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Wege ins Unsichtbare

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sowieso zu spät sein. Ich geh nach unten und lege Verbandszeug<br />

und Salben bereit, vielleicht braucht man mich noch.“<br />

Lisebeth bleibt alleine zurück. Sie zittert. Sie erträgt diese Aufregungen<br />

nicht mehr. „Jean, komm zurück, wir brauchen dich!“<br />

betet sie innerlich.<br />

Er kommt. Am anderen Tag. Unangemeldet. Kommt während<br />

des Mittagessens einfach herein spaziert und erntet einen fröhlichen<br />

Aufruhr.<br />

Nach dem Essen nimmt Lisebeth ihre Stricknadeln zur Hand.<br />

Wenn Mann und Sohn miteinander Berufliches austauschen, will<br />

sie dabei sein. Sie ahnt, dass wichtige Entscheidungen anstehen,<br />

und ist besorgt.<br />

Die Männer sitzen sich gegenüber. Der Vater, ein kräftiger, aber<br />

eher gedrungener Mann, dessen wilder Haarschopf längst einer<br />

Glatze gewichen ist, sein Pfeifchen steckt im graumelierten Bart,<br />

und er nimmt es nur aus dem Mundwinkel, wenn er unbedingt verstanden<br />

werden will. Der Sohn, um einiges grösser und mit seinen<br />

modischen Kleidern in der elterlichen Stube fast ein Fremdkörper,<br />

betrachtet den Älteren mit einer noch nie in dieser Art gefühlten<br />

Zärtlichkeit. Er hat seinem Vater ein kleines Paket bereitgelegt, das<br />

er ihm jetzt über den Tisch hinweg zuschiebt.<br />

„Ich habe dir etwas Besonderes mitgebracht, Papa.“ Jean beobachtet<br />

das Gesicht seines Vaters. Ein alter Mann. Mit einem Mal<br />

begreift er, dass sein Plan, sich für eine Weile in Basel niederzulassen,<br />

dem Vater missfallen wird. Er ist alt, er bräuchte Unterstützung.<br />

Unterdessen hat Johann sein Geschenk bedächtig ausgepackt<br />

und das Etui geöffnet. Schreibzeug hatte er erwartet, aber was ist<br />

denn das?<br />

„Da staunst du, nicht? Das ist ein neues Messgerät, das in Leipzig<br />

erfunden wurde von Professor Wunderlich. Er ist der Begründer<br />

der Kranken-Thermometrie. Das ist ein Fieberthermometer! Sie<br />

erstellen in Leipzig Fieberkurven, du wirst sehen, wie wichtig es<br />

ist, in einem Krankenjournal den Verlauf des Fiebers zu verfolgen.“<br />

Johann schaut seinen Sohn fassungslos an. „Man misst das Fieber<br />

der Kranken? Wie die Raumtemperatur?“<br />

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