16 <strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>erVor zehn Jahren produzierte die Journalistin und Autorin Monika Held, seit Jahrenauch Mitglied unseres Vereins, in Erinnerung des damals 30 Jahre zurückliegenden<strong>Auschwitz</strong>-Prozesses einen Hörfunkbeitrag für den Hessischen Rundfunk.An dem Gespräch nahmen teil der ehemalige KZ-Häftling Hermann Reineck,derals Zeuge aussagte, seine spätere Frau Anni Roßmann-Reineck, die als Zuschauerinoft im Gerichtssaal war, die Zeugenbetreuerin Ulla Wirth, die RechtsanwälteFritz Steinacker, einer der Verteidiger, und Christian Raabe, einer der Nebenklage-Vertreter,sowieals Prozessbeobachter Ignatz Bubis und die PsychotherapeutinRose Rogosaroff.In dem Gespräch werden so aus verschiedenen Perspektiven Gesichtspunkteangesprochen, die auch heute noch von Bedeutung sind.Aus einem Hörspiel von Monika Held (Hessischer Rundfunk 1994)Stimmen zum <strong>Auschwitz</strong>prozessAnni Reineck: Mein Sohn hat damalseine Lehre gemacht und kamdann eines Tages nach Hause und sagt:„Ich geh morgen zu dem <strong>Auschwitz</strong>-Prozess.“ Und der Prozess fand damalsnoch im Römer statt. Manbrauchte Eintrittskarten, was die Jugendlichenbekamen. Ich war damalskrankgeschrieben, ich hatte ein Gipskorsett.Und er sagt dann eines Tages:„Ich kann nicht immer hingehen, dubist doch jetzt krankgeschrieben, dukönntest eigentlich gehen!“ Irgendwiehab ich Bammel gehabt, andererseitsüberwog auch die Neugierde. Dasheißt: Neugierde ist nicht das richtigeWort. Es war Mehr-Wissen-Wollen.Na ja, es lag noch ne ganze Nachtdazwischen. Und ich hab mir am nächstenTag überlegt: „Soll ich oder sollich nicht?“ Und da hab ich mir gesagt:„Gehst hin!“Das Ganze war so neu, so vollerEindrücke. Man hat in der Pause zusammengestanden,und eigenartigerweisewaren die Zuhörer sich dann garnicht mehr so fremd. Alle waren erschüttertüber das, was man da hörte.Die Zuhörer - erschrocken,erschüttert.Und die Angeklagten -sehr munter,sehr lebhaft.Waren sehr selbstbewusst,von Scham oder Reue gar keine Spur.Wirth: Ich saß also in einem Wartezimmereines Zahnarztes und las „DieWelt“, die ich sonst nie lese; und plötzlichmachte ein kleiner Abschnitt michaufmerksam, in dem stand: Es ist gut,dass in Frankfurt jetzt die Organisation„internationes“ entstanden ist, in derjunge Leute sich um die VIPs und sonstigeAusländer, die nach Frankfurtkommen und hier ratlos sind, dass diesich um sie kümmern.Der nächste Satzwar: „Aber es kommen auch Menschennach Frankfurt,um die kümmertsich niemand.Und das sind die Zeugendes <strong>Auschwitz</strong>prozesses.“ Und da hates bei mir geklickt.Infolge meiner Vergangenheitals Anti-Nazi und lebendin einem Kreis, in dem Menschen entwederumgebracht wurden von denNazis oder emigrieren mussten odersich selbst getötet hatten, war für michdie Bereitschaft, da nachzuhaken sehrintensiv. Ich rief den OberstaatsanwaltDr. Bauer an: Ob irgend jemand sichum diese Menschen kümmert,denn ich
<strong>Lagergemeinschaft</strong> <strong>Auschwitz</strong> - Freundeskreis der <strong>Auschwitz</strong>er 17wusste ja, wie ihnen zumute ist, wennsie hier als Zeugen auftreten müssen.Bei dem Telefonat erschrak er offensichtlich.Als ich ihn fragte: „Ist dennkein Mensch, der sich um diese Menschenkümmert, die jüdische Gemeinde,oder die katholische Kirehe, oderdie evangelische Kirche, oder die StadtFrankfurt oder das Rote Kreuz?“ Woraufhiner antwortete: „Ich muss Ihnengestehen, das tut niemand. Aber ichwürde mich freuen, wenn Sie sich entschließenkönnten, da etwas zu tun.“Es entstand auf diese Weise einekleine Organisation von fünf Frauen,die zum Teil selber irgendwie verfolgtgewesen waren.Wir haben uns mit demdamaligen Leiter des Roten Kreuzeszusammengesetzt und haben einenUlla Wirth mit dem Zeugen Józef Kral(Mai 1964). Foto: AusstellungskatalogBrief entworfen, in dem gesagt wurde,dass man sich freut in Deutschland,dassMenschen kommen und hier aussagen,um wieder Recht walten zu lassen.Die Reaktion war furchtbar verschieden.Ich habe eine Zeugin erlebt,die von einem Studenten ausgerufenwurde auf dem Flughafen, die sichnicht gemeldet hat, aus Angst: vielleichtsteht da ein SS-Mann und nimmtdich gleich wieder mit. So war die Vorstellung1964 noch in Israel von dem,was in Deutschland vor sich ging.Raabe: Na ja, ich bin 1934 geboren,ich war damals also neunundzwanzigJahre, machte hier mein zweites Staatsexamenund bin dann am 1. Julei 1963als angestellter Anwalt in das Büro desRechtsanwalts Henry Ormond eingetreten.UndRechtsanwalt Ormond hatte,wie ich meine, in enger Zusammenarbeitmit dem großen GeneralstaatsanwaltDr. Fritz Bauer sehr wesentlichenAnteil an der Vorbereitungdes ersten <strong>Auschwitz</strong>-Prozesses. Er waralso praktisch der Anwalt dieser Nebenkläger,die aus der ganzen Welt kamen.Steinacker: Ja, wie kommt man dadran? Wenn mein verstorbener SeniorpartnerLaternser nicht ein bereits sobekannter Anwalt gewesen wäre ...Herr Laternser war, durch seine Tätigkeitin den so genannten NürnbergerProzessen, wo er den Generalstab unddas OKW verteidigte - als Organisationwaren die angeklagt - war er schon einbekannter Mann, genauso wie übrigensHerr Schmidt-Leichner. Herr Schmidt-Leichner war damals auch als Assistenzverteidigerin Nürnberg tätig.Und