8 <strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>erAusstellung zum ersten Frankfurter <strong>Auschwitz</strong>-Prozess 1963 - 1965Aktenzeichen 4 Ks 2 / 63„Was war <strong>Auschwitz</strong>? Eine Nebelwandvon ungewissem Grauen. Werwaren die Verbrecher? Andere. Tote.Führer.So war es bis zu jenem Prozess,dessen Namen einen Hauptort der nationalsozialistischenVernichtung bezeichnet“,schrieb in der FrankfurterAllgemeinen Zeitung (27.3.<strong>2004</strong>)Michael Jeismann hinsichtlich derAusstellung, mit der das Fritz-Bauer-Institut (FBI) vom 28.März bis 23.Maidieses Jahres an den 40 Jahre zurückliegendenFrankfurter <strong>Auschwitz</strong>-Prozesserinnerte - und zwar am historischenVerhandlungsort im BürgerhausGallus, das seinerzeit eigens für diesenProzess gebaut worden war. (Derzeitlaufen Verhandlungen, inwiefern dieAusstellung in absehbarer Zeit auchin Berlin gezeigt werden kann.)22 Angeklagte hatten sich unterdem gerichtsinternen Aktenzeichen„4 Ks 2 / 63“ in dem Prozess von 1963bis 1965 zu verantworten. Bis zurSchließung der Beweisaufnahmewurden 357 Zeugen angehört, darunter211 überlebende Häftlinge desKonzentrations- und Vernichtungslagers<strong>Auschwitz</strong>. Der Prozess war zumdamaligen Zeitpunkt nicht nur dasgrößte Schwurgerichtsverfahren inder deutschen Justizgeschichte, sondernauch das erste, „in dem dasganze Ausmaß des Völkermordes anJuden, Sinti, Roma, Polen und russischenKriegsgefangenen öffentlichgemacht wurde“, wie Irmtrud Wojakvom Fritz-Bauer-Institut es zusammenfasste.Immer wieder war voneinflussreicher Seite zuvor versuchtPorträts von <strong>Auschwitz</strong>-Überlebenden, die im Prozess als Zeugen aussagten.
<strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>er 9worden, höchstenfalls über Einzelaspekteder Verbrechen in <strong>Auschwitz</strong> zuverhandeln. Mit dem Prozess „erhieltendie ,ganz normalen Männer’, diein der Todesfabrik <strong>Auschwitz</strong> töteten,ein Gesicht, eine bürgerliche Existenz,eine Adresse. Aus ungreifbargewordenen Figuren des Grauenswurden Personen, die sich zu verantwortenhatten“, bringt es Jeismannauf den Punkt.Der Prozessund die bundesdeutsche GesellschaftZu der kleinen Gruppe, die sichdamals um die Betreuung der Zeugenkümmerte, gehörte auch Peter Kalb,der heute bei der GeschichtswerkstattBensheim arbeitet. In einer Reportagedes Hessischen Rundfunks anlässlichder Ausstellung beschrieb er, welcheBedeutung der Prozess für ihnhatte: „Mir ist klar geworden, was mitdem Wort Zivilisationsbruch gemeintist. Mir ist klar geworden in dem Prozess,das waren nicht sozusagen normaleVerbrechen, sondern es war einganzer Staat, mein Staat, in dem ichaufgewachsen bin, in dem ich dieSprache erlernt habe, der von Staatswegen die industrielle Ermordung derJuden nicht nur geplant, sondern auchdurchgeführt hat. Und das finde ichdas Prägendste und Einschneidendste,wenn man sich das klar macht.“Mit dieser Ansicht gehörte PeterKalb jedoch zu einer eindeutigenMinderheit. Die Mehrheitsmeinungspiegelte sich vielmehr exemplarischdarin wieder, dass die deutschen Polizistenwährend der Sitzungspausenvor den angeklagten früheren SS-Chargen salutierten, ihnen also „in allerUnbefangenheit“, wie FBI-DirektorMicha Brumlik schrieb, „den militärischenGruß entboten“.Mit dem vom hessischen GeneralstaatsanwaltFritz Bauer gegen vieleWiderstände durchgesetzten Prozessbegann dann aber doch „die eigentlichePhase öffentlicher ’Aufarbeitungder Vergangenheit’“. Zurzeit des Prozessesselbst, war den meisten Deutschender Gedanke fremd, „dass massenhafterMord als ein Verbrechen undnicht nur als Nebenfolge des grausamenKrieges an der Ostfront zu betrachtensei“. (Brumlik im Geleitwortdes exzellenten Ausstellungskataloges.*)Selbst die Legitimität des Widerstandsvom 20. Juli 1944 wurde in denersten beiden Jahrzehnten der Bundesrepublikin Zweifel gezogen - und zwarauch von hohen Repräsentanten desAdenauerstaates, wie Brumlik am Beispielvon Hermann Weinkauff, des von1950 bis 1960 amtierenden Präsidentendes Bundesgerichtshofes, verdeutlicht.Dieser hohe Richter mit eindeutigerVergangenheit - er war bereits 1933 indie NSDAP eingetreten, wurde spätermit deren „Treuedienst-Ehrenzeichen“belobigt und war von 1937 bis 1945 amReichsgericht tätig - schloss zwar einallgemeines Widerstandsrecht nichtvöllig aus, behauptete jedoch ein „Vorrangprinzip“insofern, als zunächst den* <strong>Auschwitz</strong>-Prozeß 4 Ks 2/63 Frankfurt am Main. Herausgegeben von Irmtrud Wojak imAuftrag des Fritz Bauer Instituts. Snoeck, Köln <strong>2004</strong>, ISBN 3-936859-08-6. Euro 49,80.Der mehr als 800 Seiten starke Band sei selbst als „ein Monument für die Überlebenden von<strong>Auschwitz</strong> und die ermittelnden Staatsanwälte“ anzusehen, lobt Jeismann in der FAZ.