Ärzteblatt Oktober 2010 - Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern
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WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG<br />
Fazit<br />
Vorgestellt wird eine durch einen Jagdunfall mit tödlichem<br />
Ausgang angeregte Auswertung des IST-Standes der Spurensicherung<br />
bei operierten Schußverletzungen durch die<br />
behandelnden Einrichtungen in <strong>Mecklenburg</strong>-<strong>Vorpommern</strong><br />
aus rechtsmedizinischer/kriminalistischer Sicht. Auch wenn<br />
alle lebensrettenden Maßnahmen absoluten Vorrang haben,<br />
erscheint unseres Erachtens das Management derartiger<br />
Schußverletzungen in der Klinik verbesserungsbedürftig.<br />
Dieses Ziel sollte durch die Aus- und Weiterbildung der<br />
Ärzte und durch die Einführung von Anweisungen/Anleitungen/Empfehlungen<br />
bezüglich der Spurensicherung unter<br />
Beachtung der ärztlichen Schweigepflicht verfolgt werden.<br />
Als Schlußfolgerungen werden unter Berücksichtigung der<br />
zertifizierten Fortbildung „Forensische Ballistik und Schußverletzungen“<br />
und „Schußspurensicherung“ Empfehlungen<br />
zur Schußspurensicherung im klinischen Bereich gegeben.<br />
Empfehlungen zur Schußspurensicherung im<br />
klinischen Bereich ohne primäre Beteiligung der<br />
Polizei oder der Rechtsmedizin<br />
1. Zur ärztlichen Schweigepflicht<br />
Auch in Fällen von Schußspurensicherung in der Klinik gilt<br />
für die behandelnden Mediziner die ärztliche Schweigepflicht<br />
(§ 203 Strafgesetzbuch).<br />
Ist der Patient ansprechbar, sollte der behandelnde Arzt<br />
im Vorfeld die Frage klären, ob er vom Patienten von der<br />
ärztlichen Schweigepflicht entbunden wird, so daß er alle<br />
Informationen/Asservate bei Anfrage auch an Ermittlungsbehörden<br />
weitergeben darf.<br />
Ist der Patient bewußtlos, so ist von der mutmaßlichen<br />
Einwilligung des Patienten auszugehen. Dieser Wille dürfte<br />
in der Regel die Aufklärung der Umstände der Schußverletzung<br />
mit notwendigen Zusatzuntersuchungen sein, wenn<br />
keine anders lautenden Erkenntnisse entgegenstehen. In<br />
Zweifelsfällen sollte der behandelnde Arzt rechtlichen Rat<br />
suchen, wegen der drohenden Spurenvernichtung aber zunächst<br />
die nachstehenden Empfehlungen befolgen, sofern<br />
es die lebensrettenden Maßnahmen gestatten.<br />
2. Asservate/ Beweismittel<br />
Folgende Asservate sind bei Schußverletzungen für eine Rekonstruktion<br />
des Geschehens von erheblicher Relevanz und<br />
können in einem Strafverfahren wertvolle Beweismittel darstellen:<br />
■ Bekleidung<br />
■ „Abklatsch“ der Haut<br />
■ Wundexzisate<br />
■ Verbandsmaterial von der Notversorgung<br />
■ Projektil/Geschoßteile<br />
■ Fotoaufnahmen und bildgebende Untersuchungen<br />
Mit Hilfe der aufgezählten Asservate, Fotoaufnahmen und<br />
bildgebenden Untersuchungsmethoden können Fragen zu<br />
Schußentfernung, Selbst- oder Fremdbeibringung, Ein- oder<br />
Ausschuß bzw. Schußwaffe beantwortet werden.<br />
2.1 Bekleidung<br />
Die vom Opfer getragene Bekleidung darf weder entsorgt<br />
noch unsachgemäß behandelt werden (Gefahr der Spurenvernichtung).<br />
Blutverschmierte Kleidung sollte ausgebreitet oder an Bügeln<br />
aufgehängt und einzeln getrocknet werden. Zur Vermeidung<br />
von Spurenverlust sollte auf mechanische Alterationen<br />
wie Reiben verzichtet werden.<br />
Am besten werden Schußöffnungen und deren Umgebung<br />
mit einer Folie abgedeckt, bevor die Textilien eingeschlagen<br />
werden.<br />
Die Kleidungsstücke sind zur Vermeidung von Spurentransfer<br />
getrennt in Papiertüten zu asservieren.<br />
2.2 „Abklatsch“ der Haut<br />
Wegen der vorrangig lebensrettenden Maßnahmen kommt<br />
häufig nur eine schnelle Sicherung mit selbstklebendem<br />
Verbandsmaterial in Betracht. Vor dem Abwaschen kann ein<br />
auf oder unmittelbar neben die Verletzung aufgeklebter<br />
Verband durchaus Spuren retten. Nach einer Desinfektion<br />
ist eine solche Maßnahme nicht mehr sinnvoll.<br />
Für den eventuellen Nachweis einer Schußhand sollten die<br />
Hände vor der Untersuchung nicht gereinigt werden. Besonders<br />
bei bewußtlosen Patienten bietet sich das Einpakken<br />
der Hände in Plastik- und Papiertüten an (Berühren und<br />
Bewegen der Hände kann zu Schmauchverlusten führen).<br />
Es sollten ebenfalls in vereinfachten Verfahren Verbandabzüge<br />
von den Händen gesichert werden.<br />
2.3 Verbandsmaterialien<br />
Verbände von der Notversorgung sollten asserviert werden.<br />
Sollten Venülpflaster auf den Handrücken gewechselt werden,<br />
sind die ersten gebrauchten Pflaster auf Folie zu kleben<br />
(Schutz gegen Kontamination) und sicherzustellen.<br />
2.4 Exzisate<br />
Es gilt, chirurgische Exzisate nativ sicherzustellen und einzufrieren.<br />
Falls diese bereits in Formalin eingelegt worden sein<br />
sollten, kann das Material dennoch für weitere Untersuchungen<br />
genutzt werden. Ein Versenden an ein Institut für<br />
Pathologie ohne zwingende Indikations- oder Fragestellung<br />
sollte nicht erfolgen und in unklaren Fällen ein diensthabender<br />
Rechtsmediziner konsultiert werden.<br />
Seite 376 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN