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10‒2013 - Von Hundert

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100 / 50Onkomoderne/ Cabin FeverWie zu erwarten, gab es bei der Villa-Romana-Ausstellung inder Deutschen Bank KunstHalle Aperol-Spritz und Campari-Orange; leckere Häppchen schwebten auf Tabletts vorbei undanschließend wurden kleine Vanilleeishörnchen gereicht. Nebenden Besucherinnen in Schlangenlederhighheels ließensich die eingeladenen Künstler mit ihren zerrupften Frisuren,die vermutlich Performances über prekäre Lebenssituationenaufführen würden, gut ausmachen. Eine ausgelasseneStimmung wollte nicht entstehen. Für die ausgestellte Kunsthingegen hätte man, wie so oft neuerdings, ein Entschlüsselungsprogrammgebraucht. Ich traf sehr wenige ehemaligeVilla-Romana-Stipendiaten und zu dritt standen wir achselzuckendauf der Durchgangsroute des Catering-Services herum.Viel zu mühsam wäre es gewesen, die eigenartig ausgeformtenInnenwelten der ausgestellten Künstler in einenZusammenhang zu bringen. Individuelle Mythologien magvielleicht der Begriff sein, mit dem man beschreiben könnte,wie sich Künstler vom Kontakt zur ground control abkoppeln,aber ihre Kapseln docken wiederum zu zielstrebig an einenbereits gut durchformatierten Kunststil an, bei dem abseitigeObjekte mit komplexer Theorie kombiniert und weitläufigin den Ausstellungsraum geclustert werden. Der nochzu benennende Stil steht für eine Strategie der Mystifikation,die den schwer erträglichen Fragen der Welt Verwirrungseffektegegenüberstellt, die eine Clientèle aus professionellenMystifizierern – meist an Besitz oder Institutionen gebundeneLeistungssträger – gerade noch aushalten kann. Draußen,im Pulk der Raucher auf dem Bürgersteig, sprachen wirüber die fortschreitende Professionalisierung der Kunstausbildung,die neuen Fine-Art-Photography-Schulen, die CuratorialStudies, den Siegeszug der globalisierten Theorie – Rancière,Kojève, Artaud, Arendt gehören jetzt zur Konzernkulturamerikanischer Universitäten. Den neuesten Diskurs aufdem Schirm zu haben, ist so wichtig geworden wie früherdie richtigen Platten zu hören. Es war einer der letzten warmenAbende dieses Sommers. Für die neue Powergenerationder professionalisierten Künstler waren wir ehemaligen Villa-Romana-Stipendiaten jetzt unzeitgemäße Hänger, so wie füruns damals die Ölmaler aus der Toskana-Fraktion. Die letzterenwaren auf diesem Empfang erst gar nicht erschienen, obwohlich mich sehr auf sie gefreut hatte. In Florenz, Anfangder Nuller-Jahre, waren wir abends zwischen Gucciläden undaufpolierten Arkadengängen in leeren Bars herumgestandenund hatten die finstere Stimmung genossen. Wir verließendie Vernissage und gingen Unter den Linden entlang, vorbeiam Bugatti-Showroom durch die mit Planen abgehängte Passageder U-Bahn-Baustelle, um einen Drink in der von einerspektakulären Treppe dominierten Lobby des Westin Grandzu nehmen. Es gab kaum Gäste. Alles würde immer so weitergehen,schön melancholisch beschwert, aber auch vollerHoffnung, denn es würde nicht so weitergehen können – irgendwotaucht immer eine, jetzt benutze ich mal das neueModewort, disruptive Kraft auf. Die Kunst war nicht schuldam Elend der Welt. Während wir uns wie auf einem aus derZeit gefallenen Kreuzfahrtschiff fühlten und von unserenLoungesesseln aus den in Globaleleganz gekleideten älterenPaaren hinterherglotzten, schoss sich der todkranke SchriftstellerWolfgang Herrndorf eine Kugel in den Kopf, ein paarKilometer weiter nördlich am Ufer eines Spreekanals.Wir diskutierten. Wird es am Ende der Kunst gelingen, sichden Übernahmeversuchen des Kapitalismus, der alle Lebensbereichequantifiziert, optimiert, nutzbar macht, zu widersetzen?Selbst Unnütz- und Wirrsein kann gut als Antidot vermarktetwerden. Die Entgrenzungsphänomene finden wieüberall auch im Bereich der Kunst statt, um sich aus dem immerenger werdenden Würgegriff der allumfassenden Entgrenzungund Entfesselung zu befreien – das klingt absurd,und man weiß sowieso nicht, ob es sich um einen Aufbruchoder eine Fluchtbewegung handelt. Sofort nachdem eineneue Idee, Form oder Intensität auftaucht, breitet sie sich aus

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