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Wege ins Unsichtbare

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Jetzt steht Johann auf und schiebt seinen Stuhl unter den Tisch.<br />

„Ich gehe nun wieder, haltet mir für den Abend etwas Warmes<br />

bereit.“<br />

Flüchtig berührt er die Schulter Lisebeths, dann verlässt er die<br />

Stube. Ich ertrage jetzt keine Tränen, denkt er.<br />

Auf dem Weg hinauf nach Berg kommt ihm die Geschichte mit<br />

Semmelweis wieder in den Sinn. Jean hat ihm ausführlich davon<br />

geschrieben. Und wenn es tatsächlich so ist, dass wir Menschen die<br />

Krankheit bewirken, nicht Gott?<br />

Er bleibt stehen. Der Gedanke ist unheimlich. Fremd. Die Krankheit<br />

wandert. Tatsächlich, sie wandert, wie ich. Aber wenn sie kein<br />

Geist oder Tier ist, muss es ein Gefährt geben, das sie befördert.<br />

Vielleicht hat Semmelweis etwas Richtiges erkannt? Aber all das ist<br />

unsichtbar! Warum sehen wir nicht, was da sein muss? Warum hat<br />

Gott uns keine Augen gegeben, die fähig sind, das Übel zu sehen?<br />

Kann das die Weltordnung sein? Und wenn ja, was will er damit<br />

bezwecken?<br />

Nein. Es ist sinnlos. Es kann nicht sein. Es hat wirklich keinen<br />

Sinn.<br />

Und doch: wenn ich selbst das Gefährt bin, das die Krankheit<br />

befördert? Ich, als Arzt?<br />

Jetzt wird ihm heiss. Wenn Semmelweis recht hat ... er lockert den<br />

Schal. Beissend kalt greift die Luft nach seinem Hals. Die Hände!<br />

Wenn meine Hände die Krankheit befördern, wider meinen Willen?<br />

Er muss handeln. Er fasst einen Entschluss. Man wird ihn einmal<br />

mehr als Narren bemitleiden in allen We<strong>ins</strong>tuben des Tales!<br />

Aber jetzt fühlt er sich besser. Sein Schritt wird kraftvoll, geradezu<br />

grimmig. Gleich erreicht er die Riegelhäuser von Berg. Bei den<br />

Wirtsleuten wird er als Erstes vorbeischauen. Er wird nach jedem<br />

Krankenbesuch seine Hände waschen. Wie Semmelweis empfahl.<br />

Wenn er auch über keinen Chlorkalk verfügt, so sollen es Wasser<br />

und Seife sein. Familie Kuhn wird ihn belustigt anschauen. Seife<br />

und Wasser? Wenn es nur hilft!<br />

Am andern Tag muss die ganze Hausgeme<strong>ins</strong>chaft einzeln im<br />

Studierzimmer sich untersuchen lassen. Zuerst die Familie: auch<br />

Christine muss die Haube abnehmen und sich den Kopf betasten<br />

lassen. Nein, es tut nicht weh. Dann die sieben Hauspatienten.<br />

Gruber, der Manische, droht gewalttätig zu werden, sie müssen ihn<br />

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