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DAS DICTUM DES SIMONIDES - Seminar für Geistesgeschichte ...

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Das Dictum des Simonides 31Leonardos Argumentation bestätigt die um 1500 offensichtlich noch geläufigeAuffassung, daß Dichtung und Malerei auf Grund des ihnen gemeinsamenVerfahrens, die jeweiligen Werke mit der zeichnenden/ schreibenden Handherzustellen, einander nahe, um nicht zu sagen „miteinander verwandt“ seien.Der entscheidende Aspekt aber liegt auf einer anderen Ebene: Leonardoführt das zwei Mal von ihm veränderte Dictum gegen die die Malereigeringschätzenden Literaten ins Feld und bringt damit als grundlegendeUrsache des Rangstreits den höheren Sozialstatus der als „freie Künstler“geltenden Literaten gegenüber den als Handwerkern eingestuften Malern zurSprache. 105 So auch im folgenden Abschnitt:Mit gebührender Klage beschwert sich die Malerei, dass sie aus der Zahl derfreien Künste ausgestossen sei, denn sie sei eine echte Tochter der Natur undwerde vom vornehmsten Sinn betrieben. Daher habt ihr Schreiber sie mitUnrecht aus der Zahl besagter freien Künste fortgelassen, denn sie bestrebt sichnicht nur um die Werke der Natur, sondern noch um zahllose andere, welche dieNatur nimmer schuf.Con debita lamentatione si dole la pittura per essere lei scacciata dal numerodelle arti liberali, conciosiachè essa sia vera figliuola della natura et operata dapiù degno senso. Ond’è attorto, o scrittori, l'havete lasciata fuori del numerodidette arti liberali; conciosiachè questa, non chè alle opere di natura, ma adinfinite attende, che la natura mai le creò. 106Als Beleg <strong>für</strong> diese Situation der Ungleichheit führt er die Stummheit derMalerei an, wenn er an anderer Stelle einem Dichter im Gespräch mit KönigMathias von Ungarn, dem ein Gemälde geschenkt worden war, die Worte inden Mund legt: „O König, lies, lies, und du wirst etwas Gehaltvolleresverspüren, als eine stumme Malerei.“ („[…] allora il poeta forte indignatodisse: O Re, leggi, leggi, e sentirai cosa di maggior sostantia, ch’è una mutapittura.“) 107 Würde dieser Topos nicht zum rhetorischen Repertoire derranghöher plazierten Literaten gehören, hätte Leonardo keinen Anlaß gehabt,ihn aufzugreifen und zu kritisieren.Den auf dem Vorrang der Schrift beruhenden höheren Sozialstatus derLiteraten und deren mit diesem einhergehenden Dünkel hat er persönlich zuspüren bekommen:Ich weiß sehr wohl, daß, da ich kein Literat bin, einige anmaßend meinen, michvernünftigerweise da<strong>für</strong> tadeln zu können vorgebend, daß ich ein Mann ohneBildung sei; verrückte Leute! Wissen diese denn nicht, daß ich, so wie Mariusden römischen Patriziern entgegnete, auch antworten könnte, indem ich sage,105 Zu den möglichen Hintergründen dieses Rangstreits in Mailand um 1490: Claudio Scarpati,„Introduzione“ zu ders. (Hg.), Leonardo da Vinci: Il paragone delle arti, Milano 1993, S.1-80, hier S. 22-24 (ebenso Scarpati, Leonardo scrittore [wie Anm. 95], S. 68 f.); auchCarlo Vecce, Leonardo, Roma/ Salerno 1998, S. 119-127, bes. S. 120 f.106 Ausgabe Ludwig, Bd. 1, Nr. 27, S. 52-53.107 Ebd.

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