er es manchmal mitseinen Interpretationen übertreibt.Aus dem fehlerhaften Eintrag einesBeamten etwa, der zunächst „Sohn“auf die Vermögenserklärung von MarionSamuel geschrieben und es danndurch „Tochter“ ersetzt hatte, schließtder Historiker: „Marion Samuelmochte also einen knabenhaften Eindruckerweckt haben.“ Weder die wenigenFotos, die Aly ermittelt hat, legendas nahe, noch auch die Situationin einem Berliner Durchgangslagervor der Deportation.Die nächsten noch lebenden Verwandten,mit denen Aly in Kontakttreten konnte, waren ein Cousin undeine Cousine von Marion Samuel: Eswar wenig, was sie noch von der Familieerzählen konnten, sie waren zujung und die Zeiten zu schlimm, umsich noch konkret an das eine oder anderein Zusammenhang mit Marionerinnern zu können.Auch untereinanderhatten sie jahrzehntelang keinenKontakt. Es gehört zu den anrührendstenSzenen des Buches, wenn Aly imVorwort schildert, wie die beiden - dereine in Amerika lebend, die andere inDeutschland - erstmals wieder am Telefonmiteinander sprachen, angeregtdurch den deutschen Historiker, undbeide in unterschiedlichen Sprachen.Aly nimmt die wenigen Puzzlestückeauf, macht sie zum Ausgangspunktneuer Fragen und Suchstrategienund setzt sein Mosaik, das bis zumSchluss ein grobes Fragment bleibenmuss, zusammen. Wo er nicht auf Erzählungenoder Dokumente zurückgreifenkann, die sich direkt mit Marionund ihrer Familie beschäftigen,bindet er Erinnerungen von Zeitzeugenein, die zur gleichen Zeit am gleichenOrt oder mindestens in der Nähewaren: Das Bild rundet sich, ohne vorzugeben,es sei vollständig. Immerwieder thematisiert der Bericht selbst,wo seine Grenzen liegen. In mehrfacherHinsicht im Zentrum steht dabeiein Albtraum Marions, den sie einmaleiner Mitschülerin weinend erzählte -und der gleichsam das Verschwindender Menschen und ihrer Geschichtenthematisiert: „Da gehen Menschendurch einen Tunnel im Berg u. da istauf dem Weg ein großes Loch und allewerden reinfallen und sind weg.“Das Buch ist als Ganzes - auch mitden vielen reproduzierten Dokumenten- beeindruckend; wollte man kritisieren,könnte man das allenfalls beider Sprache tun: Man wird den Eindrucknicht los, dass Aly seiner eigenenForm - der Reportage - nichtrecht über den Weg traut. Er bemühtsich zu oft um einen sachlichen, unemotionalenTon. Das aber macht dieReportage aus: Sie darf den Reporterauch als Subjekt thematisieren. Angstvor historischer Ungenauigkeit oderdem allzu akademischen Vorwurf derUnwissenschaftlichkeit braucht ein sosolider Historiker wie Aly wahrlichnicht zu haben.Götz Aly: Im Tunnel. Das kurzeLeben der Marion Samuel 1931-1943.Frankfurt: Fischer <strong>2004</strong>. ISBN 3-596-16364-1, 7,90 Euro.Dr. Sascha Feuchert ist stellvertretenderLeiter der Arbeitsstelle Holocaustliteraturan der Justus-Liebig-Universität Gießen

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