Ärzteblatt Oktober 2010 - Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern
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gung zu den eingreifenden Veränderungen im Gesundheitswesen<br />
führten, sicher ein manches Mal geholfen haben, mit den<br />
ungewohnten neuen Verhältnissen fertig zu werden. Die Offiziellen<br />
des entmachteten SED-Regimes hatten spätestens nach<br />
dem Februar 1990, in dem letztmalig eine spürbare Angst umging,<br />
alles Erreichte könnte wieder verloren gehen, ihren Einfluß<br />
verloren. Als ab März in Ost-Berlin eine demokratisch gewählte<br />
Regierung – beraten von runden Tischen – regierte,<br />
verstärkte sich der ohnehin schon rege Reiseverkehr zwischen<br />
<strong>Mecklenburg</strong> und Schleswig-Holstein, später auch Hamburg<br />
und ermöglichte viele Begegnungen zwischen Ärztinnen und<br />
Ärzten beider Seiten des durchlässig gewordenen „Eisernen<br />
Vorhanges“. Die Akademie der <strong>Ärztekammer</strong> Schleswig-Holstein<br />
öffnete alle ihre Fortbildungsveranstaltungen für die Kolleginnen<br />
und Kollegen aus dem im Umbruch befindlichen Nachbarland.<br />
Gut besuchte Veranstaltungen für Ärztinnen und Ärzte<br />
und medizinisches Fachpersonal, besonders die „Sprechstundenschwestern“,<br />
wurden in Bad Segeberg aber auch vor Ort<br />
durchgeführt. Vertreter der <strong>Ärztekammer</strong>, der Kassenärztlichen<br />
Vereinigung, der Gesundheitsämter, der ärztlichen Verbände u.<br />
a. m. waren in den drei Bezirken des späteren <strong>Mecklenburg</strong>-<br />
<strong>Vorpommern</strong> unterwegs, um mit Vorträgen das ungeheure<br />
Informationsbedürfnis zu befriedigen.<br />
Das war aber nur der Vorspann der Erfolgsgeschichte der <strong>Ärztekammer</strong><br />
<strong>Mecklenburg</strong>-<strong>Vorpommern</strong>. Im März 1990 begann eine<br />
neue Dimension des Miteinanders. Wegen der heute kaum noch<br />
glaubhaften Schwierigkeiten, mit dem Auto in angemessener<br />
Zeit von Rostock nach Bad Segeberg zu kommen, erhielt ich –<br />
immer unangemeldet, denn telefonieren war damals noch<br />
Glückssache – meistens nach 22.00 Uhr in Bad Segeberg Besuch<br />
von einem jungen Arzt aus Rostock, der sich in den Kopf gesetzt<br />
hatte, die <strong>Ärztekammer</strong> <strong>Mecklenburg</strong>-<strong>Vorpommern</strong> aufzubauen.<br />
Es handelte sich um den damals 34jährigen Assistenten an<br />
der Medizinischen Universitätsklinik Rostock Andreas Crusius. Er<br />
konnte erst so spät kommen, weil die Fahrt von Rostock nach<br />
Bad Segeberg eben auch am Abend auf den völlig verstopften<br />
Straßen leicht fünf Stunden dauerte. Die von ihm mitgebrachten<br />
Fragen wurden geklärt, Informationsmaterial mitgegeben und<br />
Veranstaltungen verabredet. Beeindruckend war die Dynamik<br />
von Crusius und seinem Team, aber auch der in den anderen<br />
beiden Bezirken aktiven Ärztinnen und Ärzte. Schon am 21. Februar<br />
waren in Schwerin unter Leitung von Henning Wiegels die<br />
Ärztevereinigung <strong>Mecklenburg</strong>-Schwerin, am 26. April unter<br />
Crusius die <strong>Ärztekammer</strong> Rostock e. V. und am 5. Mai 1990 unter<br />
Peter Krempien die Bezirksärztekammer Neubrandenburg gegründet<br />
worden. Den Beauftragten der drei Bezirksärztevertretungen<br />
gelang es, sich auf die Gründung einer gemeinsamen<br />
<strong>Ärztekammer</strong> für das in Entstehung befindliche Land <strong>Mecklenburg</strong>-<strong>Vorpommern</strong><br />
zu einigen – eine beachtliche Leistung, wenn<br />
man bedenkt, wie sehr sich doch die einzelnen Bezirke <strong>Mecklenburg</strong>-<strong>Vorpommern</strong>s<br />
schon „auseinandergelebt“ hatten und<br />
AUSGABE 10/<strong>2010</strong> 20. JAHRGANG<br />
AUS DER KAMMER<br />
durchaus in vielen Bereichen konkurrierten. Andreas Crusius<br />
schaffte es mit dem ihm eigenen Zielbewußtsein, aber auch einer<br />
erfrischenden Unkompliziertheit. Dabei halfen ihm sicher<br />
auch das Know-how und die Infrastruktur der <strong>Ärztekammer</strong><br />
Schleswig-Holstein, die ihm mit ihrer fachlich versierten Geschäftsführung<br />
und geeigneten Tagungsräumen und Unterbringungsmöglichkeiten<br />
zur Verfügung standen.<br />
Am 22. (bis 24.) Juni 1990 war es so weit. Etwa 50 Vertreter aus<br />
den drei nördlichen Bezirken der DDR trafen sich, um ihre künftige<br />
Landesärztekammer zu gründen. Hierfür bedurfte es zunächst<br />
einmal der Erarbeitung von Vorlagen für ein Kammergesetz,<br />
eine Weiterbildungsordnung und eine Wahlordnung.<br />
Diese wurden in mühsamer Kleinarbeit an Hand der als Muster<br />
vorliegenden Satzungen der <strong>Ärztekammer</strong>n Schleswig-Holstein,<br />
Bremen und Hamburg auf die damalige rechtliche Situation der<br />
DDR abgestimmt und ausformuliert. Nach der Konstituierung<br />
des Landes <strong>Mecklenburg</strong>-<strong>Vorpommern</strong> sollte das Land damit<br />
die Möglichkeit erhalten, unverzüglich die Errichtung einer selbständigen<br />
<strong>Ärztekammer</strong> als Körperschaft des öffentlichen<br />
Rechts in die Wege zu leiten. Schon das als Übergangslösung im<br />
Entwurf vorliegende DDR-Kammergesetz machte die Mitgliedschaft<br />
aller Ärztinnen und Ärzte in ihrer Kammer zur Pflicht, als<br />
Termin hierfür wurde der 1. Juli 1990 festgelegt. Für eine demokratische<br />
Legitimation der <strong>Ärztekammer</strong> waren Wahlen erforderlich.<br />
Auch hierfür wurde das Vorgehen beschlossen: Wahlvorschläge<br />
bis zum 31. Juli, Zusendung der Briefwahlunterlagen<br />
an die Mitglieder bis zum 31. August und Stimmabgabe bis zum<br />
14. September 1990. Bis es soweit war, mußte aber noch einiges<br />
geschehen, war noch viel Arbeit erforderlich, um die Briefwahlunterlagen<br />
verschicken zu können. Die Arbeiten erfolgten in<br />
Bad Segeberg, aber der Input mußte aus <strong>Mecklenburg</strong>-<strong>Vorpommern</strong><br />
kommen.<br />
Anke Lohse, Chirurgin in Rostock, war es nun, die die Verbindung<br />
zwischen der neugegründeten Rostocker Kammer – zunächst<br />
ohne Unterstützung durch hauptamtliches Personal –<br />
und den Helfern in Bad Segeberg aufrecht halten mußte. Sie<br />
hatte mit ihrer kühlen überlegten Art auch schnell die Schwächen<br />
unseres Kammersystems durchschaut: Lobbyismus, der<br />
stärker ist als Vernunft, Verwechselung von der Bewahrung alter<br />
Werte mit der Erhaltung von Privilegien, „Selbstlauf“ von Selbstverwaltung<br />
durch immer kompliziertere Regelungen u. a. m.<br />
Die Herstellung und Versendung der Wahlunterlagen erfolgte<br />
dann noch mit der administrativen Unterstützung der Segeberger<br />
Kammer, die Auszählung aber schon in Rostock in den aus<br />
der „Erbmasse“ des Bezirks übernommenen, sehr renovierungsbedürftigen<br />
ersten Räumen der Kammer. Das vom Wahlausschuß<br />
unter Leitung von Obermedizinalrat Dr. Grauert ermittelte<br />
Ergebnis war für mich, den an komplizierte westliche Verhältnisse<br />
gewohnten Kammergeschäftsführer, kaum zu glauben:<br />
Von den fast 5600 Ärztinnen und Ärzten des Landes <strong>Mecklenburg</strong>-<strong>Vorpommern</strong><br />
hatten sich trotz der außerordentlich kurzen<br />
Fristen zur Vorbereitung 78,5 Prozent an der Wahl beteiligt, ein<br />
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