13.07.2015 Aufrufe

Psychologische Betreuung von Notfallpatienten ... - Physis-web.de

Psychologische Betreuung von Notfallpatienten ... - Physis-web.de

Psychologische Betreuung von Notfallpatienten ... - Physis-web.de

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Seite 41. EinleitungWussten sie schon ...dass die nähe eines menschengesund machenkrank machentot und lebendig machen kannwussten sie schondass das wegbleiben eines menschensterben lassen kanndass das kommen eines menschenwie<strong>de</strong>r leben lässtwussten sie schondass das zeithaben für einen menschenmehr ist als geldmehr als medikamenteunter umstän<strong>de</strong>n mehrals eine geniale operationwussten sie schondass das anhören eines Menschenwun<strong>de</strong>r wirkt(Wilhelm Willms, gekürzt)Wilhelm Willms hat schon beschrieben was lei<strong>de</strong>r erst sehr spät in <strong>de</strong>r Notfallmedizinerkannt wur<strong>de</strong>. Denn nicht nur <strong>de</strong>r Körper bedarf <strong>de</strong>r Hilfe, son<strong>de</strong>rn auch die Seele. Inmeiner Vordiplomarbeit möchte ich dieses Thema näher beleuchten. Bei meiner Tätigkeitals Rettungsassistent bei <strong>de</strong>n Malteser Fulda, wer<strong>de</strong> ich oft mit <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nstenschwierigen Notfallsituationen konfrontiert, die eine psychische <strong>Betreuung</strong> erfor<strong>de</strong>rlichmachen.Egal ob es sich um einen Herzinfarkt o<strong>de</strong>r eine Verletzung han<strong>de</strong>lt, das Erleben ist für dieBetroffenen und <strong>de</strong>ren Angehörige eine extreme psychische Ausnahmesituation.Wie kann ein Mensch eine solche Situation meistern ? Welche Möglichkeiten stehen ihmzur Verfügung ? Welche Hilfe nimmt er überhaupt an ? Wie muss eine Hand dargebotenwer<strong>de</strong>n, damit sie erreichbar, für <strong>de</strong>n, sich in Not befindlichen Menschen wird ?Dies sind einige Fragen, die ich in meiner Vordiplomarbeit erörtern bzw. <strong>de</strong>nen ich auf<strong>de</strong>n Grund gehen möchte. Der Tatsache, dass das positive psychische Erleben für


Seite 9Ebenfalls ein sehr interessanter Aspekt ist die manchmal stark subjektive Be<strong>de</strong>utungeines bestimmten traumatisierten Organs.Nach Gaus u. Köhle (1990) können Körperteile und Organe als „Quellen <strong>von</strong> Vergnügen,Stolz und Selbstvertrauen, Hilfen um befriedigen<strong>de</strong> zwischenmenschliche Beziehungaufrechtzuerhalten, Mittel zur Verringerung intrapsychischen Konflikte, Unterstützung <strong>de</strong>sGefühls <strong>de</strong>s persönlichen I<strong>de</strong>ndität, <strong>de</strong>r Stabilität <strong>de</strong>s Körperschemas und <strong>de</strong>rerwünschten sozialen Rolle“ (S. 1130) dienen.Schädigungen bzw. Verlust (Amputation) eines symbolisch beson<strong>de</strong>rs hoch besetztenOrgans o<strong>de</strong>r Körperteils (Finger eines Pianisten o<strong>de</strong>r Chirurgen, Gesichtsverletzungen imAllgemeinen, Geschlechtsorgane usw.), können eine schwer narzisstische Kränkung mitmassiven Selbstwertproblematik auslösen.2.3 Der Notfallstress und seine BewältigungUm die psychologischen Anfor<strong>de</strong>rungen an <strong>de</strong>n Verunfallten zu beschreiben, bieten sichErkenntnisse aus <strong>de</strong>r Stressforschung an. Wobei man dabei zwischenSituationsabhängigen Merkmalen eines stressauslösen<strong>de</strong>n Ereignisses und <strong>de</strong>rCharakteristik einer Stressreaktion unterschei<strong>de</strong>n muss.In einer Notfallsituation lassen sich nachfolgen<strong>de</strong> stressinduzierte Situationsaspektei<strong>de</strong>ntifizieren:‣ hohe Intensität,‣ Unvorhersehbarkeit/Plötzlichkeit,‣ Unausweichlichkeit,‣ Zeitliche Begrenztheit <strong>de</strong>s Ereignisses,‣ Auftreten oftmals aufgrund äußerer Einwirkungen.(Bengel 1997)Beson<strong>de</strong>rs die hohe Intensität einer Notfallsituation ist <strong>von</strong> Be<strong>de</strong>utung. Es gibt äußereReize, die <strong>von</strong> einer so hohen Intensität sind, dass sie auf je<strong>de</strong>rmann traumatisch wirken.Schon während bzw. unmittelbar nach <strong>de</strong>r Gefahrensituation kommt es zur Aktivierungaller psychologischen und physiologischen Reserven, um sich selbst vor <strong>de</strong>m Ereignisund seinen Folgen zu schützen.Während eines Unfalles kann es sein, dass das betroffene und gefähr<strong>de</strong>te Individuum ineinen hochgespannten Zustand <strong>de</strong>r Wachheit versetzt wird. Dies führt dazu, dass dieSinnesorgane so aufmerksam sind, dass sich die Eindrücke <strong>de</strong>s Geschehens noch


Seite 11Fallbeispiel„Er kann die körperlichen Zeichen <strong>de</strong>r Angst nicht länger zurückhalten:Schweißausbrüche, Tremor, Ruhelosigkeit, schneller Herzschlag, kurzes Atmen tretenauf. Seine Gedanken und Urteilskraft sind beeinträchtigt, seine Handlungen willkürlichund schlecht kontrolliert, neue Aktionen wer<strong>de</strong>n vor Abschluss bereits begonnenerHandlungen aufgenommen. Er nimmt kaum wahr, was er tut. In Panik rennt <strong>de</strong>r Menschwild herum, lacht, schreit und weint abwechselnd in rascher Folge. ... In einigen Fällenfolgen stupor- und komaähnliche Zustän<strong>de</strong> <strong>de</strong>m Höhepunkt <strong>de</strong>r Panik“(White 1956, S. 207-208)Bei Notfallopfern, die aufgrund ihrer schweren Verletzung ihre aufgestauten Emotionennicht durch motorische Möglichkeiten wie Herumlaufen kompensieren können, kann es zuunkontrolliertem Schimpfen kommen. Gleiches gilt insbeson<strong>de</strong>re für alkoholisiertePatienten, speziell beim Eintreffen <strong>de</strong>r Rettungskräfte und <strong>de</strong>r Polizei: „Was wollt ihr <strong>de</strong>nnhier, ich hab euch doch gar nicht gerufen“. Dies kann auch zu Gewalttätigkeiten <strong>von</strong>Seiten <strong>de</strong>s Alkoholisierten führen, <strong>de</strong>r so seine aufgestauten und nicht verarbeitetenGefühle kompensieren will.Das Notfallopfer befin<strong>de</strong>t sich während <strong>de</strong>s Ereignisses in einer asymmetrischenBeziehungskonstellation zu seiner Umwelt. Während <strong>de</strong>r Verletzte selbst krank,hingestreckt, schwach, hilfsbedürftig, abhängig ist, treten ihm die an<strong>de</strong>ren Helfer gesund,aufrecht, stark, hilfsbereit und unabhängig entgegen. Die Erfahrung <strong>de</strong>s Ausgeliefertseinsund <strong>de</strong>r Hilflosigkeit (Ohnmacht) lasten schwer auf <strong>de</strong>m Patienten. Das Angestarrtwer<strong>de</strong>n durch Schaulustige, das Wartenmüssen auf Rettung, die Unmöglichkeit, dieKörperposition zu verän<strong>de</strong>rn (z.B. bei Einklemmung), die Unfähigkeit, sich zuverständigen usw. tragen zu einer vorher nie erlebten Hilflosigkeit bei.Der erlittene Kontrollverlust ist ein weiterer Verursacher für Angst und psychophysischerAktivierung. Fragen wie „Was wird aus mir ?“, „Wer<strong>de</strong> ich überleben ?“, „Wer<strong>de</strong> ichsterben ?“, „Was wird aus meiner Familie, meinem Geschäft, meinem Beruf ?“ wer<strong>de</strong>nunter an<strong>de</strong>rem als beson<strong>de</strong>rs peinigend empfun<strong>de</strong>n. Auch wenn diese Fragen nicht direktgestellt wer<strong>de</strong>n, muss man da<strong>von</strong> ausgehen, dass <strong>de</strong>r Wunsch sie zu stellen dochvorhan<strong>de</strong>n ist. Mit <strong>de</strong>r Abnahme <strong>de</strong>r Ungewissheit bekommt <strong>de</strong>r Patient zumin<strong>de</strong>stsubjektiv das Gefühl <strong>de</strong>r Kontrolle, sodass Angst- und Stresserleben reduziert wer<strong>de</strong>n.Aus diesem Grun<strong>de</strong> muss daran gedacht wer<strong>de</strong>n, dass die Aufmerksamkeit <strong>de</strong>sPatienten voll auf <strong>de</strong>m Rettungsdienstpersonal, <strong>de</strong>m Notarzt und <strong>de</strong>ren Gespräche undAussagen ruht. Hierbei sei erwähnt, dass auch die Patienten die vermeintlich nichts mehrmitbekommen, häufig noch vieles aufnehmen.


Seite 12In einer Notsituation bewusstlose Menschen berichteten, dass sie sich noch an Dinge, dieüber sie o<strong>de</strong>r um sie herum geschahen, erinnern können. Dies führt dazu, dassinsbeson<strong>de</strong>re bei Bewusstlosen darauf zu achten ist, dass die gleichen Regelneingehalten wer<strong>de</strong>n wie bei einem Bewusstseinsklaren Patienten.Gera<strong>de</strong> diese Patientengruppe ist auf eine einfühlsame psychologische Führungangewiesen. Sie erfährt in <strong>de</strong>n meisten Fällen jedoch genau das Gegenteil, in<strong>de</strong>m siezum Objekt <strong>de</strong>r medizinischen Behandlung unter Ausschluss jeglicherpersonenbezogener Perspektive wird. Der Grund hierfür ist, die in <strong>de</strong>r klinischen Praxisweit verbreitete Meinung, dass fehlen<strong>de</strong>s Reaktionsvermögen mit Empfindungslosigkeitgleichzusetzen ist. Befun<strong>de</strong> aus Forschung und Klinik haben aber festgestellt, dass man„...aus <strong>de</strong>m Verlust prüfbarer Hirnleistungen keinesfalls <strong>de</strong>n Schluss ziehen darf, dass beidieser Bedingung sämtliche Faserverbindungen mit sämtlichen kortikalen Arealenunterbrochen sind. Vielmehr muss immer ein elementares Bewusstsein bei Patientenangenommen wer<strong>de</strong>n, welches im Sinne <strong>de</strong>s passiven Erlebens wirksam ist“(v. Cramon 1979, S. 84).Beispiel dafür ist das sogenannte Locked-in-Syndrom (die Unfähigkeit, sich trotzerhaltenem Bewusstsein sprachlich o<strong>de</strong>r durch Bewegungen spontan verständlich zumachen) infolge <strong>von</strong> Hirnstammläsionen (Plum u. Posner 1980).Kurz gesagt: „Auch bewusstlose Patienten können noch wahrnehmen“.Insofern ist es wichtig mit <strong>de</strong>m Patienten und nicht über ihn zu re<strong>de</strong>n, damit es erst garnicht zu Missverständnissen durch evtl. aufgefangene Wortfetzen kommen kann. Auchdie Mimik und Gestik <strong>de</strong>r Helfer, wer<strong>de</strong>n vom <strong>Notfallpatienten</strong> beobachtet undinterpretiert, um mehr über seinen Zustand herauszubekommen. (Hannich 1987)Untersuchungsergebnisse haben gezeigt, das die Kommunikation zwischen Patient undRettungsdienstpersonal sich meist nur auf direkte medizinische Maßnahmen beschränkt,um z.B. <strong>de</strong>n Bewusstseinszustand herauszubekommen.In diesem Zusammenhang liegt es nahe, dass beschriebene Verhalten <strong>de</strong>sRettungspersonals als einen Versuch zu interpretieren, sich angesichts <strong>von</strong> emotionalüberwältigen<strong>de</strong>n Situationen vor allzu großem Betroffensein zu bewahren und damit dieeigene Handlungsfähigkeit zu sichern.FallbeispielEine Patientin die Initial bewusstlos und auffallend durch ausgeprägte Erregungszustän<strong>de</strong>war, wur<strong>de</strong> nach einem schweren Verkehrsunfall auf die Intensivstation eingeliefert. Diepsychophysische Aktivierung konnte trotz ausgiebiger Sedierung und Analgetikagabekaum beherrscht wer<strong>de</strong>n.Nach <strong>de</strong>m Aufwachen aus <strong>de</strong>r Bewusstlosigkeit berichtete sie <strong>von</strong> einem Gespräch amUnfallort, in <strong>de</strong>m das Rettungspersonal sich über die zu erwarten<strong>de</strong> Querschnittslähmung


Seite 13eines Unfallopfers unterhielt. Obwohl sie nicht gemeint war, bezog die Patientin dasGespräch auf sich. Aufgrund ihrer Bewusstlosigkeit war sie nicht in <strong>de</strong>r Lage, einrealitätsgerechtes Bild über ihren Zustand zu entwickeln, son<strong>de</strong>rn wähnte sich in <strong>de</strong>mGlauben, ihre Bewegungsfähigkeit verloren zu haben. Erst nach<strong>de</strong>m sie über ihrenkörperlichen Zustand umfassend aufgeklärt wor<strong>de</strong>n war, stellte sich eine allmählicheBeruhigung ein. (Bengel 1997, S. 15-16)Ein solches zusätzliches und unnötiges Trauma wäre sicherlich zu vermei<strong>de</strong>n gewesen,wenn die bewusstlose Patientin wie ein wacher Mensch behan<strong>de</strong>lt wor<strong>de</strong>n wäre. DieAnwendung dieser Regel, einen bewusstlosen Patienten wie eine wachen zu behan<strong>de</strong>ln,ist nicht als eine „humane Verzierung“ zu verstehen son<strong>de</strong>rn eine Notwendigkeit auf dienicht verzichtet wer<strong>de</strong>n darf.2.4 Psychische Situation und Reaktionen <strong>von</strong> UnfallpatientenNach Erhebungen gab es im Jahre 1994 8,7 Millionen Unfallverletzte. Wo<strong>von</strong> 0,52Millionen im Straßenverkehr und 2,3 Millionen an <strong>de</strong>r Arbeitsstelle verletzt wur<strong>de</strong>n. Mehrals 4,6 Millionen Verletzte wur<strong>de</strong>n bei Unfällen im Hausbereich o<strong>de</strong>r während <strong>de</strong>r Freizeitregistriert. Obwohl diese Zahlen sehr hoch sind und somit die Häufigkeit eines Unfallesrelativ hoch ist, liegen bis jetzt kaum Untersuchungen über die psychischen Reaktionen<strong>von</strong> Unfallopfern vor (Lin<strong>de</strong> 1994, S. 73).Der materielle Scha<strong>de</strong>n ist bei Unfällen relativ leicht zu erfassen. Häufig wird <strong>de</strong>r Einsatz<strong>von</strong> <strong>de</strong>r Polizei und <strong>de</strong>n Medien bagatellisiert wie z.B. „Dabei entstand ein Sachscha<strong>de</strong>n<strong>von</strong> 50.000 DM“ o<strong>de</strong>r „Es entstand ein erheblicher Sachscha<strong>de</strong>n“. Auch können dieerlittenen körperlich Schä<strong>de</strong>n relativ einfach diagnostizieren und darstellt wer<strong>de</strong>n(„Fraktur im linken Unterschenkel mit einer leichten Gehirnerschütterung“).Schwierig ist es jedoch, die psychischen Folgewirkungen festzustellen. Sie können vomeinfachen akzeptieren <strong>de</strong>r Situation bis hin zu „To<strong>de</strong>sangst“ und Suizidgedanken führen.Alle diese Reaktionen wie Gelassenheit, Ärger, To<strong>de</strong>sangst o<strong>de</strong>r Suizidgedanken könnensofort nach <strong>de</strong>m Unfall auftreten o<strong>de</strong>r aber mit zeitlicher Verzögerung (z.B. nach <strong>de</strong>merfassen <strong>de</strong>r entgangenen To<strong>de</strong>sgefahr). Die auftreten<strong>de</strong> Angst kann geradlinig erlebtund langsam abgebaut wer<strong>de</strong>n, kann sich aber auch in einem anfallsartigen Verlauf mitzeitweise panischen Angstattacken darstellen, in <strong>de</strong>nen das Unfallopfer z.B. nachtsschweißgeba<strong>de</strong>t aufwacht.Lei<strong>de</strong>r liegen z.Zt. kaum Erkenntnisse darüber vor, ob bestimmte Voraussetzungen o<strong>de</strong>rDispositionen bei Unfallopfern dazu führen, dass die Reaktionen auf einen Unfall trotzähnlicher Rahmenbedingungen <strong>de</strong>rartig unterschiedlich ausfallen.


Seite 14Genauso unklar ist auch, ob es typische Reaktionen auf Unfälle gibt, ob bestimmteReaktionen verstärkt auftreten und ob es bestimmte Verläufe bei <strong>de</strong>n Reaktionen gibt.Unfallpsychologische Fragestellung befassen sich <strong>de</strong>rzeit noch überwiegend mitProblemen <strong>de</strong>r Verkehrssicherheit, jedoch nicht mit <strong>de</strong>r Situation <strong>de</strong>s Unfallopfers.3. Studie über das psychische Erleben einer NotfallsituationUm über das psychische Erleben einer Unfallsituation und <strong>de</strong>ren Folgen allgemeinefundierte Erkenntnisse zu gewinnen, wur<strong>de</strong> in einer Studie versucht, einige Parameter zuermitteln und darzulegen. Die Ergebnisse und Rahmenbedingungen für diese Studiewur<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r zur Verfügung stehen<strong>de</strong>n Literatur (Psychologie in Notfallmedizin undRettungsdienst, J. Bengel, S.25-37) wie folgt dargestellt.3.1 RahmenbedingungenIn dieser prospektiven Studie wur<strong>de</strong>n 152 Verkehrsunfallopfer zu ihren unmittelbarenReaktionen während <strong>de</strong>s Unfalls und in <strong>de</strong>n ersten Tagen nach <strong>de</strong>m Unfall sowieinnerhalb <strong>de</strong>s darauffolgen<strong>de</strong>n halben Jahres befragt. Diese Patienten hatten beiVerkehrsunfällen Knochenbrüche erlitten und mussten stationär im Krankenhausbehan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n. Mittels eines halb standardisierten Interviewleitfa<strong>de</strong>ns wur<strong>de</strong>n über100 Personen interviewt, die häufig mit <strong>de</strong>rartigen Unfallsituationen umgehen undintervenieren müssen. Außer<strong>de</strong>m wur<strong>de</strong>n über 60 Unfallopfer mit einemhalbstandardisierten Interviewleitfa<strong>de</strong>n hinsichtlich ihrer Reaktion, ihrer Emotionen,Gedanken und ihres Verhaltens nach einem Unfall befragt. Um diese Befun<strong>de</strong> zuergänzen, wur<strong>de</strong> auch ein Personenkreis befragt, <strong>de</strong>r nicht in Erster Hilfe ausgebil<strong>de</strong>t ist,aber trotz<strong>de</strong>m häufig in Situationen gerät, in <strong>de</strong>nen Erste Hilfe notwendig ist. Dazugehören beispielsweise Lehrer, Mitarbeiter <strong>de</strong>r Bahnhofsmission, Angestellte inFreizeitparks und Altenpflegepersonal. Hinsichtlich <strong>de</strong>r Reaktionsweise <strong>von</strong> Patientenwur<strong>de</strong>n außer<strong>de</strong>m 10 Ärzte interviewt, die eine furchterzeugen<strong>de</strong> Diagnose (wie Krebs)mitteilen mussten, sowie 10 kirchliche Mitarbeiter, die eine schlechte Nachricht, meistenseine To<strong>de</strong>snachricht, überbringen mussten. Auch wur<strong>de</strong>n noch 10 Personen, die eineschlechte Nachricht erhalten hatten, befragt.


Seite 153.2 Ergebnisse <strong>de</strong>r durchgeführten Studie3.2.1 Belasten<strong>de</strong> FaktorenAllgemein ist die Situation eines Unfallopfers dadurch gekennzeichnet, dass vielebelasten<strong>de</strong> Faktoren gleichzeitig o<strong>de</strong>r kurz nacheinan<strong>de</strong>r auf das Unfallopfer einwirken.Zunächst einmal haben Faktoren einen Einfluss, die im Unfall selbst liegen, wie:‣ Art und Schwere <strong>de</strong>s Unfalls,‣ Art und Schwere <strong>de</strong>r Verletzung,‣ Betroffenheit <strong>von</strong> Angehörigen,‣ Anzahl <strong>de</strong>r am Unfall Beteiligten,‣ Tote.Generell kann festgestellt wer<strong>de</strong>n, dass je stärker (intensiver) diese Faktoren ausgeprägtsind sich die Situation für das Unfallopfer um so schlimmer darstellt. Die erlebteBelastung hängt jedoch nicht nur <strong>von</strong> objektiven Faktoren ab. Es kann nicht gesagtwer<strong>de</strong>n, dass in je<strong>de</strong>m Fall ein Unfallopfer mit starken körperlichen Verletzungen dieBelastung als stärker empfin<strong>de</strong>t als eine Person mit geringen o<strong>de</strong>r gar keinenVerletzungen. Die subjektive Realität <strong>de</strong>s Erlebens einer Notfallsituation ist damit ebensobe<strong>de</strong>utsam für die Reaktion und die psychische Verarbeitung wie die objektivenGegebenheiten.Kontrollverlust und Soziale HierarchieUnfallopfer fühlen sich für kurze o<strong>de</strong>r längere Zeit hilflos und nicht mehr Herr <strong>de</strong>r Lage.Dies betrifft beson<strong>de</strong>rs Menschen, welche z.B. in ihrem beruflichen Alltag großeVerantwortung (Manager) für an<strong>de</strong>re haben und immer „Über allem“ stehen. Sie können<strong>de</strong>n Verlauf <strong>de</strong>r Ereignisse nicht mehr kontrollieren.Während <strong>de</strong>s Unfalls selbst sind ihre Einflussmöglichkeiten äußerst eingeschränkt. Nach<strong>de</strong>m Unfall beeinflusst u.a. die Schwere <strong>de</strong>s Unfalls die Möglichkeit <strong>de</strong>r Kontrolle. DieserKontrollverlust und die Einschränkung <strong>de</strong>r Handlungsfreiheit wird als sehr unangenehmerlebt und kann zu negativen Reaktionen (Reaktanz) führen. Unfallopfer sind <strong>de</strong>shalbhäufig darum bemüht, auch in schlimmen Situationen noch in irgen<strong>de</strong>iner Weise dieSituation kontrollieren zu können.


Seite 16Unterbrochene HandlungMenschen sind auf <strong>de</strong>m Weg zur Arbeit, nach Hause, zur Verabredung, reparieren etwasin <strong>de</strong>r Wohnung, planen gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>n nächsten Urlaub o<strong>de</strong>r wollten einem an<strong>de</strong>renMenschen noch etwas ganz wichtiges sagen, bevor sie verunglückten. Diese Handlungenwer<strong>de</strong>n unterbrochen und können zunächst nicht zu En<strong>de</strong> gebracht wer<strong>de</strong>n. Bereits in<strong>de</strong>n 20er Jahren vermutete bereits Lewin, dass das Unterbrechen einer Handlung, bzw.das nicht Ausführen, zu einer Spannung führt. Diese Spannung und Unruhe könne erstdurch die Wie<strong>de</strong>raufnahme <strong>de</strong>r Handlung o<strong>de</strong>r einer Ersatzhandlung beseitigt wer<strong>de</strong>n.Unterbrochene Handlungen wer<strong>de</strong>n auch später häufig noch stärker erinnert.ZuschauerZuschauer wer<strong>de</strong>n meistens <strong>von</strong> Unfallopfern als sehr unangenehm empfun<strong>de</strong>n. DieTatsache wehrlos, evtl. nackt zu sein und so <strong>von</strong> an<strong>de</strong>ren Menschen gesehen zu wer<strong>de</strong>n,verstärkt das Gefühl <strong>de</strong>r Hilflosigkeit noch um ein vielfaches. Eine wichtige Rolle spielthierbei die Schwere <strong>de</strong>r Verletzung. Bei weniger schweren Verletzungen wer<strong>de</strong>nZuschauer als belasten<strong>de</strong>r wahrgenommen, bei sehr schweren Verletzungen wer<strong>de</strong>n sienicht als so störend empfun<strong>de</strong>n. In diesem Fall ist das Unfallopfer oft <strong>de</strong>rartig auf sichselbst und das „Überleben“ konzentriert, dass es die Zuschauer gar nicht wahrnimmt.WahrnehmungWährend eines Unfalls sind Unfallopfer verschie<strong>de</strong>nen und extremen Reizen ausgesetzt.So kann das Riechen <strong>von</strong> verbranntem Fleisch, das Hören <strong>de</strong>r Schreie <strong>von</strong> Verletzten,das Sehen <strong>von</strong> zerstückelten Körperteilen, das Spüren <strong>von</strong> Hitze auf <strong>de</strong>r Haut o<strong>de</strong>r <strong>von</strong>Schwanken <strong>de</strong>s Untergrun<strong>de</strong>s Gefühle wie Angst und Ekel auslösen.Der Anblick <strong>de</strong>s Unfallortes generell wird als sehr unangenehm erlebt. Später könnenähnlich Wahrnehmung wie Gerüche, Geräusche o<strong>de</strong>r bestimmte Situationen für heftige,und für An<strong>de</strong>re nicht nachzuvollziehen<strong>de</strong>, Reaktionen im Rahmen <strong>von</strong> posttraumatischenBelastungsreaktionen sein.So berichtete ein Unfallopfer, welcher <strong>von</strong> Bord eines Schiffes fiel und nur knapp <strong>de</strong>mTo<strong>de</strong> durch die Schiffsschraube entging, dass schon das öffnen <strong>de</strong>s Wasserhahnes unddie damit entstan<strong>de</strong>nen Geräusche zu Panikattacken bei ihm führten.Außer<strong>de</strong>m erfolgt die Wahrnehmung dieser Reize aus einer an<strong>de</strong>ren Perspektive. Wennein Unfallopfer nach einem Unfall auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n liegt, wird die Umwelt aus <strong>de</strong>r„Froschperspektive“ (vgl. Abb. 2 Seite 32) gesehen. Aus dieser Perspektive erscheinen


Seite 17Größenverhältnisse an<strong>de</strong>rs, beson<strong>de</strong>rs auch Personen, die sich über <strong>de</strong>n Betroffenenbeugen, können beispielsweise auch als bedrohlich erlebt wer<strong>de</strong>n.KörperempfindungenDie erlebten Körperempfindungen (Schmerz, Bewegungslosigkeit usw.), die auftreten,sind teilweise ungewohnt und können daher Angst auslösen. Manche Patientenberichten, dass sie Wärme o<strong>de</strong>r Kälte kaum noch, o<strong>de</strong>r überhaut nicht mehr spüren. AuchVerletzungen wer<strong>de</strong>n nicht immer sofort bemerkt. Unter <strong>de</strong>m als überwältigend erlebtenUnfallgeschehen kann <strong>de</strong>r Körper einen Schutzmechanismus zur Verfügung stellen, in<strong>de</strong>m die Wahrnehmung z.T. aus <strong>de</strong>m Bewusstsein ausgeblen<strong>de</strong>t wird. Auch dieErinnerung an Teile <strong>de</strong>s Ereignisses können gestört sein (Dissoziation).Die verschie<strong>de</strong>nen körperlichen Reaktionen wie Herzklopfen, Atemnot, Zittern,Schwitzen, Hitze- und o<strong>de</strong>r Kälteempfindungen können sowohl eine direkte Folge <strong>de</strong>rVerletzung sein, wie auch ein Zeichen <strong>de</strong>r psychischen Erregung. So ist auf starkeAufregung mit völlig unterschiedlichen körperlichen Erscheinungen wie Hitze- o<strong>de</strong>rKältewallungen o<strong>de</strong>r Verän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Herzfrequenz zu rechnen („Mein Herz bliebbeinahe stehen“; „Mein Herz schlug wie wild“).NeuheitFür das Rettungsdienstpersonal, Notärzte, Polizisten usw. gehört ein Unfall zum Alltag.Bei <strong>de</strong>r Ausübung <strong>de</strong>s Berufes wer<strong>de</strong>n sie alltäglich mit Unfällen konfrontiert, und es hatsich eine gewisse Routine eingestellt. Jedoch schützt auch die Routine auch dieHilfskräfte nicht vor z.T. intensiven psychischen Reaktionen, die meist jedoch nurvorübergehend aber auch längeranhaltend sein können.Für Unfallopfer ist diese Situation meistens völlig neu. Sie wer<strong>de</strong>n <strong>von</strong> Gefühlen,Emotionen, Schmerz, Lärm usw. überwältigt. Sie erleben diese Situation als bedrohlichund als „Oh Gott, wie soll ich das schaffen ?“.Bisher hatte das Unfallopfer höchstens im Fernsehen Unfälle aus sicherer Distanzgesehen o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Tageszeitung nüchterne Zahlen gelesen. Dies hat jedoch nicht dazugeführt, <strong>de</strong>m Patienten Verhaltensstrategien für eine solche Situationen an die Hand zugeben.SchmerzenDie Intensität <strong>de</strong>s erlebten Schmerzes schwankt beträchtlich. Die Schmerzempfindunghat dabei auch eine subjektive Komponente. Nicht nur die Intensität eines Schmerzreizes


Seite 18beeinflusst das Schmerzempfin<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn auch emotionale und kognitive Faktoren wieErwartungshaltung, Einstellungen, das Ausmaß <strong>de</strong>r Anspannung o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>rAufmerksamkeit. Ein Zusammenhang besteht zwischen <strong>de</strong>r Schmerzempfindung und<strong>de</strong>m Fokus <strong>de</strong>r Gedanken und Aufmerksamkeit. Bei starken Schmerzen wird nur noch andie eigenen Schmerzen gedacht; an<strong>de</strong>re Gedanken wie beispielsweise an die Familieo<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re treten kaum auf („Ich hab nur an die Schmerzen gedacht“). Teilweise wur<strong>de</strong>das Verhalten <strong>de</strong>s Rettungsdienstpersonals und <strong>de</strong>r Notärzte beklagt. So verursachtenach Angaben <strong>von</strong> Unfallopfern auch das unachtsame Ausziehen <strong>von</strong> Kleidung und dasLagern unnötige Schmerzen.3.2.2 ReaktionenDie Varianz <strong>von</strong> Reaktionen bei einem Verkehrsunfall sind sehr groß. Es zeigt sich, dassdie Reaktionen, um so stärker sind, je stärker die belasten<strong>de</strong>n Faktoren ausgeprägtsind. Jedoch haben nicht nur die Stärke <strong>de</strong>r einwirken<strong>de</strong>n Faktoren einen Einfluss auf dieReaktionen son<strong>de</strong>rn spielen auch Komponenten wie die „Persönlichkeit“ undBewältigungsstrategien <strong>de</strong>s Unfallopfers eine wichtige Rolle.Generell sind kaum Reaktionen zu fin<strong>de</strong>n, die bei nahezu allen Unfallopfern gemeinsamauftreten. Im folgen<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n die aufgetretenen Reaktionsweisen, wie sie beiUnfallopfern in <strong>de</strong>n oben dargestellten Erhebungen vorzufin<strong>de</strong>n waren, aufgelistet.Einen Einfluss auf die Reaktionen haben Geschlecht und Alter: Als kurzfristigeReaktion auf einen Unfall zeigen Frauen eher stärkere Emotionen und weinen z.B.leichter. Frauen <strong>de</strong>nken häufiger an Angehörige, <strong>de</strong>n Mann und die Kin<strong>de</strong>r („Ich hatteauch Sorge um meinen Mann“), während Männer eher an die Arbeit und <strong>de</strong>n Beruf<strong>de</strong>nken („Ich muss arbeiten gehen“). Dies ist teilweise sicherlich bereits durch diekindliche geschlechtsspezifische Sozialisation bedingt, teilweise auch schlicht durch dieTatsache, dass mehr Männer berufstätig sind als Frauen. Für Kin<strong>de</strong>r ist eineUnfallsituation noch bedrohlicher als für Erwachsene. Da Erwachsene eher durchPresseberichte, Lebenserfahrung usw. besser auf eine Notfallsituation vorbereitet sind.In <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n weiteren Beschreibungen <strong>de</strong>r Auswertungsergebnisse wer<strong>de</strong> ich zurbesseren Erklärung einige wörtliche Zitate in Klammern mit hinzufügen.Ebenfalls sind zur besseren Übersichtlichkeit die Reaktionen in drei Hauptteile unterteilt:„Emotionen“, „Gedanken“ und „Verhalten“.


Seite 19„Emotionen“Angst und UnruheViele Unfallopfer haben Angst. Art und Ausmaß <strong>de</strong>r Angst variieren bei <strong>de</strong>n einzelnenPersonen beträchtlich. Der objektive Maßstab <strong>de</strong>r Verletzung o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Unfallgeschehensmuss nicht immer einen Anlass für <strong>de</strong>rartige Ängste bieten. Einige Unfallopfer berichtendiffuse Ängste über das weitere Leben bis hin zu konkreten To<strong>de</strong>sängsten („Wer<strong>de</strong> ichjetzt sterben ?“; „Ich sterbe. Warum ich ?“).An<strong>de</strong>re Unfallopfer erleben die Notfallsituation eher konkret und realistischer.Beispielsweise empfin<strong>de</strong>n sie Angst vor einer Infusion o<strong>de</strong>r dass ein Arm amputiertwer<strong>de</strong>n muss („Als ich das knacken hörte, bekam ich panische Angst !“). Auch spielt dieAngst vor <strong>de</strong>r Möglichkeit eines ärztlichen Kunstfehlers im Angsterleben eine wichtigeRolle, ebenso wie die Sorge um die Angehörigen („Ich hatte auch Sorgen um meinenMann ... darf sich nicht aufregen !“).Das Eintreffen <strong>de</strong>s Rettungswagens wird zunächst als Angstreduzierend empfun<strong>de</strong>n. Eskann aber auch die Angst verstärken. Grund hierfür ist, die direkt nach <strong>de</strong>m Unfall ersteBeruhigung in das Unfallszenario. Das Eintreffen <strong>de</strong>s Hilfspersonals (Son<strong>de</strong>rsignale,usw.) mit <strong>de</strong>m darauffolgen<strong>de</strong>n Transport in die Klinik, stellt wie<strong>de</strong>r ein zu überwin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>sHin<strong>de</strong>rnis dar. Dies kann in <strong>de</strong>r Folge zum Wie<strong>de</strong>rauftreten <strong>von</strong> Ängsten führen.Das Krankenhaus wird <strong>von</strong> <strong>de</strong>n Unfallopfern ebenfalls zum einen Teil als erleichternd, fürviele aber auch angstför<strong>de</strong>rnd empfun<strong>de</strong>n. Angstreduzierend wird in allen Aussagen dieÜbermittlung <strong>von</strong> Informationen empfun<strong>de</strong>n.Bei einem Teil <strong>de</strong>r Unfallopfer ist nicht direkt Angst, son<strong>de</strong>rn eher eine allgemeine Unruhefestzustellen. So reagieren einige ausgesprochen hektisch und sind kaum nochansprechbar. Allgemein ist die Verfassung <strong>von</strong> Unfallopfern durch die ständig auf undabgehen<strong>de</strong>n Gefühle eher als labil zu bezeichnen.DepressionenDas Gefühl <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rgeschlagenheit und Traurigkeit, sowie sub<strong>de</strong>pressives Verhaltenkönnen sich beson<strong>de</strong>rs dann nach einem Unfall zeigen, wenn <strong>de</strong>r Patient das Gefühl hat,allein zu sein o<strong>de</strong>r allein gelassen zu wer<strong>de</strong>n. Depressionen können auch noch nachgrößeren zeitlichen Abstän<strong>de</strong>n zum Unfallgeschehen auftreten. Dies ist jedoch meist nurbei schweren Unfallfolgen wie z.B. bei erheblichen Funktionseinschränkungen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>mVerlust eines Organs <strong>de</strong>r Fall o<strong>de</strong>r, wenn die Zukunftsaussichten durch <strong>de</strong>n Unfallzerstört wur<strong>de</strong>n. Ansonsten treten nur bei wenigen leicht verletzten Patienten stärkere


Seite 20Depressionen auf und wenn, dann bestand meist vorher schon eine mehr o<strong>de</strong>r wenigerausgeprägte Depression.AggressionenEin Teil <strong>de</strong>r Unfallopfer reagiert auf das Geschehene Aggressiv, ärgerlich, wütend o<strong>de</strong>rgereizt. Diese Aggressionen sind teilweise gegen sich selbst gerichtet („Warum bin ichnur mitgefahren ?“; „Wäre ich nur zuhause geblieben !“), teilweise gegen an<strong>de</strong>re, <strong>de</strong>nUnfallverursacher, Beifahrer usw.. Die Aggressionen wen<strong>de</strong>n sich teilweise auch gegendas Rettungspersonal. In diesem Falle han<strong>de</strong>lt es sich meist um eine Art <strong>de</strong>r„Erregungsabfuhr“, die soweit möglich nicht stärker beachtet wer<strong>de</strong>n sollte. Erst beistärkerem Ausmaß sollte man Maßnahmen gegen <strong>de</strong>n Erregungszustand erwägen.GelassenheitNicht alle Unfallopfer reagieren auf eine Notfallsituation mit Unruhe und Angst. Einigebleiben ruhig und gelassen. Die schwere <strong>de</strong>s Unfalls spielt hierbei eine erhebliche Rolle.Bei kleineren Unfällen ohne Körperverletzungen zeigen viele Unfallopfer keine äußerenAnzeichen <strong>von</strong> Unruhe (Rettungsdienstmitarbeiter berichteten: „Bei Sachschä<strong>de</strong>n sind dieBeteiligten meist ruhig und sachlich !“). Die nach außen wirken<strong>de</strong> Gelassenheit be<strong>de</strong>utetjedoch nicht in je<strong>de</strong>m Fall, dass <strong>de</strong>r Unfall keine psychischen Auswirkungen hinterlassenhat. Vielmehr könnte dies ein Hinweis dafür sein, dass die Situation noch nicht richtigregistriert und verarbeitet wur<strong>de</strong>. Dies kann in <strong>de</strong>r Folge zu einer späteren psychischenKrise führen. Je apathischer ein Unfallopfer sich benimmt, um so näher liegt <strong>de</strong>rVerdacht, dass mit einer solchen Reaktion zu rechnen ist. Wenn das Geschehen einUnfallopfer scheinbar unberührt lässt, ist dies meist ein Indikator für eine unangemesseneReaktion in Form einer Verdrängung. Diese Reaktion ist als eine Schutzreaktion vorstärkeren Emotionen o<strong>de</strong>r einer Reizüberflutung zu sehen.SchamScham kann nach einem Unfall auftreten, wenn das Unfallopfer sich über sein eigenesFahrverhalten, für seine Dummheit etc. Vorwürfe macht. Sie entsteht auch dann, wenndas Unfallopfer beispielsweise mit zerrissener Kleidung hilflos am Bo<strong>de</strong>n liegt und <strong>de</strong>nBlicken <strong>von</strong> Zuschauern ausgesetzt ist o<strong>de</strong>r wenn das Rettungspersonal z.B. dieKleidung öffnet.


Seite 21SchuldgefühleUnfallopfer gehen die Schuldfrage sehr unterschiedlich an. Für die Einen ist dieSchuldfrage ehe nebensächlich, für an<strong>de</strong>re ist <strong>de</strong>r Gedanke darüber gera<strong>de</strong>zu zentral(„Ich hab <strong>de</strong>n Rettungssanitäter gefragt, ob ich Schuld sei !“).Manche Unfallopfer entwickeln ein Schuldgefühl, auch wenn eine objektive Schuld kaumo<strong>de</strong>r gar nicht vorliegt. Für die psychische Abarbeitung <strong>de</strong>s Unfallgeschehens ist dieSchuldfrage direkt nach <strong>de</strong>m Einsatz und auch im weiteren Verlauf – Versicherung,Anklagen, Gerichtsverfahren sehr be<strong>de</strong>utsam. Wer stärkere Schuldgefühle entwickelt,tendiert längerfristig zu starken psychischen Beeinträchtigungen durch <strong>de</strong>n Unfall.„Gedanken“Die bei einem Unfall entstehen<strong>de</strong>n starken Emotionen beeinträchtigen die rationaleInformationsverarbeitung. Sachverhalte, die vorher als einfach und verständlichangesehen wur<strong>de</strong>n, sind direkt nach einer Unfallsituation für das Notfallopfer kaumnachvollziehbar. Sowohl Denk- als auch Wahrnehmungsprozesse können verän<strong>de</strong>rt o<strong>de</strong>reingeschränkt ablaufen und die kognitive Verarbeitung <strong>von</strong> Emotionen verän<strong>de</strong>rn. Auchdie Beeinträchtigung <strong>de</strong>r Gehirnleistung durch eine kurze Bewusstlosigkeit muss bei <strong>de</strong>rBeurteilung <strong>de</strong>r Reaktionen <strong>de</strong>s Unfallopfers berücksichtigt wer<strong>de</strong>n.GesundheitNach einem Unfall gilt <strong>de</strong>r erste Gedanke häufig <strong>de</strong>r eigenen Gesundheit und <strong>de</strong>mKörper.Es geht um die Befürchtung, Extremitäten zu verlieren („Wird mein Bein amputiert ?“)o<strong>de</strong>r dass Körperteile fehlen. Auch kosmetische Aspekte („Hoffentlich fehlt kein Zahn ?“;„Oh Gott, hoffentlich bleibt keine Narbe in meinem Gesicht ?“). Das Unfallopfer stelltHypothesen über die gesundheitlichen Folgen auf und ist sich <strong>de</strong>rer ziemlich sicher („DerArm gehört mir nicht, die wer<strong>de</strong>n ihn mir abschnei<strong>de</strong>n“).Die Bewertung <strong>de</strong>r Schwere einer Verletzung stimmt Studien zur Folge in <strong>de</strong>n seltenstenFällen mit <strong>de</strong>n Einschätzungen <strong>de</strong>s Rettungs- und Krankenhauspersonals überein. Dadas Verhalten <strong>de</strong>s Patienten jedoch im wesentlichen durch seine Selbsteinschätzunggesteuert wird, ist es sinnvoll <strong>de</strong>n Patient über seine eigene Einschätzung zu befragenund dazu evtl. Fragen zu beantworten. So ist es evtl. möglich, die Selbsteinschätzung <strong>de</strong>rtatsächlichen Einschätzung etwas anzupassen. Je weniger ein Patient <strong>de</strong>n künftigenVerlauf seiner Genesung voraussehen kann, um so eher treten später psychischeBeeinträchtigungen auf. Insofern ist es sinnvoll, wenn die Situation für das


Seite 22Rettungsdienstpersonal einschätzbar ist, <strong>de</strong>m Patienten <strong>de</strong>n späteren Klinischen Verlaufevtl. erklären zu können.AngehörigeNeben <strong>de</strong>r Gesundheit sind die ersten Gedanken häufig auf die Angehörigen und <strong>de</strong>renBenachrichtigung gerichtet („Wer benachrichtigt meine Eltern ?“; „Kann ich meine Mutteranrufen ?“). Viele Unfallopfer wünschen sich, dass Familienangehörige bei ihnen wäreno<strong>de</strong>r möglichst bald kommen („Hoffentlich kommt mein Mann bald !“). Einige schauenauch als erstes nach Angehörigen o<strong>de</strong>r ob überhaupt Personen in <strong>de</strong>r Nähe sind.Die Anwesenheit <strong>von</strong> Angehörigen wur<strong>de</strong> <strong>von</strong> fast allen Unfallopfern als beruhigendgeschil<strong>de</strong>rt.MateriellesGedanken an materielle Dinge treten zunächst weniger auf. Sie gelten wenn sieauftreten, wertvollen („Das Auto war nagelneu !“), aber auch scheinbar völligunbe<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Dingen („Wo ist das Katzenauge vom Fahrrad; <strong>de</strong>r mittelschwer verletzteMann kroch sogar auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n herum und suchte es !“). Hier zeigt sich beson<strong>de</strong>rs<strong>de</strong>utlich die Verän<strong>de</strong>rung <strong>von</strong> Kognitionen (<strong>de</strong>r Bewertung <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utsamkeit) durchEmotionen.ZukunftDer Gedanke an die Zukunft, und die Folgen für <strong>de</strong>n Patienten nach <strong>de</strong>m Unfall stehenfür einige sofort im Mittelpunkt. Wer<strong>de</strong>n Zukunftsperspektiven durch <strong>de</strong>n Unfall zerstört,können später Depressionen o<strong>de</strong>r posttraumatische Belastungsstörungen auftreten. Füran<strong>de</strong>re sind die Folgen zunächst vollkommen irrelevant („Über die Folgen hab ich mirkeine Gedanken gemacht !“), wobei dies durch die Schwere <strong>de</strong>s Unfalls maßgeblichbeeinflusst wird.Wunsch nach GesprächAufgrund <strong>de</strong>r Angst bzw. <strong>de</strong>r starken Emotionen, die durch das Erlebte ausgelöst wur<strong>de</strong>n,haben viele Unfallopfer das Bedürfnis zu sprechen und wünschen sich ein Gespräch.Dieses Bedürfnis tritt nicht nur direkt im Anschluss an <strong>de</strong>n Unfall auf, son<strong>de</strong>rn auch nochWochen später („Ich hab es bestimmt schon 100mal erzählt !“). Ein <strong>de</strong>rartiges Verhaltenist als Verarbeitungsstrategie anzusehen und generell zu empfehlen und zu stützen.


Seite 23InformationswunschDie meisten Unfallopfer möchten Informationen haben, trauen sich aber häufig auch nichtnachzufragen. Der Wunsch nach Informationen bezieht sich auf <strong>de</strong>n eigenen Zustand,aber auch auf Angehörige und an<strong>de</strong>re Unfallbeteiligte. Informationen wirken lautAussagen <strong>de</strong>r Befragten beruhigend und sollten <strong>von</strong> <strong>de</strong>m Rettungspersonal so weit wiemöglich gegeben wer<strong>de</strong>n. Bei <strong>de</strong>r Weitergabe <strong>von</strong> Diagnosen und Prognosen ist jedochZurückhaltung geboten.„Verhalten“Das Verhalten eines Unfallpatienten ist stark durch die verän<strong>de</strong>rten Kognitionen undEmotionen beeinflusst.SchockEin Schock kann sich in verschie<strong>de</strong>nen Formen darstellen. Er kann sich in einer leichtenVerwirrung äußern, aber auch in sehr schweren Formen. Einige Unfallopfer berichteten,dass sie nicht mehr <strong>de</strong>nken konnten („Ich hatte gar keine Gedanken, war im Schock !“)o<strong>de</strong>r verwirrt waren („Wo bin ich ?“; Warum liege ich hier ?“).Völlige Orientierungslosigkeit kann zu Umherirren und zur Gefährdung <strong>de</strong>r Unfallopferund an<strong>de</strong>rer führen, z.B. das Umherirren auf <strong>de</strong>r Autobahn.Manche fühlen sich zusätzlich zur Verwirrtheit auch wie gelähmt und entwickeln späterstarke Schuldgefühle, weil sie in diesem Zustand an<strong>de</strong>ren nicht mehr helfen konnten.AbwehrmechanismenVerleugnung, Rationalisierung und Regression wer<strong>de</strong>n als Abwehrmechanismen genutzt.So zeigen einige Unfallopfer Verhalten auf einer kindgemäßen Altersstufe, sind hilflos,<strong>de</strong>legieren sämtliche Verantwortung an an<strong>de</strong>re und möchten nicht mehr entschei<strong>de</strong>n, d.h.sie fallen auf die Entwicklungsstufe eines Kin<strong>de</strong>s zurück (Regression).Nicht-wahr-haben-wollen, Verleugnung <strong>de</strong>s Geschehens, kann dazu führen, dassTatsachen nicht realitätsentsprechend wahrgenommen und interpretiert wer<strong>de</strong>n. ImExtremfall wer<strong>de</strong>n die Folgen eines Unfalls sogar völlig geleugnet.Informationen zur Aufklärung <strong>de</strong>r Situation sind in diesem Stadium <strong>de</strong>s Patienten eherunerwünscht („Ich wollte keine Informationen !“, „Ich wollte erst gar nicht wissen, was mitmir gemacht wird !“).


Seite 24Rationalisierung be<strong>de</strong>utet in diesem Zusammenhang, dass Unfallopfer nach Grün<strong>de</strong>nsuchen, dass <strong>de</strong>r Unfall unvermeidlich war und man unter <strong>de</strong>n gegeben Umstän<strong>de</strong>nsogar noch Glück gehabt hat. Das Unfallopfer versucht, <strong>de</strong>n Unfall und dieUnausweichlichkeit im Nachhinein rational zu klären.Ablehnung <strong>von</strong> HilfeTrotz schwerer Verletzungen sind einige Unfallopfer nicht o<strong>de</strong>r nur in geringem Maßbereit, Hilfe anzunehmen. Sie wehren sich regelrecht gegen Hilfe („Ich wollte in Ruhegelassen wer<strong>de</strong>n“). Einige erscheinen in dieser Situation unnahbar.SchreienLautes Schreien muss nicht nur wegen <strong>de</strong>r Schmerzen erfolgen, son<strong>de</strong>rn kann aus Angsto<strong>de</strong>r aufgrund <strong>de</strong>r Anspannung ein Mittel <strong>de</strong>r Entladung sein („aus Angst musste ichwahnsinnig schreien“). Sofern dies nicht bei an<strong>de</strong>ren Unfallopfern Ängste erzeugt o<strong>de</strong>rdurch zusätzliche Erregungszustän<strong>de</strong> an<strong>de</strong>re gefähr<strong>de</strong>t, sollte diese Form <strong>de</strong>rErregungsabfuhr toleriert wer<strong>de</strong>n.4. Psychische Erste Hilfe (PEH)In diesem Teil möchte ich ein Konzept Psychischer Erster Hilfe, für akuteNotfallsituationen, speziell für Unfälle, vorstellen. Es soll ein Regelsatz für Laienhelfer undfür professionelle Helfer dargestellt wer<strong>de</strong>n. Als Basisliteratur diente neben an<strong>de</strong>ren,welche in <strong>de</strong>r Literaturübersicht genannt sind, hauptsächlich J. Bengel (1997),„Psychologie in Notfallmedizin und Rettungsdienst“; Bierhoff H-W (1990), „Psychologiehilfreichen Verhaltens“; Gasch/Lasogga, Notfall & Rettungsmedizin 1999 – 2:S. 228 –234, „Psychische erste Hilfe“, Stephan (2001), „Zwischen Blaulicht, Leib und Seele“.4.1 DefinitionPsychische Erste Hilfe ist <strong>de</strong>r psychologische angemessene Umgang mit Personen inakuten Notsituationen wie z.B. Unfällen. Nicht gemeint ist die längerfristige <strong>Betreuung</strong> imRahmen <strong>von</strong> psychotherapeutischen Maßnahmen. (Bengel 1997, S. 70)


Seite 254.2 Die Notwendigkeit <strong>von</strong> Psychischer Erster Hilfe (PEH)Jährlich verunglücken in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland fast 9 Millionen Menschen.Wobei mehr als die Hälfte <strong>de</strong>r Fälle im Heim- und Freizeitbereich geschehen. Durch dieWeiterentwicklung <strong>de</strong>r Medizin hat sich die medizinische Erstversorgung und somit dieÜberlebenschance <strong>de</strong>utlich verbessert. Die durchschnittliche Zeit vom Unfallereignis biszum Eintreffen <strong>de</strong>s Rettungswagens hat sich auf durchschnittlich 8 min. verkürzt, zu<strong>de</strong>msind die Rettungswagen technisch und apparativ immer besser ausgestattet.Der Intensivmedizin gelingt es mittlerweile durch <strong>de</strong>n Einsatz immer besserer undausgefeilterer Behandlungsmetho<strong>de</strong>n, die Überlebenschance <strong>von</strong> Notfallopfern <strong>de</strong>utlichzu erhöhen. Jedoch wird <strong>de</strong>r Einsatz <strong>von</strong> immer mehr medizinischen Geräten„Apparatemedizin“ auch kritisiert. Es entsteht oft <strong>de</strong>r Eindruck, dass <strong>de</strong>r Verletzte, <strong>de</strong>rKranke und vor allem auch das Notfallopfer nur noch als eine Ansammlung <strong>von</strong> Organengesehen wird. Daraus resultierend scheint man dazu übergangen zu sein, nur nochOrgane zu „reparieren“ und nicht mehr <strong>de</strong>n Menschen als ganzes Individuum mit „Leibund Seele“ zu betrachten und zu achten.„Es wird beanstan<strong>de</strong>t, dass Ärzte vorrangig somatische Defekte und Störungen <strong>de</strong>rPatienten unter Vernachlässigung emotionaler und psychischer Begleitprozessebehan<strong>de</strong>lten“ und dass „die Therapie zu einer organspezifischen Reparaturarbeit<strong>de</strong>gradiert sei“ (Gorgaß u. Ahnefeld 1995, S. 127)Das Menschen und vor allem verunglückte Menschen auch Gefühle, Ängste,Befürchtungen haben, sich Sorgen machen, wird sowohl <strong>von</strong> Laienhelfern (also zufälligvorbeikommen<strong>de</strong>n Passanten) als auch <strong>von</strong> professionellen Helfern, wieRettungsdienstmitarbeitern, Notärzten, Feuerwehrleuten und Polizisten starkvernachlässigt. „Die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r psychischen Verfassung wird häufig übersehen o<strong>de</strong>rals zu gering eingeschätzt. Verletzte befin<strong>de</strong>n sich in einem schweren seelischenBelastungszustand“ (Brandstätter, zit. In Bierhoff 1990, S. 101).In <strong>de</strong>n Ausbildungsunterlagen <strong>de</strong>r Hilfsorganisationen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Lehrbüchern für Notärztewer<strong>de</strong>n psychische Aspekte kaum o<strong>de</strong>r gar nicht thematisiert. Auch in <strong>de</strong>n Erste-Hilfe-Kursen, die im Rahmen <strong>de</strong>s Führerscheinerwerbs absolviert wer<strong>de</strong>n, wird dieses Themakaum behan<strong>de</strong>lt.Studien zu Folge (durchgeführt <strong>von</strong> Garms - Homolova) wird in nur 0,14 % <strong>de</strong>r Kurse diepsychische <strong>Betreuung</strong> erwähnt (zit. In Greis 1992, S. 794).Gelegentlich sind nur pauschale, wenig hilfreiche Ratschläge zu fin<strong>de</strong>n wie: „Bleiben sieruhig“ o<strong>de</strong>r „Wirken sie beruhigend“ (Bourauel 1993).


Seite 26Wie o<strong>de</strong>r wodurch ein Ersthelfer jedoch beruhigend wirken könnte, wird nicht ausgeführt.Dies bestätigen sowohl die Opfer wie auch die meisten professionellen Helfer.„Das Rettungsdienstpersonal ist für die psychische Erstbetreuung <strong>von</strong> Patienten undUnfallopfern nicht spezifisch ausgebil<strong>de</strong>t. Die Rettungsassistenten sind hier auf Intuitionund eigene spezifische Erfahrungen angewiesen“ (Bengel und Kuntz 1995, S. 115).Somit ist festzustellen, dass die Ausbildung in diesen Bereichen bislang als völlig <strong>de</strong>fizitärzu bezeichnen ist. Je<strong>de</strong>r han<strong>de</strong>lt in <strong>de</strong>r Praxis nach eigenen Vorstellungen undErfahrungen, die er gemacht hat. Fehler, die dabei begangen wer<strong>de</strong>n, wer<strong>de</strong>n nurunzureichend erkannt und ausgebessert. Es gibt kein menschliches Verhalten, bei <strong>de</strong>mnicht Körper und Psyche in Interaktion stehen. Je<strong>de</strong> körperliche Verän<strong>de</strong>rung geht mitpsychischen Verän<strong>de</strong>rungen einher: Eine Virusinfektion mit Fieber beeinflusst dieStimmungslage eines Menschen erheblich. Umgekehrt hat je<strong>de</strong> Emotion Auswirkungenauf Drüsen, Herztätigkeit, Atmung, Kreislauf, Magen- und Darmtätigkeit, Muskeltonus,Immunsystem etc. Dass die Psyche Einfluss auf die Entstehung, <strong>de</strong>n Verlauf und somitauch auf die Genesung <strong>von</strong> Erkrankungen und Verletzungen haben muss, scheintunbestritten.In letzter Zeit wird diese Problematik auch in <strong>de</strong>r Medizin immer stärker thematisiert. Auchdie großen Rettungsdienstorganisationen betonen die Be<strong>de</strong>utung psychischer Aspektemehr und mehr:„Wenn ich vornehmlich über die psychosoziale <strong>Betreuung</strong> und Führung <strong>de</strong>s eigenenRettungsdienst gesprochen habe, so ist die <strong>Betreuung</strong> <strong>de</strong>r Notfallopfer eben nicht nurmedizinisch o<strong>de</strong>r rettungsdienstlich erfor<strong>de</strong>rlich, son<strong>de</strong>rn gleichwohl muss diesemedizinische Versorgung mit einer psychologisch angepassten <strong>Betreuung</strong> <strong>de</strong>rNotfallopfer einhergehen. Durch menschlich warme Zuwendung wird <strong>de</strong>r Notfallpatientseelisch stabilisiert. Doch nicht nur die Verletzten sind Opfer, son<strong>de</strong>rn auch an<strong>de</strong>reUnfallbeteiligte, <strong>de</strong>sorientierte und verzweifelte Hinterbliebene, insbeson<strong>de</strong>re Kin<strong>de</strong>r.Auch dieser Personenkreis bedarf <strong>de</strong>r Zuwendung“ (Lin<strong>de</strong> 1994, S. 7)Die Aspekte <strong>de</strong>r medizinischen und psychischen Ersten Hilfe schließen sich keinesfallsgegenseitig aus, son<strong>de</strong>rn sind bei<strong>de</strong> be<strong>de</strong>utsam und können sich gut ergänzen.Lei<strong>de</strong>r wird <strong>de</strong>r Tatsache, dass gute psychologische <strong>Betreuung</strong> in einer Notfallsituationdie bedrohliche körperliche Situation entspannen und stabilisieren könnte, zu wenigBe<strong>de</strong>utung beigemessen. Dies scheint in <strong>de</strong>r Unsicherheit <strong>de</strong>s Hilfspersonals begrün<strong>de</strong>tzu sein. Die Gefahr verletzlich zu wer<strong>de</strong>n und selbst seelischen Scha<strong>de</strong>n zu erlei<strong>de</strong>n, hältviele Helfer da<strong>von</strong> ab, sich zu sehr auf die Situation und somit auf <strong>de</strong>n Patienteneinzulassen. Verständlicherweise, da lei<strong>de</strong>r für das Hilfspersonal keine o<strong>de</strong>r nurmangelhafte psychische Hilfe zur Verfügung steht.


Seite 27In <strong>de</strong>n letzten Jahren allerdings ist ein Trend zu sehen, <strong>de</strong>r Hoffnung aufkeimen lässt.Man scheint erkannt zu haben, dass es effektiv ist sich auch um die Psyche <strong>de</strong>sPatienten zu kümmern. Somit wur<strong>de</strong> zwangsläufig auch <strong>de</strong>r Psyche <strong>de</strong>s Helfers mehrGewicht beigemessen. Begriffe wie „Posttraumatisches Belastungssyndrom (PTBS)“,„Burnout Syndrom“ usw. wer<strong>de</strong>n mittlerweile heiß diskutiert und wissenschaftlicherforscht.4.3 Regeln zur Psychischen Ersten Hilfe (PEH)In <strong>de</strong>m hier vorliegen<strong>de</strong>n PEH Konzept, ist eine Trennung <strong>de</strong>r Regeln für <strong>de</strong>n Laienhelferund für <strong>de</strong>n professionell Helfen<strong>de</strong>n vorgenommen wor<strong>de</strong>n. Die Tatsache, dass dieRegeln an <strong>de</strong>n Ausbildungsstand <strong>de</strong>s Anwen<strong>de</strong>rs angepasst wer<strong>de</strong>n musste, führte dazu,dass die Regeln für <strong>de</strong>n Laienhelfer (Basisregeln) kurz und prägnant zusammengefasstwur<strong>de</strong>n, um diesen nicht zu überfor<strong>de</strong>rn. Die sogenannten „S-Regeln“ (beginnen mit„S“) wur<strong>de</strong>n zur besseren Einprägung in einfacher, appellhafter Sprache formuliert. Dievorliegen<strong>de</strong> sprachliche Form entstand nach einer Reanalyse <strong>de</strong>r Interviewdaten durchBourauel im Rahmen eines Projekts <strong>de</strong>s Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR;Bourauel 1993).4.3.1 Basisregeln für LaienhelferSage, dass du da bist und dass etwas geschieht!Der Verletzte soll spüren, dass er in seiner Situation nicht allein ist. Gehen Sie zu <strong>de</strong>mNotfallopfer und stehen Sie nicht herum. Schon <strong>de</strong>r Satz: „Ich bleibe bei Ihnen, bis <strong>de</strong>rKrankenwagen kommt", wirkt entlastend und beruhigend. Der Verletzte sollte auch übervorgenommene Maßnahmen informiert wer<strong>de</strong>n, z. B. „Der Krankenwagen ist auf <strong>de</strong>mWeg".Schirme <strong>de</strong>n Verletzten vor Zuschauern ab !Neugierige Blicke sind für einen Verletzten unangenehm. Weisen Sie Schaulustigefreundlich, aber bestimmt zurück, z. B. in<strong>de</strong>m Sie sagen: „Bitte treten Sie zurück!". WennZuschauer stören, weil sie unnötige Ratschläge geben o<strong>de</strong>r <strong>von</strong> eigenen Erlebnissenberichten, geben Sie ihnen eine Aufgabe ! Sagen Sie z. B. „Schauen Sie, ob dieUnfallstelle abgesichert ist“. Zu Störern kann auch gesagt wer<strong>de</strong>n: „Halten Sie bitte dieZuschauer auf Distanz und sorgen Sie für Ruhe".


Seite 28Suche vorsichtigen Körperkontakt !Leichter körperlicher Kontakt wird <strong>von</strong> Verletzten als angenehm und beruhigen<strong>de</strong>mpfun<strong>de</strong>n. Halten sie <strong>de</strong>shalb die Hand o<strong>de</strong>r die Schulter <strong>de</strong>s Notfallopfers.Berührungen an Kopf und an<strong>de</strong>ren Körperteilen sind hingegen nicht zu empfehlen, siewer<strong>de</strong>n oft als zu nah empfun<strong>de</strong>n. Begeben Sie sich auf die gleiche Höhe mit <strong>de</strong>mVerletzten.In <strong>de</strong>r Regel knien Sie neben ihm o<strong>de</strong>r beugen sich herab. Oft sind Kleidungsstückezerrissen, <strong>de</strong>r Patient friert, o<strong>de</strong>r er liegt unbequem. Diesen Zustand sollte man behebenund so eine möglichst angenehme Situation schaffen: z.B. durch zu<strong>de</strong>cken mit einerDecke, durch bequemere Lagerung.Sprich und höre zu !Sprechen kann für <strong>de</strong>n Verletzten wohltuend sein. Wenn <strong>de</strong>r Verletzte re<strong>de</strong>t, hören Siegeduldig zu. Sprechen Sie auch <strong>von</strong> sich aus, möglichst in ruhigem Tonfall - selbst zuBewusstlosen ! Vermei<strong>de</strong>n Sie Vorwürfe. Fragen Sie <strong>de</strong>n Verletzten: „Soll jemandbenachrichtigt wer<strong>de</strong>n?" Unterrichten Sie hierüber die Helfer. Sollten Sie Mitleidverspüren, scheuen Sie sich nicht, es zu zeigen.(Bengel 1997, S. 72)4.3.2 Regeln für professionelle HelferBei Personen, die professionell mit Erster Hilfe und weiterführen<strong>de</strong>n Maßnahmen befasstsind, können meist komplexe Verhaltensweisen analysieren und entsprechen<strong>de</strong>psychologische Hilfsmaßnahmen einleiten. Aus diesem Grun<strong>de</strong> wur<strong>de</strong> für professionelleHelfer ein zweiter, ausführlicherer Regelkatalog, welcher im prinzipiellen aus 9 Regelnbesteht, entwickelt.Dieser bezieht nicht nur die direkte Interaktion mit <strong>de</strong>m Patienten in einer differenzierterenForm ein, son<strong>de</strong>rn umfasst auch psychologische Hinweise im Umfeld <strong>de</strong>sRettungseinsatzes, also z.B. für die Fahrt zum Unfallort und <strong>de</strong>n Umgang mitAngehörigen.4.3.2.1 Fahrt zum UnfallortInsbeson<strong>de</strong>re weniger erfahrene professionelle Helfer erleben bei <strong>de</strong>r Fahrt zum Unfallorthäufig Stress, Beklemmung o<strong>de</strong>r Nervosität. Zwar gibt es keine Patentrezepte um diese


Seite 29Nervosität gänzlich zu beseitigen, jedoch gibt es einige Hinweise, wie man <strong>de</strong>mentstehen<strong>de</strong>n Stress begegnen kann, um ihn zu mil<strong>de</strong>rn.Stress und Aufregung müssen nicht generell schädlich sein. Nach <strong>de</strong>m „Yerkes-Dodson-Gesetz“ erreicht man bei mittlerer Erregung die besten Leistungen.Das be<strong>de</strong>utet: Keine Erregung ist ebenso wenig leistungsför<strong>de</strong>rnd, wie eine zu starkeErregung. Erst, wenn ein bestimmtes optimales Niveau überschritten wird, sollte manversuchen, beruhigen<strong>de</strong> Maßnahmen zu erwägen.Eine <strong>de</strong>r Möglichkeiten überstarke Erregung zu reduzieren besteht darin, sich <strong>de</strong>n Verlauf<strong>de</strong>s Notfalleinsatzes im Sinne eines mentalen Trainings, also <strong>de</strong>s geistigen Antizipierens<strong>de</strong>r zu erwarten<strong>de</strong>n Situation, vor Augen zu führen.Und zwar möglichst die gesamte Komplexität <strong>de</strong>r Notfallsituation in ihrer schlimmstenForm. Dies beinhaltet Angehörige, evtl. Zuschauer, Polizei, Feuerwehrleute,Darstellungen <strong>de</strong>r Verletzungen (z.B. teilamputierte Organe, große Verletzungen) usw. inseine Vorstellungen mit einzubeziehen.Um dies durchführen zu können, ist es sehr wichtig <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Zentralen Leitstelle, welchedie Aufträge verteilt, möglichst <strong>de</strong>taillierte und genaue Informationen zu erhalten.Allerdings hat das Personal in <strong>de</strong>n Leitstellen oft nur wenig Zeit für die Ermittlung <strong>von</strong>Fakten und somit stehen <strong>de</strong>m Rettungspersonal meist nur wenige und teilweise auchmangelhafte Informationen zur Verfügung.Beispiel: „Meldung: Verkehrsunfall mit zwei Leichtverletzten und zwei PKW – Polizei vorOrt“; „Ankunft: Zwei Schwerverletzte (da<strong>von</strong> eine Person eingeklemmt), 3 Leichtverletzte,1 vermisste Person, keine Polizei vor Ort und nur unzureichen<strong>de</strong> Hilfskräfte“.Ähnliche Situationen wer<strong>de</strong>n häufig angetroffen. Manchmal ist es lei<strong>de</strong>r unmöglich sichauf eine Situation vorzubereiten. Da erkannt wur<strong>de</strong>, dass dies ein Schwachstelle ist, gibtes seit einiger Zeit Schulungsprogramme für das Leitstellenpersonal, die genau andiesem Punkt ansetzen und diese Kommunikationsprobleme lösen sollen.Eine an<strong>de</strong>re Möglichkeit Stress zu reduzieren, ist sich auf eine kleine Anzahl <strong>von</strong>standardisierten, formalisierten Regeln und Handlungen, die auf alle Fälle richtig sind zukonzentrieren.Dies zeigt, wie be<strong>de</strong>utend im Vorfeld eine gute Aus- und Weiterbildung ist. Sie ist einer<strong>de</strong>r Schlüssel, um in <strong>de</strong>r Stresssituation eines Notfalles nicht die Ruhe zu verlieren undauch auf nicht vorhersehbare Zwischenfälle adäquat reagieren zu können.Eine weitere Möglichkeit <strong>de</strong>r Stressreduktion greift auf eine Theorie zurück, nach <strong>de</strong>rHoffnung auf Erfolg („Wir schaffen das !“) zu adäquateren Handlungsweisen führt als dieFurcht vor Misserfolg.


Seite 30Dementsprechend sollte man sich die positiven Möglichkeiten seiner Tätigkeit bewusstmachen und auch Kollegen <strong>de</strong>mentsprechend beeinflussen(Positivbeispiel: „Wir wer<strong>de</strong>n auf alle Fälle jeman<strong>de</strong>m helfen können !“;Negativbeispiel: „Oh Gott, da wer<strong>de</strong>n wie<strong>de</strong>r komplizierte Fälle und Entscheidungen aufuns zukommen !).Ratsam ist es auch vor <strong>de</strong>r Fahrt zum Einsatzort festzulegen, wer die Einsatzleitung an<strong>de</strong>r Einsatzstelle und wer die Fahrt zur Einsatzstelle übernimmt. Die extrem hoheAufmerksamkeit und ständige Unfallgefahr, in <strong>de</strong>r das Rettungspersonal sch<strong>web</strong>t,belastet eine Notfallsituation schon im Vorfeld erheblich. Derjenige, <strong>de</strong>r die Einsatzleitungübernimmt, sollte nicht das Rettungsmittel steuern.4.3.2.2 Überblick über die NotfallsituationWenn Helfer am Unfallort (Einsatzort) eintreffen, ist es ratsam, nicht sofort mit konkretenRettungsmaßnahmen zu beginnen. Nicht selten wird – insbeson<strong>de</strong>re bei Großunfällen –da<strong>von</strong> berichtet, dass die Besatzungen <strong>de</strong>r eintreffen<strong>de</strong>n Rettungswagen <strong>de</strong>n amnächsten liegen<strong>de</strong>n Verletzten aufnahmen (möglicherweise aus Angst, <strong>de</strong>m weiterenGeschehen nicht gewachsen zu sein o<strong>de</strong>r vor <strong>de</strong>r dargebotenen Szenerie überfor<strong>de</strong>rt zuwer<strong>de</strong>n); sich sofort wie<strong>de</strong>r entfernten o<strong>de</strong>r ihre ganze Hilfe auf eine Person fixierten.Dabei wer<strong>de</strong>n jedoch nicht nur weitere Verletzte übersehen, die gegebenenfalls weitmehr medizinischer Hilfe bedürften, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Helfer gefähr<strong>de</strong>t möglicherweise auchsich selbst, z.B. durch das Übersehen einer Brandgefahr, mangeln<strong>de</strong> Absicherung o<strong>de</strong>ran<strong>de</strong>rer Gefahrenquellen.Der Helfer sollte sich also zuerst einen Überblick verschaffen. Dies be<strong>de</strong>utet in einigerEntfernung <strong>von</strong> <strong>de</strong>r Unfallstelle zu verharren um so die Komplexität <strong>de</strong>s Ereignisses zuerfassen (Anzahl <strong>de</strong>r Fahrzeuge und Verletzten, eingeklemmte o<strong>de</strong>r nicht eingeklemmtePersonen, ist technische Rettung [z.B. Feuerwehr, THW] erfor<strong>de</strong>rlich ?, sind weitereEinsatzkräfte nötig ? usw.).Bei einem häuslichen Unfall sollte <strong>de</strong>r Helfer zuerst einmal in <strong>de</strong>r Tür stehen bleiben undso die ganze Situation <strong>de</strong>s Raumes erfassen.Diese ersten 15-30 Sek. können für <strong>de</strong>n weiteren Verlauf <strong>de</strong>s Einsatzes entschei<strong>de</strong>ndsein und sind im nachhinein nicht mehr nachzuholen, da <strong>de</strong>r Ersteindruck ungetrübt undneutral in seiner Bewertung ist.Um dies zu ver<strong>de</strong>utlichen, möchte ich ein kleines Beispiel bringen. Wenn man sich einBild zur Hand nimmt und es in einem Abstand <strong>von</strong> ca. 10 cm vor sein Gesicht hält, siehtman einen Mann mit Hut. Das Bild 50 cm weit weggehalten, ermöglicht es die Landschaft,in <strong>de</strong>r sich <strong>de</strong>r Mann bewegt inkl. Bil<strong>de</strong>rrahmen zu sehen.


Seite 31Genauso geht es <strong>de</strong>n Hilfskräften am Einsatzort. Man muss sich die Chance lassen, <strong>de</strong>nBil<strong>de</strong>rrahmen und die Signatur <strong>de</strong>s Malers zu erkennen. Nur so ist es möglich einGesamtbild <strong>de</strong>s Einsatzszenarios zu erhalten und adäquate Maßnahmen zu ergreifen.4.3.2.3 Begrüßung und VorstellungBeson<strong>de</strong>rs bei Verkehrsunfällen mit mehreren Beteiligten herrscht aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>rVerletzten neben einem emotionalen Durcheinan<strong>de</strong>r auch ein Informationschaos.Verschie<strong>de</strong>ne Akteure mit verschie<strong>de</strong>nen Interessen agieren in <strong>de</strong>r Szene. Ein Patientwird <strong>von</strong> vielen verschie<strong>de</strong>nen Menschen, <strong>de</strong>ren Funktion und Rolle er nicht kennt,angesprochen, angefasst, gezogen, gezerrt und hingelegt.In an<strong>de</strong>ren Fällen passiert evtl. auch gar nichts, was <strong>de</strong>n Verletzten ebenfalls ängstigt.Aus <strong>de</strong>r Lernpsychologie weiß man, dass gera<strong>de</strong> zu Beginn eines Kontaktes Markengesetzt wer<strong>de</strong>n, die sich auf das gesamte spätere Verhalten auswirken. Hilfreich undnotwendig sind daher klare und ein<strong>de</strong>utige Aussagen zur Rolle <strong>de</strong>r agieren<strong>de</strong>n Personen.Aus diesem Grun<strong>de</strong> ist es wichtig, dass ein professioneller Helfer durch die Begrüßungund Vorstellung seiner Person und seiner Funktion <strong>de</strong>m Patienten <strong>de</strong>monstriert, dassdieser wahrgenommen und angenommen wird. Der Patient erhält so das Gefühl, <strong>de</strong>nrichtigen Gesprächspartner für seine Beschwer<strong>de</strong>n und Fragen vor sich zu haben.Es ist auch zu empfehlen, sich <strong>de</strong>n Namen <strong>de</strong>s Patienten nennen zu lassen um ihnpersönlich ansprechen zu können. Die wechselseitige Vorstellung mit Namen signalisiert,dass <strong>de</strong>r Helfer die Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Verletzten als gleichwertig akzeptiert. Zu<strong>de</strong>m wird dadurchein Stück Normalität in die Situation eingebracht und somit die vorhan<strong>de</strong>ne Erregunggemil<strong>de</strong>rt.Beispiele: „Guten Tag, mein Name ist Zeller. Ich bin Rettungsassistent. Wie ist ihr Name?“ (Antwort). „Herr Schulz, wir versuchen, ihnen jetzt zu helfen. Wo haben sieSchmerzen o<strong>de</strong>r Beschwer<strong>de</strong>n ?“ (Antwort). „Was können wir sonst noch für sie tun ?(Antwort)“4.3.2.4 KörperkontaktNach Befragungen und Erhebungen bei Unfallopfern, ist <strong>de</strong>ren größte Furcht, „allein zusein“. Taktiler Kontakt, auch über das Medizinische hinaus, ist neben <strong>de</strong>r verbalenAnsprache ein weiteres Signal für <strong>de</strong>n Patienten, dass er nicht alleine ist.Aus Rollenspielen, die zu diesem Thema durchgeführt wur<strong>de</strong>n, ist zu entnehmen, dass in<strong>de</strong>n meisten Fällen ein statischer Kontakt (sanfter Druck) angenehmer un<strong>de</strong>ntspannen<strong>de</strong>r erlebt wird als ein dynamischer (Streichen o<strong>de</strong>r Streicheln). Ein Kontakt<strong>von</strong> Haut zu Haut (Hand halten) ist in <strong>de</strong>r Regel wirksamer als Kontakt durch die


Seite 32Kleidung. Es versteht sich <strong>von</strong> selbst, dass mandiesen psychologischen Körperkontakt nur aufunverfängliche Körperteile (Hand, Arm, Schulter)beziehen sollte.Schon Berührungen am Kopf ohne vorherigeAnkündigung, wer<strong>de</strong>n nach <strong>de</strong>n Berichten <strong>von</strong>Verletzten und Rollenspielakteuren als eherAbb. 2unangenehm empfun<strong>de</strong>n (eine Ausnahme bil<strong>de</strong>thierbei das Abwischen <strong>de</strong>r Stirn <strong>von</strong> Blut und Schweiß).Um Körperkontakt aufrechtzuerhalten, ist es in <strong>de</strong>n meisten Fällen notwendig, sich auf dieEbene <strong>de</strong>s Unfallopfers zu begeben (Knien o<strong>de</strong>r hinunterbeugen). Denn eine Person, dieüber einem steht (vgl. Abb. 2, S. 32), wird als eher bedrohlich empfun<strong>de</strong>n.Wenn <strong>de</strong>r Verletzte durch Kleidung eingeengt wird, friert, unbequem liegt o<strong>de</strong>rKleidungsstücke zerrissen sind, sollte man dies beheben.Um weiteren Ängsten vorzubeugen; sollte außer<strong>de</strong>m die medizinische Behandlung soweitwie möglich im Blickfeld <strong>de</strong>s Patienten geschehen, möglichst nicht hinter <strong>de</strong>m Kopfkniend durchgeführt wer<strong>de</strong>n.4.3.2.5 InformationenMan stelle sich folgen<strong>de</strong> Situation vor: Auf einem Flughafen wartet man auf <strong>de</strong>n Aufrufseines Flugzeuges, die Abflugzeit ist schon längst vorbei. Personen, die wie Angestellte<strong>de</strong>r Fluggesellschaft aussehen, gehen vorbei und rufen sich Worte zu die man nurunzureichend und bruchstückhaft versteht. Wie wird die Reaktion <strong>de</strong>r Passagiere sein ?Gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r heutigen Situation, in <strong>de</strong>r alle Menschen Angst vor Attentaten haben,wer<strong>de</strong>n wahrscheinlich Irritation, Aggression, Angst, Verunsicherung etc. auftreten.Eine klären<strong>de</strong> Durchsage im Flughafen sorgt zwar möglicherweise für Ärger, führtallerdings auch zu einer gewissen Erleichterung. Diese Situation kann man problemlosauf eine Unfallsituation übertragen, wobei das Unfallopfer sich in einer noch schlimmerenLage befin<strong>de</strong>t. Schon knappe, klare Informationen können in <strong>de</strong>r Lage sein, dasUnfallopfer zu beruhigen.Die Übermittlung <strong>von</strong> Informationen verstärkt auch <strong>de</strong>n Eindruck <strong>von</strong> Kompetenz. Sie istnützlich zur Aufrechterhaltung <strong>de</strong>s verbalen Kontaktes und verhin<strong>de</strong>rt überzogenekörperliche Abwehr- o<strong>de</strong>r Panikreaktionen bei <strong>de</strong>r Durchführung <strong>von</strong> medizinischenMaßnahmen. Wichtig ist dabei eine Angabe über die ungefähre Dauer einer Maßnahmezu machen. Somit wissen die Patienten, wie lange sie evtl. bei einer durchzuführen<strong>de</strong>nMaßnahme durchhalten müssen. Sie können dadurch ihre Schmerztoleranz besserdosieren.


Seite 33Beispiele: „Ich taste sie jetzt vorsichtig ab ! Bitte sagen sie mir, wenn sie Schmerzenverspüren !“; „Ich gebe ihnen jetzt eine Spritze, die sie entspannt.“; „Wir verbin<strong>de</strong>n dieWun<strong>de</strong> jetzt, dass dauert nur etwa eine halbe Minute.“; „In 10 Minuten sind wir imKrankenhaus !“; „Wir heben sie jetzt auf unsere Trage, das kann etwas wehtun. Gebensie uns Bescheid, wenn es nicht mehr geht. Wir wer<strong>de</strong>n langsam und vorsichtig sein !“.Es sollten immer klare, ein<strong>de</strong>utige und verständliche Aussagen getroffen wer<strong>de</strong>n. Aufpauschale Floskeln („Es wird schon wie<strong>de</strong>r !“; „Nächste Jahr um die Zeit können siewie<strong>de</strong>r lachen“) verzichtet man besser. Auch sollte man nie über, son<strong>de</strong>rn stets mit <strong>de</strong>mVerletzten Menschen sprechen.Patienten empfin<strong>de</strong>n es als unangenehm und sogar bedrohlich, wenn Helferuntereinan<strong>de</strong>r über sie re<strong>de</strong>n (meist noch in einer unverständlichen Sprache) („Eineschwere diolectica fatalis !“) o<strong>de</strong>r gar bedrohliche Diagnosen („Das Bein wer<strong>de</strong>n wiramputieren müssen !“; „Das ist sicherlich eine Querschnittslähmung !“) untereinan<strong>de</strong>raustauschen.Viele <strong>de</strong>r Unfallopfer möchten wissen, wer ihre Angehörigen informiert, o<strong>de</strong>rwas aus ihrem möglicherweise <strong>de</strong>molierten Fahrzeug wird, .... Hierüber sollte <strong>de</strong>r Helfersoweit wie möglich Auskunft geben und auf die im jeweiligen Rettungssystem für<strong>de</strong>rartige Aufgaben vorgesehenen üblichen Routinemaßnahmen verweisen.4.3.2.6 KompetenzDie Anwesenheit eines professionellen Helfers, hat an sich schon eine beruhigen<strong>de</strong>Wirkung auf die Psyche eines Verletzten.Unfallopfer wer<strong>de</strong>n oft schon ruhiger, wenn ein Rettungswagen eingetroffen ist und <strong>de</strong>rerste Kontakt mit <strong>de</strong>m professionellen Rettungsdienstpersonal aufgenommen wur<strong>de</strong>.Dessen muss sich das Rettungsdienstpersonal immer bewusst sein und die ersteBegegnung als die wichtigste ansehen.Dem Helfer wird primär in <strong>de</strong>r Regel „Kompetenz“ zugeschrieben. Darunter versteht <strong>de</strong>rVerletzte beson<strong>de</strong>rs die differenzierte Beurteilung <strong>de</strong>r Verletzungen, die Erläuterung <strong>de</strong>rgeplanten medizinischen Maßnahmen, <strong>de</strong>ren sichere routinierte Durchführung, sowie dasvertrauen können auf Aussagen.Beispiele: „Ich gebe ihnen jetzt eine Spritze; das Medikament wird ihnen die Schmerzennehmen und sie vielleicht etwas mü<strong>de</strong> und schläfrig wer<strong>de</strong>n lassen !“, „Wir legen ihnenjetzt eine Decke unter die Beine, dann lassen ihre Bauchschmerzen nach, weil dieBauch<strong>de</strong>cke sich dadurch entspannt !“, „Diese Art <strong>de</strong>r Verletzungen haben wir schon öftergesehen !“, „Die Verletzungen am Arm kann ich jetzt schon mal gut versorgen; dieVerletzung am Bauch wird ausführlich im Krankenhaus behan<strong>de</strong>lt !“.Pauschal-trösten<strong>de</strong> Äußerungen („Das wird schon wie<strong>de</strong>r !“), auch wenn sie „gut gemeint“sind, sind weniger wirkungsvoll und erzeugen teilweise sogar Aggressionen.


Seite 344.3.2.7 GesprächDie meisten Verletzten haben das Bedürfnis zu re<strong>de</strong>n. Sie empfin<strong>de</strong>n es erleichternd. DerHelfer sollte sich daher bemühen, mit <strong>de</strong>m Opfer ein Gespräch aufrecht zu halten, falls erkeine gegenteiligen Indizien wahrnimmt, z.B. dass das Re<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Verletztenoffensichtlich stark erschöpft. Ein Patient (außer Kin<strong>de</strong>r) sollte nicht geduzt wer<strong>de</strong>n, aucheine in Not befindliche Person hat ein Anrecht mit Respekt behan<strong>de</strong>lt zu wer<strong>de</strong>n.Alte Menschen sollten nicht mit Anre<strong>de</strong>n wie: „Na Opa, wie geht es dir ? Das kriegen wirschon wie<strong>de</strong>r hin !“ angesprochen wer<strong>de</strong>n.Das Gespräch hat auch einen medizinischen Aspekt: Die Ansprechbarkeit wird dadurchständig überprüft wer<strong>de</strong>n. Wenn <strong>de</strong>r Verletzte re<strong>de</strong>n kann und will, sollte man dasGespräch über die Themen führen, die er vorbringt. Dabei sollte das Unfallopfer spüren,dass <strong>de</strong>r Helfer ihm seine Aufmerksamkeit widmet, seine Äußerungen ernst nimmt unddiese zu verstehen sucht.Falls <strong>de</strong>r Patient über seine Emotionen, seine Ängste spricht, sollte man ihm Verständnissignalisieren, auch wenn seine Gedanken und Gefühle <strong>de</strong>m Hilfspersonal vielleicht sogarabsurd erscheinen; für das Unfallopfer haben sie in diesem Moment Be<strong>de</strong>utung, und eswirkt erleichternd, diese zu äußern.Eine beson<strong>de</strong>re <strong>von</strong> Carl Rogers entwickelte Gesprächsform, die „aktives Zuhören“ o<strong>de</strong>rauch „Patientenzentriertes“ Gespräch genannt wird, hat sich in <strong>de</strong>rartigen Situationen alssehr wirksam erwiesen (Carl Rogers 1987).Für diesen Gesprächsstil gelten folgen<strong>de</strong> Regeln:‣ Der Helfer sollte versuchen, die Gefühle und Gedanken, sowie die Sichtweise <strong>de</strong>sVerletzten so genau wie möglich zu verstehen.‣ Während <strong>de</strong>s Gesprächs signalisiert <strong>de</strong>r Helfer, dass er aufmerksam zuhört. Diesgeschieht durch Blickkontakt, Kopfnicken, Worte wie „ja“, „mmh“, „ach so“, „aha“etc., außer<strong>de</strong>m durch Nachfragen („Können sie das näher erläutern ?“).‣ Der Helfer fasst in eigene Worte, was er <strong>von</strong> <strong>de</strong>n Gedanken, Gefühlen undBewertungen verstan<strong>de</strong>n hat. Dies zeigen Formulierungen wie: „Sie meinen ...“,„Sie <strong>de</strong>nken also ...“, „Sie fühlen ...“, “Sie fin<strong>de</strong>n ...“.‣ Der Helfer darf die Aussagen <strong>de</strong>s Verletzten nicht bewerten, egal was er sagt,<strong>de</strong>nkt o<strong>de</strong>r fühlt (also nicht: „Sie haben recht !“ o<strong>de</strong>r „Das sehen sie falsch !“).


Seite 35‣ Der Helfer gibt keine Ratschläge, Analysen und Deutungen son<strong>de</strong>rn nurInformationen.Falls es <strong>de</strong>m Helfer schwerfällt, das aktive Zuhören umzusetzen, sind „Jokerfragen“ <strong>von</strong>Nutzen; die fast je<strong>de</strong>n Menschen animieren, etwas zu erzählen („Woher kommen Sie ?“,„Was machen sie beruflich ?“, „Haben sie so etwas schon einmal erlebt ?“, „Soll jemandverständigt wer<strong>de</strong>n ?“).Dies schließt natürlich nicht aus, <strong>de</strong>n Patienten um Ruhe zu bitten, wo dies medizinischnotwendig ist, ihm aber auch, beispielsweise durch eine Nachfrage o<strong>de</strong>r eineWie<strong>de</strong>rholung <strong>de</strong>r letzten Anmerkung, ein Zeichen zum Weiterre<strong>de</strong>n zu geben !Wenn <strong>de</strong>r Patient nicht re<strong>de</strong>n will o<strong>de</strong>r kann, sichtlich unter <strong>de</strong>r verbalen Interaktion lei<strong>de</strong>t,sollte <strong>de</strong>r Helfer wenigstens in Abstän<strong>de</strong>n durch einige Bemerkungen Kontaktsignalisieren.Da das Gehör einer <strong>de</strong>r Sinne ist, die zuletzt ausfallen, sollte dieser Kanal genutztwer<strong>de</strong>n, um Angst zu mil<strong>de</strong>rn. Es mehren sich auch Berichte, dass ein bestimmterProzentsatz <strong>von</strong> Patienten (wie vorher beschrieben) sogar in <strong>de</strong>r Bewusstlosigkeit o<strong>de</strong>rVollnarkose wahrnimmt, was um ihn herum geschieht. So scha<strong>de</strong>t es zumin<strong>de</strong>st nicht,auch zu diesen Patienten beruhigen<strong>de</strong>n verbalen Kontakt aufrechtzuerhalten(Beispiele: „Ich spreche jetzt noch ein bisschen weiter mit ihnen, sie müssen aber nichtantworten !“, „Es wer<strong>de</strong>n jetzt alle Verletzten versorgt !“, „Es sind jetzt ausreichendKrankenwagen da !“, „Polizei und Feuerwehr haben alles abgesperrt und im Griff !“, „Allesgeht planmäßig voran !“).Auch wenn dies in vielen Situation für <strong>de</strong>n Helfer schwierig ist, sollte er dabei beson<strong>de</strong>rsauf seinen Tonfall achten, weil dadurch sowohl Aufregung und Hektik als auchBeruhigung und Trost vermittelt und wahrgenommen wer<strong>de</strong>n können.4.3.2.8 ZuschauerInsbeson<strong>de</strong>re leichter Verletzte empfin<strong>de</strong>n Zuschauer als eine starke Belastung. Es istihnen sichtlich peinlich, dass an<strong>de</strong>re sie in einer hilflosen Lage erleben. Der Helfer kannim Umgang mit Zuschauern generell 2 Strategien verfolgen:1. Sie können vom Unfallort entfernt wer<strong>de</strong>n.Wenn Zuschauer <strong>von</strong> Unfallopfern als sehr unangenehm erlebt wer<strong>de</strong>n, dieHilfeleistung behin<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r sich selbst gefähr<strong>de</strong>n, sollten sie vom Unfallort durchz.B. Polizei, Feuerwehr entfernt wer<strong>de</strong>n.


Seite 362. In das Geschehen mit eingebun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.Einige theoretische Ansätze (Aktivierungstheorien), aber auch konkreteErfahrungen <strong>von</strong> Praktikern sprechen dafür, dass Zuschauer auch durchaus bereitwären, Hilfsaufgaben zu übernehmen. Sie müssen dazu allerdings bestimmt unddirekt aufgefor<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n. („Sie im roten Pullover, kommen sie bitte her undhelfen sie mir !“ – nicht: „Kann mal jemand helfen ?“), und es muss ihnen einekonkrete Aufgabe gestellt wer<strong>de</strong>n („Halten sie diese Flasche bitte exakt in dieserHöhe !“).Eine beson<strong>de</strong>rs raffinierte Instruktion an Zuschauer könnte auch darin bestehen,an<strong>de</strong>re Zuschauer zurückzudrängen („Halten sie bitte die an<strong>de</strong>ren Zuschauermin<strong>de</strong>stens 10 m <strong>von</strong> hier entfernt !“).Eine an<strong>de</strong>re Möglichkeit über die sich generell Gedanken gemacht wer<strong>de</strong>n sollte, ist z.B.das Abschirmen <strong>de</strong>s Unfallopfers mit Hilfe <strong>von</strong> Decken durch die Feuerwehr.4.3.2.9 Psychischer ErsatzNicht allein gelassen zu wer<strong>de</strong>n, wur<strong>de</strong> bereits als einer <strong>de</strong>r dringendsten Wünsche <strong>von</strong>Verletzten genannt. Deswegen ist es wichtig, dass sie je<strong>de</strong>rzeit Kontakt zu einer festenBezugsperson behalten. Insbeson<strong>de</strong>re bei größeren Verkehrsunfällen kann <strong>de</strong>r Helferjedoch nicht die gesamte Zeit bei nur einem Verletzten bleiben. Dies muss <strong>de</strong>m Patientenmitgeteilt und erläutert wer<strong>de</strong>n. Da <strong>de</strong>r Betroffene unter keinen Umstän<strong>de</strong>n alleine bleibensollte, muss eine Ersatzperson (falls genug Hilfskräfte vorhan<strong>de</strong>n sind) zur <strong>Betreuung</strong>eingesetzt wer<strong>de</strong>n. Dies kann ein Polizeibeamter, ein Feuerwehrmann, im Notfall sogarein Zuschauer o<strong>de</strong>r Passant sein, <strong>de</strong>r entsprechend instruiert wird („Bitte bleiben sie beidiesem Verletzten und sprechen sie mit ihm, bis <strong>de</strong>r Krankenwagen ihn aufnimmt !“).Daneben ist es auch nützlich, <strong>de</strong>m Patienten selbst möglichst konkrete, aber aucheinfache Verhaltensweisen zu geben. Dies ist nicht nur medizinisch nützlich, son<strong>de</strong>rn gibtihm eine Aufgabe und bin<strong>de</strong>t so seine Aufmerksamkeit.Beispiel: „Ich habe sie jetzt fürs erste versorgt und muss mich jetzt um einen an<strong>de</strong>renVerletzten kümmern. Dieser Feuerwehrmann wird aber bei ihnen bleiben, bis <strong>de</strong>rKrankenwagen sie aufnimmt ! Sie sollten sich bis dahin möglichst wenig bewegen !“.


Seite 374.4 „Todsün<strong>de</strong>n“ im Umgang mit UnfallopfernKein Helfer kann immer alles richtig machen. Dies gilt beson<strong>de</strong>rs für die Psychische ErsteHilfe (PEH). Einige Reaktionen sollten aber auf alle Fälle vermie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. DieseReaktionen wur<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n Studien als beson<strong>de</strong>rs unangemessen und unangenehmgeschil<strong>de</strong>rt.VorwürfeObwohl es nachfühlbar ist, dass sich einem Helfer angesichts <strong>von</strong> Leid und Chaos beiUnfallsituationen die Schuldfrage aufdrängt, sind Vorwürfe unangebracht und stehen <strong>de</strong>mHelfer nicht zu.Auch wenn <strong>de</strong>m Hilfspersonal anscheinend klar zu sein scheint, wer für diese Situation(Unfall) verantwortlich ist, entlasten Vorwürfe, wenn überhaupt nur <strong>de</strong>n Helfer, <strong>de</strong>mPatienten scha<strong>de</strong>n sie. Deshalb sollte man Formulierungen, wie „Warum mussten sieauch so rasen !“, „Sie riechen ja nach Alkohol !“ o<strong>de</strong>r „Sie sind selbst dran Schuld, hättensie besser aufgepasst, wür<strong>de</strong> das Kind noch leben !“ auf alle Fälle vermei<strong>de</strong>n.Furchterzeugen<strong>de</strong> Diagnosen<strong>Notfallpatienten</strong> suchen nach Orientierungen. Je<strong>de</strong>s Indiz eines Experten, das ihnenKlärung verspricht, wird begierig aufgenommen. Unverständliche lateinische Diagnosenwer<strong>de</strong>n meist negativ interpretiert. Deshalb sollte z.B. ein Informationsaustausch über<strong>de</strong>n Zustand <strong>de</strong>s Patienten, etwa zwischen Notarzt und Rettungsdienstmitarbeiter, nichtim Beisein <strong>de</strong>s Patienten stattfin<strong>de</strong>n.Der Patient selbst sollte über seinen Zustand in verständlicher Sprache informiert wer<strong>de</strong>n.Mögliche Formulierungen: „Das Bein ist gebrochen, sie sollten es jetzt nicht bewegen!“; „Im Krankenhaus wird das genau analysiert !“. Negativbeispiel: „Dies ist ja einschweres Polytrauma !“; „Da ist nicht mehr viel zu machen !“.Das Rettungsdienstpersonal darf nur Dinge äußern die klar und verständlich sind.Unwahrheiten (Falsche Hoffnungen)Die Unwahrheit zu sagen und in <strong>de</strong>m Patienten so falsche Hoffnungen zu erwecken sollteauf je<strong>de</strong>n Fall vermie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Beispiel: „Wie geht es meiner Frau und meinem Sohn?“ Antwort: „Die sind schon aus <strong>de</strong>m Auto raus und es geht ihnen gut !“ – tatsächlicheSituation – Frau und Sohn liegen tot im Fahrzeug. Diese Äußerungen können zuschweren psychischen Problemen im nachhinein führen. Bevor man die Unwahrheit sagt


Seite 38sollte man lieber gar nichts sagen. Wenn doch, dann Dinge wie: „Die Kollegen kümmernsich um ihre Frau !“; „Ich weiß nicht wie es ihrem Sohn gera<strong>de</strong> geht, wir kümmern unsjetzt um sie !“.AbgestumpftheitSicher ist es verständlich, dass sich bei einigen Helfern nach vielen Berufsjahren einegewisse Routine einspielt. Dies sollte jedoch nicht dazu führen, dass ein Verhaltengezeigt wird, das ein Verletzter als Abgestumpftheit interpretieren könnte. Für dieüberwiegen<strong>de</strong> Anzahl <strong>de</strong>r Unfallopfer ist das erlebte Geschehen einmalig; sie empfin<strong>de</strong>nes als unangenehm, wenn sie z.B. nicht ernst genommen wer<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r wenn ihreVerletzungen bagatellisiert wer<strong>de</strong>n.5. <strong>Psychologische</strong> <strong>Betreuung</strong> <strong>von</strong> AngehörigenIn <strong>de</strong>n meisten Notfallsituationen treffen die Mitarbeiter im Rettungsdienst auch aufAngehörige <strong>von</strong> <strong>Notfallpatienten</strong> und müssen <strong>de</strong>mentsprechend auch auf die speziellenBedürfnisse dieser Beteiligten eingehen. Belastungen <strong>von</strong> Angehörigen in diesenSituationen rangieren in ihrer Schwere analog <strong>de</strong>r Bedrohung <strong>de</strong>r jeweiligen Patienten.Minimale körperliche Bedrohungen sind kleine körperliche Schä<strong>de</strong>n, die maximaleBedrohung stellt <strong>de</strong>r Tod dar.Im folgen<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong> ich nur auf diese maximale Belastung eines Angehörigen eingehen.In <strong>de</strong>r Literatur, welche mir zur Verfügung stand, schil<strong>de</strong>rten die Autoren, dass alleHinweise zum Umgang mit <strong>de</strong>n Angehörigen in Notfallsituationen hier<strong>von</strong> lediglichquantitativ, jedoch nicht qualitativ unterschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n müssten und somit <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>ines Angehörigen beispielhaft für das Thema „Umgang mit Angehörigen in <strong>de</strong>rNotfallsituation“ sei.5.1 Reaktionen <strong>von</strong> Angehörigen beim Erleben einer NotfallsituationAngehörige haben in <strong>de</strong>r Notfallsituation gegenüber <strong>de</strong>m Rettungsteam die Erwartung,dass die Lebensbedrohung <strong>de</strong>s Patienten so schnell als möglich beseitigt wird. Im Falle<strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s kollidiert diese Erwartung zwangsläufig mit <strong>de</strong>r Realität.Die Angehörigen verarbeiten die plötzliche Konfrontation mit <strong>de</strong>m Tod eines Angehörigenauf sehr unterschiedliche emotionale Reaktionen: Einige Angehörige sind in diesenSituationen gelähmt, an<strong>de</strong>re motorisch erregt. Es können sehr heftige emotionale Weiseauftreten, unter an<strong>de</strong>rem massive Ausbrüche <strong>von</strong> Zorn, Wut und Schuldzuweisungen, die


Seite 39sich beson<strong>de</strong>rs beim Verlust <strong>von</strong> Menschen ereignen, die plötzlich o<strong>de</strong>r vor ihrer Zeit injüngeren Jahren sterben.Zum Teil wollen sie die Situation nicht wahrhaben, und ihre Gedanken sind z.B.: „Daskann nicht wahr sein“.Kübler Ross (1984) beschreibt dieses Gefühl als erste Antwort auf <strong>de</strong>n drohen<strong>de</strong>neigenen Tod.Diese Reaktionen wie auch die späteren Phasen (Verhan<strong>de</strong>ln, Depressionen,Akzeptieren <strong>de</strong>s Unvermeidlichen) können bei <strong>de</strong>r Trauer <strong>de</strong>r Angehörigen nach <strong>de</strong>m To<strong>de</strong>iner geliebten Person auftreten (Kast 1987).Alle Hinterbliebenen durchlaufen nach <strong>de</strong>m Tod <strong>de</strong>s Angehörigen, aber auch nach <strong>de</strong>rtödlichen Bedrohung, diese Phasen <strong>de</strong>r Trauer (Kübler-Ross 1987).Sie treten damit in <strong>de</strong>n Prozess <strong>de</strong>s Abschiednehmens ein, <strong>de</strong>r sie in die Lage versetzt,neue Beziehungen aufzubauen.Bei fast allen Angehörigen fin<strong>de</strong>t sich in <strong>de</strong>n ersten Phasen <strong>de</strong>s Abschiednehmenszu<strong>de</strong>m ein Mangel an Zielgerichtetheit, <strong>de</strong>r oft mit <strong>de</strong>m Drang verbun<strong>de</strong>n ist, „etwas tunzu müssen“.Hinzu kommt bei Angehörigen <strong>von</strong> plötzlich verstorbenen Patienten, dass in <strong>de</strong>n meistenNotfallsituationen keine Zeit zum Abschiednehmen bleibt und sich <strong>de</strong>shalb Fantasiendarüber einstellen, dass „<strong>de</strong>r Verstorbene gar nicht tot sei“ (Kast 1987).Die bei Notfällen wichtige Realitätsprüfung mit <strong>de</strong>m möglichen Ergebnis, „ich verstehe,dass <strong>de</strong>r Tod, <strong>de</strong>s mir Nahestehen<strong>de</strong>n eingetreten ist“, ist oft blockiert. Die weiterenSchritte zur Bewältigung <strong>de</strong>s Verlustes sind dann entwe<strong>de</strong>r nicht, nur verzögert o<strong>de</strong>runzureichend möglich. Deshalb sollten in <strong>de</strong>r Notfallsituation alle Bemühungen <strong>de</strong>sRettungspersonals darauf gerichtet sein, <strong>de</strong>n Angehörigen eine angemesseneRealitätsprüfung zu ermöglichen.In diesem Zusammenhang spricht man <strong>von</strong> „<strong>de</strong>m letzten Blick für Hinterbliebene“,welcher zwar schmerzhaft, aber oft <strong>de</strong>r erste Schritt zur gesun<strong>de</strong>n Trauer und zumZulassen, <strong>de</strong>r für die Verabschiedung wichtigen Gefühle ist. Geschieht dies nicht,entwickelt sich eine „Pathologie <strong>de</strong>s Trauerns“ die nach Jahren noch dazu führt, dassdiese unzureichend betrauerten Verlusterlebnisse zu Mitauslösern <strong>de</strong>pressiverErkrankungen wer<strong>de</strong>n können (Boss 1957).Als Präventionsmaßnahme zur frühzeitigen Bahnung eines günstigen Trauerprozessesund zur möglichen Verhin<strong>de</strong>rung sich einstellen<strong>de</strong>r pathologischer Trauer, wird in diesemZusammenhang diskutiert, ob <strong>de</strong>n Angehörigen die Möglichkeit gegeben wer<strong>de</strong>n sollte,sich auf <strong>de</strong>n evtl. Tod und auf die weiteren Schritte <strong>de</strong>r Trauer einstellen zu können. Diesbe<strong>de</strong>utet, dass <strong>de</strong>n Angehörigen ermöglicht wer<strong>de</strong>n sollte schon zu Zeiten <strong>de</strong>rLebensrettung, die damit verbun<strong>de</strong>ne Bedrohung wahrzunehmen. Dies muss natürlich


Seite 40behutsam geschehen, z.B. ange<strong>de</strong>utet durch eine angelehnte o<strong>de</strong>r geöffnete Tür zumReanimationsraum.Angehörige, die bei <strong>de</strong>r Reanimation (Herzlungen-Wie<strong>de</strong>rbelebung) anwesend seinwollen, sollte man, wenn es die Maßnahmen nicht behin<strong>de</strong>rt, diese Möglichkeit bieten.Der Anstoß zur Auseinan<strong>de</strong>rsetzung <strong>de</strong>r Angehörigen mit <strong>de</strong>m Tod sollte <strong>von</strong> <strong>de</strong>rRettungsdienstbesatzung kommen, im Sinne einer Ermutigung zu dieserAuseinan<strong>de</strong>rsetzung. Dies kann verbal – durch direkte Auffor<strong>de</strong>rung – o<strong>de</strong>r aber ohneWorte (angelehnte Tür) geschehen.Die Art, wie das Rettungsteam mit <strong>de</strong>m Tod einer Person umgeht, untereinan<strong>de</strong>r inKontakt tritt, kommuniziert und Empfindungen zeigt, kann Anstoß zurAuseinan<strong>de</strong>rsetzung o<strong>de</strong>r Konfrontation mit <strong>de</strong>m Tod für die Angehörigen sein.Verhält sich das Team verschlossen, so wer<strong>de</strong>n sich auch die Angehörigen mit ihren,zum Teil chaotischen Trauergefühlen zurückhalten. Gera<strong>de</strong> die übergroßen Emotionenwie Zorn, Wut und Schuldgefühle müssen im Angesicht <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s zugelassen wer<strong>de</strong>n.Eine Tranquilizergabe durch das Rettungsteam hat in diesem Zusammenhang zweiSeiten.Zum Einen vermögen diese Medikamente, das mit <strong>de</strong>m Ausdruck <strong>de</strong>r Trauer verbun<strong>de</strong>neLeid ein wenig zu dämpfen; zum An<strong>de</strong>ren verhin<strong>de</strong>rn Tranquilizer in <strong>de</strong>n meisten Fällen,die sowieso schon eingeschränkte Fähigkeit <strong>de</strong>r Angehörigen, die Realität und diesicheren Zeichen <strong>de</strong>s Verlustes wahrzunehmen (Pincus 1982).Manche Autoren fragen in diesem Zusammenhang gar, ob die in <strong>de</strong>r NotfallsituationHelfen<strong>de</strong>n statt einem Tranquilizer nicht eine Hand geben sollten, und ob die Tranquilizernicht vielmehr <strong>de</strong>r Angst <strong>de</strong>r Helfer gelten (Meyer 1985).5.2 Empfehlungen zum Umgang mit AngehörigenAngehörige haben bei drohen<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r eingetretenen Verlusten schwer, die notwendigeTrauerarbeit zu leisten. Hilfestellung für die Angehörigen durch das Rettungsteam sinddaher dringend notwendig. In diesem Zusammenhang wird oft das Argument angeführt,dass die Begleitung <strong>de</strong>r Angehörigen eine Überfor<strong>de</strong>rung, wenn nicht gar eineKontraindikation für das Rettungsteam darstellten. Das Rettungsteam „müsseweiter...Leben retten“. Es wird sich damit rausgere<strong>de</strong>t, dass die weitere Begleitung <strong>de</strong>rAngehörigen durch <strong>de</strong>n Bestatter o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Geistlichen durchgeführt wer<strong>de</strong>n könnte.Diese weitere Begleitung fin<strong>de</strong>t jedoch häufig nicht statt. Es entsteht eine „Kette <strong>de</strong>rVermeidung“ mit <strong>de</strong>m Resultat, dass die Angehörigen weiter allein bleiben.


Seite 415.3 Strategien zur Vermeidung einer pathologischen Trauer bei AngehörigenFür Angehörige ist es wichtig, dass das Rettungsteam das Entsetzen über <strong>de</strong>n Tod selbstbegreifen kann. Konkret sollte die wichtige Trauer frühzeitig schon mit <strong>de</strong>r Bedrohungdurch <strong>de</strong>n nahen<strong>de</strong>n Tod in <strong>de</strong>n Rettungsablauf einbezogen wer<strong>de</strong>n. Das Aufnehmen <strong>de</strong>rZeichen <strong>de</strong>s Verlustes braucht Zeit. Die Begrüßung zwischen <strong>de</strong>m Rettungspersonal undAngehörigen, sowie Informationen über <strong>de</strong>n Ablauf <strong>de</strong>r Rettungstätigkeit erleichtern es<strong>de</strong>n Angehörigen, im Fall <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s ihre Gefühle <strong>de</strong>r Trauer eher auszudrücken.Beson<strong>de</strong>rs die übergroßen Emotionen <strong>von</strong> Zorn, Wut und Schuldgefühle solltenzugelassen wer<strong>de</strong>n. Es ist im Sinne <strong>de</strong>r Trauer nicht wünschenswert, dass ein Chaos <strong>de</strong>rGefühle unterdrückt wird. Gera<strong>de</strong> das Rettungspersonal sollte die Wichtigkeit dieserGefühle erkennen und sie zulassen.Die weiteren Schritte <strong>de</strong>r Trauer können die Angehörigen mit <strong>de</strong>m Hausarzt, mitFreun<strong>de</strong>n, Verwandten o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Helfern gehen. Diese wer<strong>de</strong>n am besten gleich vomRettungsteam benachrichtigt und ihr Eintreffen wenn möglich abgewartet.5.4 AusblickDer Umgang mit <strong>de</strong>n Angehörigen in <strong>de</strong>r Rettungssituation ist – im Wi<strong>de</strong>rspruch zurnotwendigen Begleitung – bislang wenig professionell, es bedarf einer <strong>de</strong>utlichenVerbesserung. Zu <strong>de</strong>nken ist an Schulungen im Umgang mit Angehörigen o<strong>de</strong>r akutTrauern<strong>de</strong>n, einschließlich eines Übungs- und eines begrenzten Selbsterfahrungsanteils.Die Begleitung <strong>de</strong>r Angehörigen sollte darüber hinaus ein obligater Teil <strong>de</strong>r Ausbildung<strong>de</strong>s Rettungsdienstpersonals und <strong>de</strong>r Notärzte im Rahmen <strong>de</strong>s Fachkun<strong>de</strong>nachweisesRettungsdienst o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Weiterbildung <strong>de</strong>s Rettungsassistenten wer<strong>de</strong>n.In einigen Rettungsdienstbereichen, so auch im Landkreis Fulda, wur<strong>de</strong> durch dieHilfsorganisationen (Malteser, DRK, usw.) ein Notfallseelsorgekonzept entwickelt undimplementiert. Dieses steht je<strong>de</strong>m Unfallopfer, <strong>de</strong>ren Angehörigen aber auch <strong>de</strong>nHilfskräften zur Verfügung und wird bei Bedarf durch die Hilfskräfte bei <strong>de</strong>rRettungsleitstelle nachgeor<strong>de</strong>rt.


Seite 426. SchlussBei <strong>de</strong>r Ausarbeitung dieser Vordiplomarbeit sind mir viele Erkenntnisse zu diesemThema gekommen. Da ich selbst seit mehreren Jahren in diesem Beruf tätig bin, war esmir ein persönliches Interesse dieses Thema einmal unter wissenschaftlichenGesichtspunkten zu betrachten. Allerdings musste ich auch feststellen, dass dieDurchführung <strong>de</strong>r psychologischen <strong>Betreuung</strong> durch die Hilfskräfte, <strong>de</strong>rzeit nurunzureichend zu leisten ist. Die Tatsache, dass in <strong>de</strong>r Ausbildung <strong>de</strong>r Hilfskräfte dieserFaktor extrem vernachlässigt wird und es auch nur unregelmäßige bis keine psychischeUnterstützung für Einsatzkräfte gibt (Einsatznachbesprechungen usw.), führen zu einerÜberfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Einsatzkräfte. Positiv zu verzeichnen ist, dass mittlerweile doch <strong>de</strong>rein o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Versuch unternommen wird dieses Thema aufzuarbeiten. Man hatendlich erkannt, das die Interaktion zwischen Psyche und Körper ein breites Feld anMöglichkeiten bietet um <strong>de</strong>m Patienten schon während <strong>de</strong>r Notfallsituation zu helfen. Diesführt in <strong>de</strong>r Folge zu einer signifikanten Verbesserung <strong>de</strong>r Rehabilitationszeit und senktsomit auch <strong>de</strong>n Kostenaufwand.7. Abbildungen‣ Abb. 1 – Deckblatt „Zwischen Blaulicht, Leib und Seele“ Stephan (Hrsg.); 2001‣ Abb. 2 – www.bluelight.<strong>de</strong> Stand: 10.20018. Literaturverzeichnis‣ Bengel (1997), „Psychologie in Notfallmedizin und Rettungsdienst“, Verlag Springer‣ Bengel J./Kuntz V. (1995), „Psychosoziale Aus- und Fortbildung <strong>von</strong> Rettungsassistenten“, In: Ahnefeld(Hrsg.) Ethische, psychologische und theologische Probleme im Rettungsdienst, Verlags- undVertriebsgesellschaft <strong>de</strong>s DRK Lan<strong>de</strong>sverban<strong>de</strong>s Westfalen-Lippe, Nottuln, S. 114-125‣ Bernhard P (1995), „Schmerzempfin<strong>de</strong>n und Angsterleben“ In Brähler E (Hrsg.) Körpererleben. Einsubjektiver Ausdruck <strong>von</strong> Körper und Seele. Psychosozial, Gießen, S. 50-61‣ Bierhoff H-W (1990), „Psychologie hilfreichen Verhaltens“, Kohlkammer, Stuttgart


Seite 43‣ Boss (1957), „Psychoanalyse, Daseinsanalytik“, Huber, Bern‣ Bourauel (1993), „Psychische Erste Hilfe für Laien“, Abschlußbericht zum Forschungsprojekt 92509 <strong>de</strong>rBun<strong>de</strong>sanstalt für Straßenwesen, Bergisch-Gladbach‣ Carrière B (1983), „Schmerz.“ In: Luban-Plozza B (Hrsg.) Der Zugang zum psychosomatischen Denken.Springer, Berlin, S. 74-81‣ Cramon D. v. (1979), „Quantitative Bestimmung <strong>de</strong>s Verhaltens<strong>de</strong>fizites <strong>de</strong>s skalaren Bewusstseins“.Thieme, Stuttgart‣ Daschner (2001), „Krisenintervention im Rettungsdienst“, Verlag Stumpf & Kossen<strong>de</strong>y GmbH‣ Fertig / v. Wietersheim (1994), „Menschliche Begleitung und Krisenintervention“,‣ Verlag Stumpf & Kossen<strong>de</strong>y GmbH‣ Fertig (1994), „Wenn Alpträume Wirklichkeit wer<strong>de</strong>n – Die psychische <strong>Betreuung</strong> <strong>von</strong> Traumapatienten“,In: Fertig B., Wietersheim H. v. (Hrsg.) Menschliche Begleitung und Krisenintervention, Stumpf &Kossen<strong>de</strong>y‣ Gasch/Lasogga, Rettungsdienst Nr. 5, 22. Jahrgang 1999 (Rettungsdienstmagazin), „Psychische ErsteHilfe (PEH) beim akuten Herzinfarkt“, Verlagsgesellschaft Stumpf & Kossen<strong>de</strong>y GmbH‣ Gasch/Lasogga, Notfall & Rettungsmedizin 1999 – 2:S. 228 – 234, „Psychische erste Hilfe“, VerlagSpringer‣ Gaus und Köhle (1990), „Patienten mit körperlich begründbaren psychischen Störungen in <strong>de</strong>r klinischenPraxis. Akute organische Psychosyndrome.“ In: Uextüll, Adler, Herrmann (Hrsg.) PsychosomatischeMedizin, 4. Auflage, Urban und Schwarzenberg, München, S. 1135-1151‣ Gorgaß u. Ahnefeld (1995), „Ethische, psychologische und theologische Probleme im Rettungsdienst –Schlussbetrachtung.“ In: Ahnefeld (Hrsg.) Ethische, psychologische und theologische Probleme imRettungsdienst. Verlags- und Vertriebsgesellschaft <strong>de</strong>s DRK Lan<strong>de</strong>sverban<strong>de</strong>s Westfalen-Lippe, Nottuln,S. 126-150‣ Greis (1992), „<strong>Psychologische</strong> Erste Hilfe – ein vergessenes Thema ?“, Rettungsdienst 15: 794-798‣ Hannich H.-J. (1987), „Medizinische Psychologie in <strong>de</strong>r Intensivbehandlung“, Verlag Springer‣ Kast V (1987), „Trauern“, Kreuz, Stuttgart‣ Karutz H., Rettungsdienst Nr. 11, 22. Jahrgang 1999 (Rettungsdienstmagazin), „Kasperle: PsychischeErste Hilfe“, Verlag Stumpf & Kossen<strong>de</strong>y GmbH


Seite 44‣ Klapp (1983), „Psychosoziale Intensivmedizin. Untersuchungen zum Spannungsfeld <strong>von</strong> medizinischerTechnologie und Heilkun<strong>de</strong>“, Verlag Springer‣ Kübler–Ross (1984), „Interviews mit Sterben<strong>de</strong>n“, Mohn, Gütersloh‣ Kübler-Ross (1987), „Was können wir noch tun ?“, Kreuz, Stuttgart‣ Lin<strong>de</strong> HJ (1994), „Erste Hilfe als gesamtgesellschaftliche Aufgabe aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>s DRK.“ In: DRK(Hrsg.) Leben retten – europaweit. 8. Rettungskongreß <strong>de</strong>s DRK. Eigenverlag, Bonn. S. 73-78‣ Maerker, A. (1997), „Therapie <strong>de</strong>r Posttraumatischen Belastungsstörung“, Springer Verlag‣ Margraf, J. (1996), Band 2 „Lehrbuch <strong>de</strong>r Verhaltenstherapie“, Springer Verlag‣ Meyer W (1985), „Über <strong>de</strong>n Umgang mit <strong>de</strong>m Tod bei <strong>de</strong>r Arbeit auf <strong>de</strong>m Notarztwagen“, Notarzt 1: 99-103‣ Milles (1995) Bd. 2, „Das Unfallparadigma in <strong>de</strong>r Entwicklung <strong>de</strong>s Berufskrankheitenkonzepts“, Mabuse,Frankfurt‣ Pincus (1982), „... bis dass <strong>de</strong>r Tod Euch schei<strong>de</strong>t. Zur Psychologie <strong>de</strong>s Trauerns“. Ullstein, Berlin‣ Plum/Posner (1980), „The diagnosis of stupor“, Davis, Phila<strong>de</strong>lphia‣ Remke S. (1994), „Psychische Erste Hilfe bei Unfallpatienten“ In: Bernd Fertig, Weitershausen (Hrsg.),Menschliche Begleitung und Krisenintervention. Stumpf & Kossen<strong>de</strong>y, E<strong>de</strong>wecht, S. 45-64‣ Rogers CR (1987), „Eine Theorie <strong>de</strong>r Psychotherapie, <strong>de</strong>r Persönlichkeit und <strong>de</strong>r zwischen-menschlichenBeziehung. Gesellschaft für wissenschaftliche Gesprächspsychotherapie, Köln‣ Schwarzer Ralf (1997), „Gesundheitspsychologie“, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Hogrefe,Verlag für Psychologie‣ Stephan (2001), „Zwischen Blaulicht, Leib und Seele“, Verlag Stumpf & Kossen<strong>de</strong>y GmbH‣ www.unfallopfer.<strong>de</strong>, Stand: 25.10.2001‣ www.paulo-taschen.<strong>de</strong>/verkehr.htm, Stand: 25.10.2001


Seite 45ErklärungIch versichere, dass ich die Vordiplomarbeit selbstständig verfasst und keine an<strong>de</strong>ren alsdie angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe.Kleinlü<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>n 11.01.2002_______________________(Dieter Rothmann)

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!