merk.würdigIGH-Urteil zur TodesstrafeDeutschland/USA. Der Fall LaG rand (Urteildes IGH vom 27. 6. 2001 im Fall LaGrand zwischen der BundesrepublikDeutschland und den Vereinigten Staatenvon Amerika) betrifft das amerikanischeTodesurteil gegen die beiden deutschenBrüder Walter und Karl LaGrandim jahr 1984 und deren Hinrichtungtrotz der Proteste der deutschen Regierungund einer einstweiligen Verfügungdes IGH imjahr 1999. Im Verfahren vordem IGH hatte Deutschland vor allemVerletzungen der Wiener Konventionüber konsularische Beziehungen durchdie USA gerügt. Das Urteil des IGH erfolgtemehr als zwei jahre nach der Aufsehenerregenden Exekution und gabder Klage Deutschlands in allen Punkten<strong>recht</strong>. Es enthält eine Reihe interessanterRechtsfragen, die im Folgenden jedochnur kursorisch wiedergegeben werden.Die Brüder LaGrand wurden 1962bzw 1963 in Deutschland geboren, übersiedelten1967 mit ihrer Mutter in dieUSA und behielten ihre deutsche Staatsbürgerschaftbei. Anfang 1982 wurdensie in Arizona wegen Mordverdachts imZusammenhang mit einem bewaffnetenBanküberfall festgenommen und 1984in erster Instanz wegen dieser Verbrechenzum Tod verurteilt. Alle Rechtsmittelgegen dieses Urteil blieben erfolglos.Obwohl Art 36 (1) (b) der WienerKonvention über konsularische Beziehungen1963 (im folgenden: Konvention)vorsieht, dass die Behörden desAufenthaltsstaates im Fall der Verhaftungvon Ausländern unverzüglich dasKonsulat des Heimatstaates bemiChrichtigenund die festgenommenenPersonen über ihr Recht auf Kommunikationmit ihrem Konsulat informierensollen, wurden weder die Brüder LaGrand noch das deutsche Konsulat inLos Angeles entsprechend informiert.Die US-Regierung räumte ein, dass dieseInformationspflicht verletzt wordenist und begründete dies damit, dass dieBehörden Arizonas ursprünglich nichtgewusst hätten, dass die Brüder LaGrand keine amerikanischen Staatsbürgerwaren. Das deutsche Konsulat wurdeerst im juni 1992 durch die BrüderLaGrand, die selbst erstl~urz davor aufdieses Recht von dritter Seite aufmerksamgemacht worden waren, über dieVerhaftung und Verurteilung benachrichtigt.Formell informierten dieUS-Behörden die Brüder LaGrand erstim Dezember 1998 von ihrem Recht aufZugang zu einem deutschen Konsulat.Mit Hilfe des deutschen Konsulatsversuchten die Anwälte der Brüder LaGrand zwischen 1992 und 1999 vergeblich,das Urteil bzw. zumindest die Todesstrafezu revidieren. Diese Rechtsmittelvor amerikanischen Bundesgerichtenscheiterten vor allem an der sogenannten"procedural default"-K1ausel,wonach Beschwerden gegen die Verletzungder Pflicht zur Information desKonsulats nur dann vor ein Bundesgerichtgebracht werden könnten, wennsie bereits vorher vor den StaatsgerichtenArizonas geltend gemacht wordenwaren. Nachdem der Oberste Gerichtshofvon Arizona im jänner 1999 das Datumder Hinrichtung mit 24.2. 1999 (fürKarl LaGrand) bzw 3. 3. 1999 (für WalterLaGrand) festgesetzt hatte, versuchteDeutschland durch Interventionen aufder höchsten Ebene (Außenminister,Bundeskanzler, Bundespräsident), dieExekution zu verhindern.Ungeachtet dieser Interventionenund sonstiger internationaler Kritikwurde Karl LaG rand am 24. 2. 1999hingerichtet. Am 2. 3. 1999, einen Tagvor der beabsichtigten Hinrichtung vonWalter LaGrand, machte Deutschlandden Fall vor dem IGH anhängig und ersuchtediesen um Erlassung einereinstweiligen Verfügung, um die Hinrichtungbis zum Zeitpunkt des IGH-Urteilsaufzuschieben. Am 3. 3. erließ derIGH die gewünschte Verfügung, wonachdie US-Regierung alle in ihrerMacht stehenden Maßnahmen ergreifensollte, die Exekution während desIGH-Verfahrens zu verhindern und dieseVerfügung dem Gouverneur von Arizonazu übermitteln. Am selben Tagbrachte Deutschland vor dem OberstenGerichtshof der USA eine Klage gegendie USA und den Gouverneur von Arizonaein, um die einstweilige Verfügungdes IGH durchzusetzen.Nachdem der Generalanwalt derUS-Bundesregierung die Rechtsmeinungvertreten hatte, dass einstweiligeVerfügungen des IGH <strong>recht</strong>lich unverbindlichwären, wies der Oberste Gerichtshofdie Klage Deutschlands zurück,und Walter LaGrand wurde nocham selben Tag (3. 3. 1999) hingerichtet.In seinem Urteil behandelt der IGHeine Reihe von Rechtsfragen hinsichtlichseiner eigenen Zuständigkeit und der Interpretationder Wiener Konvention, diehier nicht ausgeführt werden sollen. Erbejahte seine Zuständigkeit trotz verschiedenstel;zum Teil absurder, US-Einwändeund entschied wie folgt: a) Da dieUS-Behörden es verabsäumten, dasdeutsche Konsulat über die Verhaftung,das straf<strong>recht</strong>liche Verfahren und dieVerurteilung der LaGrand Brüder zu unterrichtenund diese über ihr Recht aufVerständigung des Konsulats zu informieren,haben die Vereinigten Staatennicht nur diese Informationspflicht verletzt,sondern auch das Recht Deutschlandsauf diplomatischen Schutz seinerStaatsangehörigen gemäß Art 5 und36 (1) der Konvention sowie das individuelleRecht der LaGrand Brüder auf diplomatischenSchutz und konsularischeHilfeleistung. Ob der diplomatischeSchutz Deutschlands zu einem anderenUrteil geführt hätte oder nicht, ist für dieFeststellung dieser Völker<strong>recht</strong>sverletzungunerheblich. b) Die Anwendungder "procedural default"-Doktrin hat imkonkreten Fall dazu geführt, dass dasStrafurteil auch nach dem Bekanntwerdender Verletzungen der Konventionvor nationalen Gerichten nicht entsprechendreleviertwerden konnte, wodurchdie USA auch die Rechtsschutzgarantiein Art 36 (2) der Konvention verletzt haben.c) Die Missachtung der <strong>recht</strong>lichverbindlichen einstweiligen Verfügungdes IGH gemäß Art 41 seines Statuts(durch die Rechtsauffassung des Generalanwalts,die Entscheidung des OberstenGerichtshofs und die Entscheidungdes Gouverneurs von Arizona) stellt eineweitere Völker<strong>recht</strong>sverletzung durchdie Vereinigten Staaten dar. d) Eine bloßeEntschuldigung der US-Regierungkann nicht als ausreichende Wiedergutmachungfür diese Völker<strong>recht</strong>sverletzungen,insbesondere im Fall einer Todesstrafe,angesehen werden. Die VereinigtenStaaten sind vielmehr zu Garantiender Nicht-Wiederholung gegenüberDeutschland verpflichtet, die durch verschiedeneMaßnahmen wie die Veröffentlichungeiner Broschüre über "ConsularNotification and Access" 1998und entsprechende Fortbildungsmaßnahmenfür Polizei und justiz als erfülltangesehen werden. Sollten die USA jedochin der Zukunft trotz dieser Maßnahmenihrer Informationspflicht nichtgenügen, so müssten diese Verletzungenvor US-Gerichten entsprechend releviertwerden können.Aus völker<strong>recht</strong>licher Sicht ist indiesem Urteil vor allem bemerkens-Seite 106verlaJ>sterreich <strong>juridikum</strong> 3/01