R U - beim Bistum Mainz
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RELIGIONSUNTERRICHTheute 03-04/2005<br />
werden.“ In der Didaktik gilt das gleiche: Ein unmittelbar Globales<br />
und Universales, das nicht zuerst durch das Besondere vermittelt<br />
ist, bleibt bildungstheoretisch ohne Sinn. Im Physikunterricht<br />
geht der Formulierung des Gesetzes vom freien Fall<br />
selbstverständlich das Experiment voraus.<br />
Vom religiösen Lernen gilt ähnliches. Religiöses Lernen gelingt<br />
nur in realer Religion. Das heißt: In einer Religion, die einen<br />
eigenen „Dialekt“, eine besondere Zeichenwelt, eine eigene Lehre,<br />
eine gewachsene Kultur und Gemeinschaft hat. Das heißt:<br />
Sie muss sichtbare, praktizierbare „Institution“ sein. Reales, lernbares<br />
Christentum ist dort, wo auf bestimmte Weise Sakramente<br />
praktiziert, Gottesdienst gefeiert, das Evangelium gepredigt,<br />
Caritas geübt, Gebetsformen tradiert werden: in einer konkreten<br />
Gemeinde neben anderen, in einer konfessionellen Kirche<br />
neben anderen. In die Zugehörigkeit zur Catholica führt kein<br />
anderer Weg. Auch in die Zivilreligion oder in eine Schulreligion<br />
führt nur eine konkrete Praxis von Religion. Beide bekommen,<br />
wenn sie anschaulich, also erfahrbar werden sollen,<br />
notwendig so etwas wie einen „quasikonfessionellen“ Charakter.<br />
„Konfessionell“ neutral sind sie beide nicht. Insbesondere<br />
gilt dies dann, wenn der Religionsunterricht im Dienst gesellschaftlicher<br />
Wertevermittlung fungieren soll.<br />
3. Argumentationslinie: Gnadentheologie<br />
Wenn davon ausgegangen werden darf, dass die Bildungstheorie<br />
besonders auf die Selbsttätigkeit des Heranwachsenden zielt,<br />
sie also den Bildungsprozess kommunikativ begreift, dann wird<br />
eine Theologie, die dem Gespräch mit der Bildungstheorie gewachsen<br />
sein will, ebenso die „Selbsttätigkeit“ des Glaubenden<br />
im Blick haben müssen. Beides muss als zusammengehörig erfahren<br />
werden: das kategorial begegnende Evangelium und die<br />
Gnade, dieses vernehmen und bejahen zu können. So hat Karl<br />
Rahner seine Theologie betrieben.<br />
Die wenigstens gelegentlich auch ausdrücklich gemachte Mitte<br />
des religionsunterrichtlichen Inhalts ist das Evangelium von Jesus<br />
Christus. Sie beinhaltet eine Auffassung der Wirklichkeit im<br />
Ganzen: die Behauptung ihrer eschatologischen Bestimmtheit.<br />
Das heißt: Die Wirklichkeit steht in jedem Detail in Gottes<br />
unverbrüchlichem und umfassendem Heilswillen. Jesus ist dessen<br />
Bürge und authentischer Zeuge.<br />
Worauf spricht nun dieser Inhalt des Religionsunterrichts die<br />
Schüler und Schülerinnen an? Bei aller rationalen Argumentation,<br />
die im Unterricht natürlich ihren Ort hat, will der<br />
12<br />
Religionsunterricht auf einer Ebene ansprechen, die tiefer liegt<br />
als eine bloß rationale Einsicht, nämlich auf der Ebene des Vertrauens,<br />
etwas abgekürzt: des Glaubens. Bei aller Zuversicht, das<br />
Leben meistern zu können, wozu auch der Religionsunterricht<br />
ermutigen soll, muss er doch über alles Machbare und dessen<br />
Scheitern hinaus weisen in eine Zukunft, die nicht in unserer<br />
Hand liegt, die Gegenstand der Hoffnung ist. Bei aller Selbstbehauptung,<br />
die ein junger Mensch zu erlernen hat, spricht der<br />
Inhalt des Religionsunterrichts auf den Mut an, auf Kosten der<br />
eigenen Selbstbehauptung dem anderen bei sich Raum zu verschaffen,<br />
sich für ihn verletzbar zu machen, das heißt zu lieben.<br />
Das Evangelium als Inhalt des Religionsunterrichts spricht in<br />
dieser radikalen Gegend der Existenz an. Dort ist es vernehmbar<br />
als Liebeserklärung, als ein weitreichendes und weittragendes<br />
Angesprochensein von Gottes Liebe. Die Gegend, in die hinein<br />
der Zuspruch reicht, ist durchaus einer Erfahrung zugänglich.<br />
Der Zuspruch kann zum Beispiel in einem inneren Konflikt erfahren,<br />
eingesehen und gespürt werden. Die Unzulänglichkeit<br />
von Rationalität, Machbarkeit und Selbstbehauptung wird von<br />
dieser Liebeserklärung untergriffen. Von hier aus entfaltet sich<br />
die bildende Kraft des Evangeliums.<br />
Dieses Angesprochensein vom Evangelium im Unterricht vollzieht<br />
sich aber nicht auf eine abstrakte und bloß innerliche Weise.<br />
Sondern eine konkrete Existenz trifft auf eine konkrete Existenz,<br />
ein Lehrer trifft auf einen Schüler, auf eine Schülerin und<br />
auch umgekehrt. Es wird erzählt, überliefert, bekannt, bezeugt,<br />
verbürgt. Beide sind geprägt von einer Biographie. Sie haben beide<br />
eine eigene Zugehörigkeit zu familiären, politischen, kulturellen,<br />
sprachlichen Kommunitäten. Vielleicht gehören sie aber auch<br />
zu einer Gemeinde, zu einer Kirche, die Gottesdienst feiert und<br />
in die Pflicht nimmt. In ihrem Bekenntnis verantwortet die Kirche<br />
das Evangelium. Die Kirche ist konfessionelle Gestalt des<br />
Evangeliums. In dieser konfessionellen Konkretheit gewinnt das<br />
Evangelium auch im Religionsunterricht seine bildende Kraft.<br />
So fördert der Religionsunterricht unter anderem Identität, Zugehörigkeit,<br />
Verantwortung und Solidarität. Er nährt sich eigentlich<br />
aus dem Evangelium von Jesus Christus.<br />
In dem Dokument „Die bildende Kraft des Religionsunterrichts“<br />
spiegeln sich natürlich unterschiedliche Handschriften, Sprachen,<br />
Temperamente und Denkstile. Einige Abschnitte haben durchaus<br />
eigene Profile, die gelegentliche in Spannung zueinander treten.<br />
Aber man wird wohl kaum die hier skizzierte Linie aus dem<br />
Auge verlieren oder ihre Dominante überhören können.