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Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio

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SchwerpunktI. ZEITLICHE GELTUNG, § 2 STGBNach § 2 I StGB, welcher das Rückwirkungsverbot aus Art. 103 IIGG, § 1 StGB konkretisiert 22 , bestimmt sich die Strafe nach dem Gesetz,welches zur Zeit der Tat gilt. Der Zeitpunkt der Tat richtet sichnach § 8 StGB. Fraglich ist, wann die Gesetzesgeltung beginnt. Mankönnte auf den Zeitpunkt der nach Art. 82 I 1 GG erforderlichenVerkündung im B<strong>und</strong>esgesetzblatte abstellen. Hiergegen spricht jedoch,dass nach dem Willen des Gesetzgebers nicht jedes Gesetz direktmit der Verkündung gelten soll. Nach Art. 82 II 1 GG ist in demGesetz der Tag des Inkrafttretens anzugeben <strong>und</strong> nach Art. 82 I 2 GGbei Fehlen dieser Angabe der vierzehnte Tag nach der Verkündungmaßgeblich. Daher beginnt bei Gesetzen, bei denen der Zeitpunktvon Verkündung <strong>und</strong> Inkrafttreten voneinander abweichen, die Geltungmit dem Inkrafttreten. Bei Gesetzen, die am Verkündungstagin Kraft treten, ist umstritten, ob sie bereits ab Beginn des Verkündungstages23 , ab dem genauen Verkündungszeitpunkt 24 oder erst mitAblauf des Tages gelten. Für Letzteres spricht, dass nach § 187 I BGBFristen, denen ein bestimmtes Ereignis vorausgehen muss, erst mitAblauf des Tages beginnen, an denen dieses eintritt, der Vertrauensschutz25 , die Wendung „mit dem vierzehnten Tage“ in Art. 82 II 2GG <strong>und</strong> der in-dubio-pro-reo-Gedanke, da der genaue Zeitpunkt, andem eine bestimmte Nummer des B<strong>und</strong>esgesetzblattes ausgegebenworden ist, sich selten sicher feststellen lässt 26 . § 237 StGB wurde am23.06.2011 verkündet <strong>und</strong> trat zum 01.07.2011 in Kraft, sodass es keinerStreitentscheidung bedarf. <strong>Die</strong> Gesetzesgeltung beginnt hier abdem Tag des Inkrafttretens.II. RÄUMLICHE GELTUNG, §§ 3-9 STGBDa in Fällen von Zwangsverheiratung häufig ein Auslandsbezug gegebensein wird, ist die räumliche Geltung des Deutschen Strafrechtszu prüfen. § 237 II StGB trifft selbst keine Regelung zum Strafanwendungsrecht,obgleich von einem Gebiet außerhalb des Geltungsbereichsdes Gesetzes die Rede ist. Demnach ist nach den allgemeinenGr<strong>und</strong>sätzen der §§ 3-9 StGB zu prüfen 27 . Sollte hiernach keineAnwendbarkeit gegeben sein, liegt ein Prozesshindernis vor <strong>und</strong> dasVerfahren ist einzustellen 28 . Nach dem in § 3 StGB verankerten Territorialitätsprinzip29 gilt Deutsches Strafrecht – unabhängig von derStaatsangehörigkeit von Täter <strong>und</strong> Opfer – <strong>für</strong> Taten, die im Inlandbegangen wurden. Der Begriff des Tatorts ist nach dem § 9 StGB zugr<strong>und</strong>eliegenden Ubiquitätsprinzip 30 der jeweilige Handlungs- bzw.Erfolgsort.Darüber hinaus gilt Deutsches Strafrecht nach § 7 I, II Nr. 1 StGB <strong>für</strong>Taten, die im Ausland gegen einen Deutschen begangen werden oderderen Täter ein Deutscher war bzw. nach der Tat geworden ist, wenndie Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewaltunterliegt. Eine Anwendbarkeit nach § 7 StGB wird häufig daranscheitern, dass Zwangsheirat am Tatort nicht mit Strafe bedrohtist 31 . Aus diesem Gr<strong>und</strong> wird eine Aufnahme in das in § 6 StGB kodi-22 Heintschel-Heinegg (Fn. 18), § 237 Rn. 1.23 RGZ 91, 339 (340) <strong>für</strong> das Zivilrecht.24 RGSt 57, 49 (50 f.).25 Schmitz, in: Münchener Kommentar zum StGB, Band 1, München 2003, § 2 Rn. 11.26 Gribbohm, in: Leipziger Kommentar, Strafgesetzbuch, Band 1, 11. Auflage, Berlin 2003, § 2 Rn. 9.27 Zu § 234a StGB Eser/Eisele, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch: Kommentar, 28. Auflage, München2010, § 234a Rn. 1; Fischer, Strafgesetzbuch <strong>und</strong> Nebengesetze, 58. Auflage, München 2011, § 234aRn. 3.28 BGH NStZ 1986, 320 (320).29 Böse, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 3. Auflage, Baden-Baden 2010, § 3 Rn. 1.30 Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, 5. Auflage, Berlin 1996, § 18 IV; Lackner/Kühl, Strafgesetzbuch,27. Auflage, München 2011, § 9 Rn. 1.31 Valerius (Fn. 18), § 237 Rn. 20.fizierte Weltrechtsprinzip gefordert 32 . Uferlosigkeit der Ermittlungstätigkeitsei nach Ansicht der Be<strong>für</strong>worter nicht zu be<strong>für</strong>chten, dennein Tätigwerden erfordere aufgr<strong>und</strong> des völkerrechtlichen Nichteinmischungsprinzipseinen legitimierenden Anknüpfungspunkt 33 . Zudembestehe die Einstellungsmöglichkeit nach § 153c StPO 34 .D. NÖTIGUNG ZUR EINGEHUNG DER EHE, § 237 I STGBI. OBJEKTIVER TATBESTAND1. GEWALT ODER DROHUNG MIT EINEM EMPFINDLICHEN ÜBEL<strong>Die</strong> Nötigungsmittel sind wie bei § 240 I StGB zu bestimmen 35 .a) GewaltGewalt ist der physisch vermittelte Zwang zur Überwindung einesgeleisteten oder erwarteten Widerstands 36 . Der Streit, ob eine körperlicheZwangswirkung beim Opfer ausgelöst werden muss 37 , kannauch hier relevant werden.Ebenso ist an die Problematik der Gewalt gegen Sachen zu denken.<strong>Die</strong>se wird, in Abgrenzung zu einer bloßen Sachbeschädigung, alsGewalt eingeordnet, wenn sie als physischer Zwang <strong>für</strong> das Opferwirkt 38 . So ist beispielsweise das Abstellen der Wasser- <strong>und</strong> Stromzufuhrals Gewalt beurteilt worden 39 . Außerdem stellt sich die Frage,wie Gewalt gegen Dritte zu bewerten ist. Eine Ansicht bejaht hier Gewalt,wenn diese vom Genötigten als physischer Zwang empf<strong>und</strong>enwird, unabhängig davon, ob der Dritte eine ihm nahestehende Personist 40 . <strong>Die</strong> Gegenansicht geht von einer konkludenten Drohungaus 41 .Gewalt umfasst gr<strong>und</strong>sätzlich die Wirkungsformen der vis compulsiva(willensbeugende Gewalt) <strong>und</strong> der vis absoluta (willensbrechendeGewalt) 42 . Im Rahmen des § 240 StGB ist umstritten, ob letztere sichunter den dortigen Gewaltbegriff subsumieren lässt. <strong>Die</strong>s wird zumTeil mit der Begründung abgelehnt, die Nötigung sei ein zweiaktigesDelikt, bei dem der abgenötigte Erfolg über die Gewalt hinausgehenmüsse, vis absoluta sei ausreichend in anderen Tatbeständen berücksichtigt<strong>und</strong> § 240 StGB sanktioniere nicht die Anwendung von Gewaltan sich, sondern den Einsatz von Gewalt als Nötigungsmittel 43 .Da § 237 I StGB als Taterfolg die Eheschließung voraussetzt, ist visabsoluta hier von vornherein kein taugliches Nötigungsmittel 44 .b) Drohung mit einem empfindlichen ÜbelDrohung bezeichnet das Inaussichtstellen eines empfindlichen Übels,auf das der Täter Einfluss hat oder zu haben vorgibt 45 . <strong>Die</strong> Drohungshandlungkann ausdrücklich oder konkludent erfolgen 46 . Abzugrenzenist die Drohung von einer Warnung, bei welcher der Täter ein32 Eisele/Majer, NStZ 2011, 546 (551 f.); Letzgus, FPR 2011, 451 (455); Sering, NJW 2011, 2161 (2163).33 Zum legitimierenden Anknüpfungspunkt BGH NJW 1977, 507 (508); BGH NJW 1987, 2168.34 Eisele/Majer, NStZ 2011, 546 (551 f.); Letzgus, FPR 2011, 451 (455).35 Eisele/Majer, NStZ 2011, 546 (548); Schumann, JuS 2011, 789 (790); Valerius (Fn. 18), § 237 Rn. 4.36 Fischer (Fn. 26), § 240 Rn. 8.37 Hierzu z.B. Swoboda, JuS 2008, 862.38 Gropp/Sinn (Fn. 24), Band 3, § 240 Rn. 62 f.39 OLG Karlsruhe MDR 1959, 233.40 Gropp/Sinn (Fn. 24), Band 3, § 240 Rn. 64; Träger/Altvater (Fn. 25), Band 6, § 240 Rn. 46.41 Schmidhäuser, Strafrecht, Besonderer Teil, Tübingen 1980, 4/15.42 Fischer (Fn. 26), § 240 Rn. 9.43 Gropp/Sinn (Fn. 24), Band 3, § 240 Rn. 59.44 Eisele/Majer, NStZ 2011, 546 (548).45 BGHSt 16, 386 (387).46 BGH NJW 1984, 1632.<strong>Iurratio</strong>Ausgabe 4 / 2011219

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