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RELIGION und SCHLICHTHEIT<br />
Das, was zu erschaffen wir selbst uns anschicken, wird letztendlich<br />
kompliziert. Unsere Gesellschaft ist kompliziert, unsere Welt ist<br />
kompliziert, der Lauf unseres Lebens ist kompliziert. Indem sie<br />
durch ihre mannigfache Vielfalt Fülle und Mächtigkeit vortäuscht,<br />
überwältigt diese Kompliziertheit oft unseren törichten Geist. Unser<br />
unwissender Intellekt schreibt gerade dem philosophischen<br />
Werk, dessen Inhalt überaus verschlungen ist, besondere Gelehrsamkeit<br />
zu und empfindet Erstaunen. Die Zivilisation, deren gesamte<br />
Läufe und Methoden schwer zu begreifen und verwirrt sind,<br />
deren Maschinerie und Fabriken, Vorbereitungen und Zutaten<br />
reichlich und ausgedehnt sind, verwirrt unser schwaches Gemüt.<br />
Aber der Philosoph ist wahrhaft fähig und mit Geisteskraft versehen,<br />
der die Philosophie leicht machen und erklären kann; die Zivilisation<br />
ist wahrhaft fortgeschrittener, die alle ihre Einrichtungen<br />
durch Schlichtheit geregelt und überall leicht zugänglich machen<br />
kann. Wie auch immer sie äußerlich aussehen möge – gerade<br />
Kompliziertheit ist Schwäche, ist Misserfolg; Vollkommenheit aber<br />
ist Schlichtheit. Religion ist das einzige, höchste Ideal jener Vollkommenheit,<br />
deshalb auch von Schlichtheit.<br />
Aber so groß ist unser Unglück, dass der Mensch ebendiese Religion<br />
mit der größten Kompliziertheit der Welt erfüllt hat. Durch<br />
unzählige Regeln und Gebete, künstliche Ritualhandlungen, komplizierte<br />
Doktrinen und mannigfache Einbildung ist sie so undurchdringlich<br />
und schwer zugänglich geworden, dass in jener<br />
selbst gemachten dunklen Kompliziertheit des Menschen tagtäglich<br />
irgendein Beharrlicher irgendeine neue Gemeinde gründet,<br />
indem er irgendeinen neuen Pfad vorzeichnet. Durch den Zusammenprall<br />
der verschiedenen Gemeinden und Doktrinen sind<br />
auf der Erde Hader und Hass, Unfrieden und Unheil grenzenlos.<br />
Warum ist es so gekommen? Der einzige Grund hierfür ist, dass<br />
wir uns nicht mit ganzem Herzen der Religion ergeben, sondern<br />
versucht haben, die Religion uns entsprechend zu gestalten, dass<br />
wir, um uns die Religion wie andere notwendige Gegenstände die-<br />
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