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Wege ins Unsichtbare

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1856<br />

Berlin, im Januar<br />

Die Reisenden im Zug von Leipzig nach Berlin schlottern. Ein<br />

eisiger Wind zieht durch den Wagen, die Fensterscheiben klappern.<br />

Jean hat sich tief in seinen Mantel verkrochen, die Mütze in die Stirn,<br />

die Hände in die Mantelärmel gezogen. Die Winterlandschaft vor<br />

den Fenstern ist wenig ansprechend. Eigentlich ist sie nur langweilig.<br />

Eine Ebene ohne Akzente. Ein Mitreisender nannte sie eben<br />

noch ‚monumental’! Schon wieder einer, der keine Ahnung von<br />

den Schweizer Bergen hat! Jean schmunzelt schläfrig in sich hinein.<br />

Der Reiseproviant, den ihm ein Bündner in Leipzig zugesteckt<br />

hat, ist gegessen. Jetzt, im Winter, ist er froh, dass er mit der Eisenbahn<br />

reisen kann. Früher musste man sich die Füsse wund laufen.<br />

So hat er Zeit seinen Gedanken nachzuhängen. Die Eindrücke der<br />

letzten Monate häufen sich. Wie kann man nur so viel erleben! Der<br />

Abschied von Wien Ende November, danach Prag, Dresden, Leipzig.<br />

Nicht nur Wissenschaftliches wurde geerntet, auch Theater,<br />

Kunstsammlungen und Feste aller Art konnte er besuchen. Überall<br />

hat er Berufskollegen aus der Schweiz kennengelernt, auch sie auf<br />

Studienreise. Jean ist tief befriedigt.<br />

In Berlin will er nun die Augenklinik von Professor Graefe besuchen,<br />

ein Empfehlungsschreiben von Zürich hat er bei sich. Graefe<br />

soll graziöse Staroperationen durchführen, man hat ihm einiges<br />

vorgeschwärmt. Auch die chirurgische Klinik von Langenbeck und<br />

Jüngken will er sich nicht entgehen lassen. Wie sie wohl die Narkose<br />

handhaben? Jean hofft, seinem Vater diesbezüglich Neuigkeiten<br />

nach Hause bringen zu können. So wild wie bei den väterlichen<br />

Operationen im heimatlichen Weinland scheint es in den deutschen<br />

Kliniken nicht zu und her zu gehen. Das stimmt ihn zuversichtlich.<br />

Aber warum?<br />

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